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Dienstag, 17. Juli 2018

Zum Gedenken an Nikolaus II. von Rußland

Nikolaus II. mit seiner Gattin Alexandra
und den fünf gemeinsamen Kindern (1913), hier gefunden

Manchmal wird ein ganzes Leben aus seinem Tod gerechtfertigt. Heute ist der Gedenktag des Heiligen der russisch-orthodoxen Kirche Nikolaus II. von Rußland und seiner Familie. In der Nacht auf den 17. Juli 1918 wurden sie mit ihren letzten Getreuen im Keller des Ipatjew-Hauses in Jekaterinburg durch die sog. „Bolschewiki“ hingemordet. Als Nikolaus dessen gewahr wurde, was die Absicht der Mörder war, stellte er sich in einer denkwürdigen Wendung vor seine Gattin Alexandra, die 4 Töchter und den Zarewitsch Alexei, als könne er mit seinem Leib die Kugeln aufhalten, die seiner Familie galten. Erfolglos natürlich. Die Töchter hatten in ihre Kleider Schmuckstücke eingenäht, und als die Kugeln deswegen von ihnen abprallten, wurden sie mit Bajonetten niedergestochen, bis ihr Wimmern erstarb.

Nikolaus II. nach der Abdankung, März 1917

Vor 100 Jahren begann die vollendete Selbstzerstörung Europas ihre dämonischen Folgen auszuspeien und dem sinnlosen Grauen des Krieges folgte ein Jahrhundert des Irrsinns. Die Hinmordung der Zarenfamilie ist darin ein sinnfälliges Ereignis.

„Wir haben eine neue Moral. Unser Humanismus ist absolut, denn er gründet sich auf den Wunsch nach Abschaffung jeder Unterdrückung und Tyrannei. Uns ist alles erlaubt, denn wir sind die ersten in der Welt, die das Schwert nicht erheben, um zu unterdrücken und zu versklaven, sondern im Namen der Freiheit… Wir führen nicht gegen einzelne Krieg, wir wollen die Bourgeoisie als Klasse vernichten.“ („Das Rote Schwert“ 18.8.1919, Zitat hier gefunden)

Aus dem „Roten Schwert“ sprach die Tscheka, das spezielle Terrorinstrument der Bolschewiki. Und die Vernichtung als Klasse ist sehr wörtlich und vor allem physisch zu verstehen. Hinter dem Codewort „Bourgeoisie“ steht alles, was der Gesellschaft Struktur, Kompetenz und Bedeutung gegeben hatte -  Gelehrte, Geistliche, freie Bauern, Offiziere, Kaufleute, Beamte… Diese Menschengruppen wurden umgebracht, ausgehungert, mindestens dezimiert, bis die Gesellschaft soweit atomisiert worden war, daß das Unterste nach oben gekehrt frei lag und man sein großartiges Menschheitsexperiment einer völlig neuen „freien“Gesellschaft beginnen konnte.

Schätzungen gehen von mindestens 20 Millionen Toten der Revolution aus (Die Revolutionäre waren nicht sehr bekannt für eine akkurate Buchführung über ihre Opfer). Alexander Solschenizyn, der Chronist des „Archipel Gulag“, schrieb von vierzig bis fünfzig Millionen Häftlingen, die die späteren Lager bevölkerten oder dort starben. Ab wie viel Millionen ist eine eigentlich “gute Idee” ein wenig diskreditiert?

Allein die Zahlen sind so monströs, daß das Vorige, weswegen dies doch alles angeblich notwendig geworden war, in den schwärzesten Farben gemalt werden mußte Und man war damit erfolgreich. Noch heute wird die historisch desinteressierteste Putzfrau (und warum sollte sie sich interessieren) zumindest von jemandem gehört haben, daß die russischen Zaren etwas sehr Böses waren. Über das danach wird sie eher nichts wissen.

Nun wie böse?  Üblicherweise wurden Straftäter (ob politische Gefangene oder wirkliche Verbrecher) nicht getötet, sondern nach Sibirien verbannt (so Lenin 1897 - 1900 und Stalin 1913 - 1917 in das damalige Gouvernement Jenisseisk). In den zaristischen Straflagern sollen in den 1830er Jahren 8.000, zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu 30.000 Menschen gefangengehalten worden sein (insgesamt, wie gesagt).

