Herr Roloff hat heute in der Hauptkirche Potsdams St. Nikolai diese Gastpredigt gehalten, die ich gern nachfolgend mitteilen will. Um so mehr, als mir dies auch Gelegenheit gibt, wieder an einen Ort zu erinnern, der mir einmal sehr nah war.
Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis
am 31. Juli 2011 in St. Nikolai zu Potsdam
5 Mose 7,6-12
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
Du bist ein heiliges Volk, das ist der Zuspruch, den wir heute aus dem 5. Mosebuch erfahren. Du bist ein heiliges Volk! Aufgabe der Predigt nun ist es, zu entfalten, was wir darunter zu verstehen haben und welche Konsequenzen uns daraus erwachsen.
Dass wir für diese Überlegungen an das Alte Testament verwiesen werden, gehört zur guten Ordnung unserer Kirche. Es bewahrt uns vor dem Hochmut, der uns verleiten könnte anzunehmen, wir hätten unseren Grund in uns selbst.
Das Volk Gottes ist viel älter als unser Volk es ist, das Volk Gottes ist auch viel älter als die Kirche es ist. Mit dem heutigen Predigttext gelangen wir in die Urzeit der Vorstellung vom Volk Gottes.
Das erste, was uns auffällt, ist die Tatsache, dass Gott sich sein Volk erwählt. Dem Volke Israel wird offenbart: Dich hat der Herr, Dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.
Es gibt Menschen, die haben Probleme damit, dass ein Volk erwählt ist und alle anderen nicht. Sie halten das für ungerecht und für einen Verstoß gegen die Gleichheit aller. Sie behaupten, damit wären alle anderen Völker diskriminiert.
Diese Haltung ist kein Atheismus. Dem Atheisten kann es egal sein, welches Volk der Gott, an dessen Wirklichkeit er nicht glaubt, sich erwählt. Diese Haltung ist schlimmer als der Atheismus, weil sich in ihr Hass auf Gott ausdrückt, den man für ungerecht hält.
Wir hingegen müssen ganz nüchtern feststellen: Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Völkern. Sie sind genauso normal und vielfältig wie es die Unterschiede sind, die es zwischen Menschen gibt. Es wäre ganz unsinnig, wirklichkeits- und wahrheitsfern, sie zu leugnen.
Der Text im 5. Mosebuch gibt uns aber sogleich Aufklärung darüber, wie diese Erwählung zu verstehen ist.
„Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter den Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat.“ So heißt es dort.
Es gibt nichts, worauf sich das erwählte Volk etwas einbilden könnte, es ist mitnichten größer oder mächtiger als andere Völker. Es hat auch keinen Vorrang, sondern es hat zunächst und vor allem eine Aufgabe. Dieses Volk soll die Liebe Gottes in der Welt sichtbar werden lassen.
Gott hat seine Liebe zu diesem Volk entdeckt und will, dass sie in der Welt sichtbar wird, denn es ist gut für diese Welt, dass diese Liebe sichtbar in ihr ist. Gott tut darin genauso wenig ein Unrecht, wie es der verliebte junge Mann tut, der seine Liebe zu einem Mädchen herausschreit. Vielmehr sind alle diejenigen der Sünde des Neides und der Missgunst schuldig, die den beiden ihre Liebe und ihr Glück nicht gönnen. Alle anderen Menschen aber können sich mit den Verliebten freuen und werden spüren, dass auch ihr Leben heller und schöner wird durch diese Freude, die sie empfinden.
Vielleicht heiraten unsere beiden Verliebten auch irgendwann und geben sich damit ein verpflichtendes Versprechen. Offenbar gehören die Liebe und das Versprechen nämlich wirklich schon immer fest zusammen.
Auch unser Text fährt fort: Er hat sein Volk erwählt, damit er seinen Eid hielte, den er den Vätern geschworen hat.
Nichts ist verwerflich daran, wenn jemand sein Liebesversprechen auch tatsächlich hält, schon gar nicht, wenn Gott dies tut.
Und nun wird mit bekenntnishaften Worten daran erinnert, dass Gott sein Volk mit mächtiger Hand aus Ägypten herausgeführt und aus der Knechtschaft des Pharaos erlöst hat. Auch das hat Gott vor aller Welt getan, damit die Welt erzittere vor Staunen über seine Gewalt, die eine Gewalt der Liebe ist.
Es erweist sich auch wieder, wie so oft im Leben, dass, wenn man nur geduldig ist, man auch auf alle Fragen Antwort erhalten wird. Im weiteren Vers unseres Textes heißt es nämlich plötzlich nicht mehr ihr und euch, sondern DU.
