Sonntag, 11. Februar 2024

Über einen Turm für Neustrelitz

Paradeplatz, heute Buttelplatz, mit Schloßkirche links

Teil I (den man auch auslassen kann) oder 

Über Turmgegnertricks

Wenn ein jüngerer Mensch, dessen Gestalt ich nicht nur physiognomisch eher etwas zerfließend in Erinnerung habe, mit triumphierender Miene (die seine kaum zurückhaltbare Überzeugung verriet, gleich sollte ein bombensicheres Argument den Gegner final zerstören) vorträgt: Überhaupt würden hier fast nur alte weiße Männer debattieren, bejubelt von einer Handvoll älterer weißer Damen (die den Großteil seiner durchaus überschaubaren „Peergroup“ ausmachten und wohl aus der Soziokultur überraschend hereingeschneit kamen, einer ihrer Anführer war diesmal vertreten), dann hat man zwar einen dieser neuen Menschen der Jetzt-Zeit erlebt und weiß nun, es gibt sie wirklich und nicht nur in unsäglichen Online-Medien, aber lohnt das eine Erwähnung? Nein.

Dann allerdings wurde mir ein Leserbrief, offenkundig von besagtem Akteur, vor die Füße gespült. Und so hat er das Verdienst, daß ich mich doch noch zur Kontroverse äußern werde, nämlich der um die Neubaubemühungen auf dem Neustrelitzer Schloßberg, genauer das Ringen um den Schloßturm.

Herr André Gross hat auf seinem Strelitzius Blog in bewährter Weise die 7. Schloßbergkonferenz referiert, so daß ich hier keine Lesehilfen dazu präsentieren werde. Im 7. Jahr wurde also öffentlich um das Thema gerungen, was an den Ort des verlorengegangenen Schlosses treten solle. Ich habe hier 2018 einmal meine unmaßgebliche Meinung geäußert. Es ist wahrlich nicht so, daß die Debatte erst gestern begonnen hätte. 

Bei der übergroßen Mehrheit der Teilnehmer war deutlich die Ungeduld spürbar, daß angesichts der (noch) bereitstehenden Mittel von Land und Bund endlich begonnen werden müsse und man sich nicht hinter Ausflüchten verbarrikadieren dürfe.

Beindruckt hat mich die Wortmeldung eines alten Neustrelitzers, der von seinen Urgroßeltern berichtete, die noch in der Kaiserzeit aufgewachsen wären und davon erzählten, was für eine vielbesuchte, schöne und belebte Stadt Neustrelitz vor dem letzten Krieg gewesen wäre, voll von Touristen, Cafes und Restaurants. Und diese Lebenshoffnung, daß dies nicht zu Ende sein könne, hat mich berührt und getroffen.

Postkarte des Schlosses Neustrelitz, 1912, von hier

Und um den Gegensatz geradezu körperlich spürbar werden zu lassen, doch noch einmal ein Zitat aus obenbenannter Quelle: „In Neustrelitz droht sich etwas zu wiederholen, was wir bereits aus anderen Orten und nicht zuletzt aus Berlin kennen. Hier soll ohne Rücksicht auf Verluste ein Projekt durchgepeitscht werden, hinter dem nur ein Teil der Neustrelitzer Bevölkerung steht; angespornt durch Akteure, die keinerlei lokale Verankerung haben. Selbst, wie groß dieser Teil ist, lässt sich nicht einmal zuverlässig sagen.“

Etwas Böses (was eigentlich) soll also auch in Neustrelitz „durchgepeitscht“ werden (nach vieljähriger öffentlicher Diskussion), angetrieben durch Akteure, die keinerlei lokale Verankerung haben. Wir zitieren noch einmal einen folgenden Bericht des Hern Gross: „Die Stadtvertretung Neustrelitz hat am Abend den von Bürgermeister Andreas Grund eingelegten Widerspruch zu ihrem Schlossturm-Beschluss vom 7. Dezember vergangenen Jahres... zurückgewiesen. 16 Stadtvertreter stellten sich diesmal hinter den Beschluss und damit gegen das Veto des Stadtoberhauptes, fünf schlossen sich dem Beschluss nicht an, drei enthielten sich der Stimme. Damit fiel das Abstimmungsergebnis noch deutlicher aus als bei dem ursprünglichen, von der CDU-Fraktion initiierten Beschluss pro Bauwerk auf dem Schlossberg.“ 

Keine lokale Verankerung also. Was nicht ist, wie sie sind, existiert nicht. Das Ringen um das Schloß kommt aus der Mitte der Stadt, freundschaftlich unterstützt von Persönlichkeiten wie Wilhelm von Boddien und jetzt auch der „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“.

