Bevor sich Herr Roloff auf den Weg machte, das Land der Griechen nicht nur mit der Seele zu suchen, sondern als ganze Person, durfte er noch in einer Dorfkirche im Magdeburgischen predigen, (zur Erinnerung, es ist aus Goethens Iphigenie: "Denn ach, mich trennt das Meer von den Geliebten/ Und an dem Ufer steh' ich lange Tage/ Das Land der Griechen mit der Seele suchend...", andererseits lebten die Taurier wohl auf der jetzigen Krim, und wer will da heute schon hin.).
Das Thema ist von der Gottesdienstordnung vorgegeben, und man kann sich leicht vorstellen, wie so mancher Prediger sich hier gewunden haben wird. Das ganze 11. Kapitel des Römerbriefes paßt so gar nicht in die Zeit, aber wann hätte es das jemals.
Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis in St. Eustachius und St. Agathe, Diesdorf
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für diesen Sonntag steht im Römerbrief im 11. Kapitel.
Warnung an die Heidenchristen vor Überheblichkeit
17Ob aber nun etliche von den Zweigen ausgebrochen sind und du, da du ein wilder Ölbaum warst, bist unter sie gepfropft und teilhaftig geworden der Wurzel und des Safts im Ölbaum, 18so rühme dich nicht wider die Zweige. Rühmst du dich aber wider sie, so sollst du wissen, daß du die Wurzel nicht trägst, sondern die Wurzel trägt dich. 19So sprichst du: Die Zweige sind ausgebrochen, das ich hineingepfropft würde. 20Ist wohl geredet! Sie sind ausgebrochen um ihres Unglaubens willen; du stehst aber durch den Glauben. Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. 21Hat Gott die natürlichen Zweige nicht verschont, daß er vielleicht dich auch nicht verschone. 22Darum schau die Güte und den Ernst Gottes: den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, sofern du an der Güte bleibst; sonst wirst du auch abgehauen werden. 23Und jene, so nicht bleiben in dem Unglauben, werden eingepfropft werden; Gott kann sie wohl wieder einpfropfen. 24Denn so du aus dem Ölbaum, der von Natur aus wild war, bist abgehauen und wider die Natur in den guten Ölbaum gepfropft, wie viel mehr werden die natürlichen eingepfropft in ihren eigenen Ölbaum.
Liebe Gemeinde,
die Klage über die Zerstörung des Tempels in Jerusalem ist für unser christliches Glaubensverständnis grundlegend. Im Jahre 587 trat mit der Eroberung Jerusalems, der Zerstörung des Tempels und dem Ende der davidischen Dynastie etwas ein, was scheinbar völlig konträr zu aller Verheißung stand. Im frommen Judentum kann man die damit verbundene Erschütterung zuweilen bis in unsere Tage spüren.
David Roberts, Belagerung und Zerstörung von Jerusalem durch die Römer unter Titus, 1850, von hier
Selbst über dem wiederaufgebauten Tempel, der dann bis in die Römerzeit Bestand haben sollte, lag doch immer der Alp, dass das Undenkbare bereits einmal eingetreten war. Unter Kaiser Vespasian wurde dann auch er beinahe vollständig vernichtet. Nur die Klagemauer zeugt bis heute von seiner Existenz.
Nichts, was von Menschenhänden gemacht wurde, hat Bestand. Es hat keinen Bestand, was Menschen tun, es hat aber immer Bedeutung.
Es ist darum auch keine Zufälligkeit, dass Christus gleichsam in der Zeit zwischen diesen beiden Tempeln, die doch nur ein Tempel sind, als Jude auf die Welt gekommen ist. Jesus hat als Jude in diesem Tempel gelehrt und er hat als Jude mit diesem Tempel gelebt. Durch Christus ist dieser Tempel auch unser Tempel. Hat er nicht gesagt:
Muss ich nicht in dem sein, was meines Vaters ist? Jesus lebte ganz seinen Glauben, der durch ihn auch unser Glaube geworden ist. Die Schöpfung der Welt, die Patriarchen, die Knechtschaft in Ägypten, die Flucht durchs Rote Meer, die Einnahme des Gelobten Landes, das Königtum von David und seinen Söhnen und endlich die Zerstörung des Tempels sind ganz auch unsere Geschichte.
Wir tun gut daran, uns häufig und im großen Ernst des Alten Testamentes zu erinnern. Wir tun gut daran, uns die Bedeutung des Tempels zu vergegenwärtigen. Wir tun gut daran, der Verheißung dann besonders treu zu vertrauen, wenn sie nach unseren und den Maßstäben der Welt gescheitert zu sein scheint.
Es tritt hinzu, wovon der Apostel Paulus in seinem Römerbrief schreibt. Du sollst wissen, daß du die Wurzel nicht trägst, sondern die Wurzel trägt dich.
Der Tempel ist ein wichtiger Teil dieser Wurzel. Darum ist es von Belang, dass der Herr die Umstehenden aufgerufen hat: Brecht diesen Tempel ab und ich werde ihn in drei Tagen wiedererrichten und dabei vom Tempel seines Leibes sprach.
Das Volk Israel war durch den Allmächtigen erwählt worden und er begleitete es auf seiner Wanderung durch die Wüste und wohnte in einem Zelt.