„So sollst du nun wissen, dass der Herr, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten.“
Du sollst wissen, hier offenbart sich der alleinige, der einzige und der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit hält.
Der Bund und die Barmherzigkeit sind ein schöner Ausdruck dafür, dass bei Gott alles unlöslich und gleichzeitig Ordnung seiner Weisheit und Regung seines Herzens ist. Er hält Bund und Barmherzigkeit. Darum sollen auch wir Menschen unseren guten Herzensregungen verlässliche Ordnungen geben und sie auch halten. Sie können ein Weg sein, unsere Liebe zu Gott auszudrücken, genauso wie das Halten seiner Gebote.
Oft werden die Gebote als ein Zwang von Verboten diffamiert, der den Menschen auferlegt ist. Betrachten wir sie aber an dieser Stelle genau, dann erkennen wir, wie sehr sie Ordnung von Gottes Barmherzigkeit sind. Denn jeder der tötet, der zerstört immer auch sich selbst. Jeder der die Ehe bricht, der zerstört auch die tiefste Hoffnung seines Herzens auf Treue. Jeder der lügt, verstrickt sich doch selbst unlöslich in die Unwahrheit. Und ein Leben in der Lüge ist immer gescheitertes Leben.
Darum sucht die Liebe zum alleinigen Gott in euch. Darum allein macht Gott seine Liebe in der Welt sichtbar, dass die Welt ihn mit ihrer Liebe suchen möge. Das Volk Gottes findet darin Gemeinsamkeit, Verantwortung und auch Verwandtschaft.
Von seinem äußeren Weg ist Gott mit seinem erwählten Volk sehr eigentümlich verfahren. Aus Ägypten führte er es ins gelobte Land, ließ es ein Reich gründen, das mit David und Salomo Könige hervorbrachte, die ihresgleichen suchen. In Jerusalem entstanden der Tempel dieses Volkes und eine bemerkenswerte Frömmigkeit. Das Reich aber hatte keinen Bestand, der Tempel wurde im Jahre 70 endgültig zerstört, das Volk Israel in alle Welt zerstreut. Was immer uns diese Geschehnisse im Einzelnen noch zu sagen haben, zeigen sie uns doch nur den äußeren Rahmen der Geschichte.
Denn wir verkünden der Welt, dass mit Christus die Erwählung des Volkes Israel für immer bewahrt und doch gleichzeitig an die ganze Welt verschenkt wurde. Die Erwählung des Volkes Israel bleibt in Christus bestehen, und dennoch ist der Horizont aufgerissen, damit Gott sich sein Volk in der Taufe aus allen Völkern erwählen kann. Gottes Liebe hat sich in der Geschichte sichtbar, erlebbar und dauerhaft gemacht, damit sie alle erreicht.
Jan Assmann hat in seinem bemerkenswerten Buch „Mose der Ägypter“ den Satz aufgeschrieben: „Da Gott seine Absichten in der Geschichte versteckt hat, wird historische Forschung zur theologischen Aufgabe oder lässt sich als solche legitimieren.“
Als Christen viel mehr als alle anderen müssen wir die Geschichte ernst nehmen als den Ort, an dem sich Gottes Wille ausdrückt. Der Hochmut verführt die Menschen immer wieder dazu, die Geschichte als etwas zu benutzen, was sie meinen aus ihren kleinen Begriffen von Gerechtigkeit Gott um die Ohren hauen zu dürfen, oder gar an seiner Statt die Gerechtigkeit selber herstellen zu müssen.
Dabei lehrt uns die Geschichte doch mit großer Eindringlichkeit wieder und wieder, dass Menschen und Völker nie das Gleiche empfangen und haben werden, sondern das sie den Dienst tun sollen, der ihnen auferlegt ist, nämlich ihn zu lieben und seine Gebote zu halten. Er wird nämlich „ins Angesicht vergelten denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht zu vergelten!“
Immer müssen wir dabei daran denken, dass einer der größten Unterschiede zwischen Gott und Mensch darin besteht, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte selbst erleben, sie vor Gott aber, der gestern, heute, morgen und derselbe in Ewigkeit ist, steht sie immer als Ganzes. Seine Gerechtigkeit erklärt sich erst und nur in der Ganzheit der Geschichte. Insofern ist diese Ganzheit der Geschichte der eigentliche und tiefste Ausdruck auch für das Jüngste Gericht, das wir erwarten, uns als Menschen aber immer nur als ein künftiges denken können.
Einzig Gott macht uns gleich und gerecht, durch die Liebe, die er auf seinen Wegen lässt sichtbar werden in uns und in unserer Welt!
Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
Thomas Roloff
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen