Mittwoch, 24. Februar 2016

Ein Nachtrag zu Luther & die Verteidigung des Schönen

Giovanni Battista Piranesi, Curia Hostilia

Ludwig XVI. wies einst den Vorschlag, den Erzbischof von Toulouse, Loménie de Brienne, für den Pariser Bischofssitz zu nomenieren, mit den Worten zurück: Wenigstens müsse der Erzbischof von Paris an Gott glauben (er ernannte ihn aber dann 1787 zum Generalkontrolleur der Finanzen). Übrigens hat den geistreichen Kopf später selbst seine öffentliche Abkehr vom Katholizismus nicht vor den Revolutionären gerettet, er starb, vermutlich nicht ganz freiwillig, 1794.

Eine Randbemerkung: Von Herrn Theweleit, einem der Säulenheiligen des links-feministischen etc. pp Milieus durfte ich irgendwann einmal hören, die Phantasmagorien des Marquis de Sade seien eine Reaktion auf die „mörderische Lebensweise des französischen Adels vor der französischen Revolution“ (wer immer das braucht, kann es hier nachhören). Wo genau findet man eigentlich diese Exzesse, wie etwa die Massenmorde des Ancien Régime? Wenn es an etwas zugrunde gegangen ist, dann an seiner Liberalität (und vermutlich der Unterstützung des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, das es zusätzlich finanziell ruinierte).

Doch wir wollen eigentlich in ein anderes schwieriges Zeitalter, nämlich das der italienischen Renaissance.

Giovanni Battista Piranesi, Porta Maggiore

Ich habe kürzlich geschrieben, insonderheit um den Vater Luther an seinem Todestag zu ehren, wie er sich für die Künste den Schwärmern entgegenwarf.

Es gibt hier eine ganz merkwürdige Verbindung. Kaiser Maximilian I. starb am 12. Januar 1519, am 28. Juni 1519 wurde sein Nachfolger Karl V. gewählt, den Papst Leo X. energisch zu verhindern gesucht hatte, etwa indem er Luthers Landesherren, Kurfürst Friedrich den Weisen zu einer Gegenkandidatur zu überreden versuchte mit dem Angebot: Er würde einen Kandidaten seiner Wahl zum Kardinal ernennen. Er spricht einiges dafür, daß damit Luther gemeint war, dessen Auslieferung zu einem Ketzerprozeß seit August 1518 eingefordert wurde, von anderem zu schweigen.

Wenn sich Italiener wieder für Römer zu halten beginnen, kann das sehr übel ausgehen wie bei den Renaissaince-Päpsten, für die Religion offenkundig nicht mehr war als ein einträgliches Mittel in einem Machtspiel. Julius II. etwa, der sich eher für einen wiedergeborenen Cäsar hielt, gilt zwar als tatkräftig, rücksichtslos und gewalttätig, nicht selbstbereicherungssüchtig, aber schon Zeitgenossen meinten, daß einzige Priesterhafte an ihm seien Kleidung und Name. Erasmus von Rotterdam schrieb, natürlich nach dessen Tod und anonym, über ihn die hübsche Satire „Julius exclusus e coelis“.

Um sich sogleich dem Nachfolger an den Hals zu werfen: „Aber die Hoffnungen, welche ihn nach England zurückgeführt hatten, erfüllten sich nicht. Bald reute es ihn, daß er Rom verlassen hatte, und nachdem Johann von Medici als Leo X. Papst geworden war, verrieth er durch ein an diesen gerichtetes Schreiben, wie lebhaft er bedauerte, unter dem für Kunst und Wissenschaft so erfreulichen Regimente dieses Papstes nicht in Rom leben zu können.“

Über diesen Papst finden sich eine Reihe kurioser Attribute – gebildet, kunstsinnig, ausschweifend, unbeschwert, vergnügungssüchtig, extravagant, abseitig, verschlagen und doppelzüngig, persönlich umgänglich und höflich, wenn es die Umstände zuließen, immer machtbesessen und ein emsiger Förderer seiner Familie.