Von 1825 bis 1917 - 6360 politisch Verurteilte, davon 3932 hingerichtet. Das mag man alles finden, wie man will, aber es wurden jedenfalls nicht systematisch Menschen umgebracht, und die Größenordnungen unterscheiden sich im Verhältnis von vielleicht 1 : 10.000. Diese Zahlen werden aber niemanden beeindrucken, weil sie die „gefühlte“ Wahrheit nicht berühren, allenfalls wird man„moralische“ Empörung über diese Art von Buchhaltung hören (Man tue sich nur einmal den Tort, in die Kommentare zu den wenigen Artikeln zu schauen, die aus Anlaß dieses Datums geschrieben wurden).

Nun galt das Zarenreich in Westeuropa auch vor 1917 durchaus als rückschrittlich, repressiv etc. Beispielsweise hielt man in der Reichsregierung eine formelle Kriegserklärung an Rußland für geboten, weil man damit die öffentliche Meinung, einschließlich der Sozialdemokratie, auf seiner Seite wußte.

Jekaterinburg, Kathedrale auf dem Blut

Aber wir wollen uns gar nicht in die Frage vertiefen, wie rückschrittlich Rußland am Ende der Zarenherrschaft tatsächlich war und woran sich Fortschritt eigentlich bemißt. Und es geht mir beim besten Willen nicht um eine Apotheose des Zarentums. Was mit weiterem Grausen erfüllt, ist etwas sehr anderes, nämlich das Bild, das entsteht, nachdem man sich in die Zeit vor Ausbruch des 1. Weltkrieges vertieft hat.

Und jetzt müßten wir das ganze alte Europa in den Blick nehmen. Es ist eine wirkliche Quälerei. Man hatte einen Höchststand von Kultur und Zivilisation erreicht, Technik und Wissenschaft erblühten, sozialer Fortschritt wie Lebenserwartung, Bildungsstand, die materielle Grundlage des Lebens breitester Schichten verbesserten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit. Europa wurde zu einem Leitbild für die Welt (auch wenn dieses heute als kolonialistisch herabgesetzt wird).

Doch die Großmächte beäugten sich mißtrauisch und sorgten sich um ihre Einflußzonen! Das Empire neidete dem Deutschen Reich den wirtschaftlichen Aufstieg und das damit einhergehende wachsende politische Gewicht, Frankreich suchte Revanche für 1871, Rußland und Österreich-Ungarn rangen um die Beherrschung des Balkan, Rußland wollte das Osmanische Reich beerben und mindestens die Dardanellen für sich.

Und all diese politischen Planungen, Intrigen und Aktionen gingen mit einer Sorglosigkeit und Ignoranz, Eitel- und Böswilligkeit, mit selbstgefälliger Ahnungslosigkeit gepaart einher, daß es einen eben graust (da man heute die Folgen kennt).

Daß die Briten der erfolgreiche germanische Konkurrent mißmutig machte, ist noch plausibel (man spürte, man hatte seine Kräfte überspannt, und sah sich gleichzeitig mit einem gottgegebenen Recht auf Weltherrschaft versehen), Frankreichs Groll, nun ja. Aber Rußland? Die Motive der politisch bestimmenden Kräfte Rußlands bleiben rätselhaft. Man kann zwar nicht bei der noch herrschenden (west-) deutschen Geschichtswissenschaft, aber doch inzwischen bspw. bei Christopher Clark nachlesen, wie mindestens die politische Führung Serbiens in das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger verwickelt war. Wie Rußland dann Serbien ermunterte und nach der Kriegserklärung der Monarchie an Serbien gegen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn mobil machte.

Es war eben leider Zar Nikolaus II. der 1914 mit der Generalmobilmachung der russischen Armee die Aktivierung der Bündnisverpflichtungen in Gang setzte, die in den Ersten Weltkrieg münden sollten. Es geht nicht um einseitige Schuldzuweisungen. Die europäischen Mächte hatten gewissermaßen kollektiv den Verstand verloren. Aber Rußland, das mit dem 1905 verlorenen Krieg gegen Japan und den folgenden Unruhen noch hinreichend strapaziert war, sich innerlich erkennbar instabil zeigte - das letzte, was Rußland gebrauchen konnte, war ein weiterer Krieg. Das schwache alte Rußland hat mit seiner Unterstützung Serbiens und dem, was daraus folgte, gewissermaßen eine Art von Selbstmord begangen. Und für was, die Dardanellen?

