Sonntag, 26. April 2020
Sonntags-Bilder (mit Kurz-Anmerkungen)
Am Eingang des Schloßgartens begrüßen uns die Ildefonso-Jünglinge, und immerhin der Knabe auf der Säule vor der Orangerie betet unerschüttert fort. Auch der Wolffsche Märchenbrunnen von 1844, ursprünglich im Park Sanssouci, ein Geschenk von Friedrich Wilhelm IV. an Großherzog Georg, erfreut wie eh und je.
Ein Anlaß, sich der barocken Götterallee teilweise zuzuwenden, war der in gnädiger Entfernung erkennbare Hintergrund auf den ersten beiden Bildern. Man hört, die Hypothekenbank habe endlich einen neuen, Hamburger Besitzer gefunden, der dort Wohnungen und Geschäftsräume einrichten will. Wenigsten verfällt es so nicht weiter, und vielleicht erfreut dann irgendwann wieder beides, die wiederhergestellte Fassade gemeinsam mit den beiden Damen davor.
Rechts eine Allegorie des Wassers; zur Linken Ceres, die Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit (durch die lädierte Sichel derzeit aber wohl in ihrer Tätigkeit eingeschränkt).
Der Bogen weist den Weg der Deutung – eine, wie ich finde, recht anmutige Statue der Göttin der Jagd Diana.
Auf der anderen Seite der Göttervater Jupiter mit einem eindrucksvollen Adler, er selbst wirkt etwas, wie sage ich es höflich. Großväterlich?
Und am Ende der kleinen Auswahl der Held Herkules, ebenfalls mit keiner üblen Staue, offenkundig das Haupt des erymanthischen Ebers unter der Rechten.
Über den Hebetempel gelangen wir zum Mausoleum der Königin. Wir brauchten einen schönen Ruhepunkt für das Folgende.
An der Schloßkirche und um sie herum wird derzeit deutlich saniert und wiederhergestellt. Und der Schwanenteichs hat jetzt also seine Konturen bekommen. Die weiteren Fortschritte kann man sich derzeit nur imaginieren. Wie von mir anderswo schon gesagt: Das Steilufer zum Weg hin wirkt recht kühn. Vielleicht hat man ja innerlich einen Superkleber verbaut.
Und aus diesem Winkel sieht man auch weniger von der sibirischen Dorfidylle des Besitzers des Marienpalais (etwa Hühner und -stall). Sondern hinter dem gegenüberliegenden Ufer taucht die Schloßkirche auf, und mit etwas Phantasie (die der HErr mir in seiner Güte hinreichend als Gabe gewährt hat) kann man sich sogar etwas ganz Wundervolles als Garten-Ganzes vorstellen. Irgendwann einmal.
Sonntag, 12. April 2020
Ostern
Der Herr ist auferstanden.
Er ist wahrhaftig auferstanden.
Halleluja.
Gesegnete Ostern!
Während ich diese Bilder machte, wurde auf einmal vom Turm Posaune geblasen und eine Handvoll Menschen hat zugehört. Das hat mich sehr gefreut. Und diese Predigt auch.
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Samstag, 11. April 2020
Die Nacht der Gottesmutter nach von Stuck
Franz von Stuck, Pietà, 1891
Ausschnitt, hier gefunden
Todesbläue und wächsernes Fleisch, das ist es, was ein Kind dieser Welt auf jenem Gemälde eines vor mehr als 100 Jahren hochberühmten Malers, der heute allenfalls noch als dekoratives Kuriosum bekannt ist, sieht, und versteinerte Trostlosigkeit.
Doch Blau ist die Farbe Mariens. Und: Die Heiligkeit ist nicht erloschen, ein dünner gerade noch sichtbarer goldener Ring aus Licht um das Haupt der Gottesmutter. Diese schmale Grenze scheidet das Göttliche vom Menschlichen.
Der wie zu Stein gewordene Leichnam – zermartert, doch aufrecht und ungebrochen - leuchtet unwirklich auf der Grenze von Leben und Tod. Nur noch ein Grabmal, ein Ritter ruhend vom heiligen Kampf?
