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Montag, 2. Juli 2018

Über Puritanismus &

Ruinen der St Andrews Cathedral, zerstört ab 1559 
durch Anhänger des schottischen Reformators John Knox

„Jede späte Philosophie enthält den kritischen Protest gegen das unkritische Schauen der Frühzeit. Aber diese Kritik eines seiner Überlegenheit sicheren Geistes trifft auch den Glauben selbst und ruft die einzige große Schöpfung im Religiösen hervor, die Eigentum der Spätzeit ist und zwar jeder: den Puritanismus.

Er erscheint im Heere Cromwells und seiner eisernen, bibelfesten, psalmensingend in die Schlacht ziehenden Independenten, im Kreise der Pythagoräer, die im bittren Ernst ihrer Pflichtenlehre das fröhliche Sybaris zerstörten und ihm für immer den Makel einer sittenlosen Stadt anhängten, im Heere der ersten Kalifen, das nicht nur Staaten, sondern auch die Seelen unterwarf. Miltons Verlorenes Paradies, manche Suren des Koran, das wenige, was sich über pythagoräische Lehren feststellen läßt — das ist alles eins: Begeisterung eines nüchternen Geistes, kalte Glut, trockne Mystik, pedantische Ekstase.

Aber noch einmal lodert doch eine wilde Frömmigkeit darin auf. Was die zur unbedingten Herrschaft über die Seele des Landes gelangte große Stadt an transzendenter Inbrunst aufbringen kann, das ist hier gesammelt, wie mit der Angst, daß es künstlich und vorübergehend ist, und deshalb ungeduldig, ohne Verzeihung, ohne Barmherzigkeit. Dem Puritanismus nicht nur des Abendlandes, sondern aller Kulturen fehlen das Lächeln, das die Religion aller Frühzeiten verklärt hatte, die Augenblicke tiefer Lebensfreude, der Humor.

Nichts von der stillen Glückseligkeit, die in magischer Frühzeit in den Kindheitsgeschichten Jesu oder bei Gregor von Nazianz so oft aufleuchtet, findet sich in den Suren des Koran, nichts von der versonnenen Heiterkeit der Gesänge des heiligen Franz bei Milton. Ein tödlicher Ernst ruht über den jansenistischen Geistern von Port Royal und den Versammlungen der schwarzgekleideten Rundköpfe, die das old merry England Shakespeares, auch ein Sybaris, in wenigen Jahren vernichtet haben.

Sammlung der Predigten des Hl. Gregor von Nazianz, 
Vision des Ezechiel, hier gefunden

Der Kampf gegen den Teufel, dessen leibhafte Nähe sie alle fühlten, wurde erst jetzt mit einer finstren Erbitterung geführt. Im 17. Jahrhundert sind mehr als eine Million Hexen verbrannt worden und nicht nur im protestantischen Norden und katholischen Süden, sondern auch in Amerika und Indien. Freudlos und gallig ist die Pflichtenlehre des Islam (fikh) mit ihrer harten Verständigkeit so gut wie die des Westminsterkatechismus (1643) und die Ethik der Jansenisten (Jansens 'Augustinus' 1640) — denn auch im Reiche Loyolas gab es mit innerer Notwendigkeit eine puritanische Bewegung.

Religion ist erlebte Metaphysik, aber sowohl die Gemeinschaft der Heiligen, wie die Independenten sich nannten, als die Pythagoräer, als die Umgebung Mohameds erlebten sie nicht mit den Sinnen, sondern zuerst als Begriff... Ein zügelloser und doch trockener allegorischer Geist ist in aller puritanischen Dichtung an die Stehe gotischer Visionen getreten. Der Begriff ist die wahre und einzige Macht im Wachsein dieser Asketen. Um Begriffe und nicht wie Meister Eckart um Gestalten ringt Pascal.

Man verbrennt Hexen, weil sie bewiesen sind und nicht, weil man sie nachts in den Lüften sieht; die protestantischen Juristen wenden den Hexenhammer der Dominikaner an, weil er auf Begriffen errichtet ist. Die Madonnen der frühen Gotik waren den Betenden erschienen, die Madonnen Berninis hat niemand gesehen. Sie sind vorhanden, weil sie bewiesen sind, und man begeistert sich für diese Art von Existenz. Cromwells großer Staatssekretär Milton verkleidet Begriffe in Gestalten und Bunyan hat einen ganzen Begriffsmythos in eine ethisch-allegorische Handlung gebracht. Ein Schritt weiter und man steht vor Kant, aus dessen Begriffsethik zuletzt der Teufel als Begriff in Gestalt des Radikal-Bösen herauswuchs.

Man muß sich vom Oberflächenbilde der Geschichte befreien und ganz über die künstlichen Grenzen hinwegsetzen können, welche die Methodik abendländischer Einzelwissenschaften gezogen hat, um zu sehen, daß Pythagoras, Mohammed und Cromwell in drei Kulturen ein und dieselbe Bewegung verkörpern.

Pythagoras war kein Philosoph. Nach allen Aussagen der vorsokratischen Denker war er ein Heiliger, Prophet und Stifter eines fanatisch-religiösen Bundes, der seine Wahrheiten mit allen politischen und militärischen Mitteln der Umgebung aufzwang. In der Zerstörung von Sybaris durch Kroton, die sicherlich nur als Höhepunkt eines wilden Religionskrieges in der geschichtlichen Erinnerung haften blieb, entlud sich derselbe Haß, der auch in Karl I. von England und seinen fröhlichen Kavalieren nicht nur eine Irrlehre, sondern auch die weltliche Gesinnung ausrotten wollte.

Ein gereinigter und begrifflich befestigter Mythos mit einer rigorosen Sittenlehre verlieh den Auserwählten des Pythagoräerbundes die Überzeugung, vor allen andern zum Heil zu gelangen. Die in Thurioi und Petelia gefundenen Goldtäfelchen, welche den Leichen der Geweihten in die Hand gegeben wurden, enthielten die Versicherung des Gottes: 'Seliger und Gebenedeiter, du wirst nicht mehr ein Sterblicher, sondern ein Gott sein'.

