Sonntag, 21. August 2022

Eine Predigt im Dom zu Magdeburg

Westfront des Magdeburger Doms in den 1930er Jahren, von hier


Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext zum 10. Sonntag nach Trinitatis steht bei Matthäus im 5. Kapitel:

Jesu Stellung zum Gesetz

17 Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. 18 Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe. 19 Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. 20 Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser als der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Westfront des Magdeburger Doms, von hier

Liebe Gemeinde,

die Erfüllung von all dem, was verheißen ist, darin liegt unsere Erlösung.

Die Verführer, oder soll ich sagen, der Verführer, redet uns ein, dass die Überwindung von allem, was vertraut und bekannt war, die ganz große Befreiung wirkt. Immer wieder und in ganz verschiedenen Variationen rennt er gegen das Gewordene an. Er will Gewordenes wieder zunichtemachen. 

Goethe hat in seinem Faust das innere Wesen des Verführers genauestens beschrieben.

[Ich bin] ein Teil von jener Kraft,

Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. ...

Ich bin der Geist, der stets verneint!

Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,

Ist wert, daß es zugrunde geht; 

Drum besser wär's, daß nichts entstünde.

So ist denn alles, was ihr Sünde,

Zerstörung, kurz das Böse nennt,

Mein eigentliches Element.

Wo aber der Versucher derjenige ist, der verneint, da kommt unser Herr zu uns als das große und einzigartige und bleibende Ja. Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.

Westfassade des Magdeburger Doms, von hier

Und er sagt auch, nicht der kleinste Buchstabe wird zergehen. Glauben wir das? Ja, wir glauben es, weil wir anderenfalls nicht mehr seine Kirche sein würden.

Dieser Dom und seine Gemeinde, der ich auch tief verbunden bin, schon allein darum, weil ich in dieser Stadt lebe und hier ordiniert wurde, sind dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Immer wieder wurde er in seiner Geschichte erneuert, umgebaut und wiederaufgebaut. Jeder in der Gemeinde trägt dazu bei, dass dieses Haus ein lebendiger Ort ist und bleibt. 

Der eine durch das stille Gebet im Gottesdienst, ein anderer durch seinen Gesang und wieder jemand durch seine Spende und durch ehrenamtliches Engagement in der Gemeindeleitung, im Chor und in den Fördervereinen, nun auch für das neue Geläut, dass die ganze Stadt rufen soll.

Mit soviel Arbeit, Hingabe und Liebe bewahren und beleben wir das, was nun aber nur Gleichnis und Verheißung von dem ist, wovon Christus in unserem Predigttext spricht. Die Mauern des Domes sind gleichsam nur Hülle für die Verkündigung von Gesetz und Propheten. Ohne die Gültigkeit der Verheißungen Gottes hat dieses Haus keinen Sinn.

Magdeburg-Teil der Westfassade Dom, von hier

Nur weil Gott Schöpfer und Erlöser der Welt ist, wird jede Kirche so etwas wie ein Abbild von Gottes Bauplan. Meist sind Kirchen, so wie unser Dom, orientiert und auf den Lauf der Erde um die Sonne bezogen. Jede Kirche verkündet schon dadurch unser Bekenntnis, dass der Welt Gottes Ordnung eingeschrieben ist.

Jede redliche Wissenschaft ist immer der Vernünftigkeit auf der Spur, die in allen Dingen liegt und die sich durch uns entdecken lässt. Wäre Wissenschaft aber jemals auf den Gedanken gekommen, dass wir diese Fundamente der Welt selbst machen oder auch nur verändern könnten?

Detail der Westfassade des Magdeburger Doms, von hier

In vergleichbarer Weise sollen wir nun auch, und das wird im Evangelium für den heutigen Sonntag mit großem Nachdruck unterstrichen, in Gottes Gebot der Liebe ein Fundament dieser Welt erkennen. Wir sollen Gott lieben, seine Allmacht achten und ihm vertrauen. Gott zu lieben und seine Allmacht zu achten bedeutet aber vor allem, der Selbstmächtigkeit abzusagen. Die Liebe zu Gott und der Glaube an seine Allmacht und daran, dass er alles geschaffen hat, ist unsere einzige Möglichkeit, das menschliche Maß zu finden. Wir sollen uns wieder auf das, dem Menschen Mögliche verweisen lassen. In unserer Liebe zu Gott werden wir erst ganz eigentlich zu Menschen.

