Dienstag, 24. Oktober 2017

nachträglich


Jacky Terrasson & Stéphane Belmondo - Mother

Sonntag, 22. Oktober 2017

Über Heilung - eine Predigt


William Blake, Christ Giving Sight to Bartimaeus

Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Der Predigttext steht bei Markus im 1. Kapitel:

32 Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm allerlei Kranke und Besessene. 33 Und die ganze Stadt versammelte sich vor der Tür. 34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Seuchen beladen waren, und trieb viele Teufel aus und ließ die Teufel nicht reden, denn sie kannten ihn. 35 Und des Morgens vor Tage stand er auf und ging hinaus. Und Jesus ging in eine wüste Stätte und betete daselbst. 36 Und Petrus mit denen, die bei ihm waren, eilten ihm nach. 37 Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich. 38 Und er sprach zu ihnen: Laßt uns in die nächsten Städte gehen, daß ich daselbst auch predige; denn dazu bin ich gekommen. 39 Und er predigte in ihren Schulen in ganz Galiläa und trieb die Teufel aus.
Mk 1, 32-39

Amen

Liebe Gemeinde,

diese Verse gehören zur Vorgeschichte dessen, was wir in der Evangelienlesung gehört haben. Ganz an den Anfang seines Buches stellt Markus das große Thema der Heilung. Tatsächlich kann man das ganze Evangelium als die Geschichte einer Gesundung verstehen.

Dazu braucht es allerdings die Erfahrung von Krankheit und die Gewissheit des Todes. Die Krankheit setzt unserem Leib, unseren Kräften und unserem Leben Grenzen. Erst die Krankheit erweckt die Sehnsucht nach Heilung.

Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm allerlei Kranke. Erst die Dunkelheit erweckt unsere Sehnsucht nach dem Licht.

Martin Luther, den wir heute noch öfter hören werden, denn wir sind im 500. Jahr der Reformation, hat in seiner großen Streitschrift gegen die Humanisten „De servo arbitrio“ – Vom unfreien Willen – die Heilige Schrift „ein geistliches Licht“ genannt, das „heller ist als selbst die Sonne“. Er wandte sich damit gegen „die verderbliche Rede der Sophisten, die Schrift sei dunkel und zweifelhaft“.

Die Schrift strahlt heller als die Sonne, denn sie zeugt von dem, der alles geschaffen hat und dessen erste Worte waren: „Es werde Licht!“

Wer die Schöpfungsgeschichte kennt, der weiß, dass Sonne, Mond und alle Sterne erst am vierten Tag geschaffen worden sind. Sie überstrahlen wohl zu ihrer Zeit jenes Licht vom Anfang. Dennoch ist das geistliche Licht heller als die Sonne. Jesaja verkündet von ihm: „Deine Sonne wird nicht mehr untergehen, noch dein Mond den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben.“

Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm allerlei Kranke. Erst in der Dunkelheit erwacht unsere Sehnsucht nach dem Licht.

Der Zusammenhang zwischen Licht und Heilung macht darauf aufmerksam, dass wir es in Christus nicht mit einem zweifelhaften Heiler zu tun haben, über dessen Wunder man streiten könnte. Dieser Streit ist der Zugang der verderblichen Sophisten zum Evangelium. Sie finden am Ende alles dunkel und zweifelhaft. Genau darauf macht uns Luther aufmerksam.

Diese Klugen geben bis in unsere Tage immer wieder vor, sie würden uns einen wahrhaftigeren Jesus vorstellen, wenn sie ihn von allen unglaubwürdigen Wundergeschichten befreiten und ihn uns dadurch ganz gleich machten, sie berauben ihn mit ihrem Tun aber nur seiner Gottheit und machen die Offenbarung zunichte. Und in allem geht es ihnen nur darum, den kläglichen Schimmer ihres eigenen Verstandes herauszustellen, durch den sie meinen, über der Schrift zu stehen.

Die reformatorische Kirche aber beharrte zu allen Zeiten ganz besonders auf das „sola scriptura“, auf den Vorrang der Schrift, und drückte damit aus, dass die Bibel der Maßstab ist, dass die Bibel der Maßstab sein muss, denn den „verborgene Gott“ können menschliche Wesen nicht verstehen, er kann von menschlicher Rationalität nicht erfasst werden.

