Die Auferstehungsberichte Jesu sind höchst eigentümlich. Kein Triumphalismus, sondern Erschrecken, Skepsis, Verwunderung, Nicht-Wiedererkennen, die Angst vor einer Geistererscheinung, zögerliches Anerkennen, bis die Eindeutigkeit des Erscheinens überwältigt, dessen Körperlichkeit offenkundig ist und auch wieder nicht.
Diese Berichte zeugen von der Überforderung, das Geschehene zu fassen, und sie sind darin schonungslos aufrichtig. Es war eben gerade nicht die verständliche menschliche Sehnsucht nach einer sich erfüllenden Selbstsuggestion, kein vorbereitetes Suchen, sondern eine Wesensänderung, die ohne ein einschneidendes Ereignis schwer erklärbar ist.
Die Evangelien berichten, wie Jesus seinen Jüngern mehrfach erscheint und schließlich entrückt wird. Was aber bei diesen merkwürdigerweise nicht zu neuer Niedergeschlagenheit führt, sondern zum Gegenteil.
Benedikt XVI. hat in seinem Jesusbuch (Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg im Breisgau, 2011) diese Vorgänge wie folgt erhellt:
Er wendet sich dem Schluß des Lukas-Evangeliums zu: "Da wird erzählt, wie Jesus den in Jerusalem versammelten Aposteln erscheint, zu denen noch de zwei Emmaus-Jünger gestoßen sind. Er isst mit ihnen und erteilt Weisungen...
‚Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben; sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott.‘
Dieser Abschluss verwundert uns. Lukas sagt, dass die Jünger voll Freude waren, als der Herr endgültig von ihnen gegangen war. Wir würden das Gegenteil erwarten. Wir würden erwarten, dass sie ratlos und traurig zurückblieben. Die Welt hatte sich nicht geändert, Jesus war endgültig von ihnen gegangen. Sie hatten einen Auftrag erhalten, der unausführbar schien und ihre Kräfte überstieg.
Wie sollten sie vor die Menschen in Jerusalem, in Israel, in der ganzen Welt hintreten und sagen: ‚Dieser Jesus, der gescheitert schien, ist doch der Retter von uns allen‘? Jeder Abschied hinterlässt Trauer. Auch wenn Jesus als Lebender von ihnen gegangen war: Wie sollte sein endgültiges Scheiden von ihnen sie nicht traurig machen? Und doch - da steht, sie kehrten in großer Freude nach Jerusalem zurück und priesen Gott. Wie können wir das verstehen?
Jedenfalls folgt daraus, dass die Jünger sich nicht verlassen fühlen. Dass sie Jesus nicht als weit von ihnen in einen unzugänglichen Himmel entschwunden ansehen. Sie sind offenbar einer neuen Gegenwart Jesu gewiss. Sie sind sich gewiss..., dass er gerade jetzt auf eine neue und machtvolle Weise bei ihnen gegenwärtig ist. Sie wissen, dass ‚die Rechte Gottes‘, zu der er ‚erhöht ist‘, eine neue Weise seiner Gegenwart einschließt, dass er nun unverlierbar bei ihnen ist, so wie eben nur Gott uns nahe sein kann.
Die Freude der Jünger nach der ‚Himmelfahrt‘ korrigiert unser Bild von diesem Ereignis. ‚Himmelfahrt‘ ist nicht Weggehen in eine entfernte Zone des Kosmos, sondern die bleibende Nähe, die die Jünger so stark erfahren, dass daraus beständige Freude wird.“
Der Vorstellung eines erneuerten David-Reiches stelle Jesus eine Verheißung und einen Auftrag entgegen. „Die Verheißung ist, dass sie von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt werden; der Auftrag besteht darin, seine Zeugen bis an die Grenzen der Erde zu sein.