Sie verbirgt nicht ihr Antlitz. Auch dieser Schein trügt. Mit ihren ihr Haupt stützenden Händen hört sie nicht in sich, sondern in die Abgründe der Welt. Sie übernimmt diese Last, für ihn, der nicht mehr das Vermögen hat zu hören, sondern sich ganz in sich zurückgezogen hat.
Sie nimmt die Verlassenheit der Welt auf sich. Die Verzweiflungsleere ohne Gott. Das Zerfallen der Schöpfung, ihres Lebensgeistes entzogen. Die doch mit ihrem Ja letztlich das Geschehene in Gang gesetzt hat. Sie steht in statuarischer Trauer, aber hört weit darüber hinaus. Sie ist dem Unerwarteten gewachsen.
Das dunkle Mysterium der Spanne zwischen Karfreitag und Ostern. Maria geht ganz in der Dunkelheit auf, scheint es. Löst sie sich in ihr auf oder löst sie sie auf? In eine sehende Dunkelheit.
Da ist keine Berührung im Körperlichen mehr nötig, wie wir sie vielfach von Darstellungen der Pietà gewohnt sind. Sie sind lange beieinander. Und sie steht hier, um den Abgrund zu überbrücken, eine Wächterin.
Nicht, daß sie selbst etwas zu sein forderte, außer zu helfen in diesem gefährdeten Moment. Es ist ihr zweites Ja. Und ihren mütterlichen Schmerz nimmt sie in dies alles ganz mit hinein.
Die Legenden berichten, Maria wäre bei ihrem erflehten Tode ein Engel erschienen, mit einem Palmzweig, der war grün als ein junger Zweig und funkelte wie der Morgenstern. Der Engel grüßte die Mutter seines Herrn mit großer Ehrfurcht. Sie aber bittet, daß ihre lieben Söhne und Brüder, die Apostel, in dieser Stunde allesamt um sie seien. Also wurden sie zu ihr entrückt und waren alle bei ihr in ihrem Hinübergang.
Franz von Stuck, Pietà, 1891,
Nachtrag
Obiges taucht ein in die Wahrheit des Bildes. Die Beschreibung der Evangelien ist eine andere. Danach ruhte unser Herr am Karsamstag in Grabtüchern in einer Felsenhöhle, vor die ein Stein gerollt lag, der am Ostersonntagmorgen auf wundersame Weise beiseite gekommen war. Dies mag verwirren.
In die Abfolge der Evangelien paßt der obige Moment nur kurz vor die Grablegung. Nehmen wir daher das erstere einfachen als einen weiteren apokryphen Text, über die es bei Luther so schön heißt: "so der heiligen Schrift nicht gleich gehalten werden und doch nützlich und gut zu lesen". Oder vielleicht besser als ein geistiges Bild.
nachgetragen am 14. April
Freitag, 10. April 2020
Karfreitag nach Max Klinger
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Leipzig, Museum der bildenden Künste, hier gefunden
Die Werkbeschreibung ist rein ästhetisch, man könnte sie auch areligiös nennen. „Klingers Christusidee“ sei der „Triumph des siegenden Gedankens des großen, schöpferischen Einzelmenschen“. Mag sein. Ihren Wert kann sie für denjenigen, dem das zu wenig ist, aber dennoch durch ihre Genauigkeit, in der sie das Gemälde sieht und beschreibt, entfalten. Nennen wir es eine Sehhilfe.
Um über die markierten Kürzungen Rechenschaft zu geben: Der Text ist gekürzt worden, wo der Autor Vergleiche innerhalb des Klingerschen Werks zieht, auf Kritiker eingeht, Einzelheiten wie die Charakterisierung vorbereitender Studien ausführlich darstellt, Fundorte und den Verbleib derselben angibt u.dgl. Weder wurde in den Stil eingegriffen, noch inhaltlich Wesentliches verkürzt, selbst wenn die Versuchung zum stärkeren Redigieren mitunter heftig war.
