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Freitag, 28. März 2025

Trauergottesdienst für Renate Treptow in Schönhausen/Elbe

Herr Roloff hat heute am 28. März diese Beerdigung auf die ihm bekannte Bitte der Verstorbenen hin in seinem ehemaligen Wohnort gehalten.

Es gab an diesem Platz zwar schon Trauerpredigten für Schrifstellerinnen und preußische Prinzessinnen, aber eine Predigt dieser Art, obwohl es davon zahlreiche gegeben hat, habe ich üblicherweise nicht gebracht. Warum die Ausnahme?

Mir hat ihre Art, der Tonfall, bei diesem, wenn man so sagen will "gewöhnlichen“ Anlaß, bis hin zum frommen Sinnspruch, sehr zugesagt.

Darum mußte ich auch etwas von den Schlußgebeten mitteilen, und vor allem stehen die beigefügten Bilder, bis auf das letzte, für persönliche Erinnerungen an den Geburtsort des Fürsten Bismarck.

Ansprache

Es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und Jesus rief laut: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen die Frauen zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. Und als sie darüber bekümmert waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer mit glänzenden Kleidern. Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.

Amen

Lukas 23/24

Der Friede des Auferstandenen sei mit euch!

Liebe Familie von Renate Treptow, liebe Trauergemeinde,

über diesem Gottesdienst steht ein Wort aus dem Buch des Propheten Jeremia: „Herr, du bist meine Stärke und Kraft und meine Zuflucht in der Not!“ Es ist die Tageslosung des 18. März 2025 gewesen und damit des Tages, an dem Renate Treptow nach einem langen Leben von 90. Jahren und zehn Monaten gestorben ist.

Sie hatte sich aus ihrem Haus noch selbst auf den Weg zur Dialyse bringen lassen. Diese lebenserhaltende Plage gehörte bereits seit einigen Jahren zu ihrem Alltag. Auf der Fahrt dahin hat sie sich dann aber auf einen ganz anderen Weg gemacht.

Nachdem sie die Einschränkungen und schweren Gebrechen des Alters sehr tapfer und mit der ihr eigenen Gelassenheit trug, hat sie nun Zuflucht genommen bei dem, der neue Stärke und Kraft schenken kann.


Bis zuletzt hat sie mit fast allem, was sie tat, ein Beispiel davon gegeben, was als Sinnspruch in ihrem Haus in der Heidestraße hängt:

Was ist die größte Kunst auf Erden?
Mit frohem Herzen alt zu werden -
zu ruhen, wo man schaffen möchte,
zu schweigen, wo man ist im Rechte.


Es heißt dann weiter:

Die Kunst lernt keiner völlig aus,
drum gibt's auch manchen harten Strauß
in alten Tagen durchzukämpfen,
bis wir des Herzens Unruh dämpfen.

Und willig uns ergeben drein,
in stiller Demut nichts zu sein.
Dann hat uns Gott nach Gnadenart,
die beste Arbeit aufgespart.

Kannst du nicht regen mehr die Hände,
kannst du sie falten ohne Ende;
herabziehn lauter Himmelssegen,
auf all die harten Lebenswege.

Und ist die Arbeit dann getan
und naht die letzte Stund heran,
von oben eine Stimme spricht:
"Komm, du bist mein, ich lass dich nicht!“


Sie wird die Zeilen oft gelesen haben, wurde stets, wenn sie nach Hause kam, an sie erinnert. Sie wusste, worum es sich handelt. Unsere Zeit auf dieser Welt ist endlich. Rechtzeitig hat sie alle notwendigen Vorkehrungen getroffen.

Darum sind wir heute hier auf diese Weise versammelt.
Auf ihren Wunsch hin, und Renate Treptow wusste ihren Wünsche Nachdruck zu verleihen, bin auch ich heute noch einmal bei euch und wir blicken gemeinsam auf ihr langes Leben.

Renate war das erste Kind der Eheleute Adolf und Erna Rakowski und kam am 18. Mai des Jahres 1934 in Gelsenkirchen-Buer zur Welt. Es war das Jahr, in dessen weiteren Verlauf Reichspräsident Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg starb.

Nur wenige Jahre später kam die Familie, dann bereits mit zwei Kindern, nach Schönhausen an die Elbe. Für den Vater, der Dachdecker gewesen ist, war es hier wohl einfacher den Seinen das Auskommen zu sichern.

Von 1940 bis 1948 besuchte Renate die hiesige Volksschule und begann, unmittelbar nach deren Abschluss als Näherin zu arbeiten. Das eröffnete die Möglichkeit zu einer Lehre als Industrieschneiderin, die sie 1952 erfolgreich abschloss.

Neunzehn Jahre alt war Renate Rakowski als sie im Mai 1953 Hans Treptow heiratete. Zwei Söhne wurde ihr geboren. Noch im Jahr der Hochzeit Hans-Hartmut und 1959 Wolfram.

Es war der Familie wichtig, den Kindern einmal im Jahr eine Urlaubsreise zu ermöglichen.

Immer im Wechsel fuhr man gemeinsam an die Ostsee nach Dierhagen oder nach Friedrichsbrunn in den Harz.

1971 begann Renate bei der Post zu arbeiten, die in Schönhausen ein eindrucksvolles Gebäude besaß, dessen rote Klinkerbauweise für ganz Deutschland so charakteristisch gewesen ist. Aus ihrem Erzählen konnte man schließen, dass ihr diese Zeit viel Freude bereitet hat. Renate blieb der Post bis zum Ende der DDR-Zeit treu und ging 1989 in Rente.

2007 gab es mit dem Tod ihres Mannes eine tiefe Zäsur. Renate schrieb mir mit ganz einfachen Worten: „Mein Mann verstarb nach 54 guten Ehejahren.“ Mehr war in ihren Augen nicht zu sagen. Es weht uns hier noch einmal der Geist einer ganz anderen Generation an. Wir begegnen Menschen, die noch wussten, welche Bedeutung es hat, sich vor dem Altar ein Versprechen zu geben und welche Verantwortung darin liegt, gemeinsame Kinder zu haben. Renate hätte sich dem niemals entzogen, denn das gegebene Versprechen galt in guten und in schlechten Tagen. Nur der Tod konnte sie scheiden.

In ihrem Ruhestand entdeckte Renate Treptow nun eine neue Passion, die sehr viel über sie aussagt. Sie organisierte in regelmäßigen Abständen Klassentreffen und Jubelkonfirmationen.

Sie hatte das dazu notwendige unwiderstehliche Wesen, dessen Freundlichkeit man sich zuweilen aber auch erst erschließen musste. Ihr abzusagen traute sich in der Regel niemand. So ermöglichte sie Wiederbegegnung, Gespräch und Gemeinschaft. Es waren jedes einzelne Mal sehr schöne Feste, von denen im Ort noch lange gesprochen wurde.

Das war ihr Dienst an diesem Dorf, für den ihr Dankbarkeit gebührt. Es war gleichzeitig ein Beispiel, das sie uns gegeben hat. Es macht Sinn, Gemeinschaft zu pflegen, Erinnerungen auszutauschen, gemeinsam zu singen, zu lachen und auch zu beten. In den Jubelkonfirmationen stellen sich Menschen ganz bewusst neu unter den Segen Gottes. Wir waren uns auch immer einig, nicht danach zu fragen, ob sich im Laufe der Jahrzehnte das eine oder andere Band zur Kirche gelöst hatte. Wer Gott um seinen Segen bittet, der wird gesegnet und soll ein Segen sein.

Durch diesen beharrlichen Dienst ist Renate Treptow eurem Dorf auch zum Segen geworden. Auch das danken wir ihr heute. Diesen Dank möchte ich aber mit einer Bitte verbinden, von der ich sicher glaube, dass sie in Renates Sinn ist. Kommt nicht nur an die Särge, um von dem Schöpfer zu hören, der uns ins Leben gerufen hat und der uns auch im Tod nicht verlässt. Zu ihm hat Renate Zuflucht genommen. Auch darin gibt sie euch allen ein Beispiel. Kommt nicht nur an die Särge, sondern sucht verstärkt auch im Leben die Gemeinschaft des Glaubens.

Gott wartet auf uns und will Segen ausgießen auf unser Tun und auf unser Leben. Ein Gemeinwesen zerfällt ohne seinen verbindenden Glauben, der auf uns von unseren Vätern überkommen ist und weitergetragen wurde. Noch steht da die romanische Kirche und bildet beziehungsreich die Mitte eures Dorfes und eurer Gemeinschaft. Sie steht da für euch. Ihre Glocken rufen.

Euch, den Angehörigen von Renate Treptow, sage ich, tragt ihr Vermächtnis weiter. Erinnert euch gern an sie. In einer ganz besonderen Weise betrifft das Dich, Sebastian. Deine Oma hat Dir großes Vertrauen geschenkt, sie hat Dir schon im Leben alles anvertraut. Achte darum auch alles, was sie geglaubt hat, denn darin kannst Du und könnt ihr alle, die Gemeinschaft mit ihr bewahren.

