Dienstag, 15. Juli 2014

Beiläufiger Nachtrag


„Ich weiß nicht, ob für heute Nacht außerhalb dieses Hauses der Weltuntergang angekündigt ist. Der kleinere Hauskater, der eigentlich nicht in die Wohnung soll, sprang gerade durchs Erkerfenster, das nun auch nicht unbedingt so niedrig liegt. Die junge Katze, die es kürzlich geschafft hatte, ihre 3 Nachkommen dazu zu bewegen, vom Holzstapel auf dem Hof unter unsere Küchenschränke umzuziehen, wie man bald riechen konnte bzw. immer noch kann (seitdem ist die Terrassentür unter Beobachtung gestellt), versuchte soeben das Gleiche nochmals. Dabei ist es draußen derzeit viel angenehmer als in der stickigen Wohnung. Irgendwann nützen auch die dicksten Wände nichts mehr. Merkwürdig.“



Das war, glaube ich, vom Dienstagabend vergangener Woche (seitdem habe ich jedenfalls nichts mehr geschrieben, was ich jemandem schließlich zumuten wollte). Die Welt ging nicht unter; höchstens für Brasilien, ein wenig. Denn anschließend zählte man vier Tore in sieben Minuten (wenn ich mich recht erinnere), und ich gebe zu, mir stand der Mund offen. Das war einer der wenigen Momente, wo ich als denkbar fußballfremder Mensch vollkommen fasziniert war; schlicht über die Bewegungsmuster und -kombinationen, die man doch sehen konnte (mein Vater selig wäre glücklich gewesen). Aber warum sollte man länger über etwas sprechen, von dem man keine Ahnung hat?

Es entstanden kuriose Beobachtungen: Z.B. war unsere fast 88jährige Nachbarin um 11 Uhr wieder aufgestanden, um das Spiel gegen Brasilien bis zum Ende zu sehen, und gab am Morgen danach einen sehr konzisen Bericht. Das als quasi Antwort auf einen freundlichen hiesigen Mitleser, der meinte: „Es soll ja Senioren geben, die bei den Spielen Österreich-Ungarn immer fragen, gegen wen gespielt wird.“ Ja, das gibt es auch, wenn längst alle Uhren stehengeblieben sind, und nur die Uhren es gemerkt haben.

Und der Herr Bundestrainer tätigte Aussagen, die ich ähnlich (und dem Anlaß gemäß abgewandelt natürlich) gern mitunter, wenn es wichtig und angebracht wäre, von staatsleitenden Organen hören würde, wie etwa: "Es war wichtig, dieser Leidenschaft und diesen Emotionen von Brasilien mit Ruhe, mit Abgeklärtheit zu begegnen, natürlich auch mit Mut und mit unserer eigenen Stärke" und "Man darf sich nie unbesiegbar fühlen". In der Tat.

Am Sonntag wurde (nicht ganz so furios) dann immerhin gewonnen. Und das ist irgendwie doch schön. Zumal sich so viele, jedenfalls diesseits des Atlantiks (und sogar einige in Argentinien, von denen ich persönlich weiß, das Land ist leider in einem recht zerrütteten Zustand) so lebhaft gefreut hatten und hier so begeistert mit den derzeitigen nationalen Farben gewedelt wurde etc. etc.


Jetzt mußte man eigentlich nur noch warten.

Und siehe da, am Dienstag war es endlich soweit. Irgendein Herr Dings verschaffte endlich denen, die sich schon lange vor Wut über soviel „falsche Gemeinschaftsduselei“ in Tischkanten verbissen hatten, eine Art von Genugtuung (und das bei der FAZ!):

„Mit einer üblen Persiflage auf ihren Finalgegner verspielen die deutschen Weltmeister das Image der weltoffenen, toleranten Nation.“ Was hatten sie Übles getan? Ein Spottliedchen auf die Unterlegenen gesungen, auf der Bühne, in Berlin, vor Hunderttausenden, nun ja. Mein Gott, es sind Fußballer. Wer diesen dankbar empörten Artikel lesen will, findet ihn hier und anderes von diesem Herrn F. L. da.

Und jetzt muß ich auch ein wenig moralinsauer werden:

Es gibt in diesen Zeiten in Deutschland (wenn man das noch so sagen darf) einen vagabundierenden Weltbegradigungsfuror, der, weil er jedes als realistisch denkbare Ziel verloren hat (aber das Bedürfnis, das ist ihm geblieben), hysterisch nach Dingen sucht, die er skandalisieren kann. Also richtet er sich ziemlich willkürlich mal auf dieses, mal auf jenes, aber immer sehr vehement.

Und vor allem in die Richtung, von der her das Böse unweigerlich wieder kommen muß – also die Nation oder Preußen, die heimische Vergangenheit überhaupt, abwechslungsweise das Christentum, die üblichen Verdächtigen halt. Und als verspätete Trümmerfrau zerklopft man virtuell weiter die Ruinen dessen, was mal war und würde am liebsten anschließend die Steine verschwinden lassen, nicht daß einer noch was draus bauen wollte. Wehret den Anfängen!

Es ist dieselbe Art von Geistesgestörtheit, die den Luftangriff auf Dresden, kurz vor Kriegsende, ganz knorke findet. Gespenstisch. Und in so einem Land lebt man nun.
nachgetragen am 17. Juli

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