Der Stil ist auch in seinem Enthusiasmus der Darstellung und den emotional gefärbten Urteilen nicht untypisch für seine Zeit. Ein Jahrhundert später würde niemand so zu schreiben wagen, schon weil er Angst haben müßte, sich lächerlich zu machen. Und so wie die Zeitgenossen sich an der naturalistischen Nacktheit stießen, wird es heute anderes geben, das Anstoß erregt. Aber ob kunstkritische Texte nach der Mode der Gegenwart gehaltvoller oder gar lesbarer geworden wären als dieser hier, darf man bezweifeln.
Es wird auffallen, daß ich auf verschiedene zugängliche Abbildungsvorlagen zurückgegriffen habe. Ich kann nur empfehlen, sich einen guten Kunstdruck zu verschaffen oder besser gleich das Original anzusehen.
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Die Kreuzigung
„1891 wurde das Bild in Rom vollendet, die Studien gehen zurück in die Jahre 1888 und 1889... Die Kreuzigung ist... ein Hauptwerk der neudeutschen Kunst; sie ‚birgt ein so hohes Stück Menschenwürde, bildet ein Stück Kunst, wie es so selten von Menschenhand geschaffen wurde‘ (Fritz Mackensen, Worpswede); darum mußte sie auch verlästert werden, am meisten von denen, die sich als Pächter des Idealismus fühlen. In diesem Gemälde ist ein solcher Reichtum an Einzelschönheiten, eine solche Fülle emsigsten Naturstudiums, daß man vor ihm beständig im Bann gehalten wird; es geht das ‚Klingersche Fluidum‘ von ihm aus, das ‚auf schwache Gemüter atemversetzend wirkt, stärkere aber mit eigentümlicher Gewalt angreift'.
Die Komposition, die Anordnung der Gestalten im Räume ist... statuarisch frei auf… einem flachen, mit Quadersteinen gepflasterten Plateau. Aus diesem künstlerischen Grunde sind der gekreuzigte Christus und die beiden Schächer nicht nach traditionellem Schema hoch am Kreuze aufgerichtet; an den aus roh zugehauenen Balken gefügten Kreuzen hängen die nackten Körper nur wenig über Manneshöhe, rittlings auf einem Sitzbrett sitzend und mit den Füßen auf angenagelten Hölzern stehend. Die Arme sind breitgestreckt, nur ein wenig nach oben gezogen...
Die Monumentalität des Gemäldes liegt in dieser klaren Anordnung großartiger Einzelgestalten, die sich durch die Tiefe der Charakteristik, die Stärke der Empfindung und die Größe der Form dem Gedächtnis einprägen. Diese statuarische Gruppierung gibt dem Künstler Gelegenheit, alles Können von der menschlichen Gestalt aufs äußerste zu steigern, in jeder einzelnen Gestalt die seelische Charakteristik zu isolieren und erschöpfend herauszuarbeiten, Individuen hinzustellen, alles Beiwerk auszuscheiden und die Aufmerksamkeit ganz auf den mimischen Ausdruck der Gestalten zu sammeln. Zugleich wurde das Problem der Klingerschen Malerei weitergeführt, die farbigen Gestalten von freiem Licht umgeben im farbigen Raume als plastisch und wirklich luftverdrängend erscheinen zu lassen...
