Sonntag, 24. Juni 2018

Predigt zum Johannisfest

El Greco, St Johannes der Täufer und St. Johannes der Evangelist
ca. 1600 - 1610, hier gefunden

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus! Amen

Liebe Gemeinde,

würden Sie in ein Karussell einsteigen, das sich mit über 100.000 km/h dreht und dessen Gondeln auch noch mit fast 2.000 km/h rotieren? Man erschrickt bei solchen Größenordnungen zunächst, denn das ist so viel schneller als unsere Autos und selbst Verkehrsflugzeuge es sind. Dann aber ahnt man heute am Johannistag vielleicht, worum es sich handelt. Wir brauchen nicht mehr einzusteigen. Wir alle sitzen und leben in diesem Karussell, denn unsere, fast 5 Milliarden Jahre alte, Erde kreist mit 100.000 km/h um die Sonne und mit jenen ca. 2.000 km/h rotiert sie um ihre eigene, leicht geneigte Achse.

Die Neigung der Erdachse wiederum ist es, die uns den scheinbaren Anstieg des Sonnenlaufs und damit die Jahreszeiten beschert. Das ist es, was wir astronomisch heute feiern, die Sommersonnenwende, den Gipfel der „Lichttreppe“.

Als Christen begehen wir darüber hinaus den Geburtstag von Johannis dem Täufer. Bei Heiligen feiert die Kirche sonst immer das Sterben als Geburt zur Ewigkeit. Nur zwei weitere Geburtstage feiern wir Gläubigen. Denjenigen des Erlösers auf der Wintersonnenwende und den Geburtstag der Gottesmutter Maria am 8. September.

Sommersonnenwende, Wintersonnenwende und die Geburt der Jungfrau unter ihrem eigenen Sternbild. Unter Zuhilfenahme von Versen aus dem 1. Petrusbrief wollen wir darüber nachdenken, wie alles das zusammenhängt, und was es uns erzählt. Der Apostelfürst schreibt:

Jesus Christus, welchen ihr nicht gesehen und doch liebhabt und nun an ihn glaubet, wie wohl ihr ihn nicht sehet, und werdet euch freuen mit herrlicher und unaussprechlicher Freude und das Ende eures Glaubens davonbringen, nämlich der Seelen Seligkeit. Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, so auf euch kommen sollte, und haben geforscht, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit darnach; welchen es offenbart ist.

Denn sie haben's nicht sich selbst, sondern uns dargetan, was euch nun verkündigt ist durch die, so euch das Evangelium verkündigt haben durch den heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist; was auch die Engel gelüstet zu schauen.

V. 8 - 12

Liebe Gemeinde,

tatsächlich begegnet uns hier ein Zusammenhang, den auch die Engel zu schauen gelüstet. Mit der ganzen Fülle alttestamentlicher Zeichen wird die Geburt des Johannes angekündigt. Am Anfang steht das Leid der unfruchtbaren Frau. So wie bei Sara, Rahel und Hanna ist Elisabeths Leib verschlossen. Dadurch wird die sonst so beglückende Sehnsucht nach einem Kind zur ständigen Qual, und alle Hoffnung wird in das Gefängnis der Aussichtslosigkeit, die verzweifeln lässt, geführt. Erst der ganz und gar verzweifelte Mensch wird zum Ziel von Gottes Verheißung.

Auch Zacharias war gequält, und er vielleicht nicht nur durch den unerfüllten Kinderwunsch, sondern noch mehr durch den Umstand, seine Frau daran täglich leiden zu sehen. Oft wird er im Tempel gebetet haben, denn er war doch ein Priester des Herrn. Wir können nicht sagen, wann seine Gebete zur frommen Formalie geworden sind, mit der man wohl noch Gott Ehre erweist, aber ohne an eine Erfüllung zu glauben.

Denn als der Engel endlich zu ihm spricht, als ihn die Verheißung Gottes trifft, da hat er doch nur noch seine Zweifel und die Macht der Tatsachen, von denen er umgeben ist. „Ich bin ein alter Mann, und auch meine Frau ist im vorgerückten Alter.“ Wenn wir Menschen im Leben aus eigener Kraft etwas anhäufen, dann sind es Zweifel und Unglauben.

