Sonntag, 6. März 2011

Estomihi

Helgoland, rote Felsen
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Der heutige Sonntag hat diesen schönen Namen. Die nachfolgende Predigt des Herrn Roloff wird erklären, warum er so heißt. Was mir nur gerade in den Sinn kam, ist, daß wir heute wissen, daß auch die Haltbarkeit von Felsen sehr begrenzt ist. Es sind eben alles nur Gleichnisse, wie sollten wir auch anders reden.

Helgoland, "Lange Anna"
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Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.“
(Luk.18,31)

Estomihi ist der lateinische Name dieses Tages. Das Wort stammt aus dem zum Sonntag gehörenden 31. Psalm, den wir vorhin gemeinsam gebetet haben. esto mihi in lapidem fortissimum et in domum munitam ut salves me. Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß du mir helfest, heißt es dort und das ist das Gebet desjenigen, der sich auf den schweren Weg des Leidens macht.

Sei mir ein starker Fels ist über diesen Sonntag geschrieben, wie über einem Tor, vor dem wir stehen, und das wir am kommenden Aschermittwoch durchschreiten werden. Die Christenheit beginnt dann wie in jedem Jahr ihre Wanderung nach Golgatha, indem den Gläubigen das Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet wird. Dieses Kreuz dient der Erinnerung an das Kreuz des Herrn aber auch der Erinnerung an das eigene Sterben. „Gedenke Mensch, das Du Staub bist und wieder zu Staub werden wirst.“ Die Passionszeit dient so auch nicht nur der Erinnerung an das Leiden und Sterben Christi, sondern schließt unseren eigenen Tod mit ein und vergegenwärtigt diese Wirklichkeit unseres Daseins.

Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß du mir helfest!

Ist das nicht eine ganz naheliegende Reaktion? Wenn mir ein schwerer Weg bevorsteht, dann will ich mich für ihn rüsten, indem ich nach Kräften suche, die mich diesen Weg bestehen lassen. Das ist nicht nur für diesen Lebensbereich bezeichnend. Diese Formen der Vorbereitung und Konzentration gibt es in vielen Bereichen – im Sport, in der Schule, vor einem Gang ins Krankenhaus, vor großen und sogar kleinen Prüfungen. Der Mensch stimmt seinen Leib und sein ganzes Leben auf eine vor ihm liegende Aufgabe ein.
Wir Christen beten:

Sei mir ein starker Fels.

Wir tun das, weil wir nach Stärkung und Halt suchen. Wir spüren unser Menschsein ganz besonders darin, daß wir gerade in solchen Situationen nach Gemeinschaft suchen – nach der Gemeinschaft mit vertrauten Menschen – aber auch nach der Gemeinschaft mit Gott.

Heute aber liegt nicht irgendeine Aufgabe, Prüfung oder schwere Zeit vor uns, sondern die Passion unseres Herrn und der Weg in unseren eigenen Tod.

„Meine Zeit steht in Deinen Händen.“

Da streift uns wieder der Hauch der Gewissheit, daß unsere Zeit verrinnt und vergeht. Wir trösten uns mit den Freuden des Lebens und schauen mit Wohlgefallen auf die Dinge, die wir vielleicht geschaffen haben. Unzweifelhaft aber bleibt, daß wir sterben müssen und dass wir nicht einfach vor dem Tor stehen bleiben können.

Im Evangelium belehrt uns Jesus nun über sein bevorstehendes Leiden und über sein Sterben. Er tut dies nicht, um die Seinen zu erschrecken, sondern um sie vorzubereiten. Er will, das seine Jünger und auch wir verstehen, was in der vor uns liegenden Zeit geschehen wird. Er will, daß die Funktion seines Leidens klar wird, daß sie uns klar vor Augen steht, daß von seinem Kreuz Klarheit in die Welt strahlt. Nicht umsonst schließt sich der ersten Leidensankündigung bei Markus die Verklärungsgeschichte an, die in der Offenbarung gipfelt: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!

Manchmal erlebt man es, daß wenn zwei Menschen ein Leben lang zusammen waren und der eine stirbt, daß dann auch bald der andere zu sterben wünscht, nur um mit jenem wieder Gemeinschaft haben zu können.

Wenn nun schon Menschen so empfinden, die doch nichts als der Tod erwartet, was verraten uns dann die Worte des Herrn?

Liebe Gemeinde,

was sagt uns allein die Tatsache, daß in dem Wort Passion nicht nur das Wort Leiden, sondern auch das Wort Leidenschaft steckt? Es begegnet uns hier ein Leiden aus Leidenschaft. Den Schöpfer der Welt rührt das Leiden seiner Schöpfung so sehr an, daß er sich nicht scheut, daran teilzunehmen. Er tut damit zweierlei. Er erbarmt sich an seinen Kreaturen bis in die tiefsten Tiefen des Leidens hinein, und er gibt jedem Menschen die Möglichkeit, im Leiden seines Lebens und selbst im eigenen Tod Anteilnahme zu finden am Leiden des Gottessohnes und an seinem Tod am Kreuz.

Die ewige Verheißung, die im selben Augenblick geschenkt wird, liegt darin, daß wer am Leiden und Sterben des Herrn Anteil nimmt, der wird auch an seiner Auferstehung Anteil nehmen. Plötzlich verwandelt sich ganz wunderbar das Tor zur Passion in eine Pforte zum Leben.