Das Fragen nach Zeiten und Fristen wird ausdrücklich abgelehnt. Nicht Geschichtsspekulation, nicht Ausschau nach kommendem Unbekanntem ist die Haltung der Jünger. Christentum ist Gegenwart: Gabe und Auftrag, Beschenktwerden mit der inneren Nähe Gottes und - aus dieser heraus - Wirken im Zeugnis für Jesus Christus...
Die Rede von der Wolke... stellt das Entschwinden Jesu nicht als Reise zu den Sternen, sondern als Eintreten ins Geheimnis Gottes dar. Damit ist eine ganz andere Größenordnung, eine andere Dimension des Seins angesprochen...
Der scheidende Jesus geht nicht irgendwo hin auf ein fernes Gestirn. Er geht in die Macht- und Lebensgemeinschaft mit dem lebendigen Gott ein, in Gottes Raumüberlegenheit. Darum ist er nicht ‚weggegangen‘, sondern nun immer von Gottes eigener Macht her bei uns und für uns da.
In den Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums sagt Jesus gerade dies zu seinen Jüngern: ‚Ich gehe und ich komme zu euch‘ (14,28). Hier ist das Besondere des ‚Weggehens‘ Jesu, das zugleich sein ‚Kommen ist, wunderbar zusammengefasst, und damit ist zugleich das Geheimnis von Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt ausgelegt ...
Und denken wir daran, dass nach Johannes der Ort der ‚Erhöhung‘ Christi sein Kreuz ist und dass unsere immer wieder nötige ‚Himmelfahrt', unser Aufsteigen, um ihn zu berühren, Mitgehen mit dem Gekreuzigten sein muss.
Der Christus beim Vater ist nicht fern von uns, höchstens sind wir fern von ihm; aber der Weg zueinander steht offen. Worum es hier geht, ist nicht der Weg einer Raumfahrt kosmisch-geographischer Art, sondern die ‚Raumfahrt‘ des Herzens, von der Dimension der Selbstverschließung zu der neuen Dimension der weltumspannenden göttlichen Liebe...
Und das Entzogenwerden Jesu durch die Wolke bedeutet nicht Bewegung zu einem anderen kosmischen Ort, sondern die Hineinnahme in das Sein Gottes selbst und so die Teilhabe an seiner Gegenwartsmacht in der Welt...
Der Sieg der Liebe wird das letzte Wort der Weltgeschichte sein. Von den Christen wird für die ‚Zwischenzeit‘ Wachheit als Grundhaltung verlangt... Wachheit bedeutet zuallererst Offenheit für das Gute, für die Wahrheit, für Gott, mitten in einer oft unerklärlichen Welt und mitten in der Macht des Bösen. Sie bedeutet, dass der Mensch mit aller Kraft und mit großer Nüchternheit das Rechte zu tun versucht, dass er nicht nach seinen eigenen Wünschen lebt, sondern nach der Wegweisung des Glaubens...
Kehren wir noch einmal zum Schluss des Lukas-Evangeliums zurück. Jesus führte die Seinen in die Nähe von Bethanien, so wird uns gesagt. ‚Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben‘ (24,50f). Jesus scheidet segnend. Segnend geht er, und im Segnen bleibt er. Seine Hände bleiben ausgebreitet über diese Welt.
Die segnenden Hände Christi sind wie ein Dach, das uns schützt. Aber sie sind zugleich eine Gebärde der Öffnung, die die Welt aufreißt, damit der Himmel in sie hereindringe, in ihr Gegenwart werden kann.
In der Gebärde der segnenden Hände ist das bleibende Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern, zur Welt ausgedrückt. Im Weggehen kommt er, um uns über uns selbst hinaufzuheben und die Welt für Gott zu öffnen. Deswegen konnten sich die Jünger freuen, als sie von Bethanien nach Hause gingen.
Im Glauben wissen wir, dass Jesus seine Hände segnend über uns ausgebreitet hält. Dies ist der bleibende Grund christlicher Freude.“
nachgetragen am Pfingstsonntag, dem 28. Mai