Jemand, der mir nahestehen sollte, und das wohl auch einmal tat, ist seit geraumer Zeit ins Geisterhaft-Esoterische abgerutscht, was seinem Charakter nicht eben gut getan hat. Sein Ego fand offenkundig nicht mehr die notwendige Bestätigung in der sichtbaren Welt, was erst einmal versponnen sympathisch klingt, aber tatsächlich hat es ihn völlig deformiert. Das Leben ist leider nicht immer so, daß man über Vögel und Blumen sprechen kann, auch wenn das zweifelsohne angemessener wäre.
Was erstaunlich ist, als ich noch losen Kontakt zu seinem persönlichen Umfeld hatte, memorierte ich folgenden mir schriftlich vorliegenden lateinischen Vers:
„Media vita in morte sumus
Quem quærimus adiutorem nisi te Domine?
Qui pro peccatis nostris juste irasceris
Sancte Deus, sancte fortis
Sancte misericors Salvator
Amaræ morti ne tradas nos
In te speraverunt patres nostri
Speraverunt et liberasti eos
Ad te clamaverunt patres nostri
Clamaverunt et non sunt confusi
Gloria Patri, et Filio
et Spiritui Sancto,
sicut erat in principio, et nunc, et semper, et in sæcula sæculorum. Amen.“
Dies stieß auf massives Mißvergnügen. Nun handelt es sich dabei um einen Antiphon des berühmten Notker Balbulus († 6. April 912), der durch das ganze Mittelalter als vieles diente, auch als Abwehrmittel gegen das Böse. Aus gewissen Gründen eine Übersetzung und eine Nachdichtung von Martin Luther:
„In the middle of life we are in death
of whom can we seek aid except you, Lord?
You who for our sins are rightly angered.
O Holy God; O Holy, almighty; O Holy and merciful Savior;
may you not surrender us to bitter death.
In you our Fathers have trusted;
they have trusted and you have delivered them.
To You our Father have cried out;
they have cried out, and they have not been brought to ruin.
Glory to the Father, and the Son, and to the Holy Spirit:
as it was in the beginning, now and always and for ever and ever.“
„Mitten wir im Leben sind
Mit dem Tod umfangen.
Wen suchen wir, der Hilfe tu,
Daß wir Gnad erlangen?
Daß bist du, Herr, alleine.
Uns reuet unser Missetat,
Die dich, Herr, erzürnet hat.
Heiliger Herre Gott,
Heiliger starken Gott,
Heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott,
Laß uns nicht versinken in des bittern Todes Not.
Kyrieleison.
Mitten in dem Tod ansicht
Uns der Höllen Rachen.
Wer will uns aus solcher Not
Frei und ledig machen?
Das tust du, Herr, alleine.
Es jammert dein Barmherzigkeit
Unser Klag und großes Leid.
Heiliger Herre Gott,
Heiliger starker Gott,
Heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott,
Laß uns nicht verzagen vor der tiefen Höllen Glut.
Kyrieleison.
Mitten in der Höllen Angst
Unser Sünd uns treiben.
Wo solln wir denn fliehen hin,
Da wir mögen bleiben?
Zu dir, Herr, alleine.
Vergossen ist dein teures Blut,
Das gnug für die Sünde tut.
Heiliger Herre Gott,
Heiliger starker Gott,
Heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott,
Laß uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost.
Kyrieleison.“
Erfurter Enchiridien, 1524
In der Tat mag es so scheinen, als ob ich damit, daß ich diesen Text vor mich hielt, gewissermaßen in die Falle gegangen sei. Darauf ließe vieles erwidern, nur eines, eine Vermutung soll genügen. Vielleicht ist es so, daß Worte in gutem Glauben über Jahrhunderte gebraucht, sich gewissermaßen mit Sinn und Wirkung aufladen können, man tritt in eine unsichtbare Gemeinschaft und nimmt teil an der Bewahrung von etwas Guten und wehrt gemeinsam etwas Zerstörerisches ab, über Jahrhunderte hinweg.
Mittwoch, 25. Juni 2008
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