Sonntag, 13. Mai 2018

Zum Sonntag Exaudi

Frauen am Grabe Christi und Himmelfahrt des Herrn,
sog. „Reidersche Tafel“, Elfenbein, Mailand oder Rom um 400 n. Chr.,
hier gefunden

Der Sonntag Exaudi steht zwischen der Himmelfahrt des Herrn und dem Ereignis von Pfingsten. Wie auch bei anderen Sonntagen im Kirchenjahr stammt der Name vom Einzugspsalm der lateinischen Liturgie, hier: „Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad te; miserere mei, et exaudi me! ("Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe! Sei mir gnädig und erhöre mich!" Ps. 27,7).

Eine sehr schöne kurze Beschreibung von Exaudi fand ich unter www.daskirchenjahr.de:

"Der Sonntag ist schon deutlich auf Pfingsten bezogen dadurch, dass er die wartende Haltung der Gemeinde und damit ihre Abhängigkeit vom Heilswirken Gottes herausstreicht, und von daher eigentlich nicht mehr Bestandteil des Osterfestkreises, der mit Christi Himmelfahrt abschloss...

Der Sonntag Exaudi spiegelt die Spannung wider, in der die Jünger sich befanden, nachdem ihr Herr gen Himmel aufgefahren war. Sie wissen um die Verheißung des Geistes, haben ihn aber noch nicht erfahren. Sie leben in einer kaum erträglichen Spannung, denn das Vergangene hat nun keine Bedeutung mehr, und das Zukünftige hat keine Kraft. Die Gegenwart, in der sie machtlos sind, wird übermächtig und scheint sie zu fesseln. In diese Spannung hinein erklingt als Erinnerungsruf die Rede Jesu, in der er den Tröster, seinen Geist, verheißt."

Nachfolgend die Predigt, welche Herr Roloff heute in Magdeburg gehalten hat.

Chiesa di San Frediano (primo vescovo di Lucca): Mosaico (Sec. XIII)

Predigt zum Sonntag Exaudi in St. Nicolai Magdeburg

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Hört den Predigttext zum heutigen Sonntag:

Die Verheißung eines neuen Bundes

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern machte, da ich sie bei der Hand nahm, daß ich sie aus Ägyptenland führte, welchen Bund sie nicht gehalten haben, und ich sie zwingen mußte, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel machen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben; und sie sollen mein Volk sein, so will ich ihr Gott sein; 34 und wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: "Erkenne den HERRN", sondern sie sollen mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der HERR. Denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünden nimmermehr gedenken. 
Jer 31, 31-34

Amen

Liebe Gemeinde,

Siehe, es kommt die Zeit, spricht unser Gott. Jeremia verkündet, was unweigerlich und unaufhaltsam geschehen wird. Gott handelt!

Gott kündigt an, einen neuen Bund schließen zu wollen. Der Bund ist der zentrale Begriff des Alten Testaments. Gott besiegelte den Bund mit Noah durch das Leuchten des Regenbogens. Er machte seinen Bund mit Abraham und ließ ihn durch Isaak und Jakob zum Vater der Völker werden, und er schloss seinen Bund mit den Israeliten, die in Ägypten in der Sklaverei lebten. Er führte sie durch das Meer in die Freiheit. Gott bekräftigte seinen Bund dadurch, dass er seinem Volk am Sinai eine Rechtsordnung gab, indem er ihnen Kriegsglück schenkte und sie das Land besitzen ließ, das er ihnen verheißen hatte. Zuletzt weitete er seinen Bund auf die Dynastie Davids aus, die er zur Herrschaft über sein Volk erwählt hat, und verspricht ihr ein Königtum für alle Zeit.

Und dennoch will Gott nun einen neuen Bund, denn das Volk war seinem Bund nicht treu. Es wandte sich von ihm ab, ließ seine Gebote unbeachtet, sehnte sich in der Freiheit immer wieder in die Sklaverei zurück und auch die Könige sündigten schwer. Alles Zwingen führte nicht dazu, dass sich der Bund erfüllte, sein Ziel erreichte und Gottes Absicht durchgesetzt werden konnte.

Worin liegt aber die tiefste Absicht eines Bundes?

Wo Gott sich mit Menschen verbindet, da soll Verschiedenes zur ursprünglichen Einheit verbunden werden, da soll etwas Ganzes entstehen, da soll etwas heil werden – da begegnet dem Menschen das Heil.

Das ist nun keineswegs eine bloße Hypothese, diese Sehnsucht durchzieht und prägt die ganze Schöpfung. Goethe hat das in seinem Gedicht „Wiederfinden“ wunderbar zum Ausdruck gebracht:

Ist es möglich! Stern der Sterne, 
Drück ich wieder dich ans Herz! 
Ach, was ist die Nacht der Ferne 
Für ein Abgrund, für ein Schmerz.
Ja, du bist es! meiner Freuden 
Süßer, lieber Widerpart; 
Eingedenk vergangner Leiden, 
Schaudr ich vor der Gegenwart. 

Als die Welt im tiefsten Grunde 
Lag an Gottes ewger Brust, 
Ordnet' er die erste Stunde 
Mit erhabner Schöpfungslust, 
Und er sprach das Wort: Es werde! 
Da erklang ein schmerzlich Ach! 
Als das All mit Machtgebärde 
In die Wirklichkeiten brach. 

Auf tat sich das Licht: so trennte 
Scheu sich Finsternis von ihm, 
Und sogleich die Elemente 
Scheidend auseinanderfliehn. 
Rasch, in wilden, wüsten Träumen 
Jedes nach der Weite rang, 
Starr, in ungemeßnen Räumen, 
Ohne Sehnsucht, ohne Klang. 

