Dienstag, 25. Dezember 2018

Vier Dichter zur Weihnacht


Mathias Grünewald, Isenheimer Altar, Christi Geburt

Rainer Maria Rilke 

Es gibt so wunderweiße Nächte

Es gibt so wunderweiße Nächte, 
drin alle Dinge Silber sind. 
Da schimmert mancher Stern so lind, 
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind. 

Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut, 
und in die Herzen, traumgemut, 
steigt ein kapellenloser Glaube, 
der leise seine Wunder tut. 


Rainer Maria Rilke: "Es gibt so wunderweiße Nächte"
Rezitation: Fritz Stavenhagen, hier gefunden

Theodor Storm

Weihnachtslied

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimathlich verlocken
In märchenstille Herrlichkeit.

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.


Theodor Storm: „Weihnachtslied“
Rezitation: Fritz Stavenhagen, hier gefunden

Ernst von Wildenbruch

Weihnacht

Die Welt wird kalt, die Welt wird stumm,
der Winter-Tod zieht schweigend um;
er zieht das Leilach weiß und dicht
der Erde übers Angesicht.
Schlafe - schlafe!

Du breitgewölbte Erdenbrust,
du Stätte aller Lebenslust,
hast Duft genug im Lenz gesprüht,
im Sommer heiß genug geglüht,
nun komme ich, nun bist du mein,
gefesselt nun im engen Schrein.
Schlafe - schlafe!

Die Winternacht hängt schwarz und schwer,
ihr Mantel fegt die Erde leer;
die Erde wird ein schweigend Grab,
ein Ton geht zitternd auf und ab:
Sterben - sterben!

Da horch - im totenstillen Wald,
was für ein süßer Ton erschallt?
Da sieh - in tiefer dunkler Nacht,
was für ein süßes Licht erwacht?
Als wie von Kinderlippen klingt's,
von Ast zu Ast wie Flammen springt's,
vom Himmel kommt's wie Engelsang,
ein Flöten- und Schalmeienklang:
Weihnacht! Weihnacht!

Und siehe - welch ein Wundertraum:
Es wird lebendig Baum an Baum,
der Wald steht auf, der ganze Hain
zieht wandelnd in die Stadt hinein.
Mit grünen Zweigen pocht es an:
"Tut auf, die sel'ge Zeit begann,
Weihnacht! Weihnacht!"

Da gehen Tür und Tore auf,
da kommt der Kinder Jubelhauf;
aus Türen und aus Fenstern bricht
der Kerzen warmes Lebenslicht.
Bezwungen ist die tote Nacht,
zum Leben ist die Lieb' erwacht,
der alte Gott blickt lächelnd drein,
des laßt uns froh und fröhlich sein!
Weihnacht! Weihnacht!


Ernst von Wildenbruch: "Christkind im Walde"
Rezitation: Florian Friedrich, hier gefunden

Christian Morgenstern

Ein Weihnachtslied

Wintersonnenwende!
Nacht ist nun zu Ende!
Schenkest, göttliches Gestirn,
neu dein Herz an Tal und Firn!

O der teuren Brände!
Hebet hoch die Hände!
Lasset uns die Gute loben!
Liebe, Liebe, Dir da droben!

Wintersonnenwende!
Nacht hat nun ein Ende!
Tag hebt an, goldgoldner Tag,
Blühn und Glühn und Lerchenschlag!

O du Schlummers Wende!
O du Kummers Ende!

Christian Morgenstern als Kind

nachgetragen am 26. Dezember

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