Mittwoch, 25. Dezember 2024

Und wir sahen seine Herrlichkeit – Predigt zum 1. Weihnachtstag

Aachener Evangeliar, ca. 800-20, der Evangelist Johannes rechts, neben ihm sein Sinnbild, der Adler; von hier


Predigt über Joh 1,1-5.9-14

Das Wort ward Fleisch

1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort 2Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen. 9Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt kannte es nicht. 11Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben; 13welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. 14Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Amen


Liebe Gemeinde,

kaum ein Text des Evangeliums hat eine vergleichbare Wirkung entfaltet. Diese Verse sind eine philosophische Weihnachtsgeschichte. Sie sind zugleich ein Bekenntnis und eine Aufnahme der Schöpfungserzählung. Schöpfung und Erlösung treten hier zueinander. Das eine ist ohne das andere offensichtlich undenkbar und wir erfahren mit dem Weihnachtsfest, warum das so ist.

Die Schöpfung drängt hin auf die Erlösung und erst die Erlösung vollendet die Schöpfung. Das, was im siebten Schöpfungstag bereits anklang, die Ruhe Gottes, wird in der Erlösung manifest.

Daher sind diese heiligen Tage von einer so großen Bedeutung für uns Menschen und für unsere Beziehung zu Gott. Immer wieder wird mit den Worten des Evangelisten gerungen. Am berühmtesten wohl die Interpretation Goethes.

Faust, Im Studierzimmer (aus Faust I):

Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!
Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh' ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Wort, Sinn, Kraft und Tat sind vielleicht Bedeutungen, die allesamt in dem eingeschlossen sind, wovon hier die Rede ist. Schöpfung und Erlösung – am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Im Anfang war alles eins. Dann ist mittels des Schöpfungswortes alles aus Gott hervorgegangen. Das gesamte Universum und alles Leben sind eine Äußerung Gottes.

Gott selbst ist Ursprung und Mitte seiner Schöpfung und er umschließt sie zugleich mit der ungeheuerlichen Dimension seines geistigen Seins. Wir Menschen können davon nur stammeln und formelhaft anbeten, was uns da entgegentritt. Wir Menschen können nur verstummen, wenn wir gewahr werden, dass wir ein Teil dieses Geschehens sind. Denn in ihm, im Wort, war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen. Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt kannte es nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Blick auf die Johanneskirche von Ephesus, von der Zitadelle von Selçuk, von hier  

Ruinen der von Kaiser Justinian über dem Grab des Johannes gestifteten Basilika in Ephesus, von hier und hier

Dies markiert den tiefen Bruch, der die Schöpfung durchzieht. Wir Menschen sind von ihm genommen und zeugen doch nicht von ihm. Dabei sind wir in die Schöpfung nur aus diesem einen Grund hineingestellt, nämlich mit unserem Leben sein Licht zu werden. Mache Dich auf und werde Licht! Unser Leben, unsere Lebendigkeit soll in der Schöpfung vom Schöpfer zeugen und als ein Licht in die Finsternis scheinen. Wir tun dies aber nicht.

Die Schöpfung wurde der Erlösung bedürftig. Darum sandte Gott seinen Sohn. Gott wurde Mensch. Er nahm Anteil an seiner bereits gefallenen Schöpfung. Den aller Welt-Kreis nie beschloss, / der liegt in Marien Schoß; Der Schöpfergott steigt in seine Schöpfung herab und wird Mensch.

Das, was durch einen Menschen in die Schöpfung hineingetragen wurde, die Gottesferne, die Entfernung von Gott, kann auch nur durch einen Menschen aufgehoben werden, durch den Menschen Jesus Christus. Mit ihm ist die äußerste Gottesnähe tatsächlich geworden.