Das sesshaft gewordene Volk errichtete seinem Gott in der Hauptstadt eine Heimstatt. In Christus aber wurde leiblich gegenwärtig, wofür das Zelt und der Tempel nur eine äußere und vergängliche Hülle gewesen sind. War der Tempel ein Ort der Gottesgegenwart, so ist in Christus Gott tatsächlich gegenwärtig.
Von nun an war dem Volk die Möglichkeit eröffnet, anstatt durch einen Besuch im Tempel, durch die lebendige Gemeinschaft mit Jesus eine Gottesbegegnung zu erfahren, die ganz neu war und doch alles Gewesene erfüllte. Davon schreibt Paulus, der das Bild vom Ölbaum nutzt, um begreiflich zu machen, wovon hier die Rede ist.
Mit Christus begegnet uns der lebendige Tempel, wovon der gebaute Tempel Jerusalems nur Verheißung gewesen ist. Mit dessen Zerstörung ist so auch nicht die Verheißung Lügen gestraft, sondern sie wurde durch Christus erfüllt, das vermag aber nur zu erkennen, wer an ihn glaubt. Christus ist gleichsam an die Stelle des Tempels getreten. Niemals kann aber der Tempel an die Stelle des Herrn treten.
Nur durch Christus ist das Tor zum Heil für alle Völker aufgestoßen worden. Dieser Akt hat aber das auserwählte Volk nicht seiner Bestimmung beraubt. Umgekehrt eröffnet der Herr die eine Möglichkeit, wie jeder Mensch zum Angehörigen des einen Gottesvolkes werden kann. Die Bibel verdeutlicht das mit dem schönen Bild des Gartens, in dem ein Ölbaum steht.
Der Gärtner kennt die Weise des Pfropfens. Ein anderer Zweig wird gleichsam am fremden Stamm zum Wachsen gebracht. Das Fremde wird zum Eigenen. Zuvor wurden Zweige ausgebrochen, die nun, obgleich der Baum sie hervorgebracht hat, nicht mehr zu ihm gehören.
Die eingepfropften Zweige haben nun gar keinen Vorzug gegenüber denjenigen, die bereits zuvor am Baum gewesen sind. Sie alle wachsen und gedeihen zu einem Baum. Sogar für das, was ausgebrochen war, gibt es noch Hoffnung.
Jedenfalls können wir Paulus so verstehen, wenn er schreibt: „Denn so du aus dem Ölbaum, der von Natur aus wild war, bist abgehauen und wider die Natur in den guten Ölbaum gepfropft, wie viel mehr werden die natürlichen eingepfropft in ihren eigenen Ölbaum.“ Es besteht für alle dieselbe Hoffnung, weil für alle dieselbe Verheißung des einen Gottes besteht.
Hier spiegelt sich nicht nur der historische Vorgang des Zusammenwachsens von Judenchristen und Heidenchristen zu einer Kirche, von dem wir wissen, dass er alles andere als konfliktfrei gewesen ist.
Wilhelm von Kaulbach: Die Zerstörung von Jerusalem durch Titus, 1846 (und Detail), von hier
Hier wird auch ein Ausblick gegeben auf das Ende der Welt, das dadurch gekennzeichnet sein wird, dass wir alle zur völligen Gemeinschaft mit Christus berufen sind und in ihm mit dem lebendigen Tempel verbunden sein und in keinen steinernen Tempel gesammelt werden. Der Jude Jesus Christus ist das lebendige Tor zum Heil für alle Menschen.
In ihm begegnen wir die Erfüllung dessen, was im Bundeszelt, im Tempel, in den Synagogen und in allen Kirchen der Welt verkündet worden ist: Der Herr kommt und er wird richten sein Volk, das er aus allen Völkern gerufen hat. Gott will das Heil für alle Menschen und ruft sie durch Christus ins Leben.
Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. So schreibt Paulus eindringlich. Der Stolz des Menschen ist es nämlich, der das, was zur Einheit verwachsen ist, wieder auseinanderreißen kann. Der Glaube ist die Ursache dafür, dass wir an diesem Baum einen Platz gefunden haben und ohne unseren Glauben werden auch wir ihn wieder verlieren.
Auch daran erinnert uns heute das Gedenken an die Zerstörung des Tempels. Israel hat sie immer als eine Strafe für den Ungehorsam und für die Gottvergessenheit verstanden. Darin können auch wir noch ein Zeichen dafür erkennen, was geschehen kann, wenn wir unseren Glauben in dieser Welt nicht behaupten.
Jean-Guillaume Moitte, Beute aus dem Tempel, nach einem Relief vom Titusbogen, Rom, um 1791, von hierImmer schriller werden in unserer Zeit die Töne, die zwischen Selbstbezichtigung und Selbsterlösung schwanken, wie ein Sirenengeheul. Ich persönlich frage mich immer öfter, wo denn die Stimme unserer Kirche ist, die die Menschen zurück ins Gottvertrauen ruft? Nicht wir tragen doch die Wurzel, sondern die Wurzel trägt uns. Nicht wir retten die Welt, sondern die Welt ist durch Christus gerettet.
Das ist meine Botschaft für euch. Das ist die Gabe, die ich euch heute bringe. Vertraut der alten Wurzel, die uns trägt und die aus unserer Gemeinschaft mit Christus ein gewaltiges Zeichen der Hoffnung macht. Er ist es, der am Ende der Zeiten als Messias wiederkommen wird zu Israel, und wir sind Israel.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn.
Amen.
Thomas Roloff
nachgetragen am 22. August