Dienstag, 23. August 2016

Über vorzeitige Melancholie


Agnes Miegel

Frühherbst

Die Stirn bekränzt mit roten Berberitzen 
steht nun der Herbst am Stoppelfeld, 
in klarer Luft die weißen Fäden blitzen, 
in Gold und Purpur glüht die Welt.

Ich seh hinaus und hör den Herbstwind sausen, 
vor meinem Fenster nickt der wilde Wein, 
von fernen Ostseewellen kommt ein Brausen 
und singt die letzten Rosen ein.

Ein reifer roter Apfel fällt zur Erde, 
ein später Falter sich darüber wiegt - 
ich fühle, wie ich still und ruhig werde, 
und dieses Jahres Gram verfliegt.


Early Autumn

With crimson barberries adorned, stands dashing 
the Autumn at the stubbled ground, 
in clearer air the silver threads are flashing 
and gold and purple in the world abound.

I'm looking out where autumn winds are soughing, 
through vines that touch my window with a sigh, 
far, far away I hear the Baltic laughing 
and singing my last rose a lullaby.

A red, ripe apple from the tree descended, 
a tardy butterfly above it sways - 
I sense how this year's grief has ended 
and how my quiet silence stays. 

Translation by Walter A. Aue

Ein wenig zu früh für ein Herbstgedicht? Nun, mitunter bricht das Unzeitgemäße einfach vorzeitig ein. Die unglaublich verdienstvolle Sammlung von Übersetzungen des Prof. Aue ist jetzt tatsächlich verschwunden. Eine Barbarei von Verantwortlichen der Dalhousie University in Nova Scotia, an der er zuletzt gelehrt hatte. Ob er die Kraft aufbringen kann, das alles noch einmal zugänglich zu machen; ich weiß es nicht.

Mein langsames Verstummen hier hat seine eigenen privaten Gründe, mit denen ich aber niemanden behelligen mag.

4 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Herzlichen Dank fuer Ihre so verstaendnisvollen Worte. Und, ja, bei mir "herbstelt" es auch. Jung'sche Synchronie?
Ihnen und Ihrer Frau Mutter alles Gute!

MartininBroda hat gesagt…

Lieber Herr Prof., vielleicht, das Leben ist voller Merkwürdigkeiten. Aber Ihnen wünsche ich vor allem von Herzen alles Gute und sende meinen aufrichtiger Dank für Einsichten, Bereicherungen und Anteilnahme. Sie zählen zu den wenigen Bewahrern in diesen zerfallenden Zeiten.
Ich denke oft an Sie, wozu immer das gut sein mag.
Nochmals danke. Frau Mutter verhandelt gerade sehr mit dem Herrgott, ob er sie denn schon jetzt bei sich haben will oder erst später.

Rosabella hat gesagt…

<3

MartininBroda hat gesagt…

Schön, Sie hier zu sehen und Danke!