Sonntag, 20. Mai 2018

Plato, Schönheit als Dialog mit Gott – Sir Roger Scruton IV


Anselm Feuerbach: Das Gastmahl. Nach Platon (2. Fassung)

Aus „Why Beauty Matters“, von Sir Roger Scruton (Min. 23.52 ff.):

„Plato, der im vierten Jahrhundert v. Chr. in Athen schrieb, argumentierte, daß Schönheit das Zeichen einer anderen und höheren Ordnung sei. Wenn du die Schönheit mit dem Auge des Geistes siehst, wirst du in der Lage sein, wahre Tugend zu erhalten und ein Freund Gottes zu werden.

Plato war Idealist. Er glaubte, daß Menschen Pilger und Reisende in dieser Welt sind, immer danach strebend, darüber hinaus zu gelangen, in das ewige Reich, in dem wir mit Gott vereint sein werden.

Gott existiert in einer transzendenten Welt, der wir Menschen zustreben, die wir aber nicht direkt kennen können. Aber eine Möglichkeit, einen Blick in diese himmlische Sphäre von hier unten zu erhaschen, ist die Erfahrung der Schönheit.

Dies führt zu einem Paradox. Für Plato war Schönheit zuerst und vor allem die Schönheit des menschlichen Gesichts und der menschlichen Form. Die Liebe zur Schönheit, dachte er, entspringt dem Eros, einer Leidenschaft, die wir alle fühlen. Wir können diese Leidenschaft romantische Liebe nennen.

Für Plato war Eros eine kosmische Kraft, die uns in Form von sexuellem Verlangen durchströmt. Aber wenn die menschliche Schönheit Lust und Verlangen erweckt, wie kann sie etwas mit dem Göttlichen zu tun haben?

Verlangen ist für das Individuum, das in dieser Welt lebt. Es ist eine drängende Leidenschaft. Sexuelles Verlangen stellt sich uns dar als eine Wahl:

Verehrung oder Begierde. Liebe oder Lust.

Lust handelt vom Nehmen, aber Liebe besteht im Geben. Lust bringt Häßlichkeit - die Häßlichkeit menschlicher Beziehungen, in denen eine Person die andere als wegwerfbares Mittel behandelt.

Um die Quelle der Schönheit zu erreichen, müssen wir die Lust überwinden. Diese Sehnsucht, frei von Lust, ist das, was wir heute mit platonischer Liebe meinen.

Wenn wir Schönheit in einer jugendlichen Person finden, dann deshalb, weil wir einen flüchtigen Blick erhaschen vom Licht der Ewigkeit, das von diesen Zügen herüber scheint aus einer himmlischen Quelle jenseits der diesseitigen Welt. Die schöne menschliche Form ist eine Einladung, sich geistig, nicht physisch mit ihr zu vereinen. Unser Gefühl für Schönheit ist aus diesem Grund eine religiöse und keine sinnliche Emotion.

Diese Theorie Platons ist erstaunlich. Schönheit ist ein Besucher, dachte er, aus einer anderen Welt. Wir können nichts damit anfangen, ausgenommen, über sein reines Strahlen nachzusinnen. Alles andere verunreinigt und entweiht es und zerstört seine heilige Aura.

Platons Theorie mag den Menschen heute wunderlich erscheinen, aber sie ist eine der einflußreichsten in der Geschichte. Durch unsere ganze Zivilisation hindurch wurden Dichter, Geschichtenerzähler, Maler, Priester und Philosophen inspiriert von Platos Ansichten über Sex und Liebe.“

Scruton zieht einige Bücher (Min 28.07 ff.) aus seinen Regalen, um Autoren zu bennen, die versucht haben, Platos Theorie über die Liebe auszudrücken: Thomas Mallory - Der Tod des Arthur, John Donne, Sir Gawain und der Grüne Ritter, Chaucer, die Gedichte des Pearl Manuskripts, Dante, Spencer - Die Feenkönigin u.a.

Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus

„Die Göttin der erotischen Liebe – Venus - blickt von einem Ort jenseits des Verlangens auf die Welt. Sie lädt uns ein, unsere irdische Begierde zu überwinden und sich mit ihr durch die reine Liebe zur Schönheit zu vereinen.“

Botticellis Vorbild für sein Gemälde habe für ihn Platos Ideal repräsentiert - Schönheit ist dazu da, betrachtet zu werden, aber nicht, sie besitzen zu wollen.

"Plato und Botticelli erzählen uns, daß wahre Schönheit jenseits des sexuellen Verlangens liegt, so daß wir Schönheit nicht nur in einem begehrenswerten jungen Menschen finden können, sondern auch in einem altersvollen Gesicht, gezeichnet von Trauer und Weisheit. Solche, wie Rembrandt sie gemalt hat. Die Schönheit eines Gesichts ist ein Symbol für das Leben, das darin ausgedrückt wird. Es ist Fleisch, das Geist wurde.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn
Porträt einer dreiundachtzigjährigen Frau - Aechje Claesdr

Und wenn wir unsere Augen darauf richten, scheinen wir hindurch bis in die Seele sehen zu können. Maler wie Rembrandt sind bedeutsam darin, uns zu zeigen, daß Schönheit ein einfaches und alltägliches Ding sein kann. Es liegt um uns herum. Wir brauchen nur die Augen, um es zu sehen, und das Herz, es zu fühlen.

Das gewöhnlichste Ereignis kann in etwas Schönes verwandelt werden von einem Maler, der in das Herz der Dinge zu sehen vermag.

Solange wie ein Glaube an einen transzendenten Gott fest im Herzen unserer Kultur verankert war, dachten Künstler und Philosophen weiterhin an Schönheit in der Weise Platos. Schönheit war die Offenbarung Gottes im Hier und Jetzt.

Dieser religiöse Zugang zum Schönen dauerte 2000 Jahre an."

El Greco: Ausgießung des Hl. Geistes, hier gefunden

Mit dieser Fortsetzung der vorigen drei Beiträge sind wir zur Hälfte durch Sir Roger Scrutons Film hindurch und gewissermaßen auch ein wenig in Pfingsten angekommen, was die ursprüngliche Absicht dieser Reihe war. Letzteres ist mit einer gewissen Verzögerung gelungen.

Ab jetzt folgt wieder die Neuzeit. Nicht, daß wir vor ihr zurückschrecken würden, schließlich müssen wir in ihr leben, aber womöglich werden die Schritte sich etwas beschleunigen. Wir werden sehen.

nachgetragen am 22. Mai 

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