Sonntag, 28. November 2021

Wie die Seuche Menschen in den Mut treibt

oder

eine moderne Fürstenvermahnung

ev. Pfarrkirche St. Marien vom Stadthafen von Waren (Müritz) aus, hier gefunden

Am 12. September a.c. tat Herr Haase, ehemaliger Vorsitzender des Residenzschloßvereins und immer noch Mitinhaber des Schloßgartenhotels hier am Ort etwas sehr Unnettes: Er störte die Gedenkstundenharmonie (eine Tafel erinnert nun an die Landesverfassung von 1919) mit seinen Sorgen um den aktuellen Rechtsstaat. Er fand es offenkundig zu unerträglich, buchstäbliche Sonntagsreden zu halten, wenn das, was belobredet werden soll, unter dem Vorwand der Seuchenbekämpfung gerade beiseitegeschoben wird.

Zwei Zitate: „Wir erleben einen stetigen Abbau von Rechtsstaat, Demokratie, Liberalität.“ „Viele Grundrechte wurden faktisch außer Kraft gesetzt. Es wird der Eindruck erweckt, als sei es völlig in Ordnung, den Bürgern Rechte zu nehmen und sie ihnen – unter von der Exekutive diktierten Bedingungen – irgendwann (vielleicht) wieder zurückzugeben.“

Danach war wohl das Tischtuch zum Bürgermeister (oder was immer) zerschnitten und Herr Haase sah sich genötigt, als Vorsitzender des Residenzschloßvereins zurückzutreten, wenn dieser in den Debatten um den Schloßneubau noch vorkommen dürfen sollte.

Ein Zweites: Wenn ich mir eines geschworen hatte: Wo mir die Seuche, eher noch der öffentliche Umgang damit, schon die Neigung zum Schreiben hier verhagelt hat, dann wollte ich doch wenigstens auf keinen Fall auch noch selbst in der Sache wühlen. Aber jetzt gab es zum 2. Mal eine mutige Äußerung, die mich etwas beschämt zurückläßt.

Der Warener Pastor Marcus Wenzel hat einen Brief an Frank-Walter Steinmeier geschrieben, ja eben den. Das erinnert auf den ersten Blick zwar etwas in rührender Weise an altertümliche Fürstenvermahnung, aber im Grunde ist es eine Antwort, denn:

„Sehr geehrter Herr Bundespräsident, in ihrer kürzlichen Rede haben sie voller Bestürzung gefragt, was noch geschehen müsste, damit Menschen wie ich sich impfen lassen. Was mich angeht, ist die Antwort eigentlich ziemlich simpel: Wenn mir die Politik das Gefühl geben würde, dass alles mit rechten Dingen zugeht, wenn sie meine Fragen und Bedenken ernst nehmen würde und wenn sie wieder Vertrauen aufbauen würde, dann würde ich mich impfen lassen, am liebsten mit einem Todimpfstoff.“

Jetzt wissen wir schon mal, er ist also nicht geimpft. An den Herrn Steinmeier wende er sich, weil er in großer Sorge um die demokratische Kultur und den Frieden in unserem Land sei (der Brief ist vollständig in diesem ausführlichen Artikel dokumentiert).

Doch zunächst erläutert der geistliche Hirte (lat. „Pastor“), warum er sich mit der Coronaimpfung sehr schwer tue - offene Langzeitfolgen, eilige Zulassung, wachsende Impfdurchbrüche (sprich Impfversagen, und ich füge hinzu, es handelt sich um einen experimentellen Impfstoff, der in dieser Art meines Wissens bisher nicht eingesetzt wurde). 

Und dann kommt ein Punkt, der auch mich (als Geimpften) stark beschäftigt: „Mag die Grundimpfung für viele zunächst ohne schwerwiegende Folgewirkungen sein, stellt sich doch die Frage, was passiert, wenn man vielleicht noch immunisierte Menschen boostert, einmal, zweimal, dreimal? Wird es zu schweren Autoimmunerkrankungen kommen, weil unser Immunsystem völlig desorientiert ist, weil es eigentlich immun nun noch wieder eine Immunität entwickeln soll?“

Leider sei die Reaktion auf derart berechtigte Fragen, „als Impfverweigerer und Querdenker“ diskreditiert zu werden. Man werde nun faktisch zur Impfung gezwungen und er denke, „dass damit grundlegende Menschenrechte verletzt werden, wie z.B. das Recht auf Selbstbestimmung“. Ärzte mit kritischer Haltung zur Coronapolitik der Bundesregierung würden mit Disziplinarmaßnahmen bedroht (oder sie verlieren gleich ihre Stellung als Lehrärzte der Universität Leipzig z.B.). Die Entscheidung für oder gegen die Impfung würde zur Glaubensfrage hochgetrieben, die Familien und Freundeskreise zerreiße. Eine kritische, öffentliche vorgetragene Meinung nähme man inzwischen als mutig wahr.

Einen noch gefährlicheren Punkt spricht er meines Erachtens zurecht an – das Aufheizen von Spannungen in der Gesellschaft und das Kreieren von Sündenböcken. „Wie anders ist es zu verstehen, wenn der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus sagt, dass die Geimpften die Ungeimpften schon disziplinieren werden? Oder wenn ein Herr Frank Ulrich Montgomery von der ‚Tyrannei der Ungeimpften‘ spricht? Welch ein undemokratisches Verständnis lässt das erkennen!? Ganz davon abgesehen, dass solche Hetzer die Gesellschaft spalten.“ „Den Menschen in unserem Land aber wird suggeriert, dass die Ungeimpften Schuld an der ganzen Misere sind! So weit sind wir also wieder, dass wir eine Minderheit zum Sündenbock für eine schwierige Zeit machen müssen?“ „So lange ich nicht infiziert bin, kann ich auch andere nicht anstecken! Warum also wird mir Egoismus unterstellt?“

Er resümiert: „Nun zieht die Politik die Zügel an und zwingt letztlich alle Ungeimpften, sich impfen zu lassen… Ich denke, damit werden grundlegende Rechtsnormen unserer Gesellschaft gebrochen. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Vor allem aber wird damit der Frieden in unserer Gesellschaft gefährdet.“ Wenn man den Menschen nur genug Angst einjage, könne man mit ihnen alles machen. 

