Dienstag, 11. Juni 2019

Gedanken-Späne

Olivier-Stanislas Perrin, L'atelier du menuisier

Wo gehobelt wird, daher so auch beim Nachdenken, fallen Späne. Gedanken-Späne gewissermaßen -  davon kann man sich sogar ein bequemes Lager machen, auf dem Gedanken-Abfall:


Misogynistisches

Gefühlte Wahrheiten bauen keine Brücken, auf denen man sich leidlich seines Lebens sicher sein könnte.

Die Idee der Wahrheit sei etwas, das sich Männer ausgedacht hätten, um Frauen zu demütigen.


Jean Philippe Rameau, Tristes Apprets Pales Flambeaux


Vom Angehen gegen das Schöne

Zu dem eher abgegriffenen Einwand, ein jeder empfände eben etwas anderes als schön: Auch Gefühle können irren, und tun dies sogar gewöhnlich. Eine Sache, mit bebender Stimme vorgetragen, wird davon nicht notwendig wahrer. Eher gilt der Verdacht des Gegenteils.

Die zeitgenössische Fürsorge für Denkmäler will sie dekontaminieren und einsargen. Eine „Kultur“ des Todes.

Was niedere Geister gegen das Schöne und insonderheit gegen die Kunst aufbringt, ist, was in beidem an das Transzendente rührt. Es würfe sie auf sich selbst zurück, würden sie sich stellen. Der niedrig Gesonnene will etwas besitzen, um es zerstören zu können. Allein dessen Dasein beleidigt seine Existenz.

Wenn das Böse meint, das Auslöschen der Dinge verleihe ihm Macht, dann scheint es zwar äußerlich richtig, aber es ist nicht wahr. Denn, der die Dinge ins Leben ruft, kennt sie und ihre gute und rechte Bestimmung und in Ihm bestehen sie fort.

Puritanismus, das ist die Blindheit des Fanatismus, als ob man sich erst die Augen ausstechen müßte, wenn man Gott recht dienen wolle, darum diese Feindschaft gegen alles Schöne, Bildwerke, Kathedralen, Theaterstücke, ja alles Sinnliche... Es ist die Verachtung von Gottes Schöpfung in dessen Namen.


John Keats: Endymion, A Thing of Beauty, read by Tom O'Bedlam,
hier gefunden, der Anfang findet sich hier übersetzt


Reaktionäres

Wirklichkeit ist ein rechtes Vorurteil und das Ausbleiben des Weltuntergangs eine weitere perfide Verschwörung.

Das Progressive ist eine Art von aggressiv fortschreitender Bewußtseinsstörung. Es existiert, um zu verfolgen.

Es ist es ein hilf- und sinnloses Unterfangen, jemandem mit Vernunftgründen kommen zu wollen, der Wahrheit für ein repressives Konstrukt hält.

Dem Linksverlorenen wird angesichts von Räuber- und Mörderbanden gewöhnlich ganz sentimental ums Herz.

Die Französische Revolution war das Laboratorium, in dem herausgeklügelt wurde, wie man das große Morden systematisch mit moralischem Hochgefühl amalgamieren könne.


Jean-Philippe Rameau, Les Indes Galantes


Gegenwarts-Belästigung

Was ein olfaktorischer Notstand ist, das ist mir aufdringlich einsichtig. Dagegen hilft Kernseife, oder nötigstenfalls etwas chemisch Erfreuliches aus der Sprühdose. Aber ein Klimanotstand? Davon will sich mir kein Begriff einstellen. Stehen die Bewohner solcher Gegenden in Gefahr, sich urplötzlich in Luft aufzulösen? Ist es von der Art, wie den Himmel wegen des amerikanischen Präsidenten (er lebe lang und gedeihlich) anzuschreien? Wir bleiben ratlos zurück.

Die Dinge sind zerstört und durcheinander geraten. Valle de los Caídos.

Eine auf Widerspruch zur Wirklichkeit hin angelegte Existenz kann diesen immer nur noch mehr eskalieren.

Sie haben sich so komfortabel in der Schuld der anderen eingerichtet. Doch die Toten erziehen zu wollen, wirkt leicht anachronistisch. Aber, daß etwas anachronistisch ist, allein, macht es natürlich noch nicht unwahr.

Der Widerwille gegen das Wieder-Erstehende ist der Haß gegen die Heilung.

Bei Mißdeutungen an Mißverständnisse zu denken, setzt den guten Willen des anderen voraus. Woher noch immer dieses Urvertrauen?

Kultur bedarf einer gewissen Anstrengungsbereitschaft. Eine rein biologisch anwachsende Masse garantiert noch keine Weisheit. Bildung, eine neue Bosheit, die sie aus ihren gewohnten Verhältnissen riß.

Die Springteufel des neuzeitlich Dahinplazierten.


Jessye Norman: "Im Abendrot" - Richard Strauss


Sentimentales

Leben ist etwas, das einem mitgespielt wird. Am wahrsten bleiben die Erinnerungen an das, was es nie gegeben hat.

Wenn ein Mecklenburger Visionen hat, betrinkt er sich und hofft, daß der Spuk bald wieder vorbei ist.

Wer kennt das nicht? Man ist klüger als man selbst, weiß aber keinen Gebrauch davon zu machen.

Man denkt leicht, daß die verwandte Sorge, das gleiche Interesse eine besondere Verbindung stiften müßten. Natürlich nicht. Eher gibt es dem Ressentiment einen neuen Spielboden.

Die Varianten des Unmöglichen genießen.

Was für ein Kehrrichthaufen unsere Gedanken sind.


Jessye Norman: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“,
G. Mahler/ F. Rückert, hier gefunden


Fremd-Kluges

"Einem König sollte nichts mehr am Herzen liegen, als so vielseitig, so unterrichtet, orientirt und vorurtheilsfrey, kurz so vollständiger Mensch zu seyn, und zu bleiben, als möglich. Kein Mensch hat mehr Mittel in Händen sich auf eine leichte Art diesen höchsten Styl der Menschheit zu eigen zu machen, als ein König."

"Ein wahrhaftes Königspaar ist für den ganzen Menschen, was eine Constitution für den bloßen Verstand ist."

Aber:

"Ein einstürzender Thron ist, wie ein fallender Berg, der die Ebene zerschmettert und da ein todtes Meer hinterläßt, wo sonst ein fruchtbares Land und lustige Wohnstätte war."

Georg Philipp Friedrich von Hardenberg

Hans-Dietrich Sander habe dies die "Tribunalstruktur" der marxistischen Kritik genannt. Und ich lese Tribalstruktur. Hm.

Ein junger Einwohner Kinshasas bei David Van Reybrouck: „Wie lange wird diese Unabhängigkeit noch dauern? Wann kommen die Belgier zurück?'“ Und das den Belgiern!

„Die Hierarchien sind himmlisch. In der Hölle sind alle gleich.“

Nicolás Gómez Dávila


Camille Saint-Saëns, Ave Verum, Motette zu 4 Stimmen

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