Wilhelm von Boddien, von hier

Und jetzt taucht wie ein vagabundierender Eisberg das Demokratieargument auf: Nichts genaues weiß man nicht. Sollte man versehentlich und überraschenderweise etwa doch in der Minderheit sein, beschwört man als letzte Verteidigungslinie die Minoriätsrechte, aha. Demokratisch kann es bisher gar nicht zugegangen sein und öffentlich ist überhaupt nur, was in ihren Konventikeln geschieht.

Mir fehlt die Naivität, um dem „frommen Augenaufschlag“, den ich vor mir förmlich sehe, um dem Appell, es müsse möglich sein „im eher behaglichen Rahmen einer 22.000-Einwohner_innen-Stadt... ins Gespräch zu kommen und Lösungen zu finden, die alle mitnehmen können“, glauben zu können. Und die Lösung legen wir am besten gleich auf den St. Nimmerleinstag.

Ich erinnere noch einmal an die beiden Berichte des Herrn Gross, einmal den über die Konferenz selbst und dann den über die Stadtvertretung Neustrelitz, die den von Bürgermeister A. Grund eingelegten Widerspruch zu ihrem Schloßturm-Beschluß zurückgewiesen hatte.

Auch zu dem ersten seiner Berichte gab es, wie man dort nachlesen kann, einen Leserbrief von dem erwähnten Absender. Und daraus muß ich doch kurz zitieren. „Hier scheint mir Deine inhaltliche Schlagseite etwas zu stark zu sein.“ duzt er den Herrn Gross fröhlich an. Natürlich hat der um Ausgewogenheit bemühte Bericht eine Schlagseite: Wenn man alles nur noch von links unten zu sehen gewöhnt ist. Aber wie antwortet der so schön:

„Sehr geehrter Herr Rochow, 

eigentlich bin ich immer bemüht, keine ‚Schlagseite‘, wie Sie so nett schreiben, in meiner Berichterstattung aufkommen zu lassen. Viele meiner Leser wissen das auch zu schätzen. Sollte es tatsächlich eine ‚Schlagseite“‘in dem Beitrag geben, könnte es sein, dass diese ausnahmsweise beabsichtigt ist. Das Recht dazu dürfte mir als Blogger in jedem Fall zustehen.“

Und um ein wirklich letztes Mal den Leserbriefautor zu zitieren mit seiner wohl nicht unabsichtlichen Vagheit: „Und ob ein Turmneubau in historisierender Art wirklich in der Lage ist, die ästhetischen, identitätsstiftenden und touristischen Ansprüche, die an ihn gestellt werden, zu erfüllen, kann niemand mit Gewissheit sagen.“

Da genügt mir völlig meine eigene Gewißheit, und darüber will ich, diesmal kürzer, im nachfolgenden Teil schreiben.

Schloss Neustrelitz, daneben die Schlosskirche (koloriertes Luftbild, um 1920), von hier

Sonntag, 4. Februar 2024

Sexagesimae

Netherlands Bach Collegium, Pieter Jan Leusink (conductor), Holland Boys Choir, Bas Ramselaar (Basso), Sytse Buwalda (Alto), Nico van der Meel (Tenore) & Marjon Strijk (Soprano), von hier

„Leichtgesinnte Flattergeister“. Kantate für Soli, Chor und Orchester, BWV 181

Nr. 1: Leichtgesinnte Flattergeister. Arie (Baß); Nr. 2: O unglücksel'ger Stand verkehrter Seelen. Rezitativ (Alt); Nr. 3: Der schädlichen Dornen unendliche Zahl. Arie (Tenor); Nr. 4: Von diesen wird die Kraft erstickt. Rezitativ (Sopran); Nr. 5: Laß, Höchster, uns zu allen Zeiten. Chor

siehe auch hier  - Chor und Orchester der J. S. Bach Stiftung, Leitung - Rudolf Lutz, Miriam Feuersinger - Sopran, Alex Potter – Alt, Julius Pfeifer – Tenor, Klaus Mertens – Bass


Predigt in der Markuskirche zu Magdeburg

Weizenähren, von hier

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Vom Wachsen der Saat

26Und er sprach: Das Reich Gottes hat sich also, als wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27und schläft und steht auf Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst, daß er's nicht weiß. 28Denn die Erde bringt von selbst zum ersten das Gras, darnach die Ähren, darnach den vollen Weizen in den Ähren. 29Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er bald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Markus 4, 26 - 29

Liebe Gemeinde,

es ist schön, dass es sich so gefügt hat, dass heute ein Text aus dem Markusevangelium zur Predigt hier in der Markuskirche aufgegeben ist. Er präzisiert noch einmal das Bild vom Sämann, wie es uns in der Evangeliumslesung vorgestellt wurde. 