Darum geht es heute. Lasst die Gemeinschaft untereinander zu einem lebendigen Ausdruck davon werden, dass Ihr in Gemeinschaft mit Renate Treptow bleibt, die bei Gott Zuflucht genommen hat in ihrer Not und die in seiner Herrlichkeit zu neuer Stärke und Kraft finden wird, denn so spricht der Prophet Jeremia:

„Herr, du bist meine Stärke und Kraft und meine Zuflucht in der Not!“

Amen

Der Friede des Auferstandenen bleibe alle Zeit bei euch. Amen.

Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.
Die Chöre der Engel mögen dich empfangen, und durch Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.


Mit der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, mit allen Engeln und Heiligen und vereint mit der ganzen Kirche beten wir, wie Christus uns zu beten gelehrt hat:

Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.


Gehet hin im Frieden des Herrn.

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.


Thomas Roloff 

Freitag, 1. Mai 2015

Über Feuerwehren & andere Ordnungen – eine Predigt


Herr Roloff hat heute die (nachfolgende) Predigt gehalten. Ich habe ein wenig in meinen hilflos unsortierten Archiven gewühlt und fand dabei diese beiden Bilder. Ansonsten wird es womöglich Nachträge geben (immerhin sind die Texte fertig, also ist es kein ganz haltloses Versprechen). Meinen Lesern wünsche ich aber erst einmal einen angenehmen beginnenden Mai.


Predigt zum Feuerwehrgottesdienst

Gnade sei mit Euch und Friede von dem der da war und der da ist und der da kommt!

Liebe Gemeinde,

dem Jungen, den wir vorhin getauft haben ist ein Pauluswort als Taufspruch aufgegeben: „Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.“ Diesen Vers aus dem Römerbrief wollen wir heute bedenken.

Nun ist es nicht meine Art, und das fröhliche Ereignis einer Taufe und der festliche Rahmen unseres jährlichen Bittgottesdienstes für unsere Feuerwehr vielleicht auch nicht der passende Anlass, um von großen Sorgen zu reden.

Dennoch trete ich an diesem 1. Mai vor euch hin, um genau davon zu sprechen. Benedikt XVI. hat in seiner Rücktrittserklärung vor zwei Jahren den Zustand unserer Zeit wie folgt beschrieben: „Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen.“

Was vor zwei Jahren bereits zweifellos zutreffend war, muss uns heute nun geradezu als prophetische Voraussicht erscheinen. In großen Teilen dieser Welt scheinen alle Dämme, die bisher, wenn nicht Recht und Wohlstand, so doch wenigstens ein Mindestmaß an Ordnung gesichert haben, gebrochen zu sein. Der Nahe und Mittlere Osten und große Teile Afrikas versinken in Chaos und Elend. Das Zerstörungswerk an den orientalischen Kirchen, das bereits so viele leidvolle Stationen aufweist, findet grausamste Fortsetzung. Krieg, Not und Verzweiflung der Menschen haben eine wahre Völkerwanderung in Gang gesetzt, die uns zur Mitmenschlichkeit herausfordert, in vielem aber über alle Kräfte zu gehen droht.

Fürwahr wird die Welt durch Fragen und Ereignisse hin und her geworfen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind. Das hat es zwar auch in der Vergangenheit häufiger gegeben. Jetzt scheinen uns aber vor allem die geistigen Widerstandskräfte auszugehen.

Denn wie, so frage ich heute, will man diesen Problemen entgegentreten, wenn nicht zunächst durch einen tiefen und festen Glauben? Gerade der aber schwindet nicht nur, sondern er wird in einer für Europa beispiellosen Weise zersetzt. Die Minderheitssituation der Christen wird immer bedrückender, die Art, wie an manchen Schulen mit Christen und ihren Glaubensinhalten umgegangen wird, ist alarmierend. Was ereignet sich da mitten unter uns?

Es ist die Gleichheitsideologie, die hier Triumphe feiert. Es wird Gleichheit propagiert und dadurch Gerechtigkeit in Aussicht gestellt. Inzwischen wird schon fast jeder Unterschied mit geradezu krankem Eifer bekämpft. Dieses Denken will vergessen machen, dass die unterschiedslose Welt eine tote Welt ist. Es ist meine Überzeugung, dass genau darin ihr Ziel demaskiert wird! Hier wird in allem Fortschritt propagiert und tatsächlich Zerstörung betrieben. Das war aber immer der Charakter revolutionärer Bewegungen, wir sollten darum auch weniger überrascht sein, dass wieder eine große Umwälzung in der Geschichte nicht hält, was sie verspricht.

Wie aber hängt nun all das mit unserem Leben hier in Schönhausen zusammen? Und was können wir tun?

Zunächst müssen wir sicher sein, dass die Folgen der globalen Veränderungen auch in unserem Dorf hier an der Elbe ankommen werden. Der Boden ist auch hier bereitet. Nur noch ein Fünftel der Einwohnerschaft zählt sich zur christlichen Kirche. Längst sind wir nicht mehr allein in der Lage, die Grundlagen unseres Zusammenlebens und die Weise unserer angestammten Lebensführung zu garantieren. Nur unter größter Mühe erhalten wir mal gerade das, was die Generationen vor uns geschaffen haben, diese Kirche, das gemeindliche Leben, die Ordnungen des Glaubens und unsere Bekenntnisse.

Wir erhalten alles das, und wir leisten darin einen Dienst an der ganzen Gemeinschaft. Denn wenn auch nicht alle zuweilen und viele dieses Haus gar nicht besuchen, es würde ihnen auffallen, wenn es fehlte. So ist auch in ihrem Leben der Ruf noch immer präsent: Gehet hin zu allen Völkern und machet sie zu meinen Jüngern. Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Das nämlich ist der Auftrag, der sich hinter dieser Fassade verbirgt. Das ist der Ruf, der mit unserem Turm in die Landschaft hineingesetzt ist und den unsere Glocken mit ihrem Klang über das Land tragen. Wir glauben, dass die Menschen, wenn sie diesen Auftrag erfüllen, Einheit, Frieden und Ordnung finden. Wir sind davon überzeugt, dass man gerecht wird, wenn man von Herzen glaubt.

Darin wird die Gerechtigkeit gefunden, die wahr ist und Bestand hat. Der Mensch wird gerecht, wenn er sich auf Gott richten lässt. Gerechtigkeit hat damit zu tun, sich ausrichten zu lassen, Einfluss nehmen zu lassen auf sein inneres Wesen und nicht nur auf seinen äußeren Besitz, wie es heute so gern und hohl suggeriert wird.

Wir sind davon überzeugt, dass mit der Taufe ein Band um die Menschen gelegt wird, das sie auch mit Gott verbindet, und das sie zur Mitmenschlichkeit, zur Wahrheit, zur Treue und zur Liebe verpflichtet. Unter den Maßgaben der Mitmenschlichkeit, der Wahrheit, der Treue und der Liebe versuchen wir unser Leben und das Gemeinwesen immer wieder zu ordnen, und wir versuchen es selbst dann immer wieder, wenn uns Unmenschlichkeit begegnet, wenn die Lüge scheinbar triumphiert, wenn uns die Treue gebrochen wird, und wenn wir unter Lieblosigkeit leiden.

Immer wieder diesen Versuch auch in der Aussichtslosigkeit zu unternehmen, das ist es, was er geboten hat, und was wir halten sollen. Was er, der auferstandene Herr, geboten hat, das soll das Fundament unserer Ordnung und unseres Zusammenlebens sein.

Ist das nun ein so ferner und fremder Gedanke, dass er die Entchristlichung, die wir in unserem Volk und auch hier in unserem Dorf schleichend seit Jahren und Jahrzehnten beobachten, rechtfertigen würde?

Meine Antwort darauf wird in diesem Raum niemanden überraschen. Natürlich ist er es nicht. Dieser Gedanke ist weder fern noch fremd, und darum tragen wir ihn mit all unserer Kraft weiter. Die Taufe von Leonard ist dafür ein ganz wunderbarer Ausdruck. Und seht doch, wie sehr er sich auch in dem spiegelt, was ihr selbst tut.

Eine Feuerwehr ist uns ja nicht darum nötig, weil Kameradschaft so etwas Schönes ist, man gerne zusammensitzt, zuweilen auch Bier trinkt und mit eindrucksvollen roten Autos durch die Gegend fahren kann. Eine Feuerwehr gibt es, weil die Gefahren von Feuer, Katastrophen und Unfällen real sind, und wir uns gegen sie zur Wehr setzen müssen.