Genau darin drückt sich Luthers Grundüberzeugung vom Wesen des Menschen aus: „Der Mensch kann nicht von Natur wollen, dass Gott Gott sei; vielmehr wollte er, er sei Gott und Gott sei nicht Gott.“

Diese ins Böse führende Anmaßung des Menschen hat sich in der Moderne radikal verschärft, sie ist gleichsam der dominante Irrtum unserer Zeit geworden. Genau dieser Anmaßung, der Mensch könne aus sich heraus, aus Humanismus, aus Erkenntnis, aus Vernunftgründen Gutes tun, trat Luther, trat die gesamte Reformation mit aller Macht und mit Entschiedenheit entgegen. Gerade darin ist die Reformation in unseren Tagen aktueller denn jemals.

Darum will ich uns nun auch einen Gedanken Luthers etwas ausführlicher zumuten: „Ich bekenne wahrlich von mir, wenn es auch geschehen könnte, so wollte ich doch nicht, dass mir ein freier Wille gegeben würde, oder dass irgendetwas in meiner Hand gelassen würde, wodurch ich mich um die Seligkeit bemühen könnte, nicht allein deshalb, weil ich in so vielen Widerwärtigkeiten und Gefahren, dann auch wieder so viele Anläufe der Teufel nicht bestehen könnte und es nicht zu behalten vermöchte, da Ein Teufel mächtiger ist als alle Menschen und auch kein Mensch selig werden könnte, sondern weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Widerwärtigkeiten, keine Teufel wären, doch gezwungen wäre, beständig aufs Ungewisse mich abzumühen und Luftstreiche zu tun, denn auch mein Gewissen, selbst wenn ich ewig lebte und wirkte, würde nie gewiss und sicher werden, wie viel es tun müsste, um Gott genugzutun. Denn bei einem jeglichen vollkommenen Werke bliebe doch die Gewissensangst, ob es Gott gefiele, oder ob er noch etwas darüber hinaus fordere, wie die Erfahrung aller Werktreiber beweist und ich zu meinem großen Schaden in so vielen Jahren genugsam gelernt habe.“

Wir begegnen hier dem, was für Martin Luther so überaus charakteristisch ist, einer unlöslichen Verbindung aus theologischer Schärfe und persönlicher Erfahrung.

Martin Luther hat erfahren und bezeugt, es geht ausschließlich um die Gnade Gottes, die dem Menschen zuteilwird und an der sich alles entscheidet.

Hier sind wir dann auch wieder bei unserem Predigttext und beim Thema des heutigen Sonntags: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.

In Jesus Christus hat sich nämlich der verborgene Gott verlassen. Er hat sich in unser Menschsein hinein erbarmt, ist gegenwärtig geworden.

Der sophistische und anmaßende Streit, ob und wie Jesus Wunder gewirkt und Menschen geheilt hat, wird dem Geschehen nicht gerecht. Die Gegenwart Gottes als Mensch und seine bleibende Gegenwart als Herr der Kirche ist das Wunder. In ihr geht uns das Licht auf, das ewig ist.

Aus der Gegenwart des Herrn heraus ist den Kranken geholfen, die Gegenwart Christi vertreibt die Teufel. Aus der Begegnung mit dem Herrn erwächst Heilung und die Erkenntnis, dass wir im Leiden dem Herrn ähnlich werden.

Darum sollen wir seine Gegenwart suchen und ehren seine Gegenwart im Sakrament. Der lutherischen Reformation ist dies ein unaufgebbares Bekenntnis, der Herr ist in seiner Kirche gegenwärtig. Jedermann sucht ihn.

Das ist und bleibt unsere Hoffnung, dass er von allen Menschen gesucht und am Ende gefunden wird. Lauft ihm nach, sucht seine Nähe, deckt die Dächer ab, überwindet die Schranken. Das Menschsein erfüllt sich erst in der Begegnung mit ihm. Die Gegenwart des Erlösers ist das eine große Wunder in dem alles seinen Grund und seine Ursache hat. Aus der Begegnung mit ihm erwachsen Heilung und das Heil.

Amen

Und der Frieden Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn.

Thomas Roloff