Sonntag, 7. Juli 2019

Von dem Verführerischen des Menschlichen und der Wahrheit Gottes - eine Predigt

Marten de Vos, 1601, Die Vision des Hl. Eustachius 
mit anderen Szenen seiner Glaubensprüfungen im Hintergrund

Die Predigt des Herrn Roloff, die sich anschließend findet, bedurfte nach meiner Auffassung einer Vorbemerkung, die ich unter dem Titel Präliminarien zu einer Predigt hier hinterlassen habe. Ich mochte das ewige Wort Gottes nicht mit Zeitgenössischem besudeln, sozusagen.

St. Eustachius und Agathe, Magdeburg-Diesdorf.

Predigt zum 3. Sonntag nach Trinitatis in St. Eustachius und Agathe, Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Ich danke unserm HERR Christus Jesus, der mich stark gemacht und treu geachtet hat und gesetzt in das Amt, der ich zuvor war ein Lästerer und ein Verfolger und ein Schmäher; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan im Unglauben. Es ist aber desto reicher gewesen die Gnade unsers HERRN samt dem Glauben und der Liebe, die in Christo Jesu ist.
Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich Jesus Christus erzeigte alle Geduld, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
1 Tim 1, 12-17

Liebe Gemeinde,

wenn uns die Menschlichkeit verbindet, dann ist ganz egal, was uns trennt. Wer wollte dem nicht zustimmen? Das Menschliche ist so verführerisch. Es lässt uns schließlich nicht nur das Gute befördern, sondern es lässt uns vor allem gut erscheinen. Es ist so schön und wohltuend, zu den Guten zu gehören. Wer das Gute will, der muss unter Umständen auch die sonst für alle geltenden Regeln nicht beachten. Die Regeln dürfen uns doch nicht daran hindern, das Gute zum Durchbruch zu bringen.

Auf dieses Wohlgefühl blickt der Apostel Paulus in unserem Predigttext zurück. Er hat mit Leidenschaft die Irrgläubigen verfolgt, die Andersdenkenden gejagt. Er hat nicht dulden wollen, dass da eine neue Sekte den rechten Glauben zersetzt. Es durfte keine Tabus geben, wenn es darum ging, jene zur Strecke zu bringen, die, anstatt des ewigen Gottes, einen vulgären und anmaßenden Wanderprediger verehrten. Er hatte Wohlgefallen daran, dass Stephanus gesteinigt wurde, weil er sich mutig zum Herrn bekannte. Es war zutiefst menschlich, dass man den Feinden des Glaubens entschlossen entgegentrat.


Heinrich Schütz: Saul, Saul, was verfolgst du mich? (SWV 415)

Dieses menschliche Wüten des Paulus fand sein Ende vor den Toren von Damaskus. Davon berichtet uns der Apostel in unserem Predigttext. Es ist bezeichnend, dass er, sooft er an dieses Geschehen denkt, gleichsam in Dankbarkeit versinkt.

Ich danke unserm HERR Christus Jesus, der mich stark gemacht und treu geachtet hat und gesetzt in das Amt. Er wurde bekehrt vom menschlichen Hochmut zur christlichen Demut.

Dankbarkeit ist der Schlüssel zum rechten Verständnis Gottes. Ich verdanke mich ihm und er verdankt mir nichts. Gott achtet Paulus nicht seiner Stärke wegen, sondern Paulus verdankt seine Stärke der Zuwendung Gottes. Gott wendet sich diesem Menschen nicht zu, weil er ihn als vorbildlich treu befunden hat und ihn darum ehren will. Die Treue erwächst überhaupt erst aus der Hinwendung Gottes. Erst diese von Gott erweckte Treue wirkt in Paulus bittere Erkenntnis: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan im Unglauben. Paulus wollte mit rasendem Eifer Gutes tun, aber er kannte den Herrn nicht. Wer aber den Herrn nicht kennt, der hat keinen Maßstab, der hat keine Orientierung, der hat vor allem keinen wahren Glauben. Die Wahrheit des Glaubens ist nämlich an den gebunden, der die Wahrheit ist.