Die Abwehr ist doch nun aber nicht allein durch guten Willen oder die löbliche Absicht zu organisieren. Da braucht es Menschen, die sich dieser Aufgabe ganz verschreiben – nicht mal nur einen Nachmittag. Es braucht Menschen, die sich in den Dienst rufen lassen und ihn dann treu ausführen. Fred Götze tut das nun seit 50 Jahren, Günter Jacobs, Marie-Luise Haak, und Karl-Heinz Pick seit 45, Karin Grothe seit 35 und Sandro Tessmer immerhin schon seit 10 Jahren – er ist aber auch noch viel jünger.

Auch kann man kein Feuerwehrangehöriger sein, ohne irgendetwas zu wissen. Man muss schon bereit sein auch alles zu lernen, was zu dieser Aufgabe gehört und man muss ausführen, was der Wehrleiter anordnet. Ich weiß von Karl-Heinz Pick, wie vielfältig und aufwändig das Fortbildungsprogramm der Feuerwehr über das Jahr hinweg ist, wie oft in Übungen der Ausbildungsstand überprüft wird und wie ideenreich durch die Arbeit der Kinder- und Jugendfeuerwehr um den Nachwuchs gerungen wird.

Dazu kommt, dass man sich aufeinander verlassen können muss. Es braucht eine Ordnung und es verlangt nach Grundsätzen, wenn man den Kampf gegen die Gefahren der Welt führen will.

Wenn dies nun aber schon für Feuer, Unfälle und Naturkatastrophen gilt, wieviel mehr gilt das im Hinblick auf die Gestalt der Welt und unseres Lebens?

Nun kann man gerne behaupten, an die Stelle des einen kann immer auch etwas anderes treten, und das kluge Reden kennt selten Grenzen. Mir ist dergleichen bei der Brandbekämpfung allerdings noch nicht begegnet, und allein darum schon bin ich entschieden der Ansicht, dass wir unsere Feuerwehr erhalten, jeder auf seine Weise unterstützen, und für sie beten sollen. Vor allem aber ist heute ein Tag, an dem wir einfach auch einmal wieder Danke sagen können, denn auch im letzten Jahr gab es wieder einige, nie ungefährliche Einsätze. Ihr habt Euren Auftrag gewissenhaft erfüllt, der Gemeinschaft gedient und uns allen ein Beispiel gegeben.

Ihr habt uns allen ein Beispiel gegeben, wie man sinnvoll und wirksam auf einige besondere Gefährdungen, denen wir ausgesetzt sind, reagiert.

Ich kann hier heute nur den Rat geben, dass wir genau auf diese Weise auch im Hinblick auf alle Gefahren, die ich anfangs nannte, handeln sollten und handeln müssen. Wir müssen das, was uns wirklich und dauerhaft bindet, stärken. Wo der christliche Charakter unseres Landes und unseres Volkes zerfällt, da werden wir nichts mehr haben, was wir entgegensetzen können, wenn die großen Gefährdungen unserer Gegenwart in Schönhausen ankommen. Wir werden dastehen, wie solche, die die Feuerwehr abgeschafft haben, weil ihnen etwas Besseres vorschwebte, und sie vielleicht ihre Hoffnung darauf setzten, dann hörten auch die Brände auf. Als aber der große Brand kam, da waren gerade die guten Absichten das Verhängnis. Nur, wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.

Amen

Der Friede des auferstandenen Herrn, der höher ist denn unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne.

Amen
Thomas Roloff

Samstag, 4. April 2015

Zur Osternacht


Matthias Grünewald:  Isenheimer Altar, Auferstehung

Predigt Osternacht

Mt 28, 1-10

Die Gnade und der Friede des auferstandenen Herrn sei in dieser Heiligen Nacht und alle Zeit bei Euch!

Amen

Liebe Gemeinde,

das Dunkel des Gotteshauses ist uns als Christen auch ein Gleichnis für das leere Grab. Als Christen sind wir in dieser Welt, wie in einem Grab. Wir sind von der Erde genommen und darum auch in jeder Lebensregung dieser Tage, sei sie glücklich oder leidvoll doch auch immer beerdigt. Von Erde sind wir genommen, zu Erde sollen wir werden, und unsere gesamte Liturgie, hier in diesem dunklen Haus, ist gleichsam eine Einübung in den Tod. Wir versammeln uns in diesem Grab, wir versammeln uns in den Tod.

Nun versammeln wir uns als getaufte Christen aber nicht einfach in irgendeinen Tod, oder werden getrennt dadurch in Ewigkeit, weil jeder Mensch in seinen Tod versinken würde. Als Christen versammeln wir uns in Seinen Tod, in den Tod unseres Herrn, den er am Kreuz für uns erlitten hat. Nun trennt uns nicht der Tod, sondern er einigt uns. Tot sind wir – im Grab sind wir – aber wir sind in seinem Tod, sind einiger, als wir es im Leben vielleicht waren, und wir blicken ganz in sein leeres Grab.

Und erst jetzt werden wir gewahr, dass bereits Licht in diesem Raume ist. Wir haben es selbst mit der Osterkerze in diese Basilika, in diese Königshalle getragen – und dieses Licht, mit dem wir unsere eigenen Kerzen entzündet haben, durchscheint diese Finsternis. Sind es wirklich die Kerzen, die die Finsternis des Grabes durchleuchten, unser Hiersein und unseren eigenen Tod, den wir in dieser Nacht auch feiern, erleuchten?

Hören wir noch einmal auf das Evangelium dieser hochseligen Nacht!

1 Als aber der Sabbat um war und der erste Tag der Woche anbrach, kam Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu besehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des HERRN kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein von der Tür und setzte sich darauf. 3 Und seine Gestalt war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. 4 Die Hüter aber erschraken vor Furcht und wurden, als wären sie tot.

Der Sabbat ist um, der Ruhetag, die Ruhezeit Gottes ist um. Die Ruhe Gottes hat ein Ende, sie ist vorbei, und der erste Tag der Woche bricht an. Der erste Tag bricht an. Da eröffnet sich nicht einfach eine neue Woche mit ihren gewöhnlich fünf Arbeitstagen mit ihrem oft gedankenlosen Einerlei, ihren Sorgen und Plagen und mit dem Leidvollen, das wir uns so oft selbst bereiten. Es eröffnet nicht eine weitere Woche, in der wir unserem Leben weiter nachgehen, Böses tun, treulos sind und Unheil stiften.

Es ist nicht zunächst unser Tag, der da beginnt. Es ist Gottes erster Tag! Gott hebt an zu seiner neuen Schöpfung, und die Erde, seine alte Schöpfung erbebt. Die ganze Erde erbebt, so wie wir auch zittern werden, wenn der kommt, der all unser Tun und Handeln zur Rechenschaft ziehen wird. Was haben wir einander und unsren Kindern getan? Gegen das Zittern der Menschen dann wird das Erdbeben, das die beiden Frauen erleben, nur ein schwacher Vorbote sein. Dennoch macht es eindeutig klar: Gottes neue Schöpfung hebt an.

Die Wachen am Grab erschrecken und werden, als wären sie tot. Die Handlung beschränkt sich nun ganz auf den Engel, der wie ein Blitz vom Himmel herabfährt und auf die beiden Frauen. Wer um sich nur Natur, nur Blitz und Donner, Erdbeben und Gewalt vermutet, der wird auch nur ganz Natürliches sehen und wird von seiner Furcht aufgefressen – was auch ganz und gar natürlich ist. Der Engel und die Frauen aber, sie begegnen einander.

 5 Aber der Engel antwortete und sprach zu den Weibern: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

Darin offenbart sich der Engel, er kann in das Herz der beiden Frauen schauen. Sie sind auf der Suche, und wer sucht, der wird dem Engel begegnen, selbst dann, wenn er nur den toten Herrn sucht, Jesus, den Gekreuzigten und den Gestorbenen. Aber selbst die Suche nach dem Gekreuzigten und nach dem Gestorbenen führt auf den rechten Weg, führt an das Grab, führt zum Engel des Herrn, führt an den einzigen Ort, an dem sich die alte und die neue Schöpfung jemals berührt haben, führt an das Grab.

Darum sind wir versammelt in dieser Halle – in seinem Grab, in dem wir unser eigenes Sterben bedenken. Das Grab ist der äußerste Punkt der alten Schöpfung, von der wir in der Lesung aus der Genesis gehört haben. Hier stehen wir mit den beiden Frauen, mit Maria von Magdala und mit der anderen Maria an seinem Grab.

Und hier geschieht auch an uns die Botschaft dieser Heiligen Nacht:

6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, da der HERR gelegen hat.

Liebe Gemeinde,

das ist die Ursprungsstunde der neuen Welt, das ist der Anbeginn ewigen Lebens, das ist die Quelle, aus der die Kirche seither schöpft, das ist der Urgrund der Wahrheit, von der wir künden, das ist das Geheimnis dieser Heiligen Nacht, und es wird uns und der ganzen Welt kund allein durch das Wort des Engels, in dem wir das Wort Gottes hören.

