Samstag, 28. Juli 2018

Etwas Winter


Barthold Hinrich Brockes / Rezitation: Bettina Radener

Barthold Hinrich Brockes

Wintergedanken

Wie hat es diese Nacht gereift!
Mein Gott, wie grimmig stark muß es gefroren haben!
Wie schwirrt und schreit, wie knirrt und pfeift
Der Schnee bei jedem Tritt! Mit den jetzt trägen Naben
Knarrt, stockt und schleppt der Räder starres Rund,
Ja weigert gleichsam sich, den kalten Grund
Wie sonst im Drehen zu berühren.
Fast alles drohet, zu erfrieren,
Fast alles droht für Kälte zu vergehn.

Wie blendend weiß ist alles, was ich schau,
Sowohl in Tiefen als in Höhn;
Wie schwarz, wie dick, wie dunkelgrau
Hingegen ist der ganze Kreis der Luft,
Zumal da das noch niedre Sonnenlicht
Annoch nicht durch die Nacht des dicken Nebels bricht.

Es scheint, als könne man in einem greisen Duft
Die Kälte selbst an jetzt recht sichtbar sehn;
Sie fänget überall ergrimmt an zu regieren.
Drei Elemente selber müssen
Ihr schwer tyrannisch Joch verspüren
Und deren Bürger all das strenge Szepter küssen,
Das allem, was da lebt, Verlähmung, Pein und Tod,
Ja selber der Natur den Untergang fast droht. -

Laß aber, lieber Mensch, auch du, soviel an dir,
Dein Herz zum Mitleid doch bewegen,
Damit dein Liebesfeur dein armer Nachbar spür;
Komm, lindre seine Not mit deinem Segen.
Such ihm in scharfem Frost ein Labsal zu bereiten,
Damit, wie Hiob spricht, auch seine Seiten,
Wenn sie, durch deine Hülf erwärmt, dich preisen
Und so durch dich dem Schöpfer Dank erweisen.


Gottfried Keller / Rezitation: Otto Mellies

Gottfried Keller

Winternacht

Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergeß' das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!


Antonio Vivaldi - L'Inverno (Winter), English Chamber Orchestra; 
Leonard Slatkin; José Luis Garcia, hier gefunden

Friedrich Hölderlin

Der Winter

Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.

Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

Winter

When vanished and no longer seen are illustrations
of season, then arrive the winter hours:
the field is empty, mild seem its ablations
and storms blow to and fro with rains and showers.

As if a day for rest, so is this year's cessation
just like a questioning chord requesting consecration:
then Spring's becoming enters the creation
and Nature shines on Earth in glorious elation.

Übersetzung / Translation
von / by Walter A. Aue


François Couperin / Grigory Sokolov

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