Es ist dieselbe Überzeugung, die der Koran all denen verlieh, die im heiligen Kriege gegen die Ungläubigen fochten — 'das Mönchtum des Islam ist der Religionskrieg' lautet ein Hadith des Propheten — und mit welcher Cromwells Eisenseiten die 'Philister und Amalekiter' des königlichen Heeres bei Marston Moor und Naseby zersprengten."

aus Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes Kapitel III, III, Puritanismus

Pariser Psalter, Mitte des 10. Jahrhunderts, byzantinisch 
Durchgang durch das Rote Meer, hier gefunden

Das war ein sehr langes Zitat und ein vermutlich ermüdendes. Sei es so. Es ist erstaunlich, welche Umwege manchmal dazu führen, daß man ein Buch wieder in die Hand nimmt, von dem man irgendwann beschlossen hatte, es sei unlesbar. Spenglers Untergang des Abendlandes gehört in diese Kategorie.

Erst einmal will ich ihm zugute halten, er ist immerhin lesbarer als z.B. Heidegger. Und seine Methode ist durchaus interessant. Vergleichbar mit St. Jordan (also Prof. Peterson, dem inzwischen berühmten religiösen Agnostiker aus Toronto, den ich mit sehr leiser Ironie für mich inzwischen derart tituliere) sieht Spengler überall Analogien, Synchronizitäten etc. etc.

Das ist oft verblüffend anregend, nicht selten aber auch anstrengend, um höflich zu bleiben. Der Gesamteindruck mag im Zwiespalt verharren, aber leben wir nicht alle auf einem Zwiespalt, bei diesen zweifellos großen Geistern ist er halt etwas weiter gespannt. Und wenn seine Erklärungsmuster mitunter auch nicht unbedingt überzeugen. Auch falsche Schlüsse können anregen. Die Phänomene sieht er sehr scharf umrissen -  „kalte Glut, trockne Mystik, pedantische Ekstase“. Ich kann mich nicht erinnern, eine präzisere Beschreibung irgendwo gelesen zu haben.

Spengler sieht Kulturen als Lebewesen, das ist weniger absurd als es auf den ersten Blick erscheint. Denn woraus bestehen denn Kulturen. Aus Zahnrädern? Und wenn Menschen über ein Bewußtsein verfügen, was offenkundig regelmäßig der Fall ist, sollte es dann nicht auch kollektives Bewußtsein abgrenzbarer Gruppen geben, mit einer je eigenen Geschichte?

Und können nicht wiederkehrende Konstellationen vergleichbare Muster hervorrufen? Spengler nennt  sein Werk im Untertitel „Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“. Und dieser Ansatz einer Strukturgeschichte der Menschheit, das Aufspüren und Deuten wiederkehrender Muster etc. ist sicher eine enorm notwendige und herausfordernde Angelegenheit. Wobei mir allerdings Schelers Vergleichsmaschine mitunter etwas zu, nun ja mechanisch daherkommt. Und sein Relativismus ist auch eher beschwerlich. Z. B.:

"Gäbe es Wahrheiten abgelöst von den Daseinsströmen, so könnte es keine Geschichte der Wahrheit geben. Gäbe es eine einzige, ewig richtige Religion, so wäre Religionsgeschichte eine unmögliche Vorstellung." III, III, 16

Eine Geschichte der „Wahrheit“ wäre tatsächlich eine Geschichte von Meinungen. Letztlich bedeutungslos. Was aber möglich erscheint, wäre eine Geschichte des Bewußtwerdens der Wahrheit.

Doch zurück zum Puritanismus. Schelers Analogie zum Islam fand ich interessant. Und wenn man darüber nachdenkt, fallen einem in der Tat ständig Parallelen auf: Freudlosigkeit, aggressive Proselytenmacherei, Bilder- und Kulturfeindschaft, eine Klaustrophobie erzeugende Denk- und Glaubenshaltung, noch eine Menge mehr. Aber ich will mich auf die christliche Variante beschränken. Mir war Puritanismus immer instinktiv zuwider.

Und ich habe gelernt, wenn man die falschen Geister aufspüren will, folge man der Spur der Verwüstung. Als ich einmal in Irland war, fiel mir bald auf: Der heilige Krieger Cromwell hatte mehr Kirchen zerstört als drei Heere der Ungläubigen es vermocht hätten. Gewissermaßen eine kriegerische Form des Askese, angemaßte Heiligkeit durch Feindschaft gegen das Lebendige. Doch wir schweifen ab. Zurück zum Calvinismus. Denn dieser radikalisierte Calvinismus hat die Untugenden seines Ursprungs noch verschärft.

Das ist jetzt nicht besonders ökumenisch. Aber ich will kurz aufzählen, welche calvinistischen bzw. reformierten Lehren mir als bloße Irrlehren erscheinen. Die bekannteste ist wohl die sog. „doppelte Prädestination“.  Gott offenbart an einem Teil der Menschheit seine Gnade, an einem anderen seine Gerechtigkeit. Mit anderen Worten, noch vor der Schöpfung hat Gott für jeden künftigen Menschen bestimmt, ob er gerettet oder verworfen werden soll.  Die Auserwählten dürfen Gott erkennen und werden auferstehen, die Nicht-Erwählten bleiben unwissend und dürfen in der Hölle schmoren.

Gründe für diese eher willkürlich erscheinende Entscheidung werden nicht angeboten. Gott tut, was ihm beliebt. Das kann man zwar glauben, aber warum mußte er dann in seinem Sohn sterben. Gut, das war jetzt fast häretisch. Nein, ich bin kein Patripassianer. Die Jungfrau steh mir bei!

Naheliegenderweise ist Jesus Christus dann nur für die Auserwählten am Kreuz gestorben. Die Auserwählten vermögen ihrer Erwählung auch nichts entgegenzusetzen, sie sind ihr hilflos ausgeliefert  und mangeln darin eines freien Willen. Es ist ihnen ebenso unmöglich, Gottes Gnade wieder zu verlieren. Wir brechen  hier besser ab.

Ach vielleicht dies noch: Die Väter des reformierten Glaubens (sprich Calvin und Zwingli) hatten vorgeschrieben, daß nur gelten solle, was in der Hl. Schrift ausdrücklich bestimmt ist, und wollten daher ursprünglich nicht nur die Bilder aus den Kirchen zu schaffen, da diese schließlich in der Bibel verboten sind, sondern auch Glocken und Orgeln, da sie in dieser nicht erwähnt werden…

Man kommt leicht auf den Gedanken, daß sich derartiges nur fromme Sadisten und Zwangsneurotiker ausdenken konnten. Mir ist es immer unbegreiflich geblieben, wie man den christlichen Glauben zu einer derart vergiftenden Sache deformieren kann. Damit meine ich nicht, daß man nur als Lutheraner selig werden kann, beim besten Willen nicht, aber hier ist doch eindeutig eine Grenze überschritten. *Grusel

Pariser Psalter, Mitte des 10. Jahrhunderts, byzantinisch 
Der Prophet Jesaja und Nyx, die Nacht, hier gefunden

Und jetzt will ich endlich aufklären, was mich zu derart eifernden Gedanken trieb. Ein Beitrag in einem konservativen „rechtgläubigen“ Blog aus Amerika (der sinnigerweise daher auch „Orthosphere“ heißt), den ich seit einiger Zeit regelmäßig verfolge und der mich erstens zurück zu Spengler brachte und zweitens eine originelle Linie in die Neuzeit zieht. Meine Haltung zur modernen Kunst deckt sich mit der des Autors zwar nicht so ganz, aber sie ist interessant und ohne weitere Umschweife werden ich den letzten Teil dieses Beitrags daher jetzt einfach, aus dem Englischen von mir dürftig übersetzt, folgen lassen:

„Moderne Häßlichkeit ist ein und dasselbe wie moderner Puritanismus. Eine gotische Marienkirche ist ein Wunder seltener Kunstgriffe, in jedem Detail schön, mit jedem Detail zu einem erhabenen Ganzen beitragend, das die Summe seiner bloßen Teile übersteigt. Eine gotische Kirche ist voller Bilder. Die byzantinische Isaurische Orthodoxie und der Islam waren - und der Islam blieb es - nicht nur anikonisch, sondern willentlich ikonoklastisch…

Die Implikationen der künstlerischen Schönheit, die nicht von spiritueller Schönheit getrennt werden kann, bedrohten diese Regime. Ob Luther und Calvin sie dazu aufforderten oder nicht, frühe Protestanten übten den Ikonoklasmus aus: Die Zerstörung des katholischen Eigentums und der katholischen Kunst in England und Nordeuropa, besonders in Schweden, war weit verbreitet und entsetzlich.

Die moderne liberale Mentalität ist ikonoklastisch und daher auch in vielerlei Hinsicht puritanisch. Sie möchte alle christlichen Bilder aus der Öffentlichkeit verbannen. Sie greift die Schönheit immer und überall an und ersetzt sie durch jede Form von Mißbildung und Häßlichkeit. Es ist ihre Absicht, alles, was sie beleidigt, aus dem Blickfeld zu entfernen, sei es eine Bronzestatue eines konföderierten  Generals oder ein Gemälde von John Waterhouse, das "den männlichen Blick" wiedergibt. Die Tatsache, daß die moderne liberale Mentalität sofort eine Allianz schließt mit dem Islam gegen die Traditionen des Westens deutet darauf hin, dass er psychisch mit dem Islam konvergiert. Die Verflachung des tiefen-getränkten dreidimensionalen Bildes durch die Moderne im Kubismus oder die flachen gegenstandslosen Flecken abstrakter Kunst sind zugleich ikonoklastisch und puritanisch. Es verachtet die Welt.“

St Andrews Cathedral Ruins at dusk, Scotland

nachgetragen am 3. Juli

Donnerstag, 18. Februar 2016

Über Luther & auch die Verteidigung des Schönen

Martin Luther auf dem Sterbebett

Unser Vater Luther hat einmal eine ausgewählte Übersetzung des Koran eingeleitet, ich habe seinen Text auch fleißig gelesen und glossiert, allein ich finde es nicht wieder. Wie ich dazu kam? Nun er starb heute, vor 470 Jahren (und ich denke, bisher nicht nur Unnützes über ihn geschrieben zu haben, das fände man dann hier).

Auch das Christentum hat seinen erklecklichen Anteil an Narren, Schwärmern, Fanatikern, Mordbuben und Brandstiftern gehabt. Aber ihnen wurde oft genug, als einer Abirrung, entgegengetreten.

Martin Luther als Junker Jörg, Lucas Cranach d. Ä.

Zum Beispiel eben von unserem Luther mit seinen berühmten Invokavitpredigten 1522 zu Wittenberg:

„Ich habe nicht in meiner Hand die Herzen der Menschen, wie der Hafner den Leimen. Wir haben wohl das Recht der Rede, aber nicht das Recht der Vollziehung. Das Wort sollen wir predigen, aber die Folge soll allein in seinem Gefallen sein. So ich nun darein falle, so wird dann aus dem Gezwang oder Gebot ein Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel, aber da ist kein gut Herz, kein Glaube, keine Liebe. Wo diese drei fehlen, ist ein Werk nichts... Also wirkt Gott mit seinem Wort mehr, denn wenn du und ich alle Gewalt auf einen Haufen schmelzen. Also wenn du das Herz hast, so hast du ihn nun gewonnen…

Predigen will ich‘s, sagen will ich‘s, schreiben will ich‘s; aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand, denn der Glaube will willig und ohne Zwang angezogen werden. Nehmt ein Exempel an mir. Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe… also viel getan, daß das Papsttum also schwach geworden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich habe nichts getan, das Wort hat es alles gehandelt und ausgericht. Wenn ich hätte wollen Ungemach fahren, ich wollte Deutschland in ein groß Blutvergießen gebracht haben. Aber was wär es? Ein Verderbnis an Leib und Seele. Ich habe nichts gemacht, ich habe das Wort lassen handeln.“

In seiner vierten Wittenberger Predigt gegen die Schwärmer, am Mittwoch nach dem Sonntage Invocavit, kam Luther auf Dinge zu sprechen, nachdem das Fundament zurückgewonnen war, die ihm ebenso wichtig erschienen. Wir wollen ihn, wenig gekürzt, wieder selbst zu Wort kommen lassen.