Gewiß stehen die Figuren auch im Verhältnis zur Raumweite des Bildes in einer verhältnismäßig schmalen Raumschicht. Daraus zu folgern, daß die malerische Vertiefung in den Hintergrund für die Personen fast vollständig fehle, fordert zu der Bemerkung heraus, sich das Bild doch recht genau anzusehen. Ich kenne kein Gemälde, in dem die Figuren räumlicher erschienen als in den Gemälden Klingers…
Man sehe den einen Schächer ganz rechts vorn, dann Christus, dann die beiden nackten Knechte neben dem zweiten Schächer, und man muß sehen, wie jede Gestalt in einer besonderen Raumschicht steht. Eine ähnliche räumliche Perspektive ergibt die linke Seite von der römischen Kurtisane bis zum Hohenpriester. Jede Gestalt löst sich nach der Tiefe zu von den anderen ab... Daß er einer der größten Meister des Raumes ist, sehen wir an seinen Landschaften. Daß ihm auch nicht an einem dramatischen Ineinandergreifen der Gestalten gelegen sein konnte, lehrt uns gerade die Komposition dieses Bildes. Zunächst bietet es genug Überschneidungen und einheitliche Gruppen, namentlich die der linken Seite. Die beiden Hauptgestalten aber, die Träger des Ganzen, Christus und Maria, stehen vollkommen isoliert, in statuarischer Klarheit…
[In den ausgelassenen Passagen beschreibt Kühn Vorstudien, denen offensichtlich von manchen ein höherer Wert zugemessen wurde als dem fertigen Gemälde selbst, wogegen er sich energisch wendet.]
Klingers Farbenskizze
Das Gemälde wird links durch die beiden griechisch-römischen Gestalten, rechts durch den unbußfertigen Schächer abgeschlossen und wie durch Pfeiler flankiert; diese Figuren bestimmen die vorderste Raumschicht des Bildes, sind also für die Tiefenwirkung von größter Bedeutung. In der ruhigen Schönheit griechischer Plastik steht die Griechin (oder römische Kurtisane), scheinbar unberührt von dem gewaltigen Schicksal, das sich hier abspielt, mit ihrem leicht ironischen Lächeln eine Art Salomenatur…
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden
Ein jüdischer Greis mit langem Bart... neigt sich dem Schreiber zu, und wie zum Beweise seiner Argumentation fingert er in die linke Handfläche. Der schwarzhaarige Schreiber, der wohl die Schrifttafel für das Kreuz schreibt, schließt diese überaus lebendige, von drastischer Mimik erfüllte Gruppe ab…
Isoliert, psychisch zur Gruppe gehörend und sie nach innen abschließend, steht der Hohepriester, die ‚kirchenpolitische Behörde‘, hoch und hager, mit langem Graubart, in rotseidenem Kaftan und gelbem Gürtel, ein rotes Käppchen auf dem Scheitel, kalt, hart und ruhig die Hände über dem Rücken verschränkt, wie ein Kardinal der römischen Kirche; für ihn, der den unbeugsamen Kirchengedanken verkörpert, vollzieht sich hier nur die Wiederherstellung der verletzten Staatsidee. Hinter der ganzen Gruppe tauchen noch zwei Charakterköpfe auf, ein kahlköpfiger, mürrischer Römerkopf und der eines rothaarigen Juden.
Bis ins einzelne wohlerwogen ist die Farbigkeit dieser linken Gruppen, die von der Griechin bis zum Kardinal in den bunten Gewändern, der Verschiedenheit der Gesichtsfarbe, des Haares ein reiches, buntes Farbenspiel ergeben, in dem, wie in einem Orchesterwerk, jede Farbe in Ton und Helligkeit die anderen bestimmt und hebt. In diesen prachtvoll gestimmten Farben, zu denen sich die feine Empfindung für geschlossene, in den Einzelformen sorgfältig durchgebildete Gruppe gesellt, erscheint uns mit dem bunten Spiel der Welt zugleich die Wucht und Macht der kompakten Majorität,die ‚Welt‘, die sich mit Grausamkeit, aber Größe des Prinzips gegen die revolutionierende Einzelmacht des Genies durchsetzt; im Gegensatz dazu links zwischen der Mittelgruppe und dem einen Schächer und ganz isoliert der gekreuzigte Christus, allein, mit der weit durchscheinenden Landschaft...
