Freitag, 10. Juli 2009

Über Calvin, Taliban und die Ambivalenz der Heiligen



Was mich an Calvin am meisten abstößt, ist sein Lebenswandel. Ich muß das mit einem heiklen Selbstzitat erläutern. Als ich vor einiger Zeit einmal etwas über meinen Namenspatron, den Hl. Martin schrieb, kam ich nicht um folgende Bemerkung herum: „Was mir allerdings, wie ich zugeben muß, ein wenig säuerlich aufstieß, als ich eben etwas in der „Legenda aurea“ herumlas, war, daß ihm besonders nachgerühmt wurde, wie viele alte heidnische Tempel er hätte zerstören können. Denn ich empfinde doch gut fundierte Feindschaft gegen jeglichen talibanesisch-asketischen Irrsinn.“ Calvin war sehr asketisch.Er würde wunderbar in so manche Heiligenlegende passen, dabei war er einer derjenigen, die die Reformation Luthers reformieren wollten.

Johannes Calvin oder Jean Cauvin wurde am 10. Juli 1509 geboren, das sind, wie leicht feststellbar, 500 Jahre, eigentlich mochte ich, eingefleischter vorgestriger Lutheraner, der ich nun einmal bin, nichts über ihn schreiben, aber ich war darüber so unsicher, daß ein einziger Anstoß genügte, und jetzt sitze ich da mit diesem Namen. Wenn mich jemand fragen würde, wem lutherisch geprägtes Christentum näher ist, der katholischen Kirche oder dem reformierten Bekenntnis, würde ich keine Sekunde zögern, der katholischen Kirche natürlich.

Das Asketische ist eine merkwürdige Strömung auch im Christlichen, das die katholische Kirche immer irgendwie zu beherrschen vermochte, sein Konzept: Gottesnähe durch Lebensfeindlichkeit, also Tanzen verbieten, Bilder zerstören, aufreizende Freuden ersticken und Macht absorbieren, am besten tödliche Macht. Seine Selbstverleugnung wirkt meist bestechend demütig, die scheinheilige Bescheidenheit der Frommen, das Gegenteil der Demut. Um das zu verstehen muß man sich nur den Lebenswandel unseres Herrn anschauen, der Wasser zu Wein verwandelte und mit Sündern lebhaften Umgang hatte, sollte er dabei nicht irgendwann wenigstens etwas angetrunken gewesen sein.

Ich sage nicht, daß Calvin genauso wie diese Asketen oder nur so war, der "Taliban aus Genf", im Grunde weiß ich viel zu wenig von ihm. Aber wenn mir eines wichtig ist, dann nuancierte Kultur, Geist, Farbenfreude, Reichtum von Formen, von Vergnügungen, von Musik, von Gestalten, von Überlieferungen, imponierende Standbilder, tausendfache Schattierungen von Gefühlen. Wer aber Tanzen als "Einladung an den Teufel" verbietet und junge Menschen für die Übertretung dieses Verbots bestrafen läßt, kann mein Freund nicht sein.

Diese Art von Askese ist dann nur eines, der Feind. Andere haben diese Feindschaft angenommen und sehr intensiv ausgelebt, Stefan Zweig zum Beispiel in seinem "Castellio gegen Calvin", man möge Näheres dazu hier nachlesen.

Die erste Hürde bei einer Annäherung an Calvin wäre also seine Person selbst. Dazu kommt die reformierte Theologie, die alles auf das zurückschneiden will, was in der Bibel belegbar ist oder zumindest ihr als solches erscheint. Ich gestehe, daß da jetzt einiges durcheinandergeht, wenn ich Calvin mit reformierter Theologie in eins setze. Aber diese Vergröberungen kann ich im Moment nicht ersparen.

Es gibt ein hübsches Büchlein aus dem 19. Jahrhundert: „Unterscheidungslehren“ von Karl Graul und da man im 19. Jahrhundert in vielem noch nicht recht zimperlich war, wenn es darum ging, das Eigene auszusprechen, wollen wir ihn zu Wort kommen lassen, wo er die Dinge lutherisch kernig in seiner Weise zurechtgerückt hat.