Was brachte Nikolaus II. zu diesem Schritt? Zunächst, war es wirklich sein ureigenstes Anliegen? Zar Nikolaus wird gemeinhin als geistig wenig interessiert, ja entscheidungsschwach beschrieben, dafür aber ausgeprägt konservativ.

Zu  letzterem. Sein Großvater Alexander II. wurde 1881 Opfer eines Attentats. Der damals zwölfjährige Nikolaus war Zeuge seines Todes. Das dürfte ihn nicht ganz unbeeindruckt gelassen haben. Er galt nicht als unsensibel, und wenn er stark gespürt haben sollte, wie die Dinge wegzubrechen drohen, sich dann an einer Art von Konservativismus festzuhalten, nun ja. Er wuchs nach dem Attentat ziemlich abgeschirmt auf, ebenfalls nachvollziehbar, galt als charakterlich gefestigt, pflichtbewußt, aber eher schüchtern. Sein Vater hielt es nicht für erforderlich, ihn frühzeitig wirklich auf das Zarenamt vorzubereiten, starb aber bereits am 1. November 1894. Das machte Nikolaus mit 26 Jahren (nach gregorianischem Kalender am 18. Mai 1868 geboren) zum Herrscher. Daß jemand unter diesen Umständen Neuerungen gegenüber nicht unbedingt aufgeschlossen ist und von Ratgebern abhängig, was Wunder.

Hinzu kommt, daß seine tief religiöse Gattin, welche er zutiefst verehrte, ihn kaum zu unterstützen vermochte. Als 1904 endlich Thronfolger Alexej zur Welt kam (man befand sich gerade im Krieg mit Japan), erwies es sich, daß er die „Bluter“-Krankheit hatte. Das befeuerte den Aberglauben im Volk (welches bereits voreingenommen war, 1896 etwa hatte sich beim Volksfest auf dem Chodynkafeld anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten eine Massenpanik mit 1389 Opfern ereignet). Die Niederlage machte ein übriges. Man mißtraute der „Deutschen“,  noch gesteigert, als diese verzweifelt Hilfe für den Thronfolger Alexej vom „Wunderheiler“ Rasputin erhoffte (der schließlich im Dezember 1916 von nahen Verwandten des Zaren ermordet wurde). Irritierenderweise gibt es Berichte, daß sich der Gesundheitszustand Alexejs tatsächlich gebessert hatte.

Man kann aber vermuten, daß auch Nikolaus selbst Ziel des Mißtrauens patriotischer und panslawistischerer Kreise wurde, die erheblich Auftrieb hatte, wie ganz Europa vom Furor des Nationalismus geschüttelt wurde (etwas, das besonders die Donaumonarchie bedrohte und woran sie schließlich auch u.a. zerbrechen sollte). Nikolaus‘ Widerwillen gegen den Krieg machte ihn vor diesem Hintergrund förmlich mit dem Vorwurf der Schwäche erpreßbar.

Clark bringt eine interessante Charakterisierung, die wir ausnahmsweise zitieren wollen: „So gut wie alle, die den Zaren kannten..., sind sich einig, dass er zwei Wesenszüge in sich vereinte, die sich schlecht miteinander vertrugen. Das eine war ein überaus verständliches Grauen vor der Aussicht eines Krieges und der damit verbundenen Zerstörung für sein Land; das andere war seine Empfänglichkeit für das hochtrabende Pathos nationalistischer Politiker und Reden, eine Vorliebe für Männer und Maßnahmen, welche die patriotischen Gefühle aufputschten.“ (Die Schlafwandler, S. 654)

