Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und von unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
„Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängsten uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“ (2. Kor 4,8+9)
Dies ist der Lehrtext vom 28. August, dem Sterbetag Eurer Mutter, lieber Martin und lieber Christoph Wisser. Die Verse aus dem 2. Korintherbrief des Paulus korrespondieren mit der Losung aus 2. Samuel, entnommen aus einem Loblied Davids, ein gesungenes Bekenntnis zu dem Gott, der hilft: „Du bist mein Schutz und eine Zuflucht, mein Heiland, der du mir hilfst vor Gewalt.“ (2. Samuel 22,3)
Davids und Paulus Worte korrespondieren mit unserem Leben, mit unserem Alltag. Deuten ihn, beleuchten ihn, bergen ihn. Da ist ein Gott, der mir hilft in meinen Tagen und Nächten. Ein Gott, der mir Aufmerksamkeit zollt, der sich mir zuwendet, der mir treu ist. Die Macht des Heiles, die mich leben lässt. Eine Grunderfahrung des Lebens dem, der sich ihr aussetzt.
Diese Macht spiegelt sich in besonderer Weise im Leben des Apostel Paulus wider. Dessen Biografie ist seine Theologie und umgekehrt. Im 4. Kapitel des 2. Briefes an die Gemeinde in Korinth schreibt er von seinem Berufungserlebnis. Er beschreibt es als eine Erfahrung des Lichts:
„Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu Christi:“ (2. Kor 4,6)
Paulus beschreibt seine Bekehrung und die der von ihm Missionierten als Wirken des Schöpfergottes. Die Erschaffung des Lichts setzt Gott fort in der Bekehrung von Menschen. Gottes Licht erleuchtet das Antlitz Jesu Christi, von dort dringt es in die Herzen der Menschen. Sein Angesicht ist wie ein Spiegel, das das einfallende Licht weiterlenkt und damit auch andere in Licht taucht. Das Bild der Bekehrung des Paulus wird zu einem Bild für uns alle.
Nun offenbart sich Gott im Schwachen. So tragen wir Menschen Gottes Licht, seinen Geist in irdenen Gefäßen. Wir tragen ewiges und vergängliches an uns. Wir sind Gerechtfertigte und Sünder zugleich, unser neues Leben ist tief hineinverwoben in die irdische Existenz. Gott wird gerade inmitten unserer Schwachheit erkennbar, denn der Glaube entdeckt die Herrlichkeit und Kraft Gottes immer wieder in der Niedrigkeit.
Niedrigkeit und Leiden erlebt Paulus zuhauf. Seine Briefe zeugen davon beredt. Ihm ist bewußt: Die Abfolge von Leiden und Rettung, von Tod und Auferstehung ist nicht zwangsläufig. Sie ist alles andere als ein Gesetz. Aber die Rettung aus Trübsal, die Erleuchtung der Finsternis ist ein Markenzeichen von Gottes Handeln nach der Bibel. Gott kann es offenbar nicht lassen anzukündigen, und zwar durch Taten, dass er es als die eigentliche Herausforderung ansieht, den Tod zu besiegen. Und wie an Christus, so wird an uns Gott selbst offenbar, das Auferstehungsleben Jesu. So erreicht die Gnade viele Menschen, und viele können Gott danken für die Kraft der Auferstehung.
„Dieweil wir aber denselbigen Geist des Glaubens haben, nach dem, das geschrieben steht: ‚Ich glaube, darum rede ich‘, so glauben wir auch, darum so reden wir auch.“ (2. Kor 4,13)
Lieber Martin, lieber Christoph Wisser, liebe Angehörige, liebe Gemeinde,
Margot Wisser hat ihren Glauben, ihre Berufung als längste Strecke in ihrem Berufsleben in dieser Gemeinde, in dieser Gegend gelebt. Die Gemeinschaft, die sie erlebte, hat sie und euch als Familie getragen und bestimmt. In sehr herzlicher, zugewandter, fröhlicher und freundlicher Art war sie und ist sie bei den Menschen erinnerlich verwurzelt.