Diskreditierung aller Zweifel, Sündenbockerschaffung, Angstmaximierung. In der Tat fragt man sich hier: Was soll das alles? Und weiter fragt man sich natürlich. Wie reagiert darauf die offizielle Amtskirche? Wenn man bei der Suche nach einem Vergleich etwas in der Zeit zurückgeht, kommt einem fast der Vorwurf der Wehrkraftzersetzung in den Sinn.

Waren (Müritz) Altar der Kirche St. Marien, hier gefunden

Ein Sprecher des hiesigen Kirchenkreises erklärt, kirchlicherseits teile man die Ansicht von Marcus Wenzel nicht. Aber man gehe davon aus, daß er seinen Brief als Privatperson geschrieben habe, was in einer Demokratie selbstverständlich möglich sei. Dennoch widerspräche er „jeder guten Gepflogenheit“, da in der  öffentlichen Wahrnehmung gerade bei pointierten Meinungsäußerungen nicht unbedingt zwischen der Privatperson und der Amtsperson unterschieden werde. Allerdings habe die Pröpstin Britta Carstensen den Pastor an das Mäßigungsgebot für Pastoren erinnert und gemahnt, bei öffentlichen Äußerungen besser über Inhalt und Form nachzudenken. Mit anderen Worten, sie hat ihn streng gerügt.

Wenn es eine christliche Grundbotschaft gibt nach "Der Herr ist auferstanden", dann "Fürchtet euch nicht!". Weil die Kirche Anteil geben will an einer größeren Hoffnung, die alles Irdische übersteigt. Dafür hat diese „Hauptsache-Gesund Kirche“ offenkundig den Blick völlig verloren. Gleich schlimm ist, daß, selbst, wenn die Pröpstin seine Meinung nicht teilt, was ihr unbenommen ist, sie offenbar nicht sehen will, daß in dieser Gesellschaft Sündenböcke gekennzeichnet werden, aggressiv Stimmung gegen Menschengruppen gemacht wird u.dgl. Etwas, gegen das sie als Kirchenführerin doch qua Amt antreten müßte.

Die Politik hat sich jegliches Mißtrauen in diesem Corona-Drama gründlich erarbeitet (darauf näher einzugehen, würde hier den Rahmen weit sprengen). Die Kirchen aber sind zu ihr ununterscheidbar geworden. Neben dem aggressiven Opportunismus der berüchtigten deutschen Blockwart-Mentalität, den ich so gespenstisch nicht mehr für möglich gehalten hätte, gehört das zu den bittersten Erfahrungen der letzten 2 Jahre. Hut ab daher vor Leuten wie Marcus Wenzel, Pastor zu St. Marien in Waren (Müritz).

Waren (Müritz) im Spätherbst, Blick über den Tiefwarensee zur Marienkirche, hier gefunden

nachgetragen am 29. November

Freitag, 5. November 2021

Zwischendurch - Barock

Christian Hofmann von Hofmannswaldau

Die Welt


WAs ist die Lust der Welt? nichts als ein Fastnachtsspiel /

So lange Zeit gehofft / in kurtzer Zeit verschwindet /

Da unsre Masquen uns nicht hafften / wie man wil /

Und da der Anschlag nicht den Ausschlag recht empfindet.


Es gehet uns wie dem / der Feuerwercke macht /

Ein Augenblick verzehrt offt eines Jahres Sorgen;

Man schaut wie unser Fleiß von Kindern wird verlacht /

Der Abend tadelt offt den Mittag und den Morgen.


Wir Fluchen offt auf dis was gestern war gethan /

Und was man heute küst / mus morgen eckel heissen /

Die Reimen die ich itzt geduldig lesen kan /

Die werd ich wohl vielleicht zur Morgenzeit zerreissen.


Wir kennen uns / und dis / was unser ist / offt nicht /

Wir tretten unsern Kuß offt selbst mit steiffen Füssen /

Man merckt / wie unser Wuntsch ihm selber wiederspricht /

Und wie wir Lust und Zeit als Sclaven dienen müssen.


Was ist denn diese Lust und ihre Macht und Pracht?

Ein grosser Wunderball mit leichtem Wind erfüllet.

Wohl diesem der sich nur dem Himmel dienstbar macht /

Weil aus dem Erdenkloß nichts als Verwirrung quillet.“


Paul Fleming

An sich


Sei dennoch unverzagt, gib dennoch unverloren,

weich keinem Glücke nicht, steh' höher als der Neid,

vergnüge dich an dir und acht' es für kein Leid,

hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.


Was dich betrübt und labt, halt Alles für erkoren,

nimm dein Verhängnis an, lass' Alles unbereut.

Tu, was getan muss sein, und eh' man dirs gebeut.

Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.


Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke

ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,

dies Alles ist in dir. Lass deinen eiteln Wahn,


und eh' du förder gehst, so geh' in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,

dem ist die weite Welt und Alles untertan.


nachgetragen am 22. November