Die Verheißung wird dadurch oft als zusätzliche Peinigung, geradezu als Verhöhnung erlebt. Unter der Plage eines stumm Gewordenen muss Zacharias erst lernen, an die Verheißung zu glauben, denn Gott will, dass wir an sie zu glauben lernen, ehe er sie erfüllt.

Johannes wird geboren. Bereits mit seinem Namen verkündet er: Gott ist gnädig! Mit seinem Wort lässt er später die Welt wissen: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“

Johannes ist in die Welt gekommen, um den Erlöser anzukündigen. Er ist der letzte Prophet. Er weist auf Christus hin und tauft Jesus, dessen Name schon die Rettungstat Gottes verheißt. Jesus Christus, den auch wir nicht gesehen und doch liebhaben.

In diesem unwiderstehlichen Zirkel aus ergangener Verheißung, gefasstem Glauben und vollkommener Erfüllung findet das Universum seine Ordnung.

Nur darum wurden die Geschehnisse bereits sehr früh mit dem Lauf der Sonne in Verbindung gebracht. Immer haben die Menschen ihre Gotteserkenntnis gleichsam in den Sternenhimmel projiziert. Aber sie haben auch von Anfang an versucht, die unsichtbare Wirklichkeit Gottes durch die Vernunft an den Werken der Schöpfung wahrzunehmen, wie Paulus es im Römerbrief schreibt.

Es gibt also einen doppelten Zusammenhang. Ein Irrtum über die Schöpfung hat eine falsche Wissenschaft von Gott zur Folge, und der Irrtum von Gott bringt falsches Wissen über die Welt hervor. Welterkenntnis wird darum Gotteserkenntnis, und die Frage nach Gott führt zum tieferen Verständnis des Menschen, wenn sie beide an die Wahrheit gebunden werden.

Ich habe unlängst das Bekenntnis eines Priesters gelesen: „Ich glaube an die Wahrheit dieser Geschichte, weil sie nicht erfunden sein konnte. Ich glaube an ihre Wahrheit, die auf ihrem Höhepunkt unwahrscheinlich ist und keine Kompromisse mit dem Zumutbaren macht. Ich lese die größten Schriftsteller, aber keiner erreicht die Wirkung der Offenbarung. Um sie zu empfangen, genügt das Lesen nicht, man muss von einem Katapult aus Liebe auf sie zugeschleudert werden. In diesem Moment erlebt man auch die größte Angst, denn die Liebe fällt mit der größten Angst zusammen: sie zu verlieren.“

Alles, was hier über die Liebe gesagt wird, das gilt auch für den Glauben. Immer wird er von der Angst begleitet, ihn zu verlieren. Darum ist die erste Botschaft des Erlösers immer und immer wieder: Fürchtet euch nicht!

Das Überwinden der Angst ist die Grundlage dafür, sowohl die Liebe als auch den Glauben leben zu können. Beides wird aufgefressen und es wird falsch, wenn der Mensch sich der Furcht überlässt.

Ein eindringliches Beispiel dafür ist das Weltbild der Menschen. Es wurde im 16. und 17. Jahrhundert durch Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler revolutioniert. Seitdem konnten Menschen wissen und wurde ihnen mathematisch bewiesen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich die Planeten bewegen, welche Kräfte sie treiben und halten und wie man ihren Stand sicher berechnen kann.

Anstatt sich nun dieser Wahrheit mutig entgegenschleudern zu lassen, versuchten viele auch in der Kirche, am Falschen festzuhalten, weil sie fürchteten, anderenfalls auch den Glauben zu verlieren. Was wäre das aber für ein Glauben, der sich vor der Wahrheit fürchten müsste? Macht nicht jede Erkenntnis über die Zusammenhänge der Welt das Staunen über ihren Schöpfer nicht immer nur noch größer?

Welches Leid wäre der Welt und vielen Menschen erspart geblieben, wenn man einen Zusammenhang zwischen Gravitationskraft und der Macht der Liebe erkannt hätte. So wie die Kräfte der Gravitation das Universum lenken, so will Gott, dass die Liebe das Reich des Lebendigen ordnet. Durch die Liebe zu Christus und untereinander sollen wir der Seelen Seligkeit erlangen, wie Petrus schreibt.