Über das Bilderverbot etwa: „Das Wort ist auch ein Bild, nämlich ein hörbares; dagegen ist das Bild auch ein Wort, nämlich ein sichtbares, und also keineswegs etwas Stummes (am allerwenigsten „ein stummer Götze“); jenes macht einen mehr deutlichen, dieses einen mehr lebendigen Eindruck.“

Bei der doppelten Prädestinationslehre gerät er so richtig in Fahrt, ich hoffe, daß meine Bildauszüge lesbar bleiben:


Von MartininBroda

Von MartininBroda

Von MartininBroda

Von MartininBroda

Von MartininBroda

Damit wäre dann die doppelte Prädestination durch. In der Leuenberger Konkordie übrigens, mit der im vorigen Jahrhundert lutherische und reformierte Kirchen ihren Frieden geschlossen hatten, heißt es dazu:

„Der Glaube macht zwar die Erfahrung, daß die Heilsbotschaft nicht von allen angenommen wird, er achtet jedoch das Geheimnis von Gottes Wirken. Er bezeugt zugleich den Ernst menschlicher Entscheidung wie die Realität des universalen Heilswillens Gottes. Das Christuszeugnis der Schrift verwehrt uns, einen ewigen Ratschluß Gottes zur definitiven Verwerfung gewisser Personen oder eines Volkes anzunehmen.“

Ich bezweifle ernsthaft, daß Calvin, dem zugestimmt hätte.

Der Gerechtigkeit halber (und angesichts meines stark ermüdeten Gemüts) muß ich kurz zwei Dinge anfügen. Calvin vertritt ein quasi rationalisiertes und dadurch auch sehr erfolgreiches Christentum, frei von symbolhaften Verwirrungen, er ist modern, wofür immer das gut sein mag.

Und, um es Menschen zu erleichtern, ein anderes Urteil als meines zu gewinnen, schulde ich noch ein paar Links zu Seiten, deren Autoren ihm offenkundig deutlich näher sind als ich es bin:

calvin.efb.ch,

www.johannes-calvin.ch,

an Louis Richebourg, (1540), Zum Tode des Sohnes eines Freundes,

Brief an Farel. Straßburg, 21. Oktober 1540.

7 Kommentare:

Mr. Urs hat gesagt…

Hier in Zürich gab es ja auch so lustfeindliche Neigungen. Ein wichtiges Symbol ist aber gefallen, als im Jahre 2000 das Tanzverbot aufgehoben wurde. Das Tanzverbot verhinderte auch Konzerte und Filmvorführungen an religiösen Feiertagen. Nach dessen Aufhebung verbrachte ich dann die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 2000 auf der Tanzfläche, um das Fest der Freude auch mit Freude zu zelebrieren.

MartininBroda hat gesagt…

Ich habe mich an dem Ding ziemlich abgemüht, wie du sehen kannst, darum ist der freundliche Part dann auch so kurz geblieben, und in den heutigen Tagen ist sowieso vieles nivelliert. Aber das ist bei mir wirklich ein empfindlicher Punkt, wo Religion kulturfeindlich wird (weil da im Hintergrund die völlige Abwertung des Diesseitigen und noch anderes steht), man kommt sich nur eher unwohl dabei vor, wenn man weiß, daß andere in diesen teilweise kritisch beäugten Traditionen aufgewachsen sind und man natürlich zuspitzen muß, wenn man klar bleiben will.

Mr. Urs hat gesagt…

Wie an einer anderen Stelle kürzlich bemerkt, ist die Decke der Zivilisation recht dünn. Wenn man die Kultur davon wegschabt, wird sie wohl nur noch dünner. Ich bin dir darum dankbar für deinen Einsatz für die Kultur in dieser Ecke des Internets.

Ich war mit Toño an der Escalade de Genève und da trieb es uns auch in die Kathedrale (um die Glocken zu bewundern). Der mexikanische Katholik fühlte sich völlig unwohl im kahlen und kalten Kirchenraum. Er hatte keine Ahnung wie er hier mit Gott in Kontakt kommen sollte.

MartininBroda hat gesagt…

Erstens Danke für die Blumen, und dann ja eben, "kahl und kalt", das scheint im Kern übrigzubleiben, da hängt es dann völlig am einzelnen Menschen, der in diesem lebt, das wieder zu ändern. Und das ganze Unterstützungsszenario fehlt. So jetzt werde ich versuchen, auf dem Fahrrad ein paar Gramm abzustrampeln, bevor ich was über den Hl. Benedikt schreibe.

MartininBroda hat gesagt…

Ach und übrigens Glocken, bekanntlich gab es damals Überlegungen, die auch wegzuschaffen, weil sie nicht im Neuen Testament stehen, und das Hohelied aus dem Alten Testament zu werfen, wegen seines verderblichen Inhalts.

Pilgrim hat gesagt…

And then tere was the Taliban of Prague, who fortunately was autodaféed at the Concile in Constance. You forgot him, name was Hus. :-) Propz Pilgrim

MartininBroda hat gesagt…

Oh Pilgrim, that’s almost funny, but not exactly the point, there will always be people who want to reform the church, the question is, in which direction. I should obviously make clearer, that of course, Calvin is not the Taliban of Geneva for me, unfortunately there are some similarities but not in general of course, there is a certain danger in ascetic movements, that’s all I wanted to say.