Ein dringliches Telegramm Wilhelm II. hielt die Mobilmachung dann auch noch einmal an, für einen Tag. Was immer Nikolaus II. letztlich bewogen haben mag, welche Irrtümer, Illusionen, Schwächen immer. Systematische Bösartigkeit war es nicht. Die blieb anderen Akteuren vorbehalten. Der weitere Fortgang der Dinge läßt sich schnell zusammenfassen. Kurzzeitig gelang es den Russen zwar, in Ostpreußen einzufallen, sie wurden dort aber geschlagen und erlitten danach gegen die deutschen Truppen eine Niederlage nach der anderen. Gegen die Österreicher war man zwar etwas erfolgreicher, aber im ganzen war die Kriegsführung desaströs und mit großen eigenen Opfer verbunden. Die Armee begann zusammenzubrechen, Hungerunruhen Anfang 1917 besiegelten das Ende. Der Zar dankte ab und wurde von der bürgerlichen Regierung, die auf die „Februarrevolution“ gefolgt war, unter Hausarrest gestellt. Nach dem Putsch der Bolschewiki im Herbst 1917 fiel die Familie in deren Hände. Das Ende ist eingangs beschrieben.

Nicht nur auf russischer Seite wurde der Krieg mit selbstzerstörerischer Verbissenheit geführt. Für die „Westfront“ gilt dies mindestens in ebensolcher Weise. Was dabei besonders verstört, ist, daß dieses massenhafte gegenseitige Töten, das beispiellos zur vorigen Geschichte Europas dasteht, um förmlich nichts geführt wurde. Nichts, das irgendeine Art von Sinn ergeben würde.

Wahrscheinlich deshalb mußte man nach Kriegsende alle Schuld auf die Verlierer abwälzen und seitens der Alliierten die monströse Lüge von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands in die Welt setzen und mit dem Versailler „Frieden“ den Krieg gewissermaßen auf andere Art fortführen.

Das Grauen, das uns angesichts dieser Ereignisse entgegentritt, geschieht sozusagen in drei Akten, die Hybris und Verblendung, mit der der Krieg begonnen wurde, das furchtbare Ausmaß der auch moralischen Selbstvernichtung in diesem Krieg und wie diese auch geistige Verwüstung  den Dämonen ein Tor geöffnet hat, durch das sie eifrig einfielen, um das Werk der Zerstörung zu vollenden. Es ist mehr als zynisch, daß die Briten diesen Krieg noch immer „Great War“ nennen. Nichts daran war groß.

Das Ausmaß der inneren Selbstzerstörung Europas, das sich in den folgenden Jahrzehnten zeigt, beschreiben zu wollen, würde jeden überfordern. Darum ist es auch so schwierig, über Gedenktage wie diesen zu schrieben. Denn wer deren Tiefe erahnt, gerade als Konservativer, ist vor allem eines, entsetzt. Und mit nichts macht man sich so lächerlich, als wenn man selbstgefällig über die Geschichte zu Gericht sitzen wollte. Was also bleibt übrig?


Ikone der Zaren-Familie

Sicher kein Versuch einer Gegengeschichtsschreibung. Menschen, die davon überzeugt sind, daß es aus höheren Gesichtspunkten gerechtfertigt ist, Kinder zu töten, sind in ihrem verbohrten Ressentiment nicht mehr erreichbar. Aber einfache Beobachtungen sind hilfreich, so wie etwa gegen den Geschichtsrelativismus spricht, daß man zusehen kann, wie die Lügen vergiften und auflösen, also scheint es doch so etwas wie Wahrheit zu geben.

Mögen die Briten weiter an ihren Großen Krieg erinnern, selbst die Überreste ihres Empire zerbröseln ihnen gerade. Mögen die Apologeten einer deutschen Kollektivschuld sich immer tiefer in die deutsche Seele vorgraben, um dort weitere Schichten der Schuld zu finden, wo sie doch eigentlich weder an Deutsches, noch an die Seele, noch an den Wert überindividueller Gemeinschaften glauben.

Wer mit Absichten an die Geschichte herantritt, hat schon verloren. Aber ein Versuch, sie mit interesselosem Bemühen zu sehen, ist vielleicht möglich und entfaltet seine Folgen von selbst. Jetzt mag man mit versteckten Motiven, Perspektiven etc. dagegen anklügeln. Darüber zu räsonieren, lohnt nicht, die Haltung selbst zählt – Kritik, Neugier und Neigung zum Eigenen. Was ist an Neigung interesselos? Nun, wer das Eigene für wertvoll hält, wird es der Wahrheit aussetzen wollen, weil es sich nur in dieser zu erhalten vermag. Und er kann so die Gefährdungen erkennen, die üblicherweise in der Verstellung des Guten, Wohlmeinenden und Vernünftigen daherkommen.

