Dienstag, 17. Juli 2012

Lovis Corinth &


Vor einiger Zeit versprach ich, aus dieser Anthologie vom Frühjahr 1921, herausgegeben von Hans Bethge, ein paar weitere Stücke zu bringen, aber diese Versprechungen werden oft so leichtfertig ausgesprochen, deswegen heißen sie vermutlich auch so. Heute also sehr spät der versprochene Nachtrag, ausschließlich illustriert mit Bildern von Lovis Corinth.

Ein Wort zur Auswahl - Nietzsche widerwillig aufgenommen, Rilke nicht und Trakl natürlich ebensowenig. Wo man die darauf folgenden 91 Jahre viertelweis (statt halbwegs) im Kopf hat, ist es schon eine merkwürdige Anthologie, und Rilke etwa wäre uns da zu persönlich gewesen. Man folge also besser dem oben genannten Link.


Detlev von Liliencron

Der Hohenfriedeberger

    Die Instrumente her! daß ihr euch sputet,
    Wenn einst der Tod macht in mein Buch den Klecks,
    Den großen Klecks, der alles überflutet.
    Den Schlachtentrumpfer blast, und nicht perplex!
    Den Hohenfriedeberger trommelt, tutet,
    Mit seinen Pauken sei mein Leben ex!
    Und komm' ich oben an so unvermutet,
    Aufbrüll' ich: Vivat Fridericus Rex!

Der Genius

    Gewitter drückt auf Sanssouci,
    Ich stand im Park und schaute
    Zum Schloß hinan, das ein Genie
    Für seine Seele baute.

    Und Nacht: Aus schwarzer Pracht ein Blitz,
    Vom Himmel jäh gesendet,
    Und oben steht der Alte Fritz,
    Wo die Terrasse endet.

    Ein Augenblick! Grell, beinernblaß,
    Den Krückstock schräg zur Erde,
    Verachtung steint und Menschenhaß
    Ihm Antlitz und Gebärde.

    Einsamer König, mir ein Gott,
    Ich sah an deinem Munde
    Den herben Zug von Stolz und Spott
    Aus deiner Sterbestunde.

    Denselben Zug, der streng und hart
    Verrät die Adelsgeister,
    Der aus der Totenmaske starrt
    Bei jedem großen Meister.

Märztag

    Wolkenschatten fliehen über Felder,
    Blau umdunstet stehen ferne Wälder.

    Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
    Kommen schreiend an in Wanderzügen.

    Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen
    Überall ein erstes Frühlingslärmen.

    Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder,
    Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.

    Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen,
    Wollt' es halten, mußt' es schwimmen lassen.


Oskar Loerke

Inbrunst

    Die Sterne sind zu groß und mußten wohl deshalb
    So weit hinaus, und sie erhellen nichts bei uns.
    Der Wind stieg tastend aus der Nacht des Weltenbrunns.
    Er sitzt den Heimathügeln auf der Brust als Alp.

    Die Wolken fahren auf wie Schiffe vor der Schlacht.
    Ist mir die Sehnsucht ferner Welten zugeirrt?
    Du, Erde, bist mein Saal, doch meine Seele wird
    Auf einem andern Sterne schlafen diese Nacht.


Christian Morgenstern

Erster Schnee

    Aus silbergrauen Gründen tritt
    Ein schlankes Reh
    Im winterlichen Wald
    Und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
    Den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.

    Und deiner denk' ich, zierlichste Gestalt.


Friedrich Nietzsche

Vereinsamt

    Die Krähen schrein
    Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
    Bald wird es schnein, --
    Wohl dem, der jetzt noch -- Heimat hat!

    Nun stehst du starr,
    Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
    Was bist du Narr
    Vor Winters in die Welt entflohn?

    Die Welt -- ein Tor
    Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
    Wer _das_ verlor,
    Was du verlorst, macht nirgends Halt.

    Nun stehst du bleich,
    Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
    Dem Rauche gleich,
    Der stets nach kältern Himmeln sucht.

    Flieg, Vogel, schnarr
    Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! --
    Versteck, du Narr,
    Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

    Die Krähen schrein
    Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
    Bald wird es schnein, --
    Weh dem, der keine Heimat hat!

Zarathustras Lied

    O Mensch! Gib acht!
    Was spricht die tiefe Mitternacht?
    »Ich schlief, ich schlief --,
    Aus tiefem Traum bin ich erwacht: --
    Die Welt ist tief,
    Und tiefer als der Tag gedacht.
    Tief ist ihr Weh --,
    Lust -- tiefer noch als Herzeleid!
    Weh spricht: Vergeh!
    Doch alle Lust will Ewigkeit! --
    Will tiefe, tiefe Ewigkeit!«


Paul Scheerbart

Tiefernst!

    Mir ist, als ob der Friede
    Sich in meine Seele legt --
    So wundersam bewegt!
    Der Pappeln Wipfel flüstern.
    Wir sitzen still und schweigen.
    -- -- --
    Wir wollen noch einmal trinken --
    Und dann -- betrunken sein!


Wilhelm von Scholz

Abendgang

    Das ist unser schweigender Abendgang.
    Herbst. Blätter fallen wegentlang.
    Nasse Äste tragen den Himmel, der bleich
    Und dunstig niederhängt über den Teich.

    Die Brücke. Trüber Laternenschein
    Fällt schwankend in schmutzigen Schlamm hinein.
    Vorüber. Dunkel wie Menschen stehn
    Die Bäume und sehn uns weitergehn.


Rudolf Alexander Schröder

Sonett an eine Verstorbene

    An jedem Tage gibt's ein Abschiednehmen;
    Und irgend etwas, das uns angehört,
    Wird jeden Augenblick für uns zerstört
    Und wandelt hin zu den vergessenen Schemen.

