Sonntag, 2. März 2014

Estomihi


In finem. Psalmus David, pro extasi. In te, Domine, speravi ; non confundar in æternum ; in justitia tua libera me. Inclina ad me aurem tuam ; accelera ut eruas me. Esto mihi in Deum protectorem, et in domum refugii, ut salvum me facias : quoniam fortitudo mea et refugium meum es tu ; et propter nomen tuum deduces me et enutries me. Educes me de laqueo hoc quem absconderunt mihi, quoniam tu es protector meus. In manus tuas commendo spiritum meum ; redemisti me, Domine Deus veritatis.

Ein Psalm Davids, vorzusingen. Herr, auf dich traue ich, laß mich nimmermehr zu Schanden werden; errette mich durch deine Gerechtigkeit! Neige deine Ohren zu mir, eilend hilf mir! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß du mir helfest! Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wolltest du mich leiten und führen. Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir gestellt haben; denn du bist meine Stärke.  In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
Psalm 31 [30], 1 – 5 [6]

Woher der Sonntag „Estomihi“ seinen Namen hat, wird aus dem obigen Psalmenzitat deutlich (wer mag, kann auch noch hier nachlesen). Man kommt sich etwas seltsam vor, nach einem eher überbordenden Sonntags-Essen eine Predigt über das Fasten mitteilen zu wollen. Herr Roloff hat sie heute gehalten.

Wie vielleicht aufgefallen ist, spreche ich über Religion lieber indirekt, indem ich etwa andere in dieser Sache zu Wort kommen lasse, und sei es ein antiker Kirchenvater, das hat Gründe, die in meiner persönlichen Verfaßtheit liegen, aber das soll hier gar nicht erörtert werden.

Diesmal haben wir nun den Herrn Roloff, aber eines muß ich doch loswerden. Der Begriff von der „metaphysischen Heimatlosigkeit“ des modernen Menschen ist zunächst eben nur das, ein Begriff. Bei Erlebnissen wie einer „weltlichen Beerdigung“ füllt er sich einem, vor allem, wenn man den Betroffenen wirklich schätzte, auf verstörende Weise; dieses hohle und unwahre sentimentale Pathos, diese Geschmacksunsicherheiten (bei der Musik beginnend), die linkischen Gebärden...

Ich behaupte nicht, daß mein Glaube immer in blühender Verfassung daherkommt, aber nach Erlebnissen wie am vergangenen Sonnabend, wo ich die völlige Abwesenheit desselben „erleben“ durfte, da ist man fürs erste doch wieder geheilt.

Ach übrigens habe ich bei dem schwergewichtigen Thema das Ganze etwas auflockern wollen mit Bildern vom heutigen Nachmittag (ich hoffe, der Stilbruch wird mir verziehen werden).


Predigt zum Sonntag Estomihi

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Falsches und echtes Fasten

1 Rufe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und dem Hause Jakob ihre Sünden. 2 Sie suchen mich täglich und wollen meine Wege wissen wie ein Volk, das Gerechtigkeit schon getan und das Recht ihres Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern mich zu Recht und wollen mit ihrem Gott rechten. 3 "Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum tun wir unserm Leibe wehe, und du willst's nicht wissen?" Siehe, wenn ihr fastet, so übt ihr doch euren Willen und treibt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, ihr fastet, daß ihr hadert und zanket und schlaget mit gottloser Faust. Wie ihr jetzt tut, fastet ihr nicht also, daß eure Stimme in der Höhe gehört würde. 5 Sollte das ein Fasten sein, das ich erwählen soll, daß ein Mensch seinem Leibe des Tages übel tue oder seinen Kopf hänge wie ein Schilf oder auf einem Sack und in der Asche liege? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, dem HERRN angenehm? 
6 Das ist aber ein Fasten, das ich erwähle: Laß los, welche du mit Unrecht gebunden hast; laß ledig, welche du beschwerst; gib frei, welche du drängst; reiß weg allerlei Last; 7 brich dem Hungrigen dein Brot, und die, so im Elend sind, führe ins Haus; so du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht von deinem Fleisch. 8 Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Besserung wird schnell wachsen, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird dich zu sich nehmen. 9 Dann wirst du rufen, so wird dir der HERR antworten;
Jes 58, 1-9a

