Freitag, 25. März 2022

George - eine alte Frau, die wie ein alter Mann aussieht - Lektüreempfehlung

Hans Makart, Charlotte Wolter als „Messalina“, ca.1875, Bild von hier

Herr Klonovsky bespricht in einem seiner jüngsten Beiträge vor allem das Buch „Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten” von Friedrich Torberg. Es handele vom Wien und Prag der Vor- und Zwischenkriegszeit. Für Torberg, von dem die hinreißende Wortprägung vom „inneren Doppeladler” stamme, sei der „Untergang Österreichs eine der katastrophalsten Humorlosigkeiten der Weltgeschichte” gewesen.

Es scheint ihm eine Art Trostbuch geworden zu sein, „als jemand, der die heutigen kulturlosen und geistfeindlichen Verhältnisse, unter denen es den woken Garden so kannibalisch wohl geht als wie fünfhundert Säuen, mit angewidertem Hohn betrachtet.“ 

Wiener Café Griensteidl vor 1897, Photo für die Illustrierte "Die vornehme Welt“, Bild von hier

Tatsächlich kann die Melancholie, die einen angesichts des Verlusts der „Welt von gestern“ (Stefan Zweig) befällt, auch etwas schmerzlich Tröstliches haben. Vielleicht, weil sie einem so ganz Anderes ins Bewußtsein ruft und die Umklammerung der Gegenwart dabei für diesen Augenblick lockert, indem sie die Weiten des Möglichen aufzeigt, und zwar einmal real gewordenem Möglichen.

Ihm ist es also gelungen, was mir gegenwärtig eher versagt ist, angesichts des Grusels der Zeiten mit aufbauend Unterhaltsamem aufzutreten.

Wien, Café Central

Da bei ihm besonders die Wiener Kaffeehauskultur gerühmt wird, will ich doch an eine bekannte Anekdote erinnern, die der Herr Bruno Kreisky in einer Pressekonferenz in die Welt gesetzt hat: Sein Vater, während des Ersten Weltkriegs Stammgast im Café Central, habe sie mit eigenen Ohren gehört. 

Heinrich Graf Clam-Martinic soll nämlich auf die Nachricht von der Revolution in Rußland hin erwidert haben:„Gehen S’! Wer soll denn in Rußland Revolution machen? Vielleicht der Herr Bronstein aus dem Café Central?“. Lew Dawidowitsch Bronstein, schachspielender Stammgast in besagtem Haus, ist geläufiger unter seinem Künstlernamen Leo Trotzki. 

Das nur als Erinnerung, daß auch kultur- und geistvolle Orte nicht davor gefeit sind, daß an ihnen recht Übles ausgebrütet wird. Wir wollen die Idylle also nicht auf die Spitze treiben.

Nachfolgend weiter unkommentiert 4 der Anekdoten. Mehr als eine Einladung, den ganzen Beitrag dort zu lesen.

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„Rudolf Kommer, eine Art Faktotum des Regisseurs Max Reinhardt, stammte aus Czernowitz und wurde wegen seiner Herkunft und seines Idioms oft geneckt. Als Reinhardt einen seiner berühmten Empfänge auf Schloss Leopoldskron anlässlich der Salzburger Festspiele gab, wir verweilen Anfang der 1930er, befand sich unter den Gästen der Generaloberst Hans von Seeckt, ‚ein ungemein artikulierter, feinsinniger, dem Theatermann Reinhardt verehrungsvoll zugetaner Kunstfreund‘. Kommer war auch an diesem Abend mit Anspielungen auf Czernowitz gehänselt worden und fühlte sich bemüßigt, dem Besucher aus Preußen die Hintergründe zu erklären.