Ihr Leben kennt von früh an Trübsal, Angst und Verfolgung. Geboren am 24. Oktober 1935 in Weichselmünde bei Danzig, erlebte sie am 1. September 1939 den Beginn des 2. Weltkrieges hautnah mit, als Augenzeugin des Beschusses der Westerplatte durch das Kriegsschiff „Schleswig Holstein“. Sie stand am Fenster und beobachtete das Geschehen. Es war der Abschied von einer behüteten Kindheit mit Verwandtenbesuch und viel gemeinsamem Musizieren. Die Geigen hingen an den Wänden. Der Vater spielte das Klavier, von ihm lernte sie die ersten Lieder zu spielen. Nun aber bestimmten Fliegeralarme oft den Alltag. Margot erinnerte sich an den Bunker, den ihr Vater gebaut hatte und in der die Familie, Mutter, Vater, Großmutter, sie und ihre kleine Schwester und Nachbarn Schutz fanden. Nach dem verheerenden Luftangriff auf Danzig dann wochenlang Aufenthalt in der Festung Weichselmünde bis Karfreitag 1945. Kurzzeitige Internierung des Vaters, die ihn schwer krank machte, Wohnen in Trümmern nahe Weichselmünde, Tod der Großmutter. Danach Vertreibung, Fahrt im Güterzug bis Küstrin. Hausen in Ruinen, der Tod des Vaters. Fahrt mit einem Güterzug nach Berlin, aus dem Flüchtlingslager in der Friedrichsstraße nach Altentreptow. Tod der kleinen Schwester. Im Dezember 1945 dann Tod der Mutter. Margot hatte in so kurzer Zeit bis auf die beiden älteren Schwestern, die bereits länger aus dem Haus waren, ihre gesamte Familie verloren.
Margot wurde von der Vermieterin in Altentreptow, Frau Wendt, aufgenommen. Im Mai 1947 dann der Umzug nach Techentin zu Verwandten, Tante und Onkel, die inzwischen gefunden worden waren.
In Techentin wieder Schulbesuch, aber auch Mittragen des Unglücks mit Leid und Tod, das die Verwandtschaft dort in Techentin betraf.
Hier erlebt sie einen intensiven Kontakt zur Kirchgemeinde, die Christenlehre bei Walter Kühn. Selbst schreibt sie: „Aus eine verängstigten Mädchen wurde wieder ein fröhlicher Mensch“. Er war es auch, der meinte, sie solle Katechetin werden und ihr dabei sehr half.
1952 dann absolvierte sie den katechetischen Elementarkurs in Rostock-Gehlsdorf. Erste Dienststelle war die Kirchgemeinde Benthen. Dort war sie fest integriert in die Pfarrfamilie Köster mit sechs Kindern. Diese Zeit hat sie in wunderbarer Weise geprägt. Sie gestaltete anfangs, solange es durch den Staat erlaubt war, noch den kirchlichen Unterricht in den Schulen. 1957 legte sie ihr katechetisches Examen in Schwerin ab.
Ab September 1958 begann sie ihren Dienst in der Kirchgemeinde Ballwitz. Dort waren die Wohnbedingungen katastrophal. Nach einem Jahr zog sie in eine große Wohnung ins Pfarrhaus hier in Jatzke. Propst Brehmer sagte ihr: „Sie gehen hoffentlich nicht nach zwei Jahren wieder, wie ihre Vorgänger!“ Es wurden 40 Jahre.
Anfangs waren es Kartons, die ihr die Möbel ersetzten. Langsam sparte sie sich die Einrichtung zusammen. Sie schuf sich ihr eigenes Nest und fühlte sich wohl.