    Wohl, über dieses soll sich keiner grämen,
    Weil immer auch ein Neues uns betört;
    Und kein Verlassen ist so unerhört,
    Dem wir uns nicht zu guter Letzt bequemen.

    So gehn auch wir, und lassen alle Welt
    Und sind nicht mehr; und jenes Wort: Gewesen
    Erklingt von uns, wie wir's von vielem sagen.

    Doch daß auch du dich denen zugesellt,
    Von denen wir nur noch den Namen lesen,
    Mein Herze will das nicht, und will's nicht tragen!


Ernst Stadler

Glück

    Nun sind vor meines Glückes Stimme alle Sehnsuchtsvögel
              weggeflogen.
    Ich schaue still den Wolken zu, die über meinem Fenster
              in die Bläue jagen --
    Sie locken nicht mehr, mich zu fernen Küsten fortzutragen,
    Wie einst, da Sterne, Wind und Sonne wehrlos mich
              ins Weite zogen.
    In deine Liebe bin ich wie in einen Mantel eingeschlagen.
    Ich fühle deines Herzens Schlag, der über meinem
              Herzen zuckt.
    Ich steige selig in die Kammer meines Glückes nieder,
    Ganz tief in mir, so wie ein Vogel, der ins flaumige
              Gefieder
    Zu sommerdunklem Traum das Köpfchen niederduckt.


Robert Walser

Müdigkeit

    Entführ' mich, wie ich bin;
    Sieh, mein verirrter Sinn
    Weist von sich diese Welt,
    Die ihn nicht mehr erhellt.
    Komm, o ich werde brav
    Und selig stille sein
    In deinem dichten Schein,
    Heiliger, süßer Schlaf.

Zu philosophisch

    Wie geisterhaft im Sinken
    Und Steigen ist mein Leben.
    Stets seh' ich mich mir winken,
    Dem Winkenden entschweben.

    Ich seh' mich als Gelächter,
    Als tiefe Trauer wieder,
    Als wüsten Redeflechter;
    Doch alles dies sinkt nieder.

    Und ist zu allen Zeiten
    Wohl niemals recht gewesen.
    Ich bin vergeßne Weiten
    Zu wandern auserlesen.


Paul Wertheimer

Seelen

    Du weißt, wir bleiben einsam: Du und ich,
    Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
    Mit freien Kronen, die der Seewind küßt ...
    So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
    Doch zwischen beiden webt ein feines Licht
    Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
    Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin ...

Ostsee

    Da lieg' ich an dem weißen Ostseestrande.
    Das Meer ... Das Meer! Mein wahrgewordner Traum!
    Ich bin vergraben in dem feinen Sande
    Und bin nur Wind und Welle, Sturm und Schaum.

    Und meine Wunschgedanken lass' ich gleiten
    Hinauf-, hinunterwärts die grüne Bahn.
    O meines jungen Traums Unendlichkeiten!
    Ein Hauch bewegt der Sehnsucht goldnen Kahn.

    Mein Kahn ist ganz mit Wein und Obst beladen
    Und voll Musik: von Gott und Welt und Mut,
    Und von des Meeres königlichen Gnaden
    Und von der Kraft, die lächelnd in mir ruht!


Stefan Zweig

Schwüler Abend

    Ist es schon Abend? Ich will nicht hinaus,
    Vergeblich flimmert ihr, o buhlerische Sterne!
    Faß mich doch enger, du vertrautes Haus,
    Reiß mich an dich, gib mich nicht an die Ferne,
    Lieg nicht so träg, so stumm, so atemlos,
    Sprich jetzt zu mir! Ich brauche einen,
    Der zu mir spricht in dieser Zwielichtstunde,
    Hörst du: Ich brauche einen, sei es bloß
    Das Ticken einer Uhr, ein Kinderweinen,
    Das Knurren nur von einem nahen Hunde,
    Nur nicht dies fröstelnde Verlassenscheinen,
    Nur Etwas, das dies drohende Gewicht
    Der ganz verstummten Stube von mir hält,
    Und daß des Herzens Hammer nicht
    So ohne Antwort in die Stille fällt!

    Haus, halt mich fest! Zu viel
    Von meinen Nächten hab' ich hingegeben
    An dieses sinnlich aufgepeitschte Spiel.
    Wie bin ich müd, die abenteuerlich
    Erregte Luft, die lichterlose Schwüle
    Der stummen Gassen an mein Kleid, an mich,
    Und endlich flackernd in mir selbst zu fühlen.
    Schließ du mich, Buch, in deine dunklen Zeilen,
    Senkt, Briefe, ihr dies in die Ferne Streben
    In lieber Menschen Bild, in eine Frau,
    Beschwichtigt ihr das nun vom Abend lau
    Aufschwülend unerklärliche Verlangen,
    Des Blutes Unruh in die Nacht zu jagen!
    Dies willenlose Durch-die-Gassen-Treiben,
    Ob mich nicht Etwas aus dem Dunkel will,
    Dies lüstern Spähn, dies angespannte Hangen
    An jeder mattbeglänzten Fensterscheibe --
    Wird dieses knabenhaft verworrne Treiben
    Denn noch nicht in mir still?

    Nein, halt mich, Haus! Verschließ mit dunklen Scheiben
    All meine Unrast: und ich bleibe dein.
    Ich selbst will ja den Abend so, nur so,
    Wie er den andern ist: ein Müdesein,
    Nur so,
    Als sinke mit den schwindenden Kulissen
    Ein buntes Spiel in bilderlose Räume.
    Nicht will ich mehr. Vielleicht noch irgendwo
    Freund oder Frau, ein mir Vertrautes wissen, --
    Und dann nur Träume, bilderlose Träume.


nachgetragen am  29. August

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