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Wenn man leichthin über ihn schreiben wollte, könnte man sagen, er ist derjenige, der die Erbsünde erfunden hat.
„Du hast uns geschaffen auf Dich hin, und ruhelos ist unser Herz als bis es ruhet in Dir.“Confessiones I,1
Aber warum sollte man das wollen. Er ist wie ein Berg, an dem man entlangläuft, um irgendwie ein perfektes Bild zu bekommen, aber mit jedem Schritt ändert sich das Bild, überragend bleibt es immer. Das hat etwas Einschüchterndes, aber nur solange, bis man beginnt, ihn zu lesen, dann stellt sich eine überraschende Vertrautheit ein, meistens.
„Kehre zu dir selbst zurück; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du entdeckst, daß deine Natur wandelbar ist, gehe über dich selbst hinaus.“De vera religione 39,72
Um das Biographische nur kurz anzudeuten (es läßt sich besser
hier und
hier nachlesen,
dies mag auch nützlich sein):
Geboren wurde er am 13. November 354 in Thagaste (heute Souk-Ahras in Algerien) als Sohn des Patricius (ein Heide) und der Monica (eine energische Christin). 370 beginnt er in Karthago zu studieren, seine Konkubine gebiert 372 einen Sohn, Adeodatus. Durch die Lektüre des Hortensius von Cicero begeistert er sich für die Philosophie, die Bibel befriedigt ihn wenig, 373 schließt er sich den Manichäern an, 383 wendet er sich von diesen wieder ab. Ab 375 Lehrer für Rhetorik in Thagaste, zieht er 383 nach Rom und wird 384 als Rhetorikprofessor an die kaiserliche Residenz nach Mailand berufen. Im August 386 hat er ein Bekehrungserlebnis und läßt sich in der Osternacht des folgenden Jahres taufen. Nach Monicas Tod kehrt er 388 nach Thagaste zurück, wo 389 sein Sohn stirbt. 391 empfängt er die Priesterweihe und wird 396 Bischof von Hippo Regius. Am 28. August 430 stirbt Augustinus in der von den Vandalen belagerten Stadt.
„Denn obwohl es mir nicht darum zu tun war zu lernen, was er sprach, sondern nur zu hören, wie er sprach - denn nur diese eitle Sorge war nur geblieben, mir, der ich daran verzweifelte, daß den Menschen überhaupt ein Weg zu dir offenstehe -, kam doch in meine Seele zugleich mit den Worten, die ich gern hörte, noch der Inhalt, den ich geringschätzte, denn ich konnte beides nicht voneinander trennen.“Confessiones V,14
Vom Bischof Ambrosius spricht er hier, dessen rhetorische Fähigkeiten ihn faszinierten und die ihn sich dem Christentum wieder annähern ließen. Augustinus hatte neben einem scharfen Verstand einen starken Sinn für Schönheit. Und doch schreibt er über sie:
„Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich dich geliebt! Und siehe, du watest im Innern, und ich war draußen und suchte dich dort; und ich, mißgestaltet, verlor mich leidenschaftlich in die schönen Gestalten, welche du geschaffen. Mit mir warst du und ich war nicht mit dir. Die Außenwelt hielt mich lange von dir fern, und wenn diese nicht in dir gewesen wäre, so wäre sie überhaupt nicht gewesen. Du riefest und schriest und brachst meine Taubheit. Du schillertest, glänztest und schlugst meine Blindheit in die Flucht. Du wehtest und ich schöpfte Atem und atme zu dir auf Ich kostete dich und hungre und dürste. Du berührtest mich und ich entbrannte in deinem Frieden.“Confessiones X,27
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Für solche Sätze hat man ihm vorgeworfen, den Platonismus ins Christentum getragen zu haben. Man könnte aber auch sagen, er hat dem christlichen Denken etwas den Staub der Straße aus den Kleidern geklopft, nicht als erster übrigens, aber sicher als Erfolgreichster. Bei Augustinus hat man bei aller überragenden Größe das Gefühl mit einem Zeitgenossen zu sprechen, jemand, um es etwas hölzern zu sagen, der die gleiche psychologische Konstitution wie wir hat, die gleichen Interessen, Versuchungen, Abwege. Mit dem man sich etwa bei einer Tasse Tee über esoterische Verirrungen unterhalten könnte.