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden
Die zweite Gruppe des Bildes schließt sich im Zentrum zusammen, die Gruppe der Leidtragenden..., zunächst Magdalena, die Salome (der Evangelien), Johannes und hinter diesen drei, die durch ihre Gebärden eng verbunden sind, als Hintergrundsfolie der eine Schächer am Kreuz in breiter Frontstellung und die beiden nackten Knechte, die sich am Kreuz zu schaffen machen; sie schließen die Gruppe nach rechts ab. Für sich allein steht Maria, bewegungslos wie eine Statue, wie Christus in scharfer Profilstellung und mit diesem korrespondierend. Eine formal und seelisch tief durchdachte Komposition, in der die psychologischen Abstufungen der Teilnahme, von der lächelnden, gleichgültigen Ironie der Griechin bis zum tiefinnerlichen Schmerz, mit höchster Meisterschaft durchgebildet sind.
Die ernste Gestalt des Johannes, des Offenbarungsdichters, trägt wieder die Züge Beethovens; seine Blicke sind starr; er vermag nicht einmal sein Haupt hinzuwenden zu dem Herrn; hart ist sein Antlitz und ohne Trost, aber nicht kühl, sondern von innerem Trotz, in dem sein Schmerz keine Äußerung findet. Diese heroische Beherrschtheit der Empfindung ist noch keine ‚Kühlheit der Gebärde‘, wie man gesagt hat… (Sehr schön sagt Felix Zimmermann: ‚Johannes schaut in äußerlich starrer Ruhe vor sich hin, aber die ganze Welttiefe einer unendlich mitleidsfähigen Seele spielt auf diesem vibrierenden Antlitz‘.) Gemeinsam mit der Salome stützt Johannes die in ihrem Schmerz zusammenbrechende Magdalena.
In dieser Figur mit ihrer dramatischen Leidenschaft findet der psychische Schmerz, der die ganze Leidensszene erfüllt, äußerlich seinen mächtigsten Ausdruck. Die Gebärde des Schmerzes, der schräg vorgestreckten Arme und verschlungenen Hände bei zurücksinkendem Haupte, ist wieder eine echt Klingersche Erfindung... Wie kann man vor so ergreifender Schönheit beseelter Gebärde von ‚theatralischer Pose‘ reden! In dieser Magdalena ist eine wunderbare Sinnenschönheit, die als Macht wirkt; ‚in ihr schreit der Schmerz des Sinnenmenschen um den Tod der Schönheit‘. Die tiefe, leidenschaftlich-schöne, lebenerfüllte Liebe des Weibes bricht hier in wehen, händeringenden Schmerz aus... Wie weiß Klinger dieser Schönheit tiefe Seele zu geben! Er hat diese Figur auch mit einer augenscheinlichen Liebe vorbereitet. Der in Kreide gezeichnete Studienkopf…, ist einer der schönsten weiblichen Charakterköpfe, die aus Klingers Hand hervorgegangen sind...
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Ausschnitt, hier gefunden
Und nun die beiden Hauptgestalten, Christus und Maria… Daß das Auge Christi mit den vertränten, im Schmerze fast erloschenen Augen der Mutter zusammentrifft, ist das seelische Hauptmotiv, das über der großartigen Gestaltenreihe schwebt. Wunderbar ist dieses unsichtbare Fluidum seelisch-innerlicher Beziehungen, dieser merkwürdig magnetische Blick. So tief und erschütternd wirkt, so entscheidend ist er wie Wagners große Pausen (im ‚Holländer‘ u. a.). Klinger ist darin Meister...
Ein Wort Lionardos sagt: ‚Wenn du den tiefsten Schmerz darstellen willst, dann male die Gestalt hoch aufgerichtet in tränenloser Erstarrung.‘* (* Carl Schuchardt, Max Klingers Kreuzigung in Hannover. (Hannover 1899.)) Damit ist Klingers Maria charakterisiert. Eine hagere, alte Frau, steht die Mutter Jesu... wie zu Stein erstarrt, in tiefem Gram, aber voll Seelengröße und ungebeugt und blickt stumm und tränenlos auf ihr Liebstes hin.