Es ist allein das Wort, durch das alles geschieht. So wie Gott am Anfang der Welt allein durch sein Wort alles was ist ins Dasein treten ließ, so ruft er nun durch sein Wort, das im selben Augenblick an uns verkündet wird, den Sohn ins Leben und schafft den Anbeginn des ewigen Lebens, in das auch wir hier treten. In dieser Nacht schon treten wir aus unserem eigenen Grab heraus und in das unvergängliche Wesen unseres Herrn hinein.

Erst jetzt setzt das Schauen ein. Nur der Glaube lehrt uns auch zu sehen und zu bezeugen, was dort geschehen ist. Kommt und seht die Stätte. So spricht der Engel.

7 Und gehet eilend hin und sagt es seinen Jüngern, daß er auferstanden sei von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilend zum Grabe hinaus mit Furcht und großer Freude und liefen, daß sie es seinen Jüngern verkündigten.

Nachdem in diesem einen entscheidenden Moment gleichsam die Zeit still stand, so setzt nun die Geschichte wieder ein: Geht eilend! Geht eilend in die Welt und verkündet es allen, denn hier hat heute etwas ganz Neues begonnen. Die Geißel des Sterbens, die Fessel des Todes ist von euch genommen. Dieses eilende Laufen hat seitdem kein Ende gefunden. Das Wort des Engels läuft durch die Welt, springt über die Meere auf alle Kontinente und durchdringt die Generationen. Er ist auferstanden, und der Tod ist besiegt. Der Gott des Lebens ist der Sieger.

Und da sie gingen seinen Jüngern zu verkündigen, 9 siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßet! Und sie traten zu ihm und griffen an seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie gehen nach Galiläa; daselbst werden sie mich sehen.

Erst nachdem sich die Frauen aufmachen, um es den Jüngern zu verkündigen, erst nachdem sie allein das Wort mit ihren Herzen ergriffen hatten, erst nachdem sie durch den Glauben ganz umfangen waren, begegnen sie nun auch dem Herrn Jesus. Fast scheint es so, als stünde also die Botschaft vor der Möglichkeit zur Gottesbegegnung. Nur wer glaubt, der wird Gott auch schauen. Aber genau diese Unterscheidung trifft es nicht ganz. Wir sollen gewahr werden, dass das Wort und der im Wort entzündete Glaube bereits die Gottesbegegnung ist.

So dürfen wir bekennen: Wir haben den Herrn gesehen. Wir dürfen die Botschaft des Engels weitertragen, wieder eine Generation, wieder ein Ort, wieder an einem Menschen kommt das Wort Gottes ans Ziel und wandelt uns zu den lebendigen Tempeln seiner Herrlichkeit und Gegenwart, und dieses Haus bleibt zurück als Gleichnis für das Leere Grab, aus dem Gott seinen Sohn ins Leben gerufen hat, wie er am Anfang aus Nichts alles geschaffen hat. An seiner statt bin ich in dieser Nacht vor euch hingetreten und spreche: Seid gegrüßt!

Amen

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Der Friede des Auferstandenen sei mit Euch.

Thomas Roloff

Noël Coypel: Auferstehung Christi

nachgetragen am 8. April

Donnerstag, 2. April 2015

Auf dem Weg zu Bismarck - Tangermünde


Tangermünde hat etwas von einem Traum. Es ist die selten gewordene Vorstellung einer intakt gebliebenen deutschen Stadt, mit ihren Brüchen und Fehlstellen, aber doch nie bis zur Gesichtslosigkeit. Und welcher Reichtum an Gewachsenem springt einen förmlich an dabei. Es ist vor allem ein Ort, der im Kern sehr vorneuzeitlich wirkt, dabei sind die meisten Häuser erst aus dem 17. Jahrhundert.

Schönhausen liegt gewissermaßen fast gegenüber, nur durch die Elbe getrennt, es sind wenige Kilometer. Die Stadt ist eine verhinderte Metropole, Kaiser Karl IV. begann, sie zur Nebenresidenz für das Reich zu machen; und selbst diese wenigen Jahre sind immer noch spürbar. Es ist gewissermaßen das vor-hohernzollernsche Brandenburg, das uns hier entgegentritt.

Und wie sinnbildlich für die Neuzeit, drängt sich dann irgendwann ein quietschgelber Lieferwagen in die imposant ehrwürdige Uferszenerie.














nachgetragen am 8. April

Mittwoch, 1. April 2015

Zum 200. Geburtstag Bismarcks

Otto Fürst von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach, 1894

Predigt im Gedenkgottesdienst zum 200. Geburtstag des Fürsten Otto von Bismarck

Lk 14, 28 - 35


Gnade sei mit Euch und Friede, von dem, der da war und der da ist und der da kommt!

Amen

Liebe Gemeinde,

da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und hatte kindliche Anschläge;

so schreibt der Apostel Paulus am Ende seines großen Gedichtes über die Liebe im 1. Brief an die Korinther. Ich habe manche meiner kindlichen Anschläge noch in lebhafter Erinnerung. Nie habe ich beispielsweise begriffen, wie die Sonne es schaffte, uns überall hin zu begleiten, selbst wenn wir mit den Eltern im Wartburg unterwegs waren. Nur der Mond vermochte, es der Sonne gleichzutun und wurde uns zum nächtlichen Begleiter. Wenn ich nach Erklärungen verlangte, dann wurde gesagt, es läge daran, dass der Mond und noch mehr die Sonne so weit weg seien, dass man die Bewegung nicht wahrnehmen könne. Das schaffte mehr Verunsicherung als Einsicht, schließlich bemerkte ich meine Bewegung sehr wohl, die Entfernungen, die wir im Auto zurücklegten, waren enorm, denn ich war klug wie ein Kind.

Seien Sie alle beruhigt, inzwischen habe ich es verstanden. Denken musste ich aber an diese Erfahrung, als ich mir auf dem Weg zum Jubiläum Gedanken darüber machte, was uns die Geschichte soll. Warum gedenken wir Bismarcks, der vor 200 Jahren geboren wurde? Warum feiern wir heute Gottesdienst?

In der Epistel haben wir dazu gehört: „Wir hatten Herzenslust an euch, und waren willig, euch mitzuteilen nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser Leben…“

Wer also vom Glauben zeugen will, der muss nicht nur vom Evangelium reden, sondern Anteil geben an seinem Leben. Das gilt doch nun nicht nur für Apostel, Kirchenlehrer und Pastoren. Das gilt für alle getauften Christen, und es gilt für den, dessen Geburtstag wir heute gedenken, und an dessen Taufe wir am 15. Mai erinnern werden. Unter dem Siegel der Taufe ging er sein Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Und was für ein Leben breitet sich da vor uns aus? Schauen wir hinter all den Bildern einfach einmal auf den Menschen, der hier geboren wurde. Einer fröhlichen Kindheit folgte eine schwierige Schulzeit, denn der Junge war zwar klug aber auch unbändig, und ihm fehlte sein Zuhause in der Weite Pommerns. Die Schulen in Berlin sollten die erste Ursache dafür sein, dass er die Stadt ein Leben lang nicht mochte.

Studium, Militär und Verwaltungsdienst wurden eher lieblos absolviert. Am Erstaunlichsten ist es, wieviel Geduld seine Lehrer und Vorgesetzten jeweils mit ihm hatten. Er suchte die Aufgabe für sein Leben und stand dabei sehr in der Gefahr, sie nicht zu finden, sah sich als Pantheist  und Republikaner.

Zwei schicksalhafte Wendungen erfassten ihn dann in den 40er Jahren. Der Tod einer engen Freundin führte ihn zurück zum Glauben und öffnete ihm den Weg zu der Frau, die er nicht mehr verlassen sollte, und der seine ganze Treue gehörte. Die Revolution aber entzündete sein politisches Denken, nachdem er es als Deichhauptmann hier in unserer Gegend gelernt hatte, für Menschen und Dinge Verantwortung zu übernehmen.

Das Eintreten gegen die Revolution blieb eines seiner bestimmenden Lebensthemen. Das entscheidende Bollwerk gegen die Revolution, das heißt gegen den Umsturz der bestehenden Verhältnisse, erblickte er im preußischen Königtum, und so war es folgerichtig, dass er ein Diener des Königs wurde.

Es ist faszinierend nachzuvollziehen, mit welcher Wachheit und Auffassungsgabe Bismarck es verstand, die Wirklichkeit unverstellt zu erkennen, Gefahren auszumachen, Möglichkeiten abzuschätzen und so das Wohl Preußens zu wahren.

Zwei Dinge erreichte er auf seiner ersten Station als Bundestagsgesandter Preußens in Frankfurt. Er stellte die Gleichberechtigung seines Königs mit der Präsidialmacht Österreich her, und er vermochte es mit viel Geschick, die Neutralität Preußens im Ringen der Westmächte mit Russland im sogenannten Krimkrieg zu wahren. Der Zar hatte das nicht vergessen und gewährte Bismarck herzliche Aufnahme, als dieser 1859 Botschafter in Sankt Petersburg wurde.

