Montag, 19. Oktober 2009

Post zur Nacht



Eigentlich wollte ich mich heute nüchtern über ein historisches Thema ergehen, angeregt von einer Fernsehsendung letzte Nacht, ja selbst das kommt vor, selten allerdings, und wahrscheinlich bin ich dann einer von 500 Menschen, die so etwas sehen, aber Herr Kluge wird warten müssen.

Ich bin an diesem Tag über ein paar Nachrichten von Menschen gestolpert, die u.a. dies hier lesen, und da selbst mir mitunter die Worte ausgehen, wollte ich dann doch lieber etwas Versöhnliches zur Nacht zusammenstellen, es wird nicht ganz leicht sein, dabei nicht ins Seichte abzugleiten, wir wollen es versuchen und mit Rilke beginnen.



Rainer Maria Rilke

Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.

Aus: Das Buch der Bilder



Und noch einmal Rilke. Die Tagesbilder sind übrigens von heute und hier.



Rainer Maria Rilke

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?
Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bang
und greife scheu nach seiner Rosen Röte -
und ahne eine Angst in seiner Flöte
vor Tagen, welche liedlos sind und lang.

Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinen Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.

Aus: Die frühen Gedichte (Gebet der Mädchen zur Maria)



Und ein letztes Mal Rilke, nein, enden wollen wir mit ihm heute nicht, das wäre dann am Ende wohl doch zuviel Ungewißheit und Versprechen zur Nacht.



Rainer Maria Rilke

Du mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

Aus: Frühe Gedichte



Ich war noch etwas von Kathleen Ferrier schuldig, ich denke das wäre hier dafür ein recht passender Ort. Hat es doch etwas von einem Nachtgesang an sich, denn sie singt: "Ich bin der Welt abhanden gekommen" von Gustav Mahler. Die Nacht hat viele Winkel und Spalten, und so sehr es freuen wird, wenn sie etwas von dem bereithält, was Rilke verspricht, oft wird es eher das sein, was Mahler ausspricht.



Und ich, und für wen sonst sollte ich denn sprechen, finde letztlich, nicht immer, aber zum Glück oft genug, Halt und Besänftigung dann am Ende nur in Worten wie den folgenden, ein Sterbelied auf den ersten Blick, für mich aber jedoch nicht.


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