Auch wer ein Lästerer, Verfolger und Frevler war, kann von diesem Herrn ins Amt gesetzt werden. Das ist es, was Paulus überrascht hat und wovon er reden und Zeugnis ablegen muss. Er bekennt, ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Der Unglaube bewirkt Irrtum. Das ist es, was Paulus zu erkennen beginnt, nachdem er dem Herrn vor Damaskus begegnet ist.

Voller Staunen wird er gewahr, dass wegen der Ungeheuerlichkeit seiner vorherigen Sünde, die Gnade Christi umso klarer hervortreten kann. Es ist aber desto reicher gewesen die Gnade unsers HERRN samt dem Glauben und der Liebe, die in Christo Jesu ist, schreibt er an Timotheus. Und dann folgt der zentrale Satz des Textes, es folgt im Grunde der zentrale Satz christlichen Glaubens: Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin.

Christus ist Mensch geworden, er ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen! Das setzt doch zunächst und vor allem voraus, dass ich mich als Sünder erkenne! Ich kann nicht aus mir selbst das Gute finden. Was nennst du mich gut, niemand ist gut als Gott allein, sagt selbst Christus zum reichen Jüngling. Noch entschiedener wendet es sich an Petrus, als der das Leiden seines Meisters verhindern will.

Da wandte sich Jesus um und sprach zu Petrus: Hebe dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist. Es liegt die Gefahr großen Unheils darin, wenn wir aus eigenem Entschluss und aus eigener Einsicht das Gute und Menschliche suchen. Wir können als Menschen aus eigener Einsicht nur Gemeinschaft finden, wenn wir uns als Sünder erkennen. Eine Gemeinschaft aus den selbst erkorenen guten Absichten heraus ist unmöglich. Sie führt immer in die Selbstermächtigung, in den Hochmut der Selbsterlösung.

Paulus hat vor Damaskus erfahren, dass die erste und alles ändernde Entscheidung dann fällt, wenn man Christus begegnet.

Darum ist es so gefahrvoll, wenn sich augenblicklich die Meinung durchsetzt, wenn wir nur im vermeintlich Guten weite Übereinkunft erzielen,  dann ist am Ende ganz egal, woran wir glauben. Dann soll doch jeder in seinem Glauben zum Guten beitragen.

Das ist darum eine verführerische und ganz und gar vergiftete Auffassung, weil sie die Entscheidung über das Verhältnis zum Erlöser der Welt auf den zweiten Platz verweist – erst das Gute und dann die Frage nach dem konkreten Glauben. Eine schamlosere Beleidigung des Herrn der Welt ist kaum denkbar.

Denn die Frage nach Christus wird nun zweitrangig.

Das ist aber vor allem darum auch falsch, weil ohne den christlichen Glauben, ohne die „Überzeugung eines Schöpfergottes, die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln niemals entwickelt worden wären.

Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben. Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden.

Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas. Sie hat im Bewußtsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen Maßstäbe des Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist.“ So in etwa hat es Benedikt XVI. vor einigen Jahren im Reichstag auf den Punkt gebracht.

Anderen Überzeugungen und Glaubensauffassungen gegenüber tolerant zu sein bedeutet eben nicht, die eigenen aufzugeben oder auch nur zu relativieren. Tolerieren kann man immer nur das, was man für falsch hält, anderenfalls könnte man ihm beipflichten.

Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! So bekennt sich Paulus und ruft auch Timotheus in dieses Bekenntnis. So bekennt sich die Kirche und gibt darin Zeugnis von dem Herrn, der in Ewigkeit unser rechtmäßiger König ist, der unvergänglich, unsichtbar und alleine Gott ist. Er hat den Menschen zu seinem Bilde geschaffen, er hat der ganzen Schöpfung seine Ordnung eingeschrieben, die wir zu achten haben, weil wir selbst aus dieser Ordnung heraus geboren sind.

Ihn preist die Kirche von Paulus und Timotheus an, in der Gemeinschaft mit der Gottesmutter, mit dem Hl. Eustachius und der Hl. Agathe, den Patronen dieser Kirche, und mit allen Christen, die vor uns gewesen sind. Mit ihnen allen bekennen heute auch wir: Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren und allein Weisen, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.

Thomas Roloff

Sebastiano del Piombo, Martyrium der Hl. Agatha, 1520

nachgetragen am 8. Juli

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