Im Zuge des Verfassungskonflikts über die Heeresreform wurde der Aufstieg des Diplomaten dann schwindelerregend. 1862 ernannte der König Bismarck zum Ministerpräsidenten. In schneller Folge wurden gravierende Hindernisse, die der Nationalstaatswerdung der Deutschen entgegenstanden, militärisch beseitigt. Zunächst gelang dies im noch gemeinsam mit Österreich geführten Krieg gegen die Ansprüche Dänemarks auf Schleswig-Holstein, später bei der Entscheidung des Dualismus im Deutschen Bund gegen Österreich und dann 1870/71 im schwersten Kampf gegen Frankreich. Keinen dieser Kriege hat Bismarck verschuldet, oder gar mutwillig herbeigeführt. Seine Haltung war es auch damals schon, dass „man Krieg nicht führen darf, wenn es mit Ehren zu vermeiden ist; die Chance günstigen Erfolges ist keine gerechte Ursache, einen großen Krieg anzufangen!“

So hat er den Krieg denn nach Abwägung bestehender Möglichkeiten hingenommen und dazu beigetragen, dass er für Preußen entschieden werden konnten. Das war allerdings seine Aufgabe, und es war die notwendige Folge des Rechtes jeder Nation, die Verhältnisse unter denen sie lebt, selbst zu gestalten.

Es ist notwendig, klar auszusprechen, dass die anderen Mächte hingegen auf militärische Gewalt setzten, um genau dieses Recht zu bestreiten. Wir dürfen uns, durch die vielfältigen Legenden die in die Geschichte Eingang gefunden haben, und an denen Bismarck durchaus eifrig mitgestrickt hat, nicht täuschen lassen. Es bleibt eine Tatsache, dass die Emser Depesche in Paris noch nicht bekannt war, als dort der Krieg längst beschlossene Sache und die Mobilisierung ausgelöst war. Bismarck wollte mit der gekürzten Depesche lediglich unterstreichen, dass sich sein König nicht hat demütigen lassen, um so die Kampfbereitschaft der süddeutschen Staaten zu festigen.

Die Folgen des Krieges wären auch bei weitem nicht so bedrückend gewesen, wenn die französische Seite sich unmittelbar nach der Niederlage Napoleons III. in Sedan zum Frieden hätte durchringen können. Die für Frankreich zweifellos demütigende Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles hätte es dann nicht gegeben.

Nun entstand mit militärischen Mitteln in der Mitte Europas ein Nationalstaat, der durch „moralische Eroberungen“ nicht hätte durchgesetzt werden können, wie die Gegnerschaft Frankreichs hat deutlich werden lassen. Es entstand aber auch ein Staat, der den Bürgern bemerkenswerter Weise von Anfang an das allgemeine Wahlrecht gewährte. Damit war die Tektonik der  Mächte Europas innerhalb von nur neun Jahren grundlegend verändert worden. Es gab aber auch für die Bürger des Landes in einer Breite Mitwirkungsmöglichkeiten, auf die sie in den meisten anderen Staaten Europas noch sehr lange, meist bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, warten mussten.

Blicken wir noch einmal auf diese neun Jahre von der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten bis zur Reichsgründung, dann fällt auf, dass vor allem die Kriege das Bild dieser Zeit bestimmen. Weitgehend vergessen ist es, dass es einen weiteren entscheidenden Faktor gab, ohne den die Deutsche Einheit wahrscheinlich nicht gelungen wäre. Das war die Mitwirkung Russlands durch seine verlässliche Neutralität. Erwartet hat Russland nur, dass diese Verlässlichkeit eine gegenseitige bleibt, und das war für Bismarck ein gesetzter Umstand seiner Politik.

So vollbrachte der nunmehrige Reichskanzler in gewaltigen Anstrengungen die Sicherung des Reiches durch seine Bündnispolitik nach außen und durch die Sozialpolitik im Inneren. Dabei bleibt es unbestritten, dass er durch Kulturkampf und Sozialistengesetze auch tiefe Konflikte in das Gefüge des Reiches getrieben hat.

Bismarck in Friedrichsruh, 1891

Eine gerechte Bewertung dieser Zeit setzt aber nun voraus, dass wir begreifen, für wie zwangsläufig Bismarck den Zusammenhang zwischen Krieg, der durch feindliche Bündnisse drohte, und Revolution, die durch die sozialistischen Bewegungen vorbereitet wurde, gehalten hat. Selbst gewonnene Kriege versprachen für keine Macht mehr wirkliche Vorteile. Vielmehr drohte jeder Krieg, die traditionelle Welt und jede konservative Ordnung  im Innersten zu zerstören.

Die entscheidenden Auseinandersetzungen würden nicht mehr so sehr „zwischen Russen, Deutschen, Italienern und Franzosen wie zwischen der Revolution und der Monarchie“ geführt. "Der Krieg, sei er nun siegreich oder nicht, wird die Revolution in mehr als in einem Lande entfesseln“, stellte der Kanzler 1887 gegenüber seinem Kaiser fest. Hier deutet sich ein allgemeiner Konsens an, auf dessen Grundlage vielleicht bereits im 19. Jahrhundert das Zusammenwachsen Europas hätte beginnen können, wenn versucht worden wäre die Interessen der Völker miteinander auszugleichen und nicht gegeneinander durchzusetzen.

Für Bismarck war es ganz und gar unverständlich, wie die Revolutionäre aller Zeiten es tun, von einem Umsturz der bestehenden Ordnungen eine Besserung der Verhältnisse zu erwarten. Mit dem Blick über den Verlauf des 20. Jahrhunderts muss man nüchtern fragen, wer denn mit seinen Erwartungen vor der Geschichte Recht behalten hat.

Dennoch gibt es noch immer, nicht nur in der Geschichtsschreibung, eine große Begeisterung für fast jede Form der Revolution, denken wir nur an den „arabischen Frühling“, und ich frage mich manchmal, ob wir nicht genau das dringend überdenken müssen.

So hatte Bismarck denn zwei Ziele: Er wollte wie er sich ausdrückte „der sozialistischen Bewegung in ihrer gegenwärtigen Beirrung Halt gebieten, indem realisiert wurde, was in den sozialistischen Forderungen als berechtigt erscheint“. Dadurch sollte ein innerer Reformprozess eingeleitet werden, den der Fürst sich nicht scheute Staatssozialismus zu nennen.

Zum anderen wollte der Kanzler das Einvernehmen der konservativen Mächte Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland erhalten. Nur in dieser Konstellation wäre es dauerhaft möglich, weder in einseitige Abhängigkeiten zu geraten, noch zu riskieren, dem schwächeren Bündnis anzugehören. Bis zu seiner Entlassung im März 1890 gelang es ihm, diese alles entscheidenden Interessen des Reiches zu wahren. Beides war freilich mühselig und mit enormen Anstrengungen verbunden, es versprach vor allem nicht den ganz schnellen Erfolg, wie eine glorreiche Revolution oder ein ruhmreicher Krieg es taten. Der Kanzler habe „nicht den Schneid zum Präventivkrieg“ wurde ihm darum auch vorgeworfen.

Heinrich Mann urteilte: „Bismarck hat das Reich nicht nur geschaffen: es zu erhalten war schwerer. Die Deutschen haben ihrem einzigen Staatsmann seine vornehmsten Verdienste nie gedankt, sie kennen sie gar nicht. Er eroberte seinem Reich - nicht Provinzen, die hat er kaum gewünscht, sondern Dauer für seine eigene Lebenszeit. Nach ihm war es sofort in Frage gestellt.“

Der ehemalige Botschafter Ulrich von Hassel wiederum schreibt nach einem Aufenthalt in Friedrichsruh im Juli 1944 in sein Tagebuch, bevor er am 8. September des gleichen Jahres in Plötzensee gehenkt wurde: „Ich habe mich in den letzten Tagen viel mit ihm beschäftigt, und er wächst als Außenpolitiker dauernd bei mir. Es ist bedauerlich, welch falsches Bild wir selbst von ihm in der Welt erzeugt haben, als dem Gewaltpolitiker mit Kürassierstiefeln, in der kindlichen Freude darüber, dass jemand Deutschland endlich wieder zur Geltung brachte. In Wahrheit war die höchste Diplomatie und das Maßhalten seine größte Gabe.
Er hat es verstanden, die Gegner auszumanövrieren und trotzdem in einziger Weise in der Welt Vertrauen zu erwecken, genau umgekehrt wie heute.“

Bismarck Denkmal im alten Elbpark in Hamburg

Dies also ist das Lebenswerk und war das Vermächtnis eines auch bei allen seinen Gegnern respektierten Staatsmannes. Heute wollen wir es einfach in Beziehung setzen zu dem Evangelium, das wir vorhin gehört haben, und in dem es heißt:

„Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will, und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er's habe, hinauszuführen? auf daß nicht, wo er Grund gelegt hat und kann's nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an, sein zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hob an zu bauen, und kann's nicht hinausführen. Oder welcher König will sich begeben in einen Streit wider einen andern König und sitzt nicht zuvor und ratschlagt, ob er könne mit zehntausend begegnen dem, der über ihn kommt mit zwanzigtausend? Wo nicht, so schickt er Botschaft, wenn jener noch ferne ist, und bittet um Frieden.“
Lk 14, 28 - 32

Die entscheidende Frage, die hier im Evangelium gestellt wird, ist die nach dem, was ist, und nicht nach dem, was man sich vielleicht wünscht, erhofft und für möglich hält. Ist dies nicht ein eindrucksvolles Plädoyers für Realpolitik, wie Bismarck sie getrieben hat?
Ist es nicht vor allem eine bestechende Erwiderung an alle, die behaupten, das Neue Testament und Politik hätten nichts miteinander zu tun und wären ganz verschiedene Reiche? Es ist vor allem aber eine Ermahnung an alle Menschen zur Klugheit, Mäßigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Es gab eine Zeit, da nannte man diese schlicht Tugenden. Bismarck hat sie in seiner Politik zur Anwendung gebracht.

Es war klug, sich der Mühe zu unterziehen, immer wieder um Verständigung mit den beiden Nachbarreichen Russland und Österreich zu ringen und ihre Gemeinsamkeiten zu betonen,
es war ein Ausdruck von Mäßigung, das Reich unmittelbar nach seiner Gründung für saturiert zu erklären,
es war weise, zu erkennen, dass die Rolle Deutschlands nur noch darin gefunden werden konnte, Mitte und Vermittler Europas zu sein,
es war gerecht, Grundlagen sozialer Systeme zu schaffen und
es war tapfer, sich den Gefahren der Zeit zu stellen und Feinden mit offenem Visier zu begegnen.

Aber darum nenne ich Bismarck gerade nicht genial und überragend groß.
Ich nenne ihn einen Menschen, der eins und eins zusammenzählen konnte, und der davon auch Gebrauch machte. Bismarck ist kein Ideal, sondern ein menschliches Vorbild. Nicht die Ideale von Menschen bewegen etwas in der Welt, sondern der unbeugsame menschliche Wille zur praktischen Ordnung. Diesen Willen auch durchzusetzen macht freilich Mühe.

Bismarcks politisches Vermächtnis bestand in ganz wenigen Aussagen:

In einer Welt von fünf Mächten muss es unser Bestreben sein, ein Partner von dreien zu bleiben und nicht einer von zweien zu werden.

Ein künftiger Krieg hält auch für den Sieger keinen Preis mehr bereit, der es sinnvoll erscheinen lässt, ihn zu führen und

einen Konflikt mit Russland sollte man unter allen Umständen vermeiden.

Wie sonderbar und befremdlich mutete es an, dass man Bismarcks 100. Geburtstag mitten im 1. Weltkrieg mit großer Geste feierte, den Reichsgründer gleichsam zum Kriegsgott der Deutschen stilisierte, nachdem sein Vermächtnis in der praktischen Politik so ganz außer Acht gelassen worden war. Es wurde behauptet, Bismarcks Bündnissystem sei zu kompliziert und darum untauglich gewesen, dem Reich zu dienen. Es wurde unterstellt, seine vieldeutige Geheimdiplomatie hätte dem Reich geschadet.

Was am Vorgenannten ist kompliziert, was doppeldeutig oder geheim? Alle diese Aussagen waren auch den Zeitgenossen zur Genüge bekannt, weil Bismarck sie wie ein Mantra vortrug. Überhaupt hat er lebenslang immer dadurch das größte Staunen erregt, dass er seine Absichten und Ziele offen aussprach. Aber genau dadurch gewann er Vertrauen.

Sein ununterbrochenes Mühen um die Bündnisse beweist vor allem eines, dass er die Kräfte des Reiches für begrenzt hielt. Jedes Jahr im Frieden, so war Bismarck fest überzeugt, werde es dem Kontinent einfacher machen, das neue Machtzentrum in seiner Mitte, die völlige Verschiebung der politischen Tektonik Europas, das heißt schlicht, die Wirklichkeit zu akzeptieren, wie sie sich nach dem Frankfurter Frieden gestaltet hat. Alles was ruht, sollte man darum auch keinesfalls wecken, das war sein Bekenntnis der späten Tage.

Aus diesem Bekenntnis sprach ein ganz bemerkenswerter Realismus. So konnte er denn fast bescheiden sagen: „Ich bin nicht so anmaßend, dass ich Geschichte machen könnte. Meine Aufgabe ist, die Strömungen der letzteren zu beobachten und in ihnen mein Schiff zu steuern, wie ich kann. Die Strömungen selbst vermag ich nicht zu leiten, noch weniger hervorzubringen.“

Darin spricht sich auch ein Respekt vor der Geschichte aus, der nach meinem Eindruck verloren zu gehen scheint. Heute will man, statt das Schiff auch durch Stürme zu steuern, allezeit für gutes Wetter sorgen und maßt sich an, sogar Herr über das Klima zu sein.

Bismarck verdanken wir das allgemeine Wahlrecht und die Sozialgesetzgebung. Darin wiederum drückt sich der Zusammenhang zwischen Eigenverantwortung für den Staat und Fürsorge des Staates aus, den der Fürst in einem bereits sehr modernen Sinne formte. Allerdings hätte er mit größtem Unverständnis darauf geblickt, wie wir heute beginnen zu glauben, man könne auch über die Wahrheit abstimmen und gegebenenfalls sogar die Wirklichkeit abwählen.

Wenn nicht mehr auch die Mehrheit grundlegenden Regeln unterworfen ist, sondern jede Regel nur noch von der augenblicklichen Mehrheit abhängt, dann wird dem Parlamentarismus nicht gedient.
Es ist jeder Generation notwendig nach den eigentlichen Grundlagen des Gemeinwesens zu fragen.

Bismarcks Bekenntnis war ganz klar. Schon 1847 am Anfang seines politischen Weges sagte er: „Erkennt man die religiösen Grundlagen des Staates überhaupt an, so glaube ich, kann diese Grundlage bei uns nur das Christentum sein. Entziehen wir diese Grundlage dem Staate, so behalten wir als Staat nichts als ein zufälliges Aggregat von Rechten, eine Art Bollwerk gegen den Krieg aller gegen alle… Seine Gesetzgebung wird sich dann nicht mehr aus dem Urquell der ewigen Wahrheit regenerieren, sondern aus den vagen und wandelbaren Begriffen von Humanität, wie sie sich gerade in den Köpfen derjenigen, die an der Spitze stehen, gestalten.“

Hier ist derselbe Gedanke ausgesprochen, den ein anderer mit folgenden Worten ins 21. Jahrhundert übersetzt hat: „Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis.

Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“ Das sagte Benedikt XVI. im Reichstag.

Das ist die Auseinandersetzung, die bis in unsere Tage geführt wird, und in der auch wir uns entscheiden müssen, nachdem wir die Bewegungen unseres Lebens und unserer ganzen so schnelllebigen Welt geprüft haben vor dem Firmament der Geschichte, denn ihr entkommen wir genauso wenig wie der Autofahrer am Tage der Sonne und nachts dem Mond.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen

Thomas Roloff

Freitag, 27. Februar 2015

Über Bismarcks Geburtstag und Herrn Moritz Götze

von der Kirchgemeinde Schönhausen zur Verfügung gestellt

Ich mag dieses „Verspielte“. Obwohl das schon wieder typischer Kunst-Erklär-Slang ist (jedenfalls zu heutigen Zeiten). Vielleicht fällt mir ja noch etwas Passenderes ein. Der Reihe nach: Herr Roloff (hier bestens eingeführt) war der Meinung, des 200. Geburtstags des Fürsten Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen sollte an einem 1. April auch in Schönhausen, seinem Geburtsort gedacht werden .

Ich zitiere: „Schönhausen (dpa/sa) - Die Kirchengemeinde Schönhausen (Landkreis Stendal) erinnert mit einem Gedenkgottesdienst am 1. April (19.00 Uhr) an die Geburt des ersten deutschen Reichskanzlers und Sohn der Gemeinde, Otto von Bismarck, vor 200 Jahren." Sachsen-Anhalts ehemaliger Ministerpräsident Wolfgang Böhmer werde ein Grußwort sprechen, so die Gemeinde, ebenso zugesagt hätten der Botschafter der Russischen Föderation, Wladimir Grinin, und der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière.

Das lassen wir jetzt so für sich stehen. Über einen Mangel an Aufmerksamkeit wird man sich nach dieser Namensreihe mutmaßlich weniger Sorgen machen müssen. Aber darauf wollte ich diesmal wirklich nicht eingehen.

