Sonntag, 15. August 2021

Fürchtet euch nicht – eine Predigt


Günter Johl, "Christus als Herrscher über Gut und Böse", Altarfenster in der Kreuzkirche in Magdeburg, 1956, hier gefunden


Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis, Kreuzkirche Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Die Mitte des christlichen Glaubens liegt in einer einfachen Botschaft. Mit ihr beginnt Christus oft seine Reden, aber auch im Alten Testament begegnet sie uns schon häufig.

Fürchtet euch nicht!

Habt keine Angst!

Im Zusammenhang zu diesem Ruf steht also auch unser heutiger Predigttext aus dem Epheserbrief. Wir haben ihn als Epistel bereits gehört:

Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht (denn aus Gnade seid ihr selig geworden) und hat uns samt ihm auferweckt und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu, auf daß er erzeigte in den zukünftigen Zeiten den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christo Jesu. 

Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen. Amen.

Eph 2, 4-10


Liebe Gemeinde,

das ist ein Text gegen die Furcht, gegen jede Furcht. Gott wird verkündigt als derjenige, der barmherzig ist. Er hat aus Liebe die Schöpfung ins Leben gerufen und mit ihr den Menschen. Diese Liebe bestimmt sein Verhältnis zu uns. Und sie bestimmt selbstverständlich unser Verhältnis zu seiner Schöpfung, deren unlöslicher Teil wir sind. Keineswegs sind wir ihr Gegenüber und bestimmen nicht ihren Weg, vielmehr nehmen wir unseren Weg in und mit ihr. Wir werden in der Schöpfung getragen durch die Liebe, mit der Gott sie erfüllt hat.

Ina Seidel hat das unvergleichlich in ein Augustgedicht gekleidet:


∼ Augusttag ∼


Sanft - so dehnt sich mein Herz,

Segel, gehoben von Luft,

Sehnt sich weit länderwärts,

Stiller, blauer August -

Sanft so dehnt sich mein Herz. 


Silberne Fäden fliehn

An mir vorüber im Wind,

Schimmernde Wolken ziehn,

Wege bedrängen mich lind.

 

Wege verlocken mein Herz,

Einer dem andern mich gibt,

Wiesenzu, wälderwärts:

Oh, wie die Erde mich liebt! -

Sanft - so dehnt sich mein Herz ... 

© Ina Seidel


Was ist Liebe? Liebe bedeutet doch vor allem Zugehörigkeit. Zugehörigkeit wiederum lässt Eigentum entstehen. Das Besondere an der Liebe ist es aber, dass sie nicht Eigentum durch Inbesitznahme entstehen lässt, sondern dadurch, dass man sich dem Geliebten schenkt und ihm so ganz und gar zugehört. Man wird ein Teil des anderen Menschen.

Jeder Mensch, der jemals geliebt hat, kennt das. Diese Liebe nun ist uns vielleicht nur darum anvertraut, damit wir Gottes Wesen erahnen können.

Das ganz Aufsehenerregende an unserem Text ist es nun, dass er von Gottes Liebe zu seiner Schöpfung und zu uns Menschen ausgeht. In dieser Liebe liegt der Ursprung aller Dinge. Durch seine Liebe zu uns macht Gott uns zu seinem Eigentum, das er hütet, wie seinen Augapfel. Wenn wir Gottes Liebe entdecken, dann ist das der Moment unserer geistlichen Menschwerdung. In einer gewissen Weise ist es auch die Vollendung der Gottesebenbildlichkeit.

Nur in dieser Gewissheit kann der Mensch nun wiederum auch erst tatsächliche Freiheit finden. Die spezifische Freiheit des Menschen liegt in seinem Gehorsam gegenüber dieser einen Botschaft. Gott hat alles, was ist, geliebt, noch bevor es aus seinem Willen wurde. 

Darum müssen wir keine Furcht haben. Gott trägt und erhält die Welt. Durch ihn ist sie geschaffen worden und durch ihn wurde sie auch unwiderruflich gerettet.

Aus dem Nichts hat Gott seine Welt gerufen und uns Menschen in die Lage versetzt, dass wir uns sein Wort sagen dürfen. Und dieses eine Wort Gottes ist seine Liebe zu uns, die sich in Jesus Christus ausspricht.

Fürchtet euch nicht!

Werdet gewahr, dass überall dort, wo euch Angst gemacht, Furcht eingeredet wird, da will man euch von Gott trennen. Denn er spricht: Habt keine Angst!

Werdet gewahr, dass die Angst euch zu Tode lähmen will. In der Angst liefert ihr euch dem Tode aus und nehmt ihn mitten im Leben vorweg. 

Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, hat uns samt Christo lebendig gemacht. Aus Gnade werden wir selig.

Werdet gewahr, dass immer wieder Menschen aufstehen, die wollen Türme bauen, die bis in den Himmel reichen. Die wollen aber nichts Gutes für euch. Die wollen sich nur einen Namen machen.

Louis de Caullery, König Nimrod befiehlt den Bau des Turms zu Babel, hier gefunden

Ihr aber seid aus Gnade selig geworden durch den Glauben, nicht aus den Werken, dass sich nicht jemand rühme. Durch Gnade werden eure Namen bewahrt. Darum muss sich niemand einen Namen machen.

Fürchtet euch nicht!

Was aber ist dieser Glaube? Schnell wird er zur bloßen Vertröstung. Glaube wird zum Festhalten an einen Gott, der es am Ende richten soll. Das gelänge am besten, wenn Gott sich an die vielfältigen Ratschläge hielte, die wir ihm, als Bitten verpackt, in den Gebeten aufladen.

Das alles hat mit christlichem Glauben wenig zu tun. Glaube ist hier das Aufmerksamwerden darauf, dass Gott mich und seine ganze Schöpfung inbrünstig liebt. 

Der Glaube ist eine geschenkte und auch erlernte Gabe, durch die wir überall Liebe entdecken. Wir entdecken eine Liebe, auf die es nur eine Antwort gibt: Demut!

Es ist eine Tragödie, dass von diesem Wort in unserem Alltag kaum mehr übriggeblieben ist als die Demütigung, die fast so etwas wie das Synonym der Entwürdigung ist. Die christliche Demut hat damit rein gar nichts zu tun.

Demütig wird man in dem Moment, in dem man erkennt, dass man Gott bislang in eine Seitenkapelle verbannt und in religiöse Rituale eingesponnen hatte. Wir neigen dazu, ihn zu einem fernen Gott zu machen, an den wir uns wenden können, wenn uns danach ist, oder wenn wir meinen, dass es nötig oder richtig oder opportun sein könnte.

Das ist aber nicht Gott. Das ist dann immer nur ein Götze, bestenfalls ein Abbild Gottes. Hier könnte nun ein Exkurs darüber folgen, ob darin wohl die Ursache für das strenge Bilderverbot der Tora liegt. Darum soll es heute aber nicht gehen.

Heute fragen wir nach der Demut, der Gott mit Gnade begegnet. Diese Demut erfasst uns, wenn wir die Allgegenwart Gottes erfahren. Gott ist in seiner ganzen Schöpfung präsent, denn er hat ihr die Liebe als alles erfassende Kraft eingepflanzt und ist in ihr selbst gegenwärtig.

Diese Liebe ist so mächtig, dass auch die böseste Absicht, die schrecklichste Tat, die äußerste Grausamkeit und die tiefste Gottlosigkeit vor ihr keinen Bestand haben.

Fürchtet euch nicht!

Carl Ebert, Das zerstörte Jerusalem, 1869, hier gefunden

Rembrandt, Jeremia beklagt den Untergang Jerusalems, 1630, 

Dort, wo diese Demut sich mit dem Glauben verbindet, da ist kein Platz mehr für den Hochmut der großen Tat, mit der die Verhältnisse gebessert, die Gerechtigkeit vergrößert und überhaupt die Welt gerettet werden soll. Es braucht keine Türme mehr, die bis in den Himmel hinaufragen, denn der Allmächtige neigt sich ganz zu uns herab. Wir erblicken den, der die Welt in Händen hält und der sie in Christus auch längst gerettet hat.

Demütig und ohne Angst wenden wir uns ihm zu. Dieser Mensch bleibt nun keineswegs tatenlos. Seine Werke beginnen aber immer darin, dass sie Ausdruck seiner Dankbarkeit gegen Gott sind. Dankbarkeit gegen Gott verweist uns in großer Strenge aber eben auch in Wahrhaftigkeit auf unser menschliches Maß und auf das Menschenmögliche. 

Was gäbe ich darum, wenn unter uns wieder mehr vom Menschenmöglichen die Rede wäre! Wieviel mehr würden wir vermutlich erreichen, wenn wir nicht mehr hochmütig nach dem Unmöglichen strebten.

Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade!

Von Gott aber sollen wir alles erwarten, denn unsere Demut und seine Gnade, unser Glaube und seine Liebe, unser Bitten und seine Barmherzigkeit, sie erhalten die Welt.

Darum: Fürchtet euch nicht!

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn.

Amen

Thomas Roloff

J.S. Bach, „Was frag ich nach der Welt“, Kantate BWV94

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