Es ist ebenso sinnfällig, dass die Kirche heute am 4. Februar an Hrabanus Maurus, den großen Gelehrten und Bischof aus karolingischer Zeit, erinnert. Darum sollen einige seiner Gedanken auch in diese Predigt einfließen.

Alle drei Lesungen des Gottesdienstes thematisieren das Gericht, die Ernte oder auch die Abrechnung am Ende der Zeit. Sie sollen darum auch unser Thema sein.

Christus kleidet seine Vorstellungen vom Lauf der Welt, von der Geschichte und von unserem Glauben in Bilder, die seinen Zuhörern damals vertraut waren, weil sie ihrem täglichen Alltag und dem Lauf der Natur angehören. Die archaische bäuerische Gesellschaft hängt existentiell davon ab, dass Saat und Ernte gelingen, dass Witterung und Boden günstig sind und, dass der Fleiß des Sämanns belohnt wird. Anderenfalls drohen Hunger und Verderben. Es drohten vor allem realer Hunger und reales Verderben. Es drohte der Tod.

In dieses Erzählen hinein flechtet der Herr seine Botschaft vom Glauben. So wie das Samenkorn in die Erde fällt, so soll das Wort vom Glauben in das Herz des Menschen fallen.

Die nicht zum Acker gemachte Natur bleibt Wildnis. Sie dient dem Menschen nicht, sondern sie bedroht ihn.

reife Weizenähren, von hier

Genauso das Herz, in das kein Wort Gottes gelangt. Es bleibt ohne wahre Mitmenschlichkeit, weil es ohne Gottesverehrung nicht das andere Gottesgeschöpf in rechter Weise erkennt.

Vor Gottes Allmacht aber werden wir demütig, vor Gottes Güte werden wir dankbar, vor Gottes Ewigkeit finden wir unser menschliches Maß. Demut, Dankbarkeit und das menschliche Maß verbinden uns zu einem Gemeinwesen, das mehr ist als eine bloß funktionale Interessengemeinschaft. Es sucht nämlich nicht nur die Gemeinschaft untereinander, sondern immer auch die Gemeinschaft mit Gott. Wer daher wiederum die Gemeinschaft mit Gott nicht sucht, der gefährdet zunächst sich selbst und dann auch andere. Wo aber ein Gemeinwesen als Ganzes aufhört die Gottesfurcht zu kennen, da zerfällt es.

Christus nimmt Bezug auf die Wunder der Natur. Er nimmt Bezug darauf, dass die Erde von selbst zum ersten das Gras, darnach die Ähren und darnach den vollen Weizen in den Ähren hervorbringt. So soll auch der Mensch zuerst lernen, darnach Erkenntnis gewinnen und darnach sollen Glauben und Vertrauen wachsen, damit er das große Wunder gewahr wird, welches darin besteht, dass er seinem Schöpfer gegenübertreten kann. Die höchste Frucht des menschlichen Lebens ist nämlich die Gotteserkenntnis.

Darauf ist die ganze Schöpfung angelegt, dass sie Frucht trage und, dass sie sich in dieser Frucht verschenke und durch die Hingabe fortbestehe.

Keith Weller, USDA: "A variety of foods made from wheat." von hier

Liebe Gemeinde,

in genau diesem Zusammenhang ist die Liebe beschrieben. Hrabanus Maurus lehrt uns dazu: „Wer zum Gipfel der Weisheit gelangt, muss notwendig zur Höhe der Liebe gelangen, denn keiner ist vollkommen weise, außer der, der vollkommen liebt. Wenn also jemand … zur Fülle der Weisheit zu gelangen sucht, tut er nichts anderes, als zur Vollkommenheit der Liebe zu gelangen, und so weit er in der Erkenntnis Fortschritte macht, so sehr kommt er auch in der Liebe voran.“

Erkenntnis und Liebe, Gotteserkenntnis und Nächstenliebe sind die beiden Säulen wahren Menschseins. Daran werden wir gemessen. Mit ihnen bringen wir uns in Einklang mit dem inneren Wesen der Schöpfung, das Christus uns wieder und wieder durch das Samenkorn, die Ähre und die Ernte zu beschreiben versucht. Das in der Leben schenkenden Gemeinschaft von Mann und Frau gegeben ist und das wir im liturgisches Jahr in Übereinstimmung mit dem Lauf der Jahreszeiten immer wieder feiern und einüben.