Ganina Jama, Romanov memorial

Mit Pilatus zu reden: Was ist Wahrheit? Wahrheit ist Aufrichtigkeit im Erinnern und das Suchen nach Symbolen der Heilung. Ein Symbol der Heilung ist, daß am 20. August 2000 Nikolaus II. mit seiner Familie unter die Heiligen der Russisch-Orthodoxen Kirche aufgenommen wurde. Die Kirche auf dem Blut in Jekaterinburg, von wo aus hunderttausend Pilger in der Nacht auf den 17. Juli dem Patriarchen von Moskau und ganz Russland, Kirill, auf einem 21 Kilometer langen Kreuzweg folgten, in den Wald von Ganina Jama, dem hölzernen Kloster, wo jedem ermordeten Familienmitglied von Hand eine Kirche erbaut worden ist. Das ist Wahrheit.

Aber das ist Religion, höre ich den Einwand. Was sonst.

Nikolaus II. im Kloster der "Heiligen Zarenmärtyrer"
Ganina Jama gewidmete Kirche, hier gefunden

nachgetragen am 20. Juli

Donnerstag, 5. August 2010

Über die Mutter Wilhelm II.

Neues Palais im Park Sanssouci
hier gefunden

Dies ist einer der liegengebliebenen Posts, die ich aus gewissen Gründen nicht fertiggeschrieben habe, Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha, die 99 Tage Kaiserin und Mutter Wilhelm II., später Kaiserin Friedrich genannt, starb am 5. August 1901, gerade finde ich, sie war gegen die Entlassung Bismarcks, interessant, wie auch immer ein paar Links müssen diesmal genügen.

Neben anderem habe ich aus diesem Anlaß in Nicolaus Sombart’s Buch über Wilhelm II. gelesen, es ist wirklich immer wieder beeindruckend, nur ein Zitat: „Die Gewalt, deren Opfer er als Kind geworden war, hatte in ihm nicht den Zwang erzeugt, Gewalt mit Gewalt zu erwidern. Er war nicht von dem Gefühl besessen, sich rächen zu wollen. Von seinem Regierungsantritt an wollte er Versöhnung, etwas gutmachen. Im Sinne des idealen Königtums war er Mittler und Vermittler. Das war sein Ehrgeiz.“

Er führt weiter aus, daß es die skrupellose Art Bismarcks, Politik zu machen, gewesen sei, die ihn veranlaß hätte, sich von diesem zu trennen. Ich weiß nicht recht, aber eins muß ich zuerkennen, ich kann mich nicht erinnern, ein Buch gelesen zu haben, das mit soviel Liebe und zugleich wachem Verstand geschrieben wurde.

Victoria als preußische Kronprinzessin,
porträtiert von Franz Xaver Winterhalter, 1867
hier gefunden

Freitag, 29. Januar 2010

Kaiserliche Nachträge



Ein Nachtrag gewissermaßen zu etwas, das noch gar nicht veröffentlicht ist, ich hatte mir kürzlich ein paar Gedanken zu Wilhelm II. gemacht und will noch einmal darüber schlafen, ich mag es nämlich nicht, wenn ich zu polemisch werde.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Kaisergeburtstag



An einem 27. Januar (1850) starb ein großer Bildhauer, nämlich Johann Gottfried Schadow, u.a. stammt die Quadriga auf dem Brandenburger Tor von ihm, und es verschied ein des Erwähnens wohl würdiger Architekt - Leo von Klenze, am 27. Januar 1864. Vielleicht war es seiner Bekanntheit etwas abträglich, daß er sich vor allem in Bayern ausgetobt hat, aber an diesem Beispiel mag man sehen, daß das zu Unrecht geschähe.


Walhalla bei Regensburg, Leo von Klenze
hier gefunden
Und dann ist heute der Geburtstag des letzten deutschen Kaisers.