Liebe Gemeinde,

hier wird die tiefste Verkehrung an den Pranger gestellt, die sich im Menschen ereignen kann. Sie ist das erwiesene Ende aller Frömmigkeit und jeder Gottesfurcht. Sie ordnet sich ein in das Verhängnis, welches scherzhaft durch den Satz umrissen wird: Am liebsten gebeichtet werden immer die Sünden der Anderen!

Der Prophet wird hier aber nicht gesandt, seine Stimme laut zu erheben, weil sich Menschen untereinander ihre Sünden vorhalten. Eine ganz bestimmte Art scheinbarer Frömmigkeit verführt den Menschen dazu, unter dem Gebrauch religiöser Gesten Gott in seiner Ehre zu missachten. Es gibt Menschen, die haben eine so hohe Meinung von ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden, dass sie es über dasjenige Gottes stellen. Von ihnen ist hier die Rede. Es gibt eine Art Frömmigkeit, die sieht Gott in der Pflicht, nachdem der Mensch sich so sehr um alles gemüht, die Gebote befolgt und die Rituale bewahrt hat.


Der Gott, von dem der Prophet uns berichtet, der wundert sich nicht wenig über diese Anmaßung: Sie fordern mich zu Recht und wollen mit ihrem Gott rechten. "Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum tun wir unserm Leibe wehe, und du willst's nicht wissen?"

Gott merkt ja sehr wohl, dass ihm hier Menschen gegenübertreten, die sich der göttlichen Macht nur bedienen wollen, um ihren eigenen Willen durchzusetzen. Gott zum Erfüllungsgehilfen der eigenen Absichten zu degradieren, das ist wohl die äußerste Form der Respektlosigkeit, nein sogar der Gottlosigkeit. In diesem Gedankengang beginnt die Vergottung des Menschen. Dort, wo der Mensch selbst zum Gott werden will, da zerstört er die sinnvolle Ordnung der Dinge, und er beginnt die Selbstzerstörung.

In den Fasten-Bräuchen lässt sich dieser Zusammenhang vielleicht besonders klar beobachten. Da gibt es Menschen, die glauben, je größere Opfer sie sich auferlegen, je akribischer sie ihre Entsagungen beachten, desto wahrscheinlicher wird es, dass Gott ihnen nicht widerstehen kann und ihnen tut, wie sie es wollen. Oft entsteht hieraus eine verbissene Freudlosigkeit, die mit Gott zu hadern beginnt, weil er sich natürlich nicht erpressen lässt.


Die in dieser Woche wieder beginnende große Fastenzeit der Christenheit ist eine gute Gelegenheit, um das jeweils eigene Verhältnis zu diesen Dingen einmal zu prüfen. Legen wir uns doch die Fragen vor, die Gott durch den Propheten stellen lässt: „Sollte das ein Fasten sein, das ich erwählen soll, daß ein Mensch seinem Leibe des Tages übel tue oder seinen Kopf hänge wie ein Schilf oder auf einem Sack und in der Asche liege? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, dem HERRN angenehm?“

Was suchen wir in der Fastenzeit? Worauf verzichten wir, und warum tun wir das? Was wollen wir erreichen? Was sollen wir im rechten christlichen Sinn erreichen?