Ein besonders feiner Zug ist ihre völlige Isolierung von der Mittelgruppe. Klinger hat sie in schärfstem Profil gegeben; die magere, düstere Gestalt hebt sich in einfachen Umrissen dunkel von dem landschaftlichen Hintergrunde ab. Gerade in dieser Umrißlinie liegt eine Stärke individueller Charakteristik, die in der gesamten Kunst wohl kaum übertroffen wird; sie besonders ist es, die diese Maria zu einer der großartigsten Gestalten der Kunst macht. Maria hat ein schwarzes Umhängetuch über dem hellen Kleid ganz eng an sich gezogen. Den Kopf deckt eine schwarze Haube aus Stoff, darüber ist ein Spitzentuch gelegt, das vorn dachförmig tief über die Stirn herabfällt. Die Vertikale ist fast ausschließlich betont, wie bei der Magdalena das Völlige, das Sinnlich-Schwellende.
Die Rückenlinie der Maria, der lange hagere Hals, das fest angezogene schwarze Obergewand, die harten Vertikalfalten des hellen Kleides, die eng angelegten Arme und über die Brust gefalteten Hände lassen an die Körperanschauung der gotischen Plastik denken. Welcher erschütternde Schmerz spricht aus dieser Regungslosigkeit der Vertikalstellung! Die ganze Figur ist ‚versteinerte Tragik‘. Ein solcher Schmerz ist wortlos; hier entringt sich kein Klagelaut den harten, zusammengepreßten Lippen, hier rinnt keine Träne mehr aus den dunklen, wie erloschenen Augensternen; selbst die Gebärde ist stumm.
Man hat daran Anstoß genommen, daß Klinger diesen äußersten tränenlosen Schmerz durch ‚entzündete Lidränder, eingefallene Augäpfel, die die Lidspalte geradezu sich schließen lassen‘ angedeutet habe. Keineswegs kann ich finden, daß diese mit den feinsten Mitteln arbeitende Charakteristik mehr an den Verstand, an das Nachdenken, als an das unmittelbare Gefühl des Beschauers appelliere.
Auch Christus ist ganz im Profil gegeben; der rechte Arm des Gekreuzigten ist unsichtbar; man sieht nur den linken, der ein. wenig schräg nach oben aus dem Bilde herausführt, in divergierender Richtung zu dem Arme des Schächers. Um das blasse Antlitz fallen goldene Locken. In seiner archaischen Gebundenheit, dem schematisch geordneten Haar, dem gestutzten Bart, dem festen einfachen Profil erinnert dieser Christuskopf an die frühgriechischen Apollostatuen.
Aber die Züge sind erfüllt von einem ungeheueren Ernst; in den Augen liegt ein eigentümliches, hellsichtiges Staunen, ein Blick wie aus weiter Ferne, der, ganz erfüllt von einer großen Idee und einer Vision der Zukunft, das unmittelbar Gegenwärtige kaum zu sehen scheint. Und doch liegt neben diesem heimlichen Triumph des Genies noch etwas ganz anderes darin: ein tiefer Schmerz, ein wortloses Mitleid mit den Seinen, mit diesen Menschen vor ihm. Am längsten aber haftet er auf der Gestalt der Mutter, und in diesem Blick liegt eine göttlich erhabene Stille.
Neben dem tiefen, klaren Ernst, der ganz Geist ist, dieser Blick voll Wehmut, der ganz Seele ist; in der ganzen Gestalt aber der Triumph des siegenden Gedankens des großen, schöpferischen Einzelmenschen. Das ist Klingers Christusidee. Sie ist moderner, aber im Innersten verwandt mit der Dürers.
Albrecht Dürer (Schweißtuche der Veronika)
Veronika zwischen Petrus und Paulus, 1509, hier gefunden
Schweißtuche der Veronika (Ausschnitt)
Dürer ist es gewesen, der eine neue Christusidee gebracht hat, indem er das Leiden und die Ergebung mit Männlichkeit und Stärke durchsetzt und das Wesen Christi auf die stärksten menschlichen Charaktereigenschaften zurückführt. Sein männlicher, kämpfender Christus hat in dem Christushaupt auf dem Schweißtuche der Veronika seinen reifsten Ausdruck gefunden; er ist der gewiß schönste aller Christusköpfe; nie sind ergreifendere Augen dargestellt worden. Das Große war, daß Dürer diesem Kopfe eine neue Tiefe und Innerlichkeit bedeutenden Menschentums gab.