Ich bin einer von diesen komischen Menschen, die, wo einer zu Unrecht drangsaliert wird, sofort heftige Sympathien entwickeln. So ergeht es mir mit Wilhelm II. Es ist teilweise geradezu obszön, was an so gehässigen wie falschen Urteilen über ihn ausgeschüttet wird. Und man muß nur eine dieser verzerrten Darstellungen lesen, um Wilhelm II. wieder zu mögen, denn es ist ja nun nicht so, daß das selbstverständlich und er eine reine Lichtgestalt wäre, schließlich hat er uns letztlich fahrlässig in die Niederlage von Versailles geführt.


Kaiser Wilhelm II. in russischer und Zar Nikolaus II. in preußischer Uniform
hier gefunden

wird fortgesetzt

Montag, 4. Januar 2010

Anton von Werner - der Maler des Kaisers


Neubrandenburg im Morgennebel
hier gefunden

Zunächst sei nur erwähnt, worüber ich nicht schreiben werde, nämlich den Geburtsakt der Stadt, in der ich gegenwärtig lebe. In seiner Spandauer Residenz verfertigte nämlich Markgraf Johann I. von Brandenburg die Gründungsurkunde von Neubrandenburg am 4. Januar 1248. Es gibt eine merkwürdige Idealansicht des Ortes von Caspar David Friedrich, die dort oben zu sehen ist, ich habe gelegentlich darüber ein wenig geschrieben, nein heute soll uns etwas anderes interessieren.


Anton von Werner, Selbstbildnis, 1885
hier gefunden

Wenn es noch niemandem aufgefallen ist, ich habe ein Faible für aus der Mode geratene Berühmtheiten, das ist irgendwie eine interessante psychologische Konstellation. Anton von Werner, der malende Chronist des 2. Kaiserreichs starb am 4. Januar 1915 in Berlin. Und sein Ruhm ging spätestens mit diesem Reich unter. Wenn er heute dennoch immer wieder in Abbildungen auftaucht, weshalb der Name auch nicht ganz unbekannt ist, dann deshalb, weil kaum eine Geschichtsdarstellung dieser Zeit ohne ihn auskommt. Am bekanntesten dürften wohl seine verschiedenen Fassungen der Kaiserproklamation von Versailles sein.


Anton von Werner
Der Kongreß zu Berlin - Schlußsitzung am 13. Juli 1878
1881, hier gefunden

Adolph von Menzel und Kaiser Wilhelm II. war er freundschaftlich verbunden, mit letzterem teilte er die Abneigung gegen die Moderne, etwa den Impressionismus, so daß es 1908 mit dem Direktor der Nationalgalerie Hugo von Tschudi zu einem heftigen Konflikt darüber kam. Seine eigene Malweise wurde zunehmend als trocken, kalt, akademisch und ohne tiefere Bedeutung angesehen. Durch seine offiziellen Ämter blieb er allerdings nicht nur einflußreich, er erwies sich auch als sehr fürsorglich gegenüber zahlreichen Künstlerkollegen.

Es mag sein, daß sein nahezu fotographischer Realismus vielfach wirklich mehr wie eine Chronik die Zeit abbildet, aber nach meinem Gefühl agiert er dabei nicht nur mit souveräner Beherrschung der malerischen Technik, sondern auch mit einem genauen psychologischen Auge, wachem Sinn für die Bedeutung von Augenblicken und handelnden Personen und vor allem in einer vornehmen Gelassenheit, die Würde und eine souveräne Geisteshaltung verkörpert. Das erscheint mir doch weit weniger oberflächlich als es ihm gern nachgesagt wird.


Anton von Werner
Die Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals in Berlin
1908, hier gefunden

Montag, 14. September 2009

Über Schiffe



Wir hatten hier kürzlich eine kurze freundliche Konversation über eine meiner Kinderzeichnungen, die ich anläßlich des Sedan-Tags etwas launig präsentiert hatte, oben findet sich eine andere Wiedergabe davon und da dies öffentlich nachlesbar ist, bin ich wohl nicht indiskret.