Darum bedrohte der Herr Petrus, als der eine Möglichkeit sucht, um dem Leidensweg auszuweichen und wie demaskierend ist der an Petrus gerichtete Satz des Herrn: Du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist.

Es ist zwar eine ganz menschliche und verständliche Reaktion, die Petrus zeigt wenn er dem Leidensweg ausweichen will. Es ist menschlich und verständlich, bleibt aber dennoch falsch.

Wer das Tor zum Leiden nicht durchschreitet, wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt, wer sein Leben erhalten will, der wird auch nicht die wunderbare Verwandlung in eine Pforte des Lebens erfahren, der wird dem Herrn nicht folgen, und er wird sein Leben verlieren.

Christus selbst macht sich die Mühe, die Seinen auf den Passionsweg vorzubereiten. Er besucht Maria und Martha, zwei ihm sehr nahestehende Frauen. Der Evangelist Lukas beschreibt die Begebenheit so:

"Es begab sich aber, da sie wandelten, ging er in einen Markt. Da war ein Weib mit Namen Martha, die nahm ihn auf in ihr Haus. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich zu Jesu Füßen und hörte seiner Rede zu. Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: HERR, fragst du nicht darnach, daß mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie es auch angreife! Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe; eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden."
Luk.10,38-42

Maria setzte sich zu Jesu Füßen und hörte seiner Rede zu.

Darin wird doch eines unmissverständlich deutlich: Christus ist in die Welt gekommen, um einen Dienst an uns zu tun. Er will uns lehren, er will sein Tun erklären, und er will uns durch sein Leiden und durch sein Sterben am Kreuz erlösen, weil er dadurch an unserem Leiden und an unserem Sterben Anteil nimmt, und es bis in die tiefste Tiefe des Todes keine Gottesferne mehr gibt. Unser Gott ist nicht irgendein großer Zauberer, der die Welt nach unseren Wünschen und unserem Willen jeweils verwandelt, denn dann wäre er ja nur einfach uns zu Willen. Darin unterscheidet sich der Herr von den machtlosen Götzen, denen die Menschen zu dienen gezwungen wurden, daß er uns dient.

Frömmigkeit bestimmt sich so oft daran, was man tut und wo man selber dient und spendet und arbeitet, und glauben Sie jetzt bitte nicht, ich würde nun sagen: Das zählt alles nicht. Glauben Sie bitte nicht, daß ich sage: Es ist ganz egal, daß Generationen von Menschen Kirchen gebaut, Altäre geschnitzt, Bücher geschrieben, oder sogar nur die Straßen und Wege zu den Kirchen hin gebaut haben, oder die Kerzen gezogen oder mit Mühe den Kuchen gebacken und die Tische gedeckt haben.

Nein, liebe Gemeinde, alles Tun von uns Menschen ist gut und richtig, wenn es danach trachtet, das Heil zu erlangen.

Das Tun der Martha wird durch den Herrn nicht herabgesetzt oder sogar verurteilt. Er unterbricht sie auch keineswegs in ihrer Dienstbarkeit.

Die Situation verändert sich erst radikal, als Martha hinzutritt und sagt: Herr, fragst du nicht danach, daß mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie es auch angreife!

Das ist die entscheidende Stelle unseres heutigen Predigttextes, denn hier gibt Martha zu verstehen:

Das was ich hier tue ist wichtiger, als das, was ihr dort redet.

Dabei hat es Martha vielleicht sogar ganz gut gemeint. Was sie da aber im Kern glaubt ist:

Nicht ich habe den Herrn nötig, sondern er mein Tun.

Daran nun entscheidet es sich, ob unser Tun gerechtfertigt ist oder nicht. Daran entscheidet es sich, ob wir das Notwendige tun, wenn wir IHN tun lassen.

Martha hätte IHN doch machen lassen können. Sollte nicht auch ihr zuteil werden, was ihre Schwester erworben hatte – sie ist doch ihre Schwester. In jeder Gemeinschaft ist es so, dass nicht alle dasselbe, sondern nur jeder das seine tun kann. Es haben nicht alle dieselben Gaben, aber wir haben alle denselben Herrn. Keinesfalls ist eine Gabe, nur weil es die meine ist, wichtiger als andere Gaben, und keine Gabe und kein Tun von Menschen kann an die Stelle dessen treten, was er für uns getan hat.

Der Verlauf des Jahres ist nicht nur eine Zeiteinteilung, sondern die festliche Weise, in der wir Christen unser Leben feiern und unser Tun bedenken. Der Verlauf des Jahres ist wie ein Tanz der Erinnerung, der Vergegenwärtigung dessen, was Gott getan hat und am heutigen Sonntag Estomihi bleibt der tanzende Zug für einen Augenblick stehen. Wir rüsten uns und fragen ganz neu, was wirklich notwendig ist in unserem Leben. An dieser Schwelle des Tors zum Leiden können wir bedenken, was in unserem Leben wirklich verlässlichen Bestand hat. Ziehen wir einmal alles ab, wovon wir schon heute wissen können, daß es zu Staub zerfallen wird. Was ist uns dann noch ein starker Fels?

Wir sollen von heute an unverwandt auf das Kreuz blicken und verstehen: Es hebt ein großes Liebeswerk an, und wir können daran teilnehmen, indem wir uns dienen lassen. Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele.

Darum laßt uns bedenken: Was hülfe es dem Menschen, wenn er durch sein Tun, die ganze Welt gewönne und nähme dadurch Schaden an seiner Seele?

Amen

Und der Frieden Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
Thomas Roloff

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