In jeder Form richtigen Fastens unternehmen wir es, uns in den Willen Gottes hineinzufinden und versuchen eben nicht, Gottes Willen durch den unseren zu beugen oder auch nur zu beeinflussen. Im Fasten wollen wir uns von allem Nebensächlichen trennen, uns innerlich reinigen. Wir sollen fest werden im Glauben. Der Glaube aber sucht mit ganzer Kraft immer nach dem Willen und der Absicht Gottes. Der Glaube ist doch im Kern das unerschütterliche Vertrauen darauf, dass Gott es gut machen wird. Egal wohin uns unsere Lebenswege führen, gleichgültig, in welche Abgründe wir schauen oder geraten, am Ende wird Gott es gut machen. Er lässt uns nicht, und er verlässt uns nicht. Voller Vertrauen können wir in jeder Situation beten: „Dein Wille geschehe!“ Darin steht unsere christliche Vorstellung vom Leben konsequent gegen jeden Kult um das Glück und das Glücklichsein.


Da mag mancher nun denken, da hat der Prediger wohl für einen Augenblick die Jahreslosung aus dem Blick verloren. Ich sage aber: Nein, das habe ich nicht!

Unsere Jahreslosung sagt uns nämlich gerade nicht: Glück ist alles, und der Kern des Glücks ist ein seliger Zustand der Leidlosigkeit. Die Jahreslosung verheißt uns: Gott nahe zu sein ist mein Glück. Wo wären wir denn unserem Gott näher als im Leid? So wie er an unserem Leid Anteil genommen hat, so dürfen wir in allem, was wir erleiden, an ihm Anteil nehmen und einen letzten Sinn des Leidens vermuten. Im Leiden sind wir Gott nahe. Auch das ist Fasten.


Nehmen wir aber auch noch das zu Hilfe, was der Prophet uns über das richtige Fasten verkündet: „Das ist aber ein Fasten, das ich erwähle: Laß los, welche du mit Unrecht gebunden hast; laß ledig, welche du beschwerst; gib frei, welche du drängst; reiß weg allerlei Last; brich dem Hungrigen dein Brot, und die, so im Elend sind, führe ins Haus; so du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht von deinem Fleisch. Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Besserung wird schnell wachsen, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird dich zu sich nehmen. Dann wirst du rufen, so wird dir der HERR antworten;“ Das Suchen nach der Gerechtigkeit, von der der Prophet spricht, ist eben keine Ideologie, keine Gerechtigkeitsmechanik, nichts, was man wie in einer Fabrik machen könnte, und was am Ende nur das Elend und die Verlorenheit verstärkt, sondern es ist aufmerksames Hinschauen auf den Nächsten, den derselbe Schöpfer geschaffen hat wie mich selbst.

Fasten findet Freiheit und sucht Freigiebigkeit. Lasst los, lasst ledig, lasst frei, so verkündet es der Prophet. Lasst Euch doch nicht länger bedrücken durch die selbst gesuchten und auferlegten Sorgen. Reißt weg allerlei Last. Das ist das genaue Gegenteil von der Weise, in der wir das Fasten immer missverstehen, indem wir uns Lasten auferlegen und uns durch Verzicht peinigen. Wir sollen uns ja nicht drangsalieren, sondern befreien. Wir sollen Lasten von uns abwerfen.

Freiheit und Freigiebigkeit, das sind die Ziele des Fastens. Wenden auch wir uns den Bedürftigen zu, auch und gerade denjenigen, die nach Zuwendung dürsten. Es ist eine wirkliche innere Reinigung, wenn wir erst einmal begreifen, wie viel wir besitzen, ohne es selbst wirklich nutzen zu können, und wie sehr einem anderen gerade dadurch geholfen wäre. Schüttet Euch aus, gebt Euch dem Nächsten preis, helft, wo Ihr es könnt. Von keinem Menschen wird verlangt, irgendwo zu helfen, wo er es nicht vermag. Aber wir sind gebeten zu helfen, wo wir es können. Ein jeder Mensch kann und soll in seinen Grenzen und in seinem Bereich zum Guten des Nächsten wirken.

Auf diesem Weg allein kommt Licht in die Welt. Lasst Euer Licht leuchten und zeugt von dem, der uns erwählt hat und der für uns seinen Weg des Leidens ans Kreuz vollendet. Er soll uns der starke Fels sein, auf den unser Leben gründet und selbst durch den Tod nicht mehr überwunden werden kann.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.
 Thomas Roloff


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