Palmyra, 2005

„Und sonderlich von den Bildern hab ich am letzten also geredt, daß man sie solle abthun, wenn sie angebetet; sonst mag man sie wohl leiden. Wiewohl ich wollte, die Bilder wären in der ganzen Welt abgethan, um des leidigen Mißbrauchs willen, welchen Mißbrauch ja niemand leugnen kann. Denn wenn Einer ein Bild in der Kirche setzen läßt, der meinet bald, er thue Gott einen Dienst und Wohlgefallen dran, und habe ein gut Werk gethan, damit er Etwas von Gott wolle verdienen, welches denn recht Abgötterei ist. Dieß ist die größte und vornehmste Ursach, warum die Bilder wären abzuthun.

Aber diese Ursach habt ihr nicht getrieben, sondern gar viel eine geringere; nämlich die, wenn Einer ein Bild hätte, so hielt ers dem gleich, deß das Bild wäre; als, wenn Einer ein Crucifix hätte, der hielte es nicht anders, denn als wäre es Christus, Gott und Mensch selbst, und dergleichen. Das sind gar geringe Ursachen. Denn ich halts dafür, daß Keiner hie sei, der den groben unsinnigen Verstand habe, daß er denke: Dieß Crucifix da ist mein Christus und mein Gott; sondern er halts allein für ein Zeichen, dabei er des Herrn Christi und seines Leidens gedenke. Des andern Mißbrauchs aber ist die Welt voll. Denn wer wollte irgend ein hölzern, schweig denn ein silbern oder goldenes Bild in die Kirche stellen, wenn er nicht gedächte, Gotte einen Dienst dran zu thun...

Hadrianstor, Palmyra, zerstört Oktober 2015

Darum können wir das nicht verdammen, sollens auch nicht so bald verdammen, deß noch irgend ein Mensch wohl kann brauchen; sondern das wäre der rechte Weg gewesen, wie auch vorhin gesagt, daß man gepredigt hätte, daß die Bilder Nichts wären, Gott fragete nichts darnach, man thäte auch Gott keinen Dienst noch Wohlgefallen dran, wenn gleich alle Winkel voll Bilder gemacht wären...

Derhalben müssen wir uns wohl vorsehen, denn der Teufel suchet uns durch seine Apostel aufs allerlistigste und spitzigste: und müssen nicht so bald zufahren, wenn ein Mißbrauch eines Dings vorhanden ist, daß wir dasselbige Ding umreißen oder zunichte machen wollten. Denn wenn wir Alles wollten verwerfen, deß man mißbraucht, was würden wir für ein Spiel zurichten? Es sind viel Leute, die die Sonne, den Mond, und das Gestirn anbeten; wollen wir darum zufahren und die Sterne vom Himmel werfen, die Sonne und den Mond herab stürzen? Ja, wir werden es wohl lassen.

Der Wein und die Weiber bringen Manchen in Jammer und Herzeleid, machen Viele zu Narren und wahnsinnigen Leuten; wollen wir drum den Wein wegschütten, und die Weiber umbringen? Nicht also! Gold und Silber, Geld und Gut stiften viel Böses unter den Leuten: soll man drum Solches alles wegwerfen?

Palmyra,  Baal-Schamin-Tempel,  zerstört  22. August 2015

Nein, wahrlich! Ja, wenn wir unsern nächsten Feind vertreiben wollten, der uns am allerschädlichsten ist, so müßten wir uns selbst vertreiben und tödten. Denn wir haben keinen schädlicheren Feind, denn unser eigen Herz; wie der Prophet Jeremias sagt C. 17., V. 9.: Das menschliche Herz ist krumm; oder, wie ichs deutschen soll, böse und ungerade, das immerdar zur Seiten, hinaus weichet. Lieber, was wollten wir wohl anrichten, wenn wir ihm also thäten? Nichts Gutes wollten wir anrichten, sondern Alles zu unterst und oberst umkehren. Es ist gewißlich der Teufel vorhanden; aber wir sehens nicht. Es muß Einer gar eine gute Kohle haben, wenn man den Teufel will schwarz machen: denn er will auch gerne schön sein, wenn er auf die Kirchmesse geladen wird.

Aber damit kann ich noch nicht allenthalben genugsam erstreiten, daß darum die Bilder nicht sein sollen, oder daß man sie müsse zerbrechen und umreißen. Derhalben müssen wir schließen, und es dabei bleiben lassen, daß die Bilder weder sonst noch so, weder gut noch böse sind; sondern man lasse es frei sein, sie zu haben oder nicht zu haben, allein daß der Glaube oder Wahn davon sei, daß wir mit unserm Bilderstiften Gotte keinen Dienst noch Wohlgefallen thun.

Der Teufel hat euch hie Etwas abgejagt, das er mir nicht hätte nehmen sollen, nämlich, daß wir die Bilder frei sein lassen müssen... Den Trotz hat er erlanget, und ich muß es zugeben; dahin sollt ers noch lange nicht gebracht haben, wäre ich hie gewesen. In dem Hochmuth und Trotz hat er uns ein groß Stück abgejagt; wiewohl es dem Worte Gottes keinen Nachtheil bringet.