Der Herr will, dass wir verstehen, was wir glauben und, dass wir fest glauben, was wir verstehen. Gerade in unserer Beschäftigung mit der Natur können Vernunft und Glaube zueinander finden. Sie bilden nämlich keine Gegensätze. Nichts in der Natur widerspricht Gott, weil doch alles von Gott herkommt.

Klatschmohn (Papaver rhoeas) in einem Weizenfeld (Triticum),

Wenn das Samenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, dann trägt es viel Frucht. Ein menschliches Leben ist kurz. Es bleibt ihm wenig Zeit, den Samen auszustreuen. Wer aber reichlich sät und dem Allmächtigen und den unbändigen Kräften der Erde Vertrauen schenkt, der kann etwas Kostbares schaffen und muss die Ernte und mit ihr auch das Gericht nicht fürchten.

Wir sollen im Vertrauen auf Gott den Samen ausstreuen und unter die Menschen bringen, was uns anvertraut ist. Die Hingabe, das Verschenken, anders gesagt die Liebe, bildet das innere Prinzip der Schöpfung, weil sie das Wesen Gottes ist. Gott ist Liebe!

Daher sind wir gerufen zu geben, weil darin bereits das Reich Gottes Wirklichkeit wird. Wir sollen unseren Samen, das heißt, von dem, was wir den Menschen und der Welt zu geben haben, reich ausstreuen. Unsere innere Haltung soll es also sein, dass alles, was wir sind und tun zur Gabe, zum Dienst und zum Geschenk wird.

An dieser Haltung sollen wir auch dann festhalten, wenn wir erleben müssen, wie Menschen der Selbstsucht das Wort reden, alles für sich behalten wollen und den Nächsten schamlos ausnutzen. Es wird ihr Leben nicht erfüllen, denn das Leben ist auf Hingabe und auf Liebe angelegt.

Die Habsucht vernichtet immer zuerst das eigene Leben und sie entgeht nicht dem Gericht, von dem wir in der Epistel gehört haben:

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

Das Wort ist Richter. Auch darum muss es reich ausgestreut werden und alle Menschen erreichen, weil sie alle durch das Wort gerichtet werden. Der Richter und das Gericht kommen hier plötzlich auch ganz in unser gegenwärtiges Leben hinein. Sie sind nicht nur Größen, die am Ende der Zeit stehen.

Weizenfeld in der Felsőtold, Ungarn, von hier

Verständlich wird auch dieser Gedanke, wenn wir noch einmal zum Kornfeld zurückkehren. Es ist ein eindrückliches Gleichnis für unsere menschliche Gemeinschaft, denn die Halme brauchen sich gegenseitig. Der einzelne Halm würde abknicken und verderben. Seine Frucht würde nicht reifen können. Die Halme untereinander brauchen sich und das Licht der Sonne gibt ihnen die Richtung, das Wachstum, Gedeihen und Reifen.

Ist es mit uns Menschen nicht ganz ähnlich? Kein Mensch kann allein leben. Jeder braucht die Gemeinschaft. Und zugleich soll sich jeder Mensch auf Gott richten.

Wo ich auf Gott schaue, da werde ich bereits in guter Weise gerichtet. Das sei mein Gericht, dass ich meinem Schöpfer ganz und gar vertraue und mit meinem Leben Frucht bringe, so wie das Getreide, dass zu Mehl zermahlen und zum Brot gebacken unsere Speise wird auf unserem Weg.

Es lässt immer wieder staunen, wie tief verwoben das Brot, das Sakrament und unser Glaube miteinander sind.

Mit dem Sonntag Sexagesimae beginnt die Vorfastenzeit. Bis zum Lichtmesstag, der am Freitag begangen wurde, haben wir liturgisch auf die Krippe des Herrn zurückgeblickt. Von heute an blicken wir wieder voraus auf das Kreuz. Das Kreuz gibt unserem Leben die Richtung vor. Das Kreuz ist in gewisser Weise auch der Richterstuhl Christi, denn, es wird uns die Möglichkeit geschenkt, nach dem Blick auch unser ganzes Leben auf den gekreuzigten Herrn zu richten und im Glauben an ihn für die Welt fruchtbar zu werden.

Tragt Frucht und streut das Wort Gottes aus. Es wird nicht leer zurückkehren.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen.

Thomas Roloff


Bild von hier

nachgetragen am 5. Februar