Sonntag, 8. Mai 2022

Preußische Predigten II

Nikolkoe, St. Peter und Paul, kolor. Lithographie ca. 1850,

Trauerfeier für IKH Prinzessin Luise von Preußen

„Ganz, aus großer Ferne, trifft uns noch einmal der Schimmer eines fast vergessenen Glanzes.

Ganz, aus größter Ferne, erreicht uns ein Ton, der lange nicht gehört wurde. Wie ein Traumbild steht vor uns der Zug von Generationen einer hochwürdigen Familie, die auf den Königssohn Carl zurückgeht, heldenhafte Generale hervorbrachte, Schönes schuf und in Gottesfurcht lebte. Ganz am Ende dieses Zuges erblicken wir, die wir heute begraben: IKH Prinzessin Luise von Preußen.“

„In zweifacher Weise ist die Prinzessin heimgekehrt. Diese Kirche steht im Garten ihrer Kindheit und Jugend, dieser Ort ist die Ursprungsstätte ihrer Familie, bei den Ihren werden wir anschließend betten, was sterblich an ihr war.

Sie ist aber auch heimgekehrt in den Ursprung allen Lebens, zu dem, der sie im Leben gesegnet hat und sie zum Segen werden ließ.“

„Ohne oder gar gegen ihre eigene oft so tragische Geschichte zu leben, war misslungen. Ihr war im Grunde nur der Name geblieben, den sie nun mit größtem Stolz wie ein Zeichen ehrfurchtgebietend durch eine Zeit trug, die vieles gar nicht mehr verstehen wollte, und für die sie geradezu ein Artefakt fremder Welten war. Aber gerade darum erklärte sie immer wieder geduldig die Wege ihres eigenen Lebens und erzählte aus Zeiten, die uns sagenhaft fern scheinen, durch die sie aber gegangen ist.“

„Sie hatte ein beeindruckendes Empfinden für die Tragik des Jahrhunderts, das wir hinter uns gelassen haben. Bereits ihre bloße Gegenwart machte deutlich, dass die Geschichte nicht das Toben anonymer Mächte über den Köpfen der Völker ist, sondern schlicht das, was Menschen tun.“

„Im Garten ihrer Kindheit und Träume werden wir, was sterblich an ihr war, beisetzen. Auf ihre Weise wird sie nun Glienicke wieder in Besitz nehmen. Und einmal, wenn der Friedhof im Park seinen verwunschenen, stillen Charakter wiedergefunden hat, wird sich vielleicht ein Wanderer dorthin verirren, und ein Kundiger wird ihm erklären: Hier ist sie versammelt, die Familie des Prinzen Carl von Preußen, der ein Sohn der verehrten und sehr geliebten Königin Luise gewesen ist, und die ihrem Lande ein Zeichen war, und die Gott fürchtete.

Und der Schimmer fast vergessenen Glanzes trifft ihn ganz. Amen“

Das sind Worte aus der Predigt, die Herr Roloff im Jahre 2009 zur Beisetzung der Prinzessin Luise Viktoria von Preußen gehalten hat (der vollständige Text findet sich hier, wo sich auch Näheres zu ihrem Leben aufsuchen läßt). Es war ein Leben, hin und hergeworfen in den sich überstürzenden Zeitläuften, etwas, was sie mit vielen teilen mußte, voller Verluste, die Eigenes verunmöglichten, so wie es das obige Zitat andeutet.

Haus Lehnitzsee, Bild von hier

Nach einem der Schicksalsschläge bezog ihre Mutter das Haus Lehnitzsee in Neu Fahrland, es ist hierüber abgebildet. Durch den Zugriff des nationalsozialistischen Staates verlor die Familie das Schloß Glienicke, das eigentliche Symbol ihrer Geschichte (über Glienicke und seine Bedeutung für diese Linie des Hauses Preußen kann man Wesentliches im Zusammenhang mit dem vorigen Beitrag zur Trauerrede auf den Prinzen Friedrich Karl finden, mit dem die Linie im Mannesstamm erloschen ist (Preuß. Predigten I).  

Er erwähnt die eigentümliche, durch die Mächtigen jener Jahre belauerte und verdächtigte Stellung, in der die Angehörigen vormals regierender Häuser lebten. Ein Gedanke, der sich dabei unvermittelt einstellt: Wenn es ein Kontinuum in der jüngeren deutschen Geschichte gibt, dann das Mißtrauen gegen die vormals regierenden Häuser. Es hatte in der sog. DDR ungebrochen Bestand und ist häufig selbst in dieser Republik noch lautstark anzutreffen. Und das, wo doch alle genannten Systeme so grundverschieden voneinander sein wollen. Merkwürdig, wie aufschlußreich.