Ihr habt den Teufel wollen schwarz machen, habt aber der Kohlen vergessen, und für die Kohlen Kreide ergriffen. Derwegen muß man gar wohl drauf sehen, wenn wir mit dem Teufel fechten wollen, daß wir der Schrift wohl wissen zu gebrauchen...“

Mit anderen Worten, der Mißbrauch einer Sache rechtfertigt nicht ihre Zerstörung. Das ist zwar noch keine Ästhetik, aber eine erste Klärung. Weit genauer, es ist eine Einsicht, nämlich, daß jede Erschaffung eines Gegenstandes von Schönheit Gottes Schöpfung heilt, weil sie sich an ihn erinnert, während deren Zerstörung vom Satan herrührt, wie immer er sich anmalt, der eigentlich nur ein Herr des Nichts ist. Wer ein Ding von Schönheit zerstört, verrät sich als Gefolgsmann Satans.

Palmyra, Theater

Das dazu. Wenn man den Schlaf sucht, findet man ihn nicht, aber wenn man ihn nicht sucht, findet er einen um so eher. Aber das wollen wir dennoch noch sagen, wo wir einiges von ihm gelesen und es uns uns jedesmal war, als würde die Seele ein Stück mehr zusammengeflickt, obwohl der Herr Luther eher harte Reden führt, und das gar nicht hierher gehört. Beim übernächsten Zitat geht es darum, ob man vor der Pest fliehen solle.

„Das ist der Trost, welchen der Herr in dem heutigen Evangelium uns vorhält, daß die Christen, ob sie gleich sterben, nicht tot sind, sondern sie schlafen, und schlafen so leise, daß Christus sie mit einem Finger, ja, mit einem einzigen Wort wecken kann.“

„Herr Gott, ich bin schwach und furchtsam, darum fliehe ich das Übel und tue so viel dazu, wie ich kann, daß ich mich davor hüte. Aber ich bin gleichwohl in deiner Hand, in diesem und allem Übel, die mir begegnen können, dein Wille geschehe. Denn meine Flucht wird’s nicht tun, sintemal allenthalben nichts als Übel und Gefahr ist; denn der Teufel feiert und schläft nicht, welcher ein Mörder von Anfang an ist und allenthalben nichts als Mord und Unglück anzurichten sucht.“

„Wo nun das Sterben hinkommt, da sollen wir, die da bleiben, uns rüsten und trösten, besonders die wir aneinander verbunden sind..., daß wir uns nicht verlassen noch voneinander fliehen können; erstens damit, daß wir gewiß sind, es sei Gottes Strafe, uns zugeschickt, nicht allein um die Sünde zu strafen, sondern auch um unsern Glauben und Liebe zu versuchen. Den Glauben, auf daß wir sehen und erfahren, wie wir uns gegen Gott stellen wollen, die Liebe aber, auf daß man sehe, wie wir uns gegen den Nächsten stellen wollen.“

wird fortgesetzt, 
nachgetragen am 20 Februar 

Montag, 1. Februar 2016

Sloterdijk - Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung

Peter Sloterdijk, hier gefunden

Kriegsflüchtlinge müßten laut Grundgesetz und Genfer Konvention aufgenommen werden. So beginnt das Lügen inzwischen typischerweise. Nein, man darf, aber man muß nicht, das nur nebenbei. Doch, um das noch hinzuzufügen: Wer vom guten Gewissen, vulgo selbstgefälligen Gerechtigkeits-Simulationen lebt, braucht darauf nicht zu achten. Tatsachen stören regelmäßig bei der Wahrheitsauffindung. Oder um jemanden aus einem Lebensabschnitt zu zitieren, dem seine damalige Familie einen Mitschnitt seiner letzten nächtlichen Äußerungen hinhielt: „Ich werde mir das nicht anhören, ich weiß, daß ich das nicht gesagt habe“.

Herr Sloterdijk, der gerade die ziemlich vakante Stellung eines Philosophen in diesem Land einnimmt, hat Menschen erschreckt, Personen, die dachten, er sei doch Fleisch von ihrem Fleisch, aus dem selbigen Stall. Und nun das: „καὶ σὺ τέκνον“ oder „Et tu, Brute?“, wäre wohl angemessen, wenn es der Gegenstand wäre, also eher nicht. Er ist hinübergewandert zur bösen Seite, offensichtlich.

Wie ich darauf komme? An diesem Tag erschrak sich in einer links-bürgerlichen (wir wollen höflich sein) kleinen Berliner Tageszeitung jemand unter der Schlagzeile „Deutsche Denker gegen Angela Merkel“. Inzwischen hat ein Verderber einer noch auflagenstärkeren Tageszeitung nachgelegt, ebenso erschrocken und vor sich hin fabulierend von der „bitteren Wahrheit über den neuen deutschen Hass“.

Mit anderen Worten, die deutsche Mitte drehe gerade durch, aber, das seien immer noch vereinzelte, verbale Entgleisungen, auch Entgrenzungen, die man vor allem vielen derer, die sich jetzt damit hervortun, nicht zugetraut hätte. Die Erklärung:

Die Flüchtlinge hätten es an den Tag gebracht: In dem Volk, das vor etwas mehr als 70 Jahren in zerstörerischer und vernichtender Absicht West- und Osteuropa sowie Russland überfallen habe, sei trotz aller Abwendung vom kriegerischen Geist zumindest ein Rest archaischen, völkischen und selbstmitleidigen Denkens erhalten geblieben.

Jemand fragte zurecht nach dem Erklärungsmuster für die anderen Europäer, die das „deutsche“ Verhalten weit mehrheitlich inzwischen für ziemlich Gaga hielten, aber... (siehe oben).

Ich habe mir inzwischen das Original, sprich den entsprechenden „Cicero“ widerwillig zugelegt (das Netz hilft da nicht viel, die schreiben sowieso nur noch bis in die Wortfolge voneinander ab), hm.