Nach einem Jahr lernte sie ihren Mann kennen, den Landmaschinenschlosser Klaus Wisser. Nach wiederum einem Jahr feierten sie Hochzeit. Die Kinder wurden geboren. Sie schreibt: „Unsere Kinder wurden 1963 – Martin - und 1966 – Christoph – geboren. Kinder sind ein großer Schatz. Sie machen das Leben erst lebenswert.“
Weiterhin schreibt sie: „Es war oft nicht einfach, den Beruf als Katechetin und Organistin und die Pflichten in der Familie zu bewältigen. Trotz allem hatte ich immer wieder die Kraft, alles in geordnete Bahnen zu lenken.“
Mit viel Freude und Elan hat sie die Aufgaben in Familie und Beruf bewältigt. Ihr Wirken war durch die typischen Umstände einer ländlichen Umgebung geprägt. Sie war viel unterwegs. Mit dem Fahrrad, dann mit dem Moped fuhr sie in die umliegenden Dörfer. Ihre Christenlehregruppen waren gut gefüllt, die Rüstzeiten, Krippenspiele und Bastelnachmittage sehr gut angenommen. Mit viel Freude begleitete sie als Organistin die Gottesdienste der amtierenden Pastoren und spielte auch auf vielen Beerdigungen und Hochzeiten. Sie leitete den Chor der Gemeinde, der auch ein wichtiger Ort der Gemeinschaft war. Die Bibelwochen spielten eine wichtige Rolle. Propst Brehmer legte Wert darauf, dass sie mitkam, später gestaltete sie auch die gut besuchten Abende selbst.
Während mehrerer Vakanzen übernahm sie engagiert Verantwortung. Vor allem der Besuchsdienst war ihr wichtig. Sie hatte ein offenes Ohr für die Menschen, ihr Rat wurde geschätzt und sie pflegte Kontakte auch zu Einwohnern, die der Kirche weniger nahe standen. Sie gestaltete Arbeit in guter und enger Zusammenarbeit mit den Pastoren der Gemeinde, Propst Brehmer, Pastor Rau und Pastor Ogilvie.
1995 wurde sie aus dem Dienst verabschiedet, kurz darauf starb ihr Mann, Euer Vater. Sie schreibt: „Plötzlich war alles ganz anders.“
Ihr Eingebettetsein in die Gemeinschaft des Dorfes half ihr, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Es brauchte Überredungskunst, dem Umzug nach Neubrandenburg in ein Haus, das Christoph gebaut hatte, zuzustimmen. Ab 2006 wohnte Martin bei ihr und half, zunehmenden gesundheitlichen Schwierigkeiten zu begegnen.
Im Sommer 2013 dann der Umzug nach Neustrelitz. Auch dort blieb die Verbindung nach Jatzke aktiv und die Verbindung zu vielen Kollegen. Die Runde zum 80. Geburtstag im vergangenen Oktober in der Wohnung in der Hertelstraße in Neustrelitz war zwar kleiner geworden im Vergleich zu früher, zeugte aber von den regelmäßig gepflegten Kontakten.
Lieber Martin, lieber Christoph Wisser, liebe Angehörige, liebe Gemeinde,
wir betten Margot Wisser nun zur ewigen Ruhe und befehlen sie der Gnade Gottes. Wir bitten, dass sie nun schauen möge, was sie selbst geglaubt hat. Wir bitten Gott um seine Kraft und sein Geleit für uns, die wir trauern. Lasst uns Abschied nehmen mit Dank und im Frieden.
Ihre schriftlichen Lebenserinnerungen beschloß sie mit einem altchristlichen Segen:
Der Herr sei vor dir,
um dir den rechten Weg zu zeigen.
Der Herr sei neben dir,
um dich in die Arme zu schließen
und dich zu schützen.
Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren
vor der Heimtücke böser Menschen.
Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen,
wenn du fällst, und dich aus der Schlinge zu ziehen.
Der Herr sei in dir, um dich zu trösten,
wenn du traurig bist.
Der Herr sei um dich herum,
um dich zu verteidigen,
wenn andere über dich herfallen.
Der Herr sei über dir, um dich zu segnen.
So segne dich der gütige Gott.
Diesen Segen erbitten wir für uns alle. Amen.
Pastor Christoph Feldkamp, Neustrelitz
Anm.: nachgetragen am 19. 9.