Bis auf den heutigen Tag hat dieser Typus seine Geltung nicht verloren, und auch Klinger hat ihn nicht überboten. In seinem Christus ist aber eine ähnliche Heldenhaftigkeit des Kämpfens und Leidens und eine so erhabene, kühle Gelassenheit, die ruhig die angetane Schmach hinnimmt, daß wir hierin die besondere Auffassung Klingers erkennen dürfen.
Die Kreuzigung ist ein Hohes Lied auf die menschliche Charaktergestalt und den menschlichen Körper. Mit der malerisch-plastischen Durchbildung des Körpers Christi, wie der Schächer und der beiden nackten Schergen hat Klinger einen neuen Maßstab der Körperdarstellung gegeben. Man kann wohl sagen, daß die Modellierung dieser Körper ihresgleichen sucht. Menschengestalten von so anatomischer Wahrheit und lebendiger Wiedergabe des organischen Gefüges, auch in den schwierigen Verkürzungen, hat die deutsche und wohl auch die italienische Kunst nur wenige hervorgebracht.
Schon aus diesem Grunde bedeutet die ‚Kreuzigung‘ einen Markstein in der Geschichte der deutschen Kunst. Mit welcher erstaunlichen Charakterisierungskunst sind diese nackten Körper... voneinander unterschieden, in Form und Farbe. Der Körper Christi ist feinnervig, die Formen sind ‚durchgeistigt‘, der Körper des rechten Schächers ist in seiner strotzenden Muskelkraft erfüllt von animalischen Energien, in denen man die Gewalt des Trotzes noch am Pfahle zu erkennen meint. Überaus sprechend ist die Bewegung, wie er im schrecklichsten Schmerz den Kopf zur Seite neigt und sich aufbäumt, indem er das Kreuz einzieht. An diesem seitlichen Rückenakt ist alles äußerste Muskelenergie. Wie ergreifend wirkt im Kontraste dazu die grausame Qual des langsamen Sterbens in dem müden Neigen des Hauptes.
Mit den beiden nackten Schergen, die sich am Kreuz des anderen Schächers zu schaffen machen, hat man nichts anzufangen gewußt, auch nicht mit ihrer etwas absonderlichen Haltung. Psychisch sind sie auch ohne Bedeutung; sie erfüllen nur eine formale Aufgabe, darum also eine nicht minder künstlerische. Die Renaissance wußte derartige künstlerische Erwägung zu würdigen, indem sie mit der Frische der Naivetät das Kunstwerk, das sie schaute, genoß. Wem sonst verdanken die sich tummelnden Aktfiguren auf dem Hintergrunde von Michelangelos Rundgemälde der heiligen Familie in den Uffizien ihre Existenz als der Künstlerfreude an der Schönheit des Nackten. Auch sie haben psychisch nichts zu sagen; ihre formale Existenz bedurfte keiner Erklärung.
Die Freude am Nackten, dem ‚Schönsten, was wir uns vorstellen können‘, hat auch Klinger in dieser gewaltigen Figurenkomposition geleitet. Wie ihm die Darstellung des menschlichen Körpers ‚Kern und Mittelpunkt aller Kunst, die alleinige Grundlage einer gesunden Stilbildung‘ ist, so ist sie ihm im besonderen das A und das O der Monumentalkunst. Daß er aus diesem Grunde Christus, die Schächer und die Schergen nackt dargestellt hat, können freilich die ‚Kirchlichen‘ nimmer begreifen, und die im Grunde doch recht komisch und trivial wirkenden Entrüstungen, wie ‚Profanierung‘, ‚abschreckend realistisch‘ u. a., werden verhallen, soweit sie nicht Cornelius Gurlitt in seiner ‚Geschichte der deutschen Kunst‘ festgenagelt hat. (S. 614—616...; solcher pharisäerhafte Dilettantismus richtet sich auch von selbst, indem er sich der Lächerlichkeit preisgibt.)