Stumm war alles, still und öde, 
Einsam Gott zum ersten Mal! 
Da erschuf er Morgenröte, 
Die erbarmte sich der Qual; 
Sie entwickelte dem Trüben 
Ein erklingend Farbenspiel, 
Und nun konnte wieder lieben, 
Was erst auseinanderfiel. 

Und mit eiligem Bestreben 
Sucht sich, was sich angehört,
Und zu ungemeßnem Leben 
Ist Gefühl und Blick gekehrt. 
Sei's Ergreifen, sei es Raffen, 
Wenn es nur sich faßt und hält! 
Allah braucht nicht mehr zu schaffen, 
Wir erschaffen seine Welt. 

So, mit morgenroten Flügeln, 
Riß es mich an deinen Mund, 
Und die Nacht mit tausend Siegeln 
Kräftigt sternenhell den Bund. 
Beide sind wir auf der Erde 
Musterhaft in Freud und Qual, 
Und ein zweites Wort: Es werde! 
Trennt uns nicht zum zweitenmal.

In deutscher Sprache ist wohl nirgends schöner ausgedrückt, worin die weltbewegende Sehnsucht liegt, die die Schöpfung erfüllt. Das auseinanderstrebende Universum ächzt und seufzt und sucht die verloren gegangene ursprüngliche Einheit. Und Gott scheint es kaum anders gegangen zu sein.

Auch unter uns Menschen findet sich völlig naturgemäß diese dauernde drängende Sehnsucht, das Ganze wiederzufinden. So hoch wir den Menschen auch schätzen, wer wach und ehrlich mit sich umgeht, der wird überall gewahr, dass kein Mensch sich selbst genug ist. Er braucht immer und sucht lebenslang die Ergänzung. Er sucht den anderen Menschen, die Aufgabe oder Gott. Manchmal sucht er alles zugleich und manchmal, und das ist vielleicht das Charakteristikum der Moderne, spürt er nur noch das Drängen und das Ungenügen, weiß aber gar nicht mehr, wonach er suchen soll.

Wer es aber noch weiß, dem ist auch bewusst, dass wir Menschen immer die Lebensordnungen am höchsten achten, die wir unauflöslich und für das ganze Leben eingehen. Die Ehe und der Taufbund sind dafür die entsprechenden Formen. Das Leben kann nur in der Gemeinschaft bewahrt und weitergeschenkt werden, in der Gemeinschaft von Mann und Frau und in der Gemeinschaft mit Gott.

Und auch das sind keine Theorien. Jeder Mensch erlebt es, denn er hat immer Mutter und Vater, und er ist immer Geschöpf Gottes. Jeder Mensch begegnet diesen Tatsachen seiner Lebensgeschichte genauso real, wie das Volk Israel den Auszug aus der Knechtschaft in die Freiheit erlebt und immer wieder bekannt hat. Gott ist der Gott, der Israel aus Ägyptenland herausgeführt hat.

Darin hat Gott seinen Bund mit seinem Volk aufzurichten versucht. Er hat es aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt, er hat ihm das Gesetz gegeben, er ist ihm selbst zum Richter und Führer geworden. Gott ist der Herr der Geschichte.

Der Mensch aber widersetzte sich mit seinem Willen den Absichten Gottes. Das Wiederfinden ursprünglicher Einheit misslang, solange Gott Gott und der Mensch Mensch blieb.

Darum kündigt Gott den neuen Bund an. Nicht mehr eine äußere Ordnung will er mit seinem Bund aufrichten, sondern eine innere Beziehung soll begründet werden. Jeremia offenbart hier etwas, was sich mit der Geburt Christi 500 Jahre später erfüllen wird. Gott schreibt sich dem Menschen ins Herz, indem er selbst Mensch wird. Christus ist das Gesetz, das dem Menschen ins Herz geschrieben wird. In Christus steht Gott der Schöpfung nicht mehr gegenüber, sondern er wird Teil seiner eigenen Schöpfung und versöhnt die Welt mit sich selbst.

Tritt nun aber tatsächlich ein neuer Bund an die Seite des alten? Es schleicht sich ein gefährliches Missverstehen ein, wenn augenblicklich nicht selten so getan wird, als gäbe es eine Treue Gottes zum Alten Bund, durch die ein zweiter Weg zum Heil eröffnet würde.

Wir glauben und bekennen aber unaufgebbar: Jesus Christus ist das eine Wort Gottes, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.

Christus ist die Erfüllung des Gesetzes. Er führt uns aus der Knechtschaft des Todes in das Land der Lebendigen. Er bekräftigt den Regenbogen als Zeichen für den ewigen Bestand der Schöpfung, denn durch sein Menschsein hat Gott das Menschsein in sein Gottsein hineingenommen und erhoben. Christus ist uns auch zum ewigen König aus dem Hause Davids geworden. Im Neuen Bund hat Gott den Alten Bund erfüllt. Allein in Christus, dem Sohne Mariens, hat der Alte Bund durch seine Erfüllung Bestand.

So sollen wir ihn alle erkennen, den Herrn aller Herren, den König aller Könige, unseren Gott und Erlöser. In ihm ist uns das Heil geworden und in seinem Lichte sehen wir das Licht. Er wird ausgießen seinen Geist. Er regiert seine Kirche, die uns das sichtbare und mächtige Zeichen des neuen und ewigen Bundes ist. In der Gemeinschaft dieser Kirche dürfen wir ihn allezeit bitten: Dein hoher Segen auf uns komm.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unsern Herrn.

Amen

Thomas Roloff


J. S. Bach:  Wo Gott der Herr nicht bei uns hält (BWV 178)

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