Und da auch noch anderes folgen soll, gibt es ein Festprogramm, das von einem Gemälde des Hallenser Malers Moritz Götze geziert wird, daher das Eingangsbild. Um zur Erklärung dessen nochmals Herrn Roloff zu zitieren:

„Der Maler Moritz Götze stellt der Kirchengemeinde Schönhausen zum 200. Geburtstag des Reichsgründers sein Bismarck-Portrait als Leihgabe zur Verfügung. Das Gemälde wird vom 1. April bis zum 3. Oktober dieses Jahres in der Kirche zu sehen sein. Es gehört zu einem eindrucksvollen Zyklus, den der 1964 in Halle/Saale geborene Künstler in Anlehnung an Anton von Werner geschaffen hat. Die Pop Art und Comic Einflüsse sind dabei für Götze besonders charakteristisch.

'Ich freue mich über diese Leihgabe außerordentlich, weil sie farbenfroh zum Ausdruck bringt, wie sehr der Kanzler uns auch in der Gegenwart beschäftigt, und wie viel er uns noch immer zu sagen hat', erklärt der Gemeindekirchenratsvorsitzende Thomas Roloff.“

(c) Moritz Götze, Halle

Da ich keine Zeitung bin, mußte ich das jetzt nicht unbedingt in den Konjunktiv umschreiben. Aber letztlich war es der Auslöser für den vorliegenden Beitrag. Ach und dann wird es ab dem 15. 3. in Schönhausen auch noch eine neugestaltete Ausstellung des dortigen Bismarck-Museums geben (das hätte ich jetzt fast vergessen).

Ich gestehe, ich konnte bisher keines der Bilder des Herrn Götze im Original sehen. Der eine oder andere womöglich auch nicht, darum habe ich das Abbildungszugeständnis auch so exzessiv ausgelegt und das Originalbild recht großzügig nachgeliefert. Und vor allem begonnen zu lesen, was sich so fand. Mit anderen Worten, der informativere Teil dieses Beitrags ist damit abgeschlossen, ab jetzt mäandert es so vor sich hin.

Beginnen wir mit etwas vermeintlich Abgelegenen. Im Griechischen des Paulus gibt es das schöne Wort oikodomē (oικοδομή), daraus ist viele Jahrhunderte später das mitunter gruselige „Erbaulich“ geworden, neuzeitlich säkularisiert vielleicht noch als „konstruktiv“ bekannt (auch nicht schön). Aber hinter jedem Mißbrauch steckt nicht selten ein guter Anfangs-Gebrauch, den der erste nicht auslöschen kann (auch wenn uns das heutzutage die geistig leicht Beweglichen gern einreden wollen).

Bevor ich zu dem Wort „Pop-Art„ selbst etwas äußere, ein Zitat: „Moritz Götze ist ein Künstler, der Geschichte und Geschichten liebt.“ Das ist immerhin ein Anfang. Dieses Zitat stammt aus einer Ankündigung zu einer Ausstellung der Kunstsammlung Jena, die erst am 14. März diesen Jahres beginnen soll (wir sind also furchtbar aktuell, ausnahmsweise) - „Moritz Götze (Halle/Saale): Des Knaben Wunderhorn“. Man kann das sowieso alles dort nachlesen, aber erfreulich fand ich die Beschreibung der Romantik als „Suche nach Ursprünglichkeit, mit der sich die Romantiker vom Rationalismus der Aufklärung ab­- und dem individuellen Erleben zuwendeten“.

(Kleiner Protest: Es war wohl mehr als das bloße persönlich Anders-Fühlen. Aber immerhin wird dieses Fühlen dann doch beschrieben als “eine ins Unendliche gerichtete Sehnsucht und das Streben nach einem harmonischen Ganzen“. Das erste Aufbäumen gegen den Transzendenz-Verlust, den das Abendland beginnend mit dieser philosophischen Sekte erlitten hat, meine ich, aber das gehört nicht hierher).

Moritz von Schwind, "Des Knaben Wunderhorn", (verbrannt)

Ach, und wenn man sich schon dort hinbegibt: Götze versenke sich in die Ereignisse und destilliere ein scharf konturiertes Extrakt, das auf Wirkung ziele. Nun ja, wirkungsfeindliche Künstler sind selten. Aber es gibt doch noch einen schönen Satz mit weniger dramatischer „Luft“ im Vortrag (ich habe da immer eine bestimmte Person aus meiner Biographie im Ohr, wenn ich derartiges lese): Stilistisch verorte sich Moritz Götze im deutschen Pop (das ist es noch nicht, aber jetzt), er verschweige jedoch dabei nicht seine tiefe und durchaus Tradition suchende und aufbauende Art, die ihn durchaus in die Nähe der Jenaer Romantiker rücke.

Das scheint mir auch so (und jetzt erklärt sich wohl auch das merkwürdige griechische Wort von oben).

Jetzt müssen wir nur noch die Kurve zum „Eisernen Kanzler“ kriegen.  Wenn ich es recht sehe, stand am Anfang (der öffentlichen Aufmerksamkeit in dieser Sache) eine Ausstellung in Saarbrücken im Jahre 2007:

Zeitgemäße Paraphrasen historischer Geschichtsbilder, als solche seien die poppig bunten, in ihrer scharfen Konturierung an Holzschnitte gleichermaßen wie an Comiczeichnungen erinnernden Werke des Hallenser Künstlers Moritz Götze zu verstehen. Für die Saarbrücker Ausstellung greife Götze auf monumentale Wandbilder des wilhelminischen „Propagandamalers“ Anton von Werner zurück. Dieser habe 1880 als Wanddekoration für den Saarbrücker Rathaussaal die Geschehnisse des deutsch-französischen Krieges rund um die Spicherer Höhen vom August 1871 und den Einzug des Königs in Saarbrücken glorifiziert. Durch die Vereinigung der Werke des 19. Jahrhunderts mit Götzes moderner Wiederauflage werde ein Geschichtspanorama aufgespannt, in welchem sich die Sicht auf das Vergangene zugunsten zeitgenössischer Parameter verschöbe.

Das findet sich im Wortlaut hier und verweist auf eine Sache, die man ausführlicher an diesem Ort nachlesen kann.

Farbskizze zu „Ankunft König Wilhelms I. in Saarbrücken“ 

Anton von Werner wird derzeit aus 2 Gründen nicht gemocht, entweder ist es der Stil / die Bildsprache oder es sind die Sujets, eher sind es wohl letztere (wäre ein gewisser dubioser Georgier zu erblicken, würden dieselben Kritiker mutmaßlich zuvor heimlich ein Tränchen verdrücken).

Wie ich schon oft anmerkte, sind Selbstzitate peinlich, aber ich war fast ein wenig (nicht genug) gerührt, als ich diesen Versuch einer Ehrenrettung des Herrn von Werner las:

„Es mag sein, daß sein nahezu fotographischer Realismus vielfach wirklich mehr wie eine Chronik die Zeit abbildet, aber nach meinem Gefühl agiert er dabei nicht nur mit souveräner Beherrschung der malerischen Technik, sondern auch mit einem genauen psychologischen Auge, wachem Sinn für die Bedeutung von Augenblicken und handelnden Personen und vor allem in einer vornehmen Gelassenheit, die Würde und eine souveräne Geisteshaltung verkörpert. Das erscheint mir doch weit weniger oberflächlich als es ihm gern nachgesagt wird.“

König Wilhelm am Sakrophag seiner Mutter, der Königin Luise, 
im Mausoleum zu Charlottenbur am 19. Juli 1870

Was für ein Quark. Man sehe doch einfach auf dieses Bild eines Augenblicks, in dem derart viele Linien der Vergangenheit zusammengehen, zusammenfindend zu etwas, das anschließend nicht unbemerkt bleiben wird, um das mindeste zu sagen. Und man sieht das alles schon jetzt (obwohl das Bild natürlicherweise von später ist, in der Kunst gehen die Zeiten immer durcheinander, scheinbar).

Also der leicht süffisante Vorhalt des photographischen Realismus, den ich mir offenkundig irgendwo angelesen hatte, ist schon mal Müll. Denn was bitteschön sagt er künstlerisch aus?

Anton von Werner, Selbstporträt im Atelier, 1885

Historienmaler werden üblicherweise als in Auftrag gestellt gesehen. Hier aber hat sich der Künstler ganz selbst in denselben gestellt. Und das ist bemerkenswert, u.a.

Sein Gedanken- und Bilderaustausch mit dem Malerkollegen von Werner ist für mich auch als Haltung sehr achtenswürdig. Im Jahr 2009 gab es dazu in Frankfurt/Oder eine weitere Ausstellung, und so man diesem folgt, kann man endlich einen visuellen Eindruck von dem Konzept gewinnen. Der Text dazu: Der 122 Jahre jüngere Götze arbeite im Unterschied ohne jedes politische Kalkül und gehe auf die ihm eigene Weise mit der Neugierde sinnlicher Unschuld und ohne jedes Pathos auf die optischen Artefakte der Geschichte ein. Nun ja.

Auch dieser Beitrag muß ein Ende nehmen, wir bemühen uns. Warum ich das alles vor mich hin schreibe? Zunächst: Das Unverbiesterte, nicht dieses innerlich Verklemmte und Freudlose, das heute von auf den ersten Blick ähnlichen Biographien einen regelmäßig anspringt. Eher wie ein kluges Kind, eine nicht selten hintergründige Naivität, nie verkrampft, üblicherweise komplex. Was fallen einem da für Worte ein? „Lebensechtheit“? „biographische Treue“? Fast hätte ich „Authentizität“ gesagt, wenn der Begriif  nicht so abgenutzt und heruntergehurt wäre.

Verblüfft hatte mich eine Rezension in der „taz“. Da schluckt selbst ein Autor von dort ohne Protest das Sichtbare und malte nur noch seine milieu-typischen Kringel dazu. (Was für eine pazifizierende Wirkung Kunst doch haben kann).

„Aber weil es Pop ist, steht das Bild jenseits alter politischer Kontroversen, in die, im Falle Bismarcks, mit nationaler Attitüde sich auch die DDR einschaltete, um den Altkanzler realsozialistisch einzugemeinden.“

Ansonsten ist dieser Artikel einer der besseren, etwa wo er die Frage stellt, was denn deutsche Popart sei? Nämlich wie der große amerikanische Bruder poppig bunt, flächig, habe keine Berührungsängste gegenüber Comics und sei eine Umwälzmaschine für alles von Avantgarde über Repräsentationskunst bis Krempel. Götzes Pop aber sei auch flächig, habe aber Tiefe, nämlich historische. Eben!

Bei Pop-Art (aber ich habe ja keine Ahnung von solchen Sachen) waren mir bisher neben dem unvermeidlichen Andy Warhol eher Leute wie Jeff Koons eingefallen; beiden mag  man vieles vorwerfen. Tiefe gehört sicherlich nicht dazu.

An dem Herrn Götze beeindruckt mich u.a. seine stilistische Haltung, der Wille, auf das zu sehen, was vor einem war, man kann das Achtsamkeit nennen (es ist übrigens der allererste Schritt jeglichen Bildungsbemühens, auch wenn das ebenfalls nicht hierher gehört).

Und jetzt brechen wir einfach ab, wo ich doch selbst die Beiträge hasse, die nie ein Ende finden wollen. Also nichts über die Buddha-Statuen von Bamiyan, nichts darüber, daß Kunst die Essensz des Menschlichen sei oder vielmehr beschreibe, und wer sie verfehle, allenfalls Kunstgewerbe hervorbringen würde. Vielleicht noch zwei Links, etwa hier und hier.

Und dann empfehle ich noch einmal einen Blick auf das Bismarck - Porträt, zum einen wegen der Haltung dessen, der da gerade etwas zusammenschmiedet, was doch leidlich zusammenhalten wird - aus dem Abstand von mehr als 100 Jahren gesagt (zu schweigen von der mythischen Figur des Schmiedes dahinter) und dann buchstäblich der Hintergrund, der ist auch nicht ohne. Das ist schon eine sehr gewitzte Bilderfindung.

Und um zum anderen doch noch grundsätzlicher zu werden. Deutsche Geschichte wird (mit ruhmvollen Ausnahmen) in der zeitgenössischen Kunst (und nicht nur dort) vor allem entweder ignoriert oder „dekonstruiert“ (da kann der „Bruch“ nicht gewaltsam genug sein, wie überhaupt eine gewisse moderne Sprache das Gewaltsame und Auslöschende exzessiv treibt). Daß das mit Moderne an sich nichts zu tun haben muß, das sehen wir hier. Der Maler Moritz Götze holt mit seinem besonderen, ausdrucksstarken und sehr individuellen Stil Geschichte in unser heutiges Bildgedächtnis zurück, mit dem unübersehbaren Bestreben, ihr dabei gerecht zu werden.

zu Ende gebracht am 2. März

Freitag, 30. Juli 2010

Über Bismarck

Bismarck-Museum in Schönhausen (Elbe)
hier gefunden

Am 30. Juli 1898 starb Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, Fürst Bismarck, der Reichskanzler, ein Freund erinnerte mich heute daran, wie wir vor 10 Jahren gemeinsam seinen Geburtsort Schönhausen in der Altmark besuchten. Bismarck ist einer der wenigen Glücksfälle der neueren deutschen Politik, und um ihn einmal selbst zu Wort kommen zu lassen:

„Als normales Produkt unsres staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule, das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, Einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte. Dazu hatte ich von der turnerischen Vorschule mit Jahn'schen Traditionen (Plamann), in der ich vom sechsten bis zum zwölften Jahre gelebt, deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht. Diese blieben im Stadium theoretischer Betrachtungen und waren nicht stark genug, um angeborne preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen. Meine geschichtlichen Sympathien blieben auf Seiten der Autorität. Harmodius und Aristogiton sowohl wie Brutus waren für mein kindliches Rechtsgefühl Verbrecher und Tell ein Rebell und Mörder. Jeder deutsche Fürst, der vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich; vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urtheilen und natürlich zu finden, daß der siebenjährige Krieg sich vorbereitete. Doch blieb mein deutsches Nationalgefühl so stark, daß ich im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung geriet, welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntnis der vorhandnen, historisch gewordnen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde.“

Dies ist der Anfang aus Otto von Bismarcks Memoiren - Gedanken und Erinnerungen, aus dem Band 1. Das Verhältnis zwischen ihm und Kaiser Wilhelm I. muß ganz unwiederholbar gewesen sein.

„Neben dem Fleiße, zu dem ihn sein hohes Pflichtgefühl trieb, kam ihm in Erfüllung seiner Regentenpflicht ein ungewöhnliches Maß von klarem, durch Erlerntes weder unterstützten noch beeinträchtigten gesunden Menschenverstande, common sense, zu Statten. Hinderlich für das Verständnis der Geschäfte war die Zähigkeit, mit der er an fürstlichen, militärischen und localen Traditionen hing; jeder Verzicht auf solche, jede Wendung zu neuen Bahnen, wie sie der Lauf der Ereignisse nothwendig machte, wurde ihm schwer und erschien ihm leicht im Lichte von etwas Unerlaubtem oder Unwürdigem. Wie an Personen seiner Umgebung und an Sachen seines Gebrauchs, so hielt er auch an Eindrücken und Überzeugungen fest, unter der Mitwirkung der Erinnerung an das, was sein Vater in ähnlichen Lagen gethan hatte oder gethan haben würde; insbesondre im französischen Kriege hatte er die Erinnrung an den parallelen Verlauf der Freiheitskriege immer vor Augen.“

Bekanntlich waren sich Bismarck und die Gemahlin Wilhelms I. Augusta in herzlichster Abneigung verbunden. Und um so aus dem 2. Band seiner Erinnerungen zu zitieren:

„Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Überzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War ersteres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimiliert hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangnen Erörterungen der Frage lag, die Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Äußerungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den gewonnenen Erfolg zu befestigen durch Äußerung von Zweifeln, ob der Kaiser im Stande sein werde, die geäußerte Absicht oder Meinung »Bismarck gegenüber« aufrecht zu erhalten. Wenn Se. Majestät nicht auf Grund eigner Überzeugung, sondern weiblicher Bearbeitung widerstand, so konnte ich dies daran erkennen, daß seine Argumente unsachlich und unlogisch waren. Dann endete eine solche Erörterung, wenn ein Gegenargument nicht mehr zu finden war, wohl mit der Wendung: »Ei der Tausend, da muß ich doch sehr bitten.« Ich wußte dann, daß ich nicht den Kaiser, sondern die Gemahlin mir gegenüber gehabt hatte.“

Und um das Ganze ins Humorvolle hinüberzuretten:

„Als ich einmal den geärgerten und darüber erkrankten Kaiser des Morgens aufsuchen mußte, um über eine höfische Demonstration zu Gunsten des Centrums eine unter den obwaltenden Umständen dringliche Beschwerde zu führen, fand ich ihn im Bette und neben ihm die Kaiserin in einer Toilette, die darauf schließen ließ, daß sie erst auf meine Anmeldung herunter gekommen war. Auf meine Bitte, mit dem Kaiser allein sprechen zu dürfen, entfernte sie sich, aber nur bis zu einem dicht außerhalb der von ihr nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte. Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben Tags war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unterhaltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon bedenkliche Gesundheit ihres Gemahls zu schonen und ihn nicht zwiespältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie so schön gesehn wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt: »Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig.«“

Mittwoch, 20. Januar 2010