Wer nach Wahrheit sucht, der findet überall Liebe. Ist nicht im tiefsten Sinne die Sehnsucht und die Suche nach der Seelen Seligkeit eine Ausprägung dieser Liebe, der Gravitationskraft des Lebendigen?

Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, so auf euch kommen sollte, und haben geforscht, auf welche und welcherlei Zeit deutete der Geist Christi, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit darnach; welchen es offenbart ist.

Alle Propheten und auch Johannes der Täufer haben gesucht und geforscht nach dieser Seligkeit. Es ist schön, dass sich auch hier das Wort des Forschens findet, das wir heute nur noch für die Naturwissenschaftler gelten lassen wollen. Dabei gibt es auch in unserem Seelenleben, in der Heiligen Schrift und in unseren Vorstellungen von Gott so vieles zu ergründen.

In viele Richtungen sind die Menschen, nicht nur die Propheten, vorgedrungen, um diese Seligkeit zu finden. Gesetzestreue, pedantisches Befolgen der Gebote, strengste Askese, Grenzüberschreitungserfahrungen durch Trance und Selbstüberwindung. Kaum etwas haben Menschen unversucht gelassen, um die Seligkeit in sich selbst zu erzeugen, sie gleichsam aus dem eigenen Inneren hervorzubringen. Auch Johannes war alles das nicht fremd. Er war ein Asket, Weltverächter und wurde schließlich sogar zum Märtyrer.

Das entscheidende Ereignis wurde ihm dennoch die Begegnung mit Jesus Christus. In ihm tritt uns das Schöpferwort, der Logos, als Mensch persönlich entgegen. Alle Gebete, Sehnsüchte, das Suchen und Forschen der Menschen aller Zeiten finden in ihm Ziel und Antwort. Das Leben selbst findet in ihm seine ewige Mitte, und seine eigentliche Ordnung erwächst aus der Liebe zu ihm, den wir nicht sehen. Darum wohl entstand sehr bald in der christlichen Lyrik und Bildersprache die Vorstellung vom sol invictus, von der unbesiegten Sonne. Zunächst nur aus der sichtbaren Tatsache, dass der Sonnenstand im Laufe des Jahres zu und dann wieder abnimmt. Es gab also eine siegende und eine besiegte Sonne – Christus aber wurde den Gläubigen die immerwährend unbesiegte und unbesiegbare Sonne.

Ist es aber in der Kraft dieser Vorstellung nicht noch eindringlicher, sie auch in das Weltbild der kopernikanischen Wende hinein zu übersetzen? Dort wurde die Sonne zum Mittelpunkt einer Welt, die man nicht so ohne weiteres aus dem Augenschein erkannte. Man musste suchen und forschen, vor allem musste man sehr viel rechnen. An seinen Rudolfinischen Tafeln hat Johannes Kepler fast sein ganzes Leben gearbeitet.

Im Grunde war hier ein Universum zu entdecken, dem genauso unwiderstehliche Notwendigkeiten eingeprägt waren, wie alle Propheten, Johannes der Täufer und die Kirche sie immer für die Sphäre unseres Lebens geglaubt und verkündet haben. Die Sonne ist die Mitte unserer Welt, um sie dreht sich alles, ihre Kraft ordnet alles und ihre Strahlen und ihre Wärme lässt das Leben im Frühjahr auferstehen. So auch Christus, unser Herr und Erlöser. Er ist die Mitte. In ihm sind Welt und Gott, Zeit und Ewigkeit, Mensch und Gott unlöslich miteinander verbunden. Seine Liebe und Gegenwart ordnen das Universum und durch seine Auferstehung ist alles Leben dem Tod auf ewig entrissen.

Wer sich nicht wieder der Furcht überlässt und dies treu glaubt, der kann sich freuen mit unaussprechlicher Freude. Ihm ist offenbart, wonach die Propheten geforscht und gesucht haben und ihm erschließt sich der Zusammenhang zwischen dem Leiden Christi und der Herrlichkeit danach.

Alle Herrlichkeit der Welt wird ihm Gleichnis und Verheißung von Gottes Ewigkeit.

Ihn allein preisen wir in der Gemeinschaft mit der Gottesmutter und mit dem Täufer Johannes, dessen Geburtstag wir heute fröhlich feiern wollen.

Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn.

Thomas Roloff
Predigt zum Johannisfest 2018 in Neukirchen/Mecklenburg

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