‚Sie müssen wissen, Exzellenz, daß ich aus Czernowitz stamme‘, begann er. ‚Czernowitz liegt im Osten der ehemaligen Habsburgermonarchie und steht im Ruf –‚

Seeckt wehrte mit einer knappen Handbewegung ab. ‚Danke‘, schnarrte er. ‚Habe die Stadt zweimal eingenommen.‘”

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Anton Kuh, ein „literarische(r) Bohemien und geniale(r) Stegreifredner beschrieb ein Porträt von Stefan George mit den Worten: ‚Er sieht aus wie eine alte Frau, die wie ein alter Mann aussieht.‘”

Stefan George, Photo von Theodor Hilsdorf

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„Ein anderer Emigranten-Stoßseufzer aus London: ‚Regnen – das können sie!‘

Oder:

‚Na, wie gefällt’s Ihnen in New York, Frau Zwicker?‘

‚Wie soll es mir gefallen am Balkan?‘”

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Sándor Hevesi, Direktor des ungarischen Nationaltheaters nahm die Klage eines jungen Regisseurs entgegen, der vor seinem Hauptdarsteller in einer Inszenierung des King Lear geflohen war. “Hevesi hört sich seine Beschwerde ruhig an und sagt beschwichtigend: ‚Lieber junger Freund, Sie dürfen sich nicht kränken, und Sie dürfen sich nicht wundern. Bedenken Sie doch, mit wem Sie es zu tun haben: ein erwachsener Mensch, der sich jeden Abend einen Bart ins Gesicht klebt – schreit, daß er der König ist – und glaubt’s!‘”

Gibson-Zimmer im Café Museum, 19. April 1899 (Tag der Eröffnung), Adolf Loos am rechten Bildrand stehend, Bild von hier

Freitag, 11. März 2022

Gedenken an Großherzogin Anastasia

Großherzogin Anastasia, Bild von hier

Vor zwei Jahren hatte ich an die Großherzogin Anastasia von Mecklenburg (-Schwerin) erinnert (sowie früher noch an ihren Mann Großherzog Friedrich Franz III.), heute nun hat in Ludwigslust ein Gottesdienst anläßlich ihres 100. Todestages stattgefunden. Er wurde gehalten von Thomas Roloff und ich will ihn in seinen wesentlichen Teilen anschließend dokumentieren.

Übrigens, wer eher einen „leichteren“ Zugang zu ihrer Person sucht, der mag diesem Verweis zu einer Seite folgen, die ich jüngst zufällig fand.

Helenen-Paulownen-Mausoleum im Schlosspark Ludwigslust, Bild von hier

Gedenkgottesdienst zum 100. Todestag I.K.K.H Anastasia, Großfürstin von Russland und Großherzogin von Mecklenburg im Helenen-Paulownen-Mausoleum zu Ludwigslust


Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn!

Der Herr sei mit euch!

Der Mensch hat keine Macht über den Tag des Todes. 

Pred 8,8

Unter diesem Vers aus dem Predigerbuch, der die Tageslosung für den heutigen Tag ist, feiern wir Gottesdienst im Gedenken an den 100. Todestag I.K.K.H. der Großfürstin Anastasia von Russland, unserer Großherzogin von Mecklenburg. Wir wollen Gott die Ehre geben und mit der verewigten Fürstin und für alle Toten beten. Wir rufen Gott an, dass er die Verstorbenen im Frieden ruhen lasse. Wir flehen in diesen Tagen aber auch um den Frieden für uns, die Lebenden.

Herr, lass die Toten im Frieden ruhen und Dein ewiges Licht leuchte ihnen. Amen.


Psalm 126

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

3 Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. 

4 HERR, bringe wieder unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. 

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 

6 Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Ehr´ sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Kyrie eleison, Herr erbarme dich!

Lasset uns beten:

Ewiger Gott, die Kirche und mit ihr die ganze Welt sind auf dem Weg an das Kreuz deines Sohnes unseres Herrn. Lass uns deine Gegenwart schauen. Du leidest mit deiner Schöpfung und schenkst ihr darin Trost. Als Gemeinschaft der Lebenden und der Toten sind wir ums Kreuz versammelt. Wir recken uns nach deiner rettenden Hand.

Amen

Evangelium: 

Matth 5, 3-10

Credo

Großherzogin Anastasia in den 1910er Jahren, Bild von hier


Ansprache

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

wir gedenken der Großfürstin Anastasia, die heute vor 100 Jahren gestorben ist. Ihr Leben war Ausdruck für die enge Verbindung, in der das mecklenburgische großherzogliche Haus, die einzige verbliebene regierende slawische Dynastie im Reich, mit der russischen Herrscherfamilie stand. 