Oder glauben wir tatsächlich, dass der Allmächtige unsere Hilfe nötig hätte, damit geschieht, was er will? Gott erhält diese seine Welt und nicht ein Tüttelchen wird vergehen von dem, was er verheißen hat. Gebot und Verheißung unterliegen nicht unserem Verfügen.

"1.8.1955 Schutzmauer hielt... In wenigen Wochen kann das... Baudenkmal, das in diesem Jahr 1000 Jahre alt wird, freigegeben werden... Seit 1943 war diese Statue hinter einer Schutzmauer den Blicken aller entzogen. Mit grosser Vorsicht wurde jetzt die Mauer abgetragen, hinter der das Abbild Kaiser Otto I. die letzten Kriegs- und Nachkriegsjahre geborgen war." Von hier.

Das ist uns zur Verkündigung aufgetragen. Das ist die Aufgabe der Kirche. Das ist es, was wir zu tun haben.

Soll das denn aber heißen, dass wir frei zu völliger Willkür sind? Nein. Auch dem muss widersprochen werden. Aber gültig bleibt Gottes Verheißung, dass alles böse menschliche Tun seinen Willen zum Guten nicht und niemals überwinden kann. Das hat der Allmächtige am Kreuz gewirkt.

Dom, Magdeburg: Ansicht der nordöstlichen Seite des Chorumganges im Emporenumgang des s.g. Bischofsganges (1878 oder früher), von hier

Darum dürfen wir uns nicht in den Chor der Unheilspropheten einreihen, die überall durchs Land laufen und rufen Untergang, Untergang! Und der Predigt vom Untergang folgt immer die Verheißung der Selbsterlösung auf dem Fuße. Die Predigt von der Selbsterlösung ist in ihrem Kern aber immer die Absage an den Erlöser!

Dom, Magdeburg: Ansicht der nördlichen Seite des Chorumganges mit Darstellung der Madonna, (1878 oder früher), von hier

Die Absage an den Erlöser kann aber doch immer nur ins Unheil führen. Nur im Bekenntnis zum Schöpfer und zum Erlöser der Welt finden wir Maß und Mitte und finden wir zu dem, was uns erst wahrhaftig zu Menschen macht. Darum sind Liturgie und Gottesdienst und Gebet so wichtig. Sie wirken und geben uns gleichsam einen inneren Kompass.

Magdeburger Dom, Chorseite, von hier

Kaiser Otto I. und seine Gemahlin Editha von England, von hier

Lasst euch nicht irre machen!

Wer hätte vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass der schlichte Satz: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib“, einmal in Zweifel gezogen, sogar zum Anstoß werden würde?

Wer hätte für möglich gehalten, dass der Vers: «Es ist in keinem andern Heil (. . .) denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.», mit dem ein König bekundete, dass er eben nicht die höchste Instanz ist und auch ihm Demut aufgetragen wurde und der wieder die Kuppel des wiedererrichteten Stadtschlosses in Berlin schmückt, einmal für Feindschaft sorgen würde?

Eines ist doch erstaunlich. Die scheinbar schwindende Bedeutung der Kirche führt offenbar nicht dazu, dass man diesen, dann doch gleichsam nur „kulturellen Hinterlassenschaften“ eines christlichen Zeitalters gelassen gegenübersteht.

Dom zu Magdeburg St. Mauritius und Katharina (so sein eigentlicher Name), Statue des Hl. Mauritius (das zum Thema: Rassismus im mittelalterlichen Europa), von hier

Traut man hier dem Wort selbst mehr zu als seinen Verkündigern? Und wenn es so ist, dann ist doch gerade das ein Beweis für die Macht von Gottes Wort, von dem nicht der kleinste Buchstabe vergehen wird. Wenn es so ist, dann soll uns auch das in unserem Vertrauen auf Gesetz und Propheten bestärken. Die Kirche wird immer vom Wort Gottes her erbaut.

Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.

Wenn die Anfeindungen des Widersachers dazu führen, dass wir umso treuer am Wort Gottes festhalten und es fröhlich und furchtlos in die Welt tragen, nicht als etwas, das wir gemacht haben, sondern als das, was uns als kostbarstes Gut anvertraut ist, so wäre dann sogar auch hier am Ende noch einmal Goethe Recht zu geben, dass der, der zunichtemachen will, zwar das Böse sucht und dann doch das Gute schafft.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Amen

Thomas Roloff

nachgetragen am 23. August

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