Sonntag, 21. Februar 2021

Von der Dummheit


Dies ist einer der so vortrefflichen wie wirkungslosen Texte, weil jeder in ihm all jene, die ihm politisch, ästhetisch, moralisch oder in was auch immer zuwider sind, also die Spitzbuben der anderen Seite wie Klassenfeinde, Vertreter der toxischen Maskulinität oder Anhänger der vormaligen Präsidenten Trump auf der einen wie auf der anderen Zeitgeistknechte, erweckte Nivellierer und Ressentiments-Reiter jeweils trefflich gezeichnet sehen wird. Nur als eine der gegenwärtigen Frontstellungen. Eine klassische Einladung zur Projektion gewissermaßen.

Dennoch ist es eine tiefgehende Zerlegung der Gründe der Dummheit genauso, wie es die eher resignative Einsicht mitteilt, warum ihr mit Vernunftgründen kaum beizukommen ist. Der Abschnitt ist aus dem Anfang von "Widerstand und Ergebung“ von Dietrich Bonhoeffer, den Aufzeichnungen aus der Haft. Unmittelbar vor Kriegsende wurde er bekanntlich auf persönlichen "Führerbefehl" hin getötet. Das also wäre die Folie, vor der der Text steht. Wir wollen ihn weder aktualisieren noch historisieren, sondern einfach nur anbringen. Für seine Gedanken dazu ist sowieso jeder selbst verantwortlich.

Westminster Abbey - "Märtyrer des 20. Jahrhunderts", Photo von Dnalor_01 (CC-BY-SA 3.0), hier gefunden 


Dietrich Bonhoeffer: „Von der Dummheit“

„Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich.

London, Westminister Abbey, Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Dietrich Bonhoeffer, hier gefunden

Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist. Es gibt intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige, die alles andere als dumm sind. 

Diese Entdeckung machen wir zu unserer Überraschung anläßlich bestimmter Situationen. Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener Defekt ist, als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen. Wir beobachten weiterhin, daß abgeschlossen und einsam lebende Menschen diesen Defekt seltener zeigen als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und Menschengruppen. So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. 

Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei nicht der, daß bestimmte – also etwa intellektuelle – Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun – mehr oder weniger unbewußt – darauf verzichtet, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden. 

Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihm mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne, er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können.

Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen.

In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen zu wissen, was „das Volk“ eigentlich denkt, und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist – immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei, sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.

Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen.

Samstag, 20. Februar 2021

Marginalia


Selbst Schnecken können eigensinnig sein. Das Bild oben ist tatsächlich Zeugnis einer kuriosen "Wanderung". Im Herbst schlich sich eine kleine Schnecke durch das offene Fenster und nahm eine offenkundige Überwinterungsposition direkt daneben ein. 

Kürzlich fiel sie dort aber ab und da ich sie hinüber wähnte, landete sie mit ordinärem Schmutz, abgefallenen Blättern etc. erst auf der Schaufel und dann in der einschlägigen Porzellanschüssel im Bad. Als mir dabei ein flüchtiger Blick auf die Uhr verriet, daß ich wie immer schon wieder zu spät sei, unterblieb die reinigende Flut. Und als ich zurückkam, sah ich eine höchst lebendige Kreatur das Terrain erkunden. Ich fischte sie also von demselbigen und setzte sie in einen Blumenkasten, wenig später war sie nicht mehr auszumachen und heute entdecke ich sie an ziemlich haargenau derselben Stelle, von wo sie abgefallen war, mit allenfalls einem Zentimeter Differenz (ich hatte schon einmal Bilder gemacht). Merkwürdig.



Die holprichten Verse, die da unter das Bild mit Tinte geschrieben sind, lauten wie folgt:

Die göttlich Majestät nicht ganz erkannt mag werden

Dann an seinem Geschöpf im Himmel und auf Erden,

Zu sehen in die Sonn unser Augen nicht tügen

Im Wasser wir zum Teil den Schatten sehen mügen.


Ich fand sie in einer Einführung in die Barocklyrik als Beispiel für Emblemata. Um es für mich ein wenig zu glätten, dachte ich mir nachfolgende Variante aus:

Die göttlich Majestät nicht ganz erkannt kann werden,

An sein' Geschöpfe nur im Himmel und auf Erden,

Zu sehen in die Sonn' die Augen nicht ertragen,

So können wir den Schein im Wasser nur befragen.


Nur um erleichtert festzustellen, in einem anderen Druck gibt es offenbar vom Autor (Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria) selbst eine deutsche Fassung, die meine Verbesserung weit in den Schatten stellt. Aber zu den Marginalien paßt das Ganze.


Julius Wilhelm Zincgref

MONSTRATUR IN UNDIS


Begehrest Du zu seh'n den Glanz der heißen Sonnen?

Das kannst Du besser nicht als in dem Fluß und Bronnen.

So mag der große Gott auch nur erkennet werden

An seiner Hände Werk im Himmel und auf Erden.



Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Ermahnung zur Vergnügung


Ach was wollt ihr trüben Sinnen

Doch beginnen!

Traurig sein hebt keine Not,

Es verzehret nur die Herzen,

Nicht die Schmerzen,

Und ist ärger als der Tod.


Dornenreiches Ungelücke,

Donnerblicke,

Und des Himmels Härtigkeit

Wird kein Kummer linder machen;

Alle Sachen

Werden anders mit der Zeit.


Sich in tausend Tränen baden

Bringt nur Schaden,

Und verlöscht der Jugend Licht;

Unser Seufzen wird zum Winde;

Wie geschwinde

Ändert sich der Himmel nicht!


Heute will er Hagel streuen,

Feuer dräuen;

Bald gewährt er Sonnenschein,

Manches Irrlicht voller Sorgen

Wird uns Morgen

Ein bequemer Leitstern sein.


Bei verkehrtem Spiele singen,

Sich bezwingen,

Reden was uns nicht gefällt,

Und bei trüben Geist und Sinnen

Scherzen können,

Ist ein Schatz der klugen Welt.


Über das Verhängnis klagen

Mehrt die Plagen,

Und verrät die Ungeduld;

Diesem, der mit gleichem Herzen

Trägt die Schmerzen,

Wird der Himmel endlich hold.


Auf O Seele! du mußt lernen

Ohne Sternen,

Wenn das Wetter tobt und bricht,

Wenn der Nächte schwarze Decken

Uns erschrecken,

Dir zu sein dein eigen Licht.


Du must dich in dir ergötzen

Mit den Schätzen,

Die kein Feind zunichte macht;

Und kein falscher Freund kann kränken

Mit den Ränken,

Die sein leichter Sinn erdacht.


Von der süßen Kost zu scheiden,

Und zu meiden,

Was des Geistes Trieb begehrt,

Sich in sich stets zu bekriegen,

Und zu siegen,

Ist der besten Krone wert.