Vertreter des Hauses von Mecklenburg-Schwerin bei der Krönung von Zar Nikolaus II., Großherzog Friedrich Franz III. (dritter von rechts) neben seiner Gattin Anastasia, Bild von hier

Lassen wir zunächst ihre Tochter Cecilie erzählen: 

„Eine neuerliche Verbindung mit Russland sollte schließlich der Anlass zur Heirat meiner Eltern werden. Meines Vaters Schwester Marie war 1874 dem Großfürsten Wladimir als Gattin in dessen nordische Heimat gefolgt. 

Gelegentlich eines seiner häufigen Besuche bei seiner Schwester in St. Petersburg lernte mein Vater, der damalige Erbgroßherzog, spätere Großherzog Friedrich Franz III. von Mecklenburg-Schwerin, die junge Großfürstin Anastasia Michailowna kennen und lieben. Im Mai 1878 hielt er um Mamas Hand an, und Dreivierteljahre später, am 24. Januar 1879, fand im Winterpalais zu St. Petersburg die Trauung meiner Eltern nach lutherischem und orthodoxem Ritus statt. 

Nach einer Reihe prunkvoller Feste führte mein Vater seine schöne junge Frau in seine mecklenburgische Heimat. Das junge Paar wurde bei seinem Einzug in Schwerin am 8. Februar von der städtischen und ländlichen Bevölkerung des Großherzogtums mit herzlicher Teilnahme begrüßt.“

Soweit der Blick unserer letzten Kronprinzessin auf ihre Eltern.

Anastasia gebar ihrem Mann drei Kinder. Friedrich Franz IV. wurde der letzte Großherzog von Mecklenburg. Mit ihm endete eine 800-jährige ununterbrochene männliche Primogenitur auf dem Thron. Alexandrine wurde durch Heirat Königin von Dänemark. Sie ist die Großmutter der regierenden dänischen und der gewesenen griechischen Königin. Das jüngste Kind war die bereits erwähnte Cecilie, die letzte Kronprinzessin des Reiches und von Preußen.

Anastasia mit ihren Töchtern Alexandrine und Cecilie, Bild von hier

Unter den Ahnen Anastasias finden sich russische Kaiser, preußische Könige, Großherzöge von Baden und Hessen. Zu ihrer Verwandtschaft zählten alle Herrscherhäuser. Allein darin spricht sich aus, dass das alte Europa von einer einzigen großen Familie regiert wurde, die in den Dynastien des Reiches verwoben und verknotet war, und auch dadurch im Reich seine Mitte und in vielerlei Weise auch sein Maß fand. Das Gottesgnadentum war Gleichnis und Verheißung des Ewigen. 

Das gewann seinen Ausdruck in der Kultur, in der Architektur und vor allem auch im christlichen Glauben Europas. Diese eine große regierende Familie war gleichsam die allerhöchste Repräsentation auch für die Zusammengehörigkeit der Völker, für ihr Bezogen-Sein aufeinander.

Jagdschloß Gelbensande, Bild von hier

Ein bis heute verstörend schönes und denkwürdiges Beispiel für den hier gemeinten Zusammenhang ist das Schloss, welches Anastasia sich in Gelbensande erbauen ließ.

Von diesem schrieb Cecilie: „Wenn der Wanderer, der auf der Landstraße von Rostock nach Ribnitz seines Weges zieht, am kleinen schmucken Bahnhof von Gelbensande vorbeigekommen ist und die letzten Häuser des Dorfes hinter sich gelassen hat, so wird er dort, wo das Gehölz beginnt, acht weiße Steine bemerken, die anzeigen, dass ein fahrbarer Weg aus dem Wald herausführt. Und er wird weiter ein schlichtes schmiedeeisernes Tor sehen, das nur selten offen steht. Dieses Tor bedeutete für mich und meine Geschwister von Jugend auf den Eingang zu unserem irdischen Paradies.“

Jagdschloß Gelbensande, Bild von hier

Nach dem Vorbild von Gelbensande ließ sich die Kronprinzessin später den Cecilienhof errichten, der sich auf so ganz tragische Weise mit dem Schicksal des Reiches verbinden sollte. 

Dieses Haus, das für einen neuen Anfang stehen sollte, wurde zum apokalyptischen Quartier für das Ende von allem, was vertraut und bekannt war.