Der hochgeschätzte Urs aus Zürich schrieb nämlich: „Ich wunderte mich etwas, welches Schiff du in der letzten Zeichnung porträtiert hast. Die Handelsflagge deutet auf ein ziviles Schiff. War es die Trägerin des Blauen Bandes "Kaiser Wilhelm II" oder doch etwa die wehrhaftere SMS Kaiser Wilhelm II?“

Meine Antwort: „Da die Anzahl der Schornsteine in beiden Fällen nicht stimmt, kann man es sich eigentlich aussuchen, gut ausgesehen haben sie beide, ich tendiere ja zu letzterem, aber dann müßte ich in eine Kinderzeichnung (ich schätze 8 Jahre) ein Eisernes Kreuz malen, wär wohl nicht ganz richtig…“

Ich muß dazu sagen, er ist Marineexperte, ich überhaupt nicht. Aber wo Herr Anton von den „Deutschen Schutzgebieten“ mir gerade erlaubt hat, seine Bilder (selbstredend mit Quellenangabe) jederzeit zu verwenden, will ich doch einfach einmal an zwei Schiffe erinnern, die lange als Schrott geendet sind, und, bevor ich das tue, gestehen, daß mich diese Geste ziemlich gerührt hat. Es ist absolut verdienstvoll, was er über das 2. Kaiserreich zusammengetragen hat und sehr souverän, wie er die professionellen Verdächtiger dabei von sich abstreift.

S.M.S. Kaiser Wilhelm II.
(c) Ralph Anton, www.deutsche-schutzgebiete.de

Das wäre also das wehrhaftere Schiff von den beiden: S.M.S. Kaiser Wilhelm II., getauft am 14. September 1897 vom Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich in Wilhelmshaven. Die technischen Details, die ich sowieso nur gerade abgeschrieben hätte, möge man besser hier nachlesen. Da das Schiff bei Kriegsbeginn 1914 schon technisch veraltet war, kommt es nur wenig zum Einsatz und so bleibt ihm auch das Schicksal von Scapa Flow erspart, bis es 1921 in Hamburg abgewrackt wird.

German Steam Ship SS Kaiser Wilhelm II., later USS Agamemnon
18. August 1918
Head-Mayberry, US.Naval Historical Center

Und dies wäre dann also das Schiff mit weniger Kanonen und dafür mehr Schornsteinen, „SS Kaiser Wilhelm II., gebaut in der Werft AG Vulcan Stettin und an den Norddeutschen Lloyd Bremen im März 1903 geliefert. Auch hier meine Bitte, das Technische an diesem Ort nachzulesen.

Es diente als Passagierschiff auf der Strecke zwischen Deutschland und New York, gewann schon 1906 das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantiküberquerung. Während einer dieser Routinefahrten wurde es vom Kriegsausbruch 1914 überrascht. Britischen Schiffen entkommend, wurde es nach der Ankunft in New York interniert und nach der amerikanischen Kriegserklärung an das Deutsche Reich am 6. April 1917 beschlagnahmt und zum Truppentransporter umfunktioniert unter dem Namen „USS Agamemnon“, 1919 wurde es stillgelegt aber einsatzfähig gehalten. Im Zweiten Weltkrieg kam es nicht mehr zum Einsatz, sondern wurde 1940 in Baltimore verschrottet.

„Habent sua fata libelli“ schreibt Terentianus Maurus (der damit eigentlich meint, daß ein Buch dem Verstand seines Lesers ausgeliefert ist), aber Schiffe auch.

Dienstag, 27. Januar 2009

Über das Steinigen von Statuen



Bildautor: Raimond Spekking
gefunden hier

Zu den unerfreulichen Zügen christlicher Geschichte gehört, daß in deren Frühzeit „Abgötter“, also Statuen heidnischer Gottheiten, gelegentlich ritualisiert gesteinigt wurden. Die dieses taten, haben sie nicht als Kunstwerke wahrgenommen, es ist auch zweifelhaft, ob ihnen an Kunst überhaupt etwas gelegen hat - in der Neuzeit haben sich u.a. die Taliban und die „kulturrevolutionären“ Chinesen ähnlich betätigt, ohne daß sich die Welt im Übermaß daran gestört hätte.

Wie komme ich darauf: Von einem „Biographen“ und einer „Publizistin“ waren heute in größeren Zeitungen Bemerkungen zu einem bestimmten Ereignis zu lesen - am 27. Januar 1859 wurde Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm II. geboren. Und da drängte sich mir dieses Bild förmlich auf.