"So geriet ich denn in die Gesellschaft von Menschen voll wahnsinniger Überhebung, allzu irdisch gesinnt und geschwätzig, in deren Munde Schlingen des Teufels waren und ein Vogelleim, bereitet aus einer Mischung toter Buchstaben deines Namens und des Herrn Jesu Christi und unseres Trösters, des heiligen Geistes. Diese Namen wichen nicht von ihren Lippen; aber es war nur leerer Schall und Wortgeklingel, und ihr Herz war ohne die Wahrheit. Und doch war 'Wahrheit' und immer wieder Wahrheit ihr Losungswort und viel sprachen sie nur von ihr, aber Wahrheit war nicht in ihnen." Confessiones III,6
Er war jemand, dessen Nähe andere suchten und der Nähe stiftete, der zur Freundschaft fähig war, ein uneitler Heiliger vermutlich. Und so war sein Glaube. Für Augustinus gehört der Glaube ins Innerste des Menschen, Glaube ist keine Unterwerfung unter ein äußeres Machtverhältnis, sondern „homo desiderium dei.“ – „Der Mensch ist die Sehnsucht nach Gott" oder „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes", es läßt sich in beiden Richtungen übersetzen und beides ist wahr.
Darum hat er wie wohl kein anderer seit Paulus auf die Gnade Gottes verwiesen, Gnade als Caritas (Römer 5,5 „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist.“), und Caritas bedeutet für ihn auch Wille zur Wahrheit und zum rechten und helfenden Handeln.
Und jetzt landen wir doch noch bei der Erbsünde. Eine der heftigsten Auseinandersetzungen, und er konnte ein erbitterter Gegner sein, hatte er mit Pelagius und seinen Anhängern. Kurz gesagt, war Pelagius der Auffassung, daß der Sündenfall zwar ein Makel für die menschliche Natur sei, aber mehr als ein schlechtes Vorbild. Grundsätzlich sei die Sünde überwindbar und daher solle und könne ein Christ ein sündloses Leben anstreben.
In der „Confessio Augustana“, dem „Augsburgischen Bekenntnis“ von 1530 heißt es dazu:
"Der 2. Artikel
Von der Erbsünde
Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle Menschen, die natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden, das ist, daß sie alle von Mutterleibe an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur aus keine wahre Gottesfurcht und keinen wahren Glauben an Gott haben können:
daß auch dieselbe angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftig Sünde sei, und alle die unter den ewigen Zorn Gottes verdamme, die nicht durch die Taufe und den heiligen Geist neu geboren werden.
Daneben werden verworfen die Pelagianer und andere, die die Erbsünde nicht für Sünde halten, damit sie die Natur fromm machen durch natürliche Kräfte, zu Schmach dem Leiden und Verdienst Christi.“Exakt genauso hat es Augustinus gesehen:
„Sie nennen die menschliche Natur frei, um keinen Befreier suchen zu müssen. Sie erklären sie für Heil, um den Heiland als überflüssig zu bezeichnen. Sie behaupten, die menschliche Natur sei so stark, daß sie vermöge der von Anfang an bei ihrer Schöpfung empfangenen Kräfte ohne Hilfe des Schöpfers durch den freien Willen alle Begierden bändigen und austilgen und deren Versuchungen überwinden könne.“Brief177,1
Er wirft den Pelagianern, die energisch widersprochen haben werden, damit vor, sie würden sich mit ihrer Lehre der Gnade Gottes entgegenstellen und der Hybris menschlicher Selbstermächtgung verfallen. Man könne ohne die Hilfe Gottes aber nicht zum eigentlichen Leben finden. Es ging ihm also nicht darum, das menschliche Gemüt zu knechten, sondern er wollte es schützen und ihm helfen. Also keine so abgelegene oder lange überholte Angelegenheit.
Eine der zahlreichen Legenden über Augustinus erzählt, er sei am Ufer des Meeres entlanggehend aus seinem Nachdenken durch einen kleinen Jungen aufgeschreckt worden, der mit einem Löffel Wasser aus dem Meer schöpfte und es in eine Sandgrube goß. Als er ihn fragte, was er da tue, antwortete der: "Dasselbe, was du tust! Du willst die Unergründlichkeit Gottes mit deinen Gedanken aussschöpfen - ich versuche, das Meer auszuschöpfen!" Ein wenig ist es so mit ihm selbst.
Wohl einer der Gründe, warum dieser Beitrag so lange gedauert hat und nicht schon vergangenen Freitag hier stand. Aber wenn selbst
Papst Johannes Paul II. feststellt -
„Es ist schwer, sich einen Weg durch das Meer des augustinischen Denkens zu bahnen; noch schwieriger aber – wenn nicht überhaupt unmöglich – ist es, dieses Denken kurz zusammenzufassen.“
- dann ist das wohl nicht so ungewöhnlich.