Herr Sloterdijk erzählt einiges, über den Euro, oder den Islam: Der sei geradezu eine Religion des Feldlagers, die permanente Bewegung sei inhärent, und jeder Stillstand müsse als Beginn des Glaubensverfalls beargwöhnt werden. Zudem sei der Islam ein juristisches Konstrukt, das fast ohne Theologie auskomme.

Da fällt mir noch ein anderes Zitat wieder ein, nachdem man einen Anfang in der Hand hatte, der einem das Zurückweichen erklärte, das Unbehagen. Aber darüber werde ich in solchen Zeiten sicher nicht mehr gründlicher nachdenken wollen:

Frage: „Sie schreiben, dass das Ornament in der islamischen Kunst durch seine fortlaufende, gleichmäßige, endlos anmutende Struktur Gottes Unendlichkeit versinnbildliche.“

Kermani antwortet: „Ja, das Ornament füllt nicht die Leere, sondern bringt sie zum Ausdruck und damit die Gestaltlosigkeit Gottes.“ Die Monotonie der Leere also ist das Wesen der islamischen Kunst? Das fügt sich zur Abwesenheit der Theologie, die oben erwähnt wurde, eine Religion des Abwesenheit. Nun, wir wollen all das hinter uns lassen.

Zurück zum Ausgangspunkt unseres kleinen Exkurses: Die Diskussion um die Flüchtlingspolitik werde militanter. Einige von denen, die sich jetzt zu Wort meldeten, hätten schon den Stahlhelm aufgesetzt. Stacheldraht ersetze die Argumentation. Metaphern würden entsichert. Mein Jott.

Die postmodernisierte Gesellschaft, so Sloterdijk dem „Cicero“ u.a., existiere in einem „surrealen Modus von Grenzenvergessenheit“. Sie genieße ihr Dasein in einer Kultur der dünnwandigen Container. An die Stelle starkwandiger Grenzen seien schmale Membranen getreten, die jetzt überlaufen würden. Die deutsche Regierung habe sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.

Ach, jetzt müssen wir doch einmal aus einem der beiden Schlicht-Artikel zitieren: Eine starkwandige Grenze, könne man ergänzen, habe beispielsweise die DDR besessen. Der Denker wundere sich über die Naivität der Deutschen: „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei nur dazu da, um sie zu überschreiten.“ Genau darauf, auf der Überzeugung, daß Grenzen überwunden werden könnten, basiere die EU. Auch die liberale Marktwirtschaft brauche offene Grenzen. Sonst ließe sich kein Auto mehr zusammenbauen.

Herr, wirf Hirn vom Himmel, möchte man ausrufen. Gibt es noch ein Denken außerhalb von 0 und 1? Also geschlossene Grenzen versus offene Grenzen? Vollständig offene Grenzen sind keine mehr, durchlässige, aber beherrschte schon. Eine Zelle ohne intakte Grenzen steht direkt vor dem Zelltod, ist das so schwer zu verstehen? Außerdem galt das Versprechen für die weitgehende Offenhaltung der Grenzen nur für den europäischen Raum (grob gesprochen), was ja auch wunderbar funktioniert hat.

Wären wir auch in der Stimmung, selbstgerecht zu sein, so müßten wir sagen, das Linke lebt doch geradezu von der Verstörtheit der Gefühle und der Betäubung der Vernunft, setzt Selbstgerechtigkeit für Gewissen etc. etc. Aber wozu das? Die Wirklichkeit fängt gerade an, wirklich verstörend zu werden. Welchen der offenen Fäden nehmen wir also auf?

Die Verhältnisse fangen wieder an zu tanzen (das klingt so abgeschmackt, wie es tatsächlich ist). Muß man das mögen, nein, man muß gar nichts. Und es wird nicht angenehm sein. Einige der verbliebenen deutschen Stardenker wechseln also gerade die Seiten. Schon im Dezember habe Rüdiger Safranski der „Kanzlerin“ (also Frau M.) eine Staatsrechtslektion erteilt: Zu einem souveränen Staat gehöre, dass er seine Grenzen kontrolliere. Wenn eine Staatschefin wie Angela Merkel sage: „Wir können die Grenzen nicht mehr kontrollieren“, reihe man sich ein unter die zerfallenden Staaten, wie jene in Afrika.“

Das sagen so oder ähnlich inzwischen viele. Es dürfte selten so eine Nichtübereinstimmung zwischen der öffentlich vorgetragenen Moral und der persönlich wahrgenommenen geben in diesem Beritt wie vielleicht seit 1988 nicht mehr. Anderen wird es anders gehen, aber für mich ist das längst zu einem absurden Theater geworden (die Metapher ist unzureichend), wo man an seinem Wirklichkeitssinn irre zu werden beginnt. Ich agitiere folglich nicht, ich beobachte.

Aber mit diesen 2 wirklich originellen Zitaten muß ich einfach enden: Das Wort „Lügenpresse“ setze mehr Harmlosigkeit voraus, als es in diesem Metier gäbe. „Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr“. Die angestellten Meinungsäußerer würden für das Sich-Gehen-Lassen bezahlt und nähmen den Job an.

Und: „Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.“

nachgetragen am 6. Februar

Dienstag, 27. Oktober 2015

Navid Kermani II


Die Bäume regnen ihre Blätter herab, seit Stunden, wie in einem ewigen Moment. Das ist auch Gnade, dem zuschauen zu dürfen. Schönheit ist Gnade. Wo bleiben die betroffen machenden Bilder? So mag mancher ausrufen. Nun ich passe gerade etwas obsessiv auf die Couch auf, deshalb lege ich mich auch länger drauf, denn das muß erst einmal jemand wegtragen können. Solches schränkt die Bildmotive ein, und den Großherzog hatten wir ja gerade.