Als Kenner und leidenschaftlicher Bewunderer des menschlichen Körpers hat Klinger eine entschiedene Vorliebe für magere, sehnige Bildungen, die das komplizierte Formenspiel ganz deutlich machen. Die Anordnung der nackten Körper im Raume ist meisterhaft, besonders die Christi und des linken Schächers; jeder Körper gibt nicht nur eine andere Ansicht, er ist zugleich als künstlerisches Mittel der Raumgestaltung in glänzender Weise verwertet durch die klare Betonung verschiedener Richtungslinien. Die Formencharakteristik der nackten Körper unterstützt Klinger durch die feinen Unterschiede der Haut; die Aufeinanderfolge der Leibesfarbe des rechten Schächers, Christi, der beiden prächtig gebräunten Schergen und des linken Schächers beweist schon allein, wie er die harmonische Farbenabstimmung seiner großen Gemälde, das symphonische Ineinandergreifen der Töne abwägt. Die Art, wie sich alle Gestalten in ihrer Farbenzusammenstimmung von der in bläulichen Duft gehüllten Landschaft abheben, bietet dem Auge einen hohen reinen Genuß.
Max Klinger: Die Kreuzigung Christi
Hinter dem steinernen Plateau und der farbigen Gestaltenreihe dehnt sich in die Tiefe und die Weite die südliche Landschaft. Dieser Blick von Golgatha auf Jerusalem ist in Wahrheit der entzückende Blick, der sich dem Auge über Siena von der Höhe von San Domenico bietet. Ein Aquarell dieser Landschaft, die Naturstudie zur Kreuzigungslandschaft, schmückte lange Zeit das Vestibül von Klingers Haus...
Wie auf dem Parisurteil und der Pietá ist der Landschaft wiederum eine großartige Wirkung eingeräumt, die im Beschauer jenes wunderbare Ferngefühl weckt, das ihm zugleich den höchsten Begriff der Freiheit gibt, wobei aber die Monumentalität der Figuren noch eine Steigerung erfährt. Die Weite der Atmosphäre erdrückt nicht die menschliche Größe. Unmittelbar hinter dem Plateau senkt sich der Blick in ein tiefes Tal, das den stadt- und mauergekrönten Hügel in eine zarte Ferne rückt. Das ‚blaue Auge‘ eines kleinen Sees und weißes Torgemäuer, die tief unten zwischen schwarzen Zypressen aufleuchten, geben an, wie hoch vorn Golgatha und hinten das prachtvolle Jerusalem, die Königin unter den Städten, emporsteigen. Auch das sind Kunstmittel der Raumgestaltung.
Auf dem Hügelgelände türmt sich im zarten Fernduft die Stadt mit ihren hochragenden Türmen; über der Hauptbrücke, die sich über gähnendem Abgrund wölbt, erhebt sich ein gewaltiger viereckiger Torturm. Eine schwül-heitere Bläue liegt über diesem reichen südlichen Stadtbild wie die Ahnung eines Unheils. Am hellen, grünblauen Himmel, den der Abend schon rosig färben will, zieht ein Schwarm dunkelgrau-silberner Lämmerwölkchen; das ist wie wenn ein Wind anhebt leise dahinzufahren, eine erste Erregung der Natur. In diesem Feinsten der Stimmung ist Klinger unvergleichlich groß...“
nachgetragen am 14. April
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Mittwoch, 8. April 2020
Zwischendurch
Mat and Savanna Shaw - The Prayer
Aber dieses rührende Lied mußte ich mitteilen (obwohl sein Styl gar nicht zu meinen Vorlieben paßt). Aus vielen Gründen, einer, der weit hinten rangiert - dieses reine Verhältnis zwischen Vater und Tochter, von dem uns eingeredet wird, ach vergessen wir einfach diese Kreaturen und den Schmutz dieser Welt, die uns tatsächlich nichts anhaben kann.
Die Jungfrau segne uns alle. Und vor allem und allem - Ihr Sohn!
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