Es liegt noch nicht so gar lange zurück, daß wir an den Kaiser erinnert hätten, und wer will, mag auch noch dieses zur Kenntnis nehmen, das gerade beiläufig aufgefunden wurde, vor allem aber dieses, das wir soeben erst beeindruckt entdeckt haben.

Freitag, 28. November 2008

Erinnerung und Restauration


Haus Doorn, gefunden hier

Wie bereits früher vermerkt, hat Kaiser Wilhelm II. exakt an diesem Tag vor 90 Jahren offiziell abgedankt. Um sich heute einmal die gewünschten Abmilderungen zu ersparen, seitdem ging es eigentlich nur noch kontinuierlich bergab.

Nicolaus Sombart hat ein sehr luzides Buch über Wilhelm II. verfaßt und über die Eintrübung des Urteils von einem dessen Kritiker bemerkt, warum sein Urteil so verzerrt wäre: „Der Grund dafür? Er liebt den Kaiser nicht.“ Und über einen anderen, gewöhnlich für bedeutend gehaltenen Publizisten schreibt er: „Ein solches Urteil, dessen Gehässigkeit erschreckt, hat sich Augstein nicht aus der Nase gezogen. Er hat es aus den Geschichtsbüchern.“

Wir müssen gestehen, all diese Bemerkungen stammen aus der Einleitung des erwähnten Buches, wie auch diese: „In der unbeschreiblichen Dramatik ihrer Geschichtswebung hat es Klio gefallen – in einem großen Menschenschicksal den Deutschen ihr zeitliches Wesen, ihre Selbstentfremdung, ihren Abgott und ihren Sturz zu verknüpfen.“ Nur daß er seinerseits damit Walther Rathenau zitiert hat.

Ob nun kurios das passende Attribut ist, vermutlich nicht, aber am selben heutigen Tag wurde der Siegerentwurf für den Nachbau des Berliner Schlosses bekannt gemacht. So sehr man dem Verlorenen nachhängt, manchmal wird dieses gerade durch mißgeleitete Belebungsversuche endgültig ruiniert. Wir schwanken. Als wir eine Abbildung des Siegerentwurfs sahen, meinten wir, genau das wäre der Fall. Dann aber lasen wir, das alles wäre aus dem Geist Palladios geschehen. Wollen wir noch einmal hoffen, daß eine kühn gewählte Begründung von der Wirklichkeit gerechtfertigt wird.

Montag, 10. November 2008

Gefangen im November

Vielleicht sind wir gegenüber einem Monat etwas sentimentaler geneigt, wenn man zufällig in ihm geboren wurde.

Das unerwartete Glück, wenn spät am Abend mitten im November die Luft weich wie ein Handtuch auf unsere Müdigkeit fällt und der Wind, der Wind…

Sein Rauschen im nahegelegenen Wald und am Himmel die Wolken unter dem Mond wie ein weißer flüchtiger Drachen.

Meine Erinnerungen an die Kindheit sind sehr geschwunden, aber ich erinnere mich an einen Moment meiner frühen Kindheit, wo ein unbegreifbarer mächtiger, warmer (ich glaube im Februar) Wind mich nicht in Verwirrung versetzte, sondern einfach nur glücklich mit einer Ahnung von etwas sehr mächtigem Anderen vertraut machte.

Am 10. November 1918 verließ Kaiser Wilhelm II. das Reich. Also vor 90 Jahren. Meine Stiefgroßmutter war eine leidenschaftliche Anhängerin dieses Kaisers und geriet jedesmal in Rührung, wenn sie über „Seine Majestät“ sprach. Sie konnte exakt die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung benennen, wenn sie mir kleinem Kind zu erklären versuchte, mit wieviel mehr diese Nachgekommenen so viel weniger zustandebringen konnten.

Seine offizielle Abdankung datiert auf zwar auf den 28. November 1918, aber geben wir doch heute schon den Text hier wieder:

„Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preußens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone.

Zugleich entbinde ich alle Beamten des Deutschen Reiches und Preußens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des Preußischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem Kaiser, König und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reichs den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

Gegeben Amerongen, den 28. November 1918

Wilhelm“.