Navid Kermanis „Ungläubigen Staunen“ über das Christentum kommt mir weit weniger entgegen, als ich erwartet hatte, ich weiß nicht warum. Ich versuche es gerade zu lesen. Da bietet sich dann für heute doch noch ein Rekurs zu seiner Friedenspreisrede in Frankfurt a. M. an. Die Reaktionen waren bemerkenswert. Ich fand sie teilweise an Orten, von denen ich gar nicht wußte, daß es sie gibt. So leistet sich offenbar diese Regierung ein Internetportal für einen moderaten Islam (da muß man erst ins Impressum gehen, um sich dessen bewußt zu werden), und liest dort zu o.g. Rede unter der Überschrift „Den Islam aus den Klauen der Fanatiker befreien“ zum Schluß:

„In der Paulskirche, die heute gar nicht mehr wie eine Kirche aussieht, sondern eher wie ein Amphitheater, hat Navid Kermani uns und alle(n), die ein offenes Herz dafür haben, eine Katharsis, eine Läuterung und Waschung der Herzen geschenkt, von der wir erst in dem historischen Moment, in dem wir sie empfangen haben, erkannten, wie furchtbar lange... sie uns vorenthalten worden war.“

Auch schön gesagt. Manche rangen sich zu einer betretenen Würdigung auf, andere fühlten sich unanständig angefaßt. Aber wir wollen hier ja keine Presseschau veranstalten. Herr  Knipphals von der taz, Literaturredakteur, und die Frauenrechtlerin Kelek in der Welt geben einen guten Eindruck, was die Rede alles so aufzurühren vermochte. Das muß genügen.

Diese Rede ist eine gute Lektion darüber, wie unterschiedlich eine gehörte und eine gelesene zu wirken vermag. Ich mutmaße, daß in der gehörten einfach so viel mehr mitschwingt, und das erzeugt dann wohl mitunter eine Resonanz, von der der Betroffene später gar nicht mehr recht weiß, wie sie zustande kam.

Zum irrsinnigen Syrienkrieg, der Arabellion, politischen Optionen, der Liebe von Mönchen zum Islam, dazu, und zu anderem, werde ich jetzt nichts sagen. Aber ich will einen Moment des Entsetzens verraten, der mich während der Rede befiel:

Er beschreibt, man hätte annehmen können, daß wenigstens die religiösen Fundamentalisten die eigene Kultur wertschätzen. Nein, sie taten das Gegenteil: Indem sie zu den „Uranfängen“ zurückkehren wollten, zerstörten sie das Eigene:

„Wir wundern uns nur deshalb über den Bildersturm des 'Islamischen Staates', weil wir nicht mitbekommen haben, dass in Saudi-Arabien praktisch überhaupt keine Altertümer mehr stehen. In Mekka haben die Wahhabiten die Gräber und Moscheen der engsten Prophetenangehörigen, ja selbst das Geburtshaus des Propheten zerstört. Die historische Moschee des Propheten in Medina wurde durch einen gigantischen Neubau ersetzt, und wo bis vor wenigen Jahren noch das Haus stand, in dem Mohammed mit seiner Frau Khadija wohnte, steht heute ein öffentliches Klo.“

Nein, ich bin kein heimlicher Liebhaber des Islams, tut mir leid, aber da war ich fassungslos. Über diesen Abgrund an Zerstörung, die Verachtung der Tradition, die religiöse Leere. Wir Christen sind durch Schwarmgeister, Puritaner und verwandten Unrat auch in der Vergangenheit gestraft worden. Aber das! Und so habe ich seine Rede dann auch verstanden.

Dagegen war die Klage des Quintus Aurelius Symmachus, nein, kein laues Lüftchen, aber man ahnt Dinge und Muster. Und spürt als lebendiges Wesen den Verlust und das Ungeheuerliche. Herr Kermani beschrieb den Untergang seiner Kultur, der gerade stattfindet. Und offen gestanden war es das, was mich mit Wucht getroffen hat.

„Nichts, absolut nichts findet sich innerhalb der religiösen Kultur des modernen Islams, das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stieß. Und da spreche ich noch gar nicht von der islamischen Architektur, der islamischen Kunst, der islamischen Musikwissenschaft – es gibt sie nicht mehr.“

„Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion.“

Und auf einmal spürt man, wie hinter den Tagesparolen und -trügereien eine ganz andere Wirklichkeit katastrophischen Ausmaßes stattfindet. Der Islam verendet gerade, erfahre ich, und wünsche doch das Gegenteil. Denn zu meiner Überraschung entsetzt mich die Evidenz dieser Beobachtung. Was könnte man dann noch außer Beten? Diese Rede von Herrn Kermani war ein bestürzender Wirklichkeitseinbruch.

Und jetzt kehre ich zu seinem Buch zurück und ärgere mich weiter, was dabei aber doch für ein Vergnügen angesichts des Vorigen.


nachgetragen am 29. Oktober

Montag, 26. Oktober 2015

Navid Kermani I


Ich will schon so lange noch einmal etwas Wohlwollendes (ja, ich habe den herablassenden Tonfall auch bemerkt) über Herrn Kermani schreiben, aber irgendwie entwischt der einem immer. Kürzlich hatte ich mich sehr amüsiert:

Wir beginnen also in den Niederungen. Dieses (west)-deutsche Kirchentags-Christentum illustriert sich bekanntlich perfekt in einem Magazin, welches sich die EKD leistet, der Schrumpfform des vormaligen Deutsches Allgemeinen Sonntagsblatts, namens „chrismon“. Das fällt einem aus den „großen“ Tageszeitungen entgegen, die ich inzwischen auch nur noch sehr sporadisch zu lesen vermag. Und da hatte doch Herr Kermani eben dieses Magazin, in einem Nebensatz, ohne Namensnennung, erledigt.