Schloß Cecilienhof, Bild von hier

Damit ist allerdings der Geschichte weit vorgegriffen. Es sind Ereignisse berührt, die Anastasia nicht mehr erlebt hat.

Was sie aber mit ansehen musste, war der Zusammenbruch des alten Europas, das sich 1914 in einen grauenhaften Krieg verführen ließ, in dem alles aufs Spiel gesetzt wurde und nichts zu gewinnen war. Cecilie schrieb über jene Augusttage: „Unglaubhaft schien es uns, dass andere Monarchen sich an die Seite der Königsmörder stellen könnten.“ Auch über diese Naivität ist die Geschichte mit schweren Stiefelschritten hinweggegangen.


Schloß Cecilienhof (Wappen des Kronprinzen Wilhelm und der Kronprinzessin Cecilie), Bild von hier

So nahe liegen sie manchmal beieinander, die irdischen Paradiese und die Abgründe der Hölle. Osip Mandelstamm hat festgehalten. „Wenn es ein goldenes Zeitalter gab, dann war es das 19. Jahrhundert und wir haben es nur nicht erkannt.“

Es ist eine uralte menschliche Erfahrung, dass die Mächte der Unterwelt, wenn man sie freilässt, keineswegs nur das Werk tun, zu dem sie gerufen wurden. Gelernt hat man daraus wohl nicht. Drei Brüder der Großfürstin wurden Opfer der Bolschewiki. 

Sie wurden grausam ermordet, als sich Menschen anschickten, durch die Vernichtung der vielen kleinen Paradiese, das ganz große Paradies auf Erden zu errichten.

Wir wissen, wie die Geschichte weitergegangen ist und blicken beklommen darauf, dass unsere Welt heute erneut am Abgrund steht.

Im Sommer 1914 hatte Anastasia noch an den russischen Kaiser geschrieben: „ … ich hoffe, dass der Krieg nicht geschehen wird, und wir eines Tages uns alle wieder sehen.“

Ihre Hoffnungen blieben unerfüllt. Umso sehnsüchtiger aber beten wir um den Frieden und um die Bewahrung der Welt, die im Russischen denselben Namen tragen.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen

Großherzogin Anastasia, Bild von hier


Fürbitte

Wir wollen Fürbitte halten und zu Gott beten mit dem gemeinsamen Ruf: Herr, erbarme Dich!

Allmächtiger Gott, wir danken Dir für den Weg Deines Sohnes ans Kreuz und bitten Dich, mache uns zu treuen Zeugen seines Sieges im Glauben an Dich.

Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich.

Ewiger Gott, wir danken Dir für die Gemeinschaft der Heiligen. Durch sie bleiben wir verbunden mit allen Menschen und mit Deinen Wundern. Wir bitten Dich, stärke Deine Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit und schenke ihr nach Deinem Willen Einheit und Frieden.

Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich.

Barmherziger Gott, wir danken Dir für das Leben von Anastasia. Du hältst sie nun in Deinen Händen. Wir können uns durch ihr Schicksal belehren lassen. Wir bitten Dich mit ihr für die vormals regierenden Familien, deren Ahnfrau sie wurde. Segne den Prinzen und die Prinzessin von Preußen und die königlichen Häuser von Preußen und Mecklenburg und schenke ihnen, dass sie uns Vorbild im Glauben sind.

Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich.

Gütiger Gott, wir danken Dir für Deine Gegenwart und bitten Dich um Segen und Frieden für unser Volk und für alle Völker, für unser Land und für alle Länder, für Russland und die Ukraine, denn Du hältst die ganze Welt in Händen und rufst Dein Volk aus allen Völkern. Gott, wir flehen Dich an, beende diesen grausamen Bruderkrieg, denn in Dir ehren wir den Herrn der Geschichte.

Wir rufen zu Dir: Herr, erbarme Dich.

In der Gemeinschaft mit der Gottesmutter Maria, mit der ganzen Kirche, mit der verewigten Großfürstin und mit allen, die in diesem Hause ihre letzte Ruhe gefunden haben, beten wir, wie Christus uns zu beten gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme, dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute

und vergib uns unsere Schuld

wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. 

Amen.


Sendung & Segen

Helenen-Paulownen-Mausoleum, Bild von hier


Bilder von heute (c) Th. Roloff