Irgendein religiöser Zug ist von ihm nicht überliefert. Warum ich das so betone. Nun, viele Italiener dieser Zeit empfanden sich wohl wirklich als neugeborene Römer des Altertums, nicht, daß sie deswegen dessen Relikten mit Pietät und Hingabe entgegen getreten wären. Man suchte eher auf den Trümmern des Vergangenen seinen neuen Ruhm, der das übrig Gebliebene weiter in den Staub sinken lassen sollte. Geistig gesehen war es wohl der Fall in ein neugeschaffenes Heidentum, das einen von allen Verpflichtungen befreien sollte, eine Art Regression, die aber zugleich befreiend Neuartiges und zeitlos Gültiges hervorbrachte. Ein abgrundtief grausames, aber auch sehr kunstsinniges Zeitalter. Das ist das Verstörende.

Es hat vieles Überlieferte zerstört, zugegebenermaßen Bedeutendes an dessen Stelle gesetzt (persönlich würde ich St. Peter zu Rom davon ausnehmen wollen, das kam mir früh vor wie ein aus den Fugen geratenes Opernhaus), und die katholische Kirche hat es überlebt. Letzteres bleibt kaum erklärlich.

Giovanni Battista Piranesi, Mausoleum der Helena

Und diese lange Vorrede sollte eigentlich nur dazu dienen, um das Umfeld eines Briefes zu skizzieren, den Raffael an Leo X. schrieb:

„Meine Kenntnis verschafft mir einerseits wahre Genugtuung, weil ich eine hervorragende Sache kennengelernt habe; andererseits ist sie auch Ursache tiefen Schmerzes, wenn ich gleichsam den Leichnam der edlen Vaterstadt, die einst die Welt regierte, traurig zerfleischt sehe.

Gleich wie für jeden einzelnen die Pietät den Eltern und dem Vaterland gegenüber Pflicht ist, ebenso fühle ich mich verpflichtet, alle meinen geringen Kräfte daranzusetzen, daß soweit als möglich ein Stück von dem Bild lebendig bleibe oder vielmehr der Schatten dessen, was in Wahrheit das Vaterland aller Christen ist, welches einst so vornehm und mächtig war, daß die Menschen zu glauben begannen, dieses einzige Reich stehe über dem Schicksal und sei gegen den Lauf der Natur dem Tod entzogen, um zu dauern in Ewigkeit.

Doch es scheint, daß die Geschichte, als neide sie den Sterblichen den Ruhm und mißtraue den eigenen Kräften, sich mit dem launischen Glück und mit den unwissenden und ruchlosen Barbaren verbündete, welche zum nagenden Zahn der Zeit und zu dessen vergiftetem Biß ihre ungezügelte Kraft, die eisernen Waffen und das versengende Feuer fügten. So wurden denn jene berühmten Werke, die heute mehr denn je in blühender Schönheit dastehen könnten, im Gegenteil von der maßlosen Wut und von dem gnadenlosen Ansturm der schlechten Menschen verwüstet, versengt und zerstört, obgleich nicht dermaßen, daß nicht wenigstens das des Schmuck entkleidete Gerüst davon bleibt, gleichsam das Skelett des Körpers ohne das Fleisch.

Giovanni Battista Piranesi, San Giovanni in Laterano

Allein, weshalb beklagen wir uns über die Goten, die Vandalen und andere arglistigen Feinde, wenn gerade diejenigen sich lange und eifrig um die Zerstörung von Roms geplagten Überresten bemühten, die sie als Väter und Beschützer hätten verteidigen müssen?

Wie viele Päpste, Heiliger Vater, die dasselbe Amt hatten wie Eure Heiligkeit, nicht aber dieselbe Einsicht, Tugend und Großmut: wie viele Päpste, sage ich, haben es zugelassen, daß antike Tempel, Statuen, Triumphbögen und andere ruhmreiche Bauten ruiniert und zerstört wurden! Wie manche haben dazu beigetragen, daß Fundamente ausgegraben wurden, allein um Puzzolanerde zu gewinnen, so da die Bauten binnen kurzem einstürzten. Wieviel Kalk wurde aus Statuen und anderem antiken Schmuck gebrannt! Ja, ich wage zu sagen: Dieses ganze neue Rom, das man heute sieht, wie groß es auch sein mag, wie schön, wie reich an Palästen, Kirchen und anderen Bauwerken, die wir érblicken: Alles ist mit dem Kalk aus antikem Marmor errichtet. Nicht ohne tiefes Bedauern entsinne ich mich, dass, seit ich in Rom bin, also in weniger als 12 Jahren, so viele schöne Dinge zugrunde gerichtet worden sind...“
nachgetragen am 26. Februar

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