Das Leben-müssen über Brüche hinweg hatte sie mit vielen zu teilen. Aber sie gebot über ein Erbe, dem diese Zeiten nichts anhaben konnten. Ihr blieb, dieses zerbrochene Jahrhundert mit Haltung durchzustehen. 

Auch wir stehen nun gewissenmaßen vor einem Bruch. Denn es ist schwierig zu übergehen, daß ihre Gestalt bei einem bekannten, durchaus nicht unumstrittenen italienischen Schriftsteller erscheint. Aber den Bericht davon wollten wir an das Ende verbannen.

Seine Geschichten sind, sagen wir, wahr erfunden, sie könnten so geschehen sein, weil die berichteten Geschehnnisse so stattgefunden haben, sie sind wahr, weil sie mit greller Schärfe zugespitzt den Charakter und Wert von Personen wahrhaftig beschreiben. Sie erzählen von grausamen Dingen einer traurigen und grausamen Zeit, und sie tun das in einer nichtgefälligen, aber unterhaltsamen Art. Das ist nicht das einzige, was verstört.

Malapartes Stil in seinem Roman „Kaputt“, von ihm reden wir, läßt sich an einem Beispiel am schnellsten illustrieren. Es geht um den kroatischen Anführer während des 2. Weltkriegs Ante Pavelić, der uns zunächst trügerisch wohlwollend geschildert wird, wenn auch auf bereits mißtrauisch machende sperrige und gleichzeitig überziehende Weise. Unser Mißtrauen entstand zurecht.

"Ich beobachtete Ante Pavelić, seine dicken behaarten Hände, seine niedrige, harte, eigensinnige Stirn, die unförmigen Ohren. Eine Art Mitgefühl ergriff mich für diesen schlichten, guten, großzügigen Mann, der mit so einem feinen Empfinden für Menschlichkeit begabt war. Die politische Lage hatte sich in diesen Monaten sehr verschlechtert. Der Partisanenaufstand loderte durch ganz Kroatien... Wie sehr muß er leiden, dachte ich, dies goldene Herz."

"Während des Gesprächs bemerkte ich einen Korb aus Weidengeflecht...'Sind das dalmatinische Austern?' fragte ich den Poglawnik. Ante Pavelić hob den Deckel vom Korb und zeigte die Muscheln und kleinen Meerestiere, diese schleimige und gallertartige Austernmasse und lächelnd sagte er, mit seinem gutmütigen und müden Lächeln: 'Es ist ein Geschenk meiner getreuen Ustaschas: zwanzig Kilo Menschenaugen.'"

Alle seine Geschichten sind von dieser Art: Kannibalismus unter russischen Kriegsgefangenen, dem die deutschen Soldaten freundlich zusehen. Jüdische Zwangsprostituierte, die regelmäßig nach 20 Tagen erschossen werden. Dies und anderes Grausames mehr will Malaparte der Prinzessin in Potsdam erzählt haben.

 Was von diesen Geschichten, die das gesamte 4. Kapitel umfassen, er der Prinzessin tatsächlich zugemutet hat, ja ob überhaupt, darüber ist schwer zu mutmaßen. Er ist ein scharfer Charakterzeichner und seine Beschreibungen wirken auch in dem, was ihre Person betrifft, sehr authentisch. "Don't be so Potsdam, Luise!" ruft ihre Freundin aus, eine sehr überzeugende Szene, wie ich höre. Manches hat er erkennbar dazuerfunden (er macht aus ihr eine Enkelin des letzten Kaisers), aber vorherrschend wirkt vieles stimmig. 

Als Unterhaltung eines Tages ist es natürlich undenkbar. Aber gäbe es einen wirklichen Kern als Begebenheit. Ist es vorstellbar, daß er die Prinzessin mit all diesem traktierte?

Man könnte es auch so sehen und sagen: Malaparte beichtet der Prinzessin das Jahrhundert als einem Gewissen, das über diesem steht. Aber für wen fordert er da dann die Absolution ein? Wir wollen diesen verwirrenden Gedanken entgehen und von einer letzten Szene berichten, die tatsächlich geschehen ist. 

Beim Verlassen der Nikolskoer Kirche St. Peter und Paul neigte sich der Sarg noch einmal leicht Havel und Jungfernsee unten zu, einem Nicken gleich, hinüber zur Pfaueninsel zur Rechten und der Sacrower Heilandskirche zur Linken, als Geste des letzten Abschieds.

nachgetragen am 30. Mai

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wie ergreifend und schön!