„Dieses protestantische Christentum, das ich auf einem Forum des Kirchentags höre oder das mir in der evangelischen Beilage der Zeitung begegnet, mag ja sympathisch sein, aber es lässt mich kalt. Es kommt mir oft wie eine Doppelung dessen vor, was uns der gesunde Menschenverstand ohnehin sagt. Den Menschen dort abholen, wo er ist, heißt es dann – ein grauslicher, anbiedernder Gedanke, der zu einer ästhetischen Verarmung und auch theologischen Verharmlosung sondergleichen geführt hat.“

Der Chefredakteur war verstört und beleidigt, wie man hier sehen kann, er wußte aber offenkundig nicht genau, warum. Die gefühlte Milieu-Nähe trog wohl doch ein wenig. Den Satz des Anstoßes brachten wir schon. In seiner Rechtfertigung schreibt Herr B. „Religion als sinnliche Erfahrung, die nur dann funktioniert, wenn sie geheimnisvoll, weltfern, mystisch bleibt.“

Und nachdem er Luther als „Volk aufs Maul Schauer“ belobhudelte, erfreute er sich an Prominten-Prolls, nein, nicht den Geißens, sondern an T. S. „'Sie gehen mir auf den Sack!' Wie Til Schweiger CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in einem TV-Talk anraunzte, würden wir Navid Kermani nie entgegnen. Martin Luther, da sind wir sicher, hätte die Reaktion des Schauspielers schenkelklopfend erfreut: Grober Keil auf groben Klotz!“.

Und damit ist zu dem Herrn auch alles Notwendige gesagt, von ihm selbst. Aber das Aufjaulen ist schon verräterisch und kenntlich Machend. Wir wollen das fortsetzen, hoffentlich sind bis morgen aus seinem "Ungläubigen Staunen" die Lösungsmittel entwichen, die mir das Lesen unmöglich machten. Erinnert mich an einen lieben Pastor, der viele kluge Bücher besaß, von denen einige zu mir gewandert sind. Aber leider war er ein starker Raucher...

Danach bekam er (Herr K.) dann den Friedenspreis in Frankfurt/ M., das habe ich mir vollständig angehört, und das Wasser schoß mir zum Schluß in die Augen, aber das ist ja nun auch keine sinnvolle Aussage.

wird fortgesetzt

Dienstag, 25. August 2015

Religionen sind Ausdruck des menschlichen Umgangs mit der Wirklichkeit Gottes - Navid Kermani

St Andrews Cathedral Ruins from the Front

Zwischen diesen Nachrichten von Tempelsprengungen, man darf das gern absurd finden, wenn ich glaube, sie jedes Mal zu spüren, ein verblüffendes Interview mit Navid Kermani. Das hat zum einen meinen festen Groll gegen den Islam gemildert (das trifft es nicht) angesichts der Menschen, die darin aufgewachsen sind. Er hat mir aber vor allem, hoffe ich, einen Schlüssel an die Hand gegeben (nach dem ich lange gesucht habe), wie man diesen Abschaum (und zugleich anderen, der meinte St. Andrews oder Cluny zerstören zu dürfen, der gerechte Gott wird beider Verworfenheit strafen am Ende der Zeiten) weise verachtet und zugleich fromm zu erklären vermag, warum.

„Sie (die Wahhabiten) zerstören… nicht nur die Gräber der Heiligen, verbieten... nicht nur die mystischen Formen der Religion, sondern überhaupt die traditionelle Kultur und Architektur. Sie haben nicht den geringsten Respekt vor der Vergangenheit, weder als ästhetisches Gefüge, noch für die klassische islamische Gelehrsamkeit, und schon gar nicht für die Volksfrömmigkeit.“ Man denkt, er spräche von Maoisten und Anverwandten.

„Ich glaube, es gibt zwei Dimensionen, wo sie (die Religion) etwas Elementares zum Leben beizutragen hat: die ethische Dimension und eben die ästhetische. Aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit tun religiöse Menschen Dinge, die 'man' normalerweise nicht erwarten würde... Also, die Liebe, das ist das eine, das Beispiel der Nächstenliebe, wenn es in den Religionen gelebt wird. Und das andere ist eben der ästhetische Reichtum der Religion.“

Das deutet nur die Richtung an, und ich forsche eben gerade sehr nach Begriffen, die die dahinter auffindbare Wahrheit begreifbar machen. Das „Ästhetische“ klingt einfach nicht wesentlich genug, wo es das doch so sehr ist. Aber wahrscheinlich werde ich eher gleich einschlafen, darum zuvor dies. Ach, einen Nachtrag gibt's auch, und hier endlich das Gespräch.

St. Andrews, Ruine der Kathedrale und Friedhof

Freitag, 12. September 2008

Geschichten, die nicht vergessen werden sollten

Geschichten oder Geschichte, das klingt nicht von ungefähr sehr verwandt.

Am 12. September 1683 endete eine Geschichte, die Belagerung Wiens durch die Türken, und zwar für das Osmanische Reich eher unerfreulich. Das Kuriose ist, während die Kreuzzüge oder sogar die Reconquista durchaus durch das allgemeine Bewußtsein wabern, wird dieser Teil der Geschichte auffallend gern verdrängt.

Da trifft es sich, an diesem gleichen Tag an eine Vorlesung zu erinnern, die Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 an der Universität Regensburg hielt und in der er „berüchtigterweise“ Kaiser Manuel II. Palaiologos zitierte:

„ ‚Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten‘. Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. ‚Gott hat kein Gefallen am Blut‘, sagt er, ‚und nicht vernunftgemäß, nicht σὺν λόγω zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider‘. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung... Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann.“


Nachtrag

Wie mich der andere Leser dieses Blogs gerade aufklärte, (außer mir meine ich, nun gut, vielleicht sind es doch noch ein paar mehr, ich will niemanden unnütz verärgern), also wie mir Herr Roloff gerade mitteilte, gibt es 2 Dinge, die im Zusammenhang dieses Ereignisses noch unbedingt erwähnt werden sollten.

Zum ersten hielt 300 Jahre später, am 13. September 1983, Papst Johannes Paul II. in Wien eine Ansprache zum Gedenken an die Schlacht auf dem Kahlenberg, die hier aufzufinden ist.

Zum anderen erinnerte Johannes Paul II. bei dieser Gelegenheit natürlich daran, daß die Feier des Festes Mariä Namen mit diesem Datum verbunden ist.