Das ist es, was wir heute feiern. Gott hat sich in einer Weise seiner eigenen Schöpfung ausgeliefert, wie das nur Mütter ermessen können, weil sie ein Kind unter dem Herzen trugen. Gott hat sich ganz und gar in den Gehorsam, in die Liebe und in die mütterliche Fürsorge Mariens gestellt. Er war ganz der Erfüllung dessen ausgesetzt, was die selige Jungfrau am Verkündigungstag versprochen hatte: Mir geschehe, wie du gesagt hast. Dort sprach sie dasselbe Wort, das Gott am Beginn der Schöpfung sagte: FIAT, es geschehe – mir geschehe. Schöpfung und Erlösung treten hier geradezu auch wörtlich zueinander.

Der Weg zum Heil ist uns darin wieder geöffnet, dass wir an ihm Anteil nehmen. In der Weihnacht sollen wir unser Herz zur Krippe bereiten, denn er kommt in sein Eigentum. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben; welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Darin liegt die einzigartige Tat Gottes, darin werden Kraft und Sinn offenbar. Das Wort ward Fleisch.

Das Wort, das Gott selbst ist, wurde Mensch und hat dieses Menschsein nicht wieder abgelegt. Christus hat das Menschsein durch alle Abgründe des Leidens getragen und es im Tod besiegelt.

Das ist es, was wir in der Weihnacht feiern. Wir, die Geschöpfe des Allmächtigen, werden zu Kindern Gottes, zu Geschwistern des Herrn. Ganz neu soll unser Jubel anheben. Das Dankgebet ist der Sinn unseres Daseins. Darin finden wir Kraft, um ihm zu folgen. Wort und Antwort sollen im steten Wechsel klingen. Gott ruft uns in seinem Sohn und wir antworten mit unserem nun nicht mehr endenden Dank.

Anton Bruckner, Te Deum; WAB 45, Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker, Wiener Singverein, hier gefunden


Die Gemeinschaft der Dankenden wiederum ist die Kirche, die betet:

Dich, Gott, loben wir, dich, Herr, preisen wir.
Dir, dem ewigen Vater, huldigt das Erdenrund.
Dir rufen die Engel alle, dir Himmel und Mächte insgesamt,
die Kerubim dir und die Serafim, mit niemals endender Stimme zu:
Heilig, heilig, heilig der Herr, der Gott der Scharen!
Voll sind Himmel und Erde von deiner hohen Herrlichkeit.

Dich preist der glorreiche Chor der Apostel;
Dich der Propheten lobwürdige Zahl;
dich der Märtyrer leuchtendes Heer;
dich preist über das Erdenrund die heilige Kirche;
dich, den Vater unermessbarer Majestät;
deinen wahren und einzigen Sohn;
und den Heiligen Fürsprecher Geist.
Du König der Herrlichkeit, Christus.
Du bist des Vaters allewiger Sohn.
Du hast der Jungfrau Schoß nicht verschmäht,
bist Mensch geworden, den Menschen zu befreien.
Du hast bezwungen des Todes Stachel und denen,
die glauben, die Reiche der Himmel aufgetan.
Du sitzest zur Rechten Gottes in deines Vaters Herrlichkeit.
Als Richter, so glauben wir, kehrst du einst wieder.
Dich bitten wir denn, komm deinen Dienern zu Hilfe,
die du erlöst mit kostbarem Blut.
In der ewigen Herrlichkeit zähle uns deinen Heiligen zu.

Rette dein Volk, o Herr, und segne dein Erbe;
und führe sie und erhebe sie bis in Ewigkeit.
An jedem Tag benedeien wir dich
und loben in Ewigkeit deinen Namen, ja in der ewigen Ewigkeit.
In Gnaden wollest du, Herr,
an diesem Tag uns ohne Schuld bewahren.
Erbarme dich unser, o Herr, erbarme dich unser.
Lass über uns dein Erbarmen geschehn, wie wir gehofft auf dich.
Auf dich, o Herr, habe ich meine Hoffnung gesetzt.
In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden.
Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn. Amen

Thomas Roloff

________________________________________________

Herr Roloff zitiert am Ende das Te Deum (deutsch: Dich, Gott, loben wir), eines der ältesten und traditionsschwersten Lob- und Bittgebete der Christenheit.

nachgetragen am 26. Dezember

Keine Kommentare: