Mittwoch, 3. April 2019

Über Bach oder das 5. Evangelium - der andere Teil

Altes Johann Sebastian Bachdenkmal in Leipzig

Zu überspringende Vorbemerkung

Der Anfang dieses Beitrages liegt hier. Aber je näher ich der Neuzeit und damit der Gegenwart kam, um so mürrischer wurde ich, einmal mehr. Da brach ich ab. Darüber bin ich jetzt hinweg. Denn wir wollten ja weiter über Bach reden, oder eher noch, wie andere über Bach redeten.

Er hat etwas von einem magischen Spiegel. Einer meiner lang dauernden Irrtümer lag darin, daß Größe beschämen müßte (ein anderer übrigens, daß Sympathie für eine Sache irgendwie verbinden sollte), und darum, wenn nicht zur Verehrung, dann doch wenigstens zum Schweigen bringen.

Natürlich nicht. Größe bringt auf, macht rachsüchtig, klein etc. etc, zumeist jedenfalls. Man schaue sich nur diesen Artikel eines weiland berühmten Kritikers an, der gierig jeden auch nur denkbaren Charakterfehler Bachs aufzusaugen sucht. Er kratzt noch aus dem abgelegensten Denkmal gewissermaßen den Fugenmörtel, um nach dem Geehrten damit schmeißen zu können. Man soll ja von Toten nur Gutes sprechen (weil sie sonst als Gespenst über einen kommen), aber egal, was für ein Charakter-A.

Goethe über Bach

Wer selbst groß ist, schreibt mehr wie unser Goethe (worüber sich oben geartete Geister natürlich eher lustig machen):



"Wohl erinnerte ich mich bey dieser Gelegenheit an den guten Organisten von Berka; denn dort war mir zuerst, bey vollkommener Gemüthsruhe und ohne äußere Zerstreuung, ein Begriff von Eurem Großmeister [Seb. Bach] geworden. Ich sprach mir's aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben, so bewegte sich's auch in meinem Innern, und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte."
Johann Wolfgang von Goethe: 
Brief an Carl Friedrich Zelter vom 18. Juli 1827 

Bachs Musik als die Gedanken Gottes vor (!) der Weltschöpfung, die sich dem Geheimrat hier mitteilen. Ein kühner Gedanke und sehr platonisch. Aber warum eigentlich nicht.

Bach, Mendelssohn Bartholdy und Heines Sottisen zu beiden

Stich von Albert Henry Payne aus "Leipzig um 1860" 

Von dieser Höhe werden wir nun herabsteigen müssen; wenn auch nicht gleich. Erst einmal haben wir die sog. Bachrenaissance. Zeitgeistschnittige Bemerkungen von heute werden dazu etwa sagen: Zu den Ironien der Musikgeschichte gehöre es, daß ausgerechnet das jüdische Bürgertum es gewesen sei, welches die Bach-Renaissance in Gang setzte.

Das ist in so vieler Hinsicht derart übel, daß wir daran besser vorbeigehen. Was daran stimmt, ist, daß der sehr junge Felix Mendelssohn Bartholdy es war, der, durch Carl Friedrich Zelter mit ihm bekannt gemacht, Bach wieder die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit gewinnen wollte, als er 1829 die Matthäuspassion mit der Berliner Singakademie nach 100 Jahren, wie er meinte, erneut aufführte.

Sing-Akademie, Gemälde von Eduard Gaertner (1843)

"Wir besprachen den wunderlichen Zufall, daß gerade hundert Jahre seit der letzten Leipziger Aufführung vergangen sein mußten, bis diese Passion wieder an's Licht komme“, so Eduard Devrient in „Meine Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy...“Leipzig 1872.

Und wo wir eben bei dem Schauspieler & Sänger etc. sind, und seine Erinnerungen gern als Steinbruch für alles mögliche benutzt werden, wollen wir uns diesem üblen Brauch anschließen und ebenfalls zitieren. Wie nämlich Mendelssohns Bekanntschaft mit Bach entstand:

„So lernte er die Musikwerke kennen und behandeln, welche Zelter - wie einen geheimnißvollen heiligen Schatz - vor der Welt verborgen hielt, für welche sie, nach seiner Meinung, keinen Werth mehr hatten; hier lernte Felix auch einzelne Stücke aus Bach's Passionsmusiken kennen und sein glühendster Wunsch wurde es, die große Passion nach dem Evangelisten Matthäus zu besitzen, ein Wunsch, den ihm seine Großmutter zu Weihnachten 1823 erfüllte. Es war nicht leicht gewesen, von Zelter, dem eifersüchtigen Sammler, die Erlaubniß der Abschrift zu erbitten.“

Doch endlich:

„Felix zeigte mir am Weihnachtsfeste, zu dem ich mit Therese geladen war, mit ehrfurchtsvoll verklärtem Gesicht die musterhafte Abschrift des heiligen Meisterwerkes, das nun zu seinem Lieblingsstudium diente.“

Berlin, Sing-Akademie, 1941

Zurück zur Aufführung vom 11. März 1829. Im Publikum fanden sich übrigens Friedrich Wilhelm III., Hegel, Schleiermacher und selbst Heine. Wobei letzterer schwerlich als Bach-Verehrer durchgeht.

Als Beleg soll eine (übrigens sehr unterhaltsame und dort nachlesbare) Straßenszene aus den Reisebildern von 1826 herhalten, zunächst die Akteure:

„Es war ein wunderliches Trio... Der eine von jenen beiden, winterlich gekleidet in einen weißen Flausrock, war ein stämmiger Mann, mit einem dickroten Banditengesicht, das aus den schwarzen Haupt- und Barthaaren, wie ein drohender Komet, hervorbrannte, und zwischen den Beinen hielt er eine ungeheure Baßgeige, die er so wütend strich, als habe er in den Abruzzen einen armen Reisenden niedergeworfen und wolle ihm geschwinde die Gurgel abfiedeln; der andre war ein langer, hagerer Greis, dessen morsche Gebeine in einem abgelebt schwarzen Anzuge schlotterten… die Tochter des alten Buffo... akkompagnierte mit der Harfe die unwürdigsten Späße des greisen Vaters, oder stellte auch die Harfe beiseite und sang mit ihm ein komisches Duett... Obendrein schien das Mädchen kaum aus den Kinderjahren getreten zu sein, ja es schien, als habe man das Kind, ehe es noch zur Jungfräulichkeit gelangt war, gleich zum Weibe gemacht, und zwar zu keinem züchtigen Weibe.“

Wir nähern uns dem angekündigten Zitat:

„Es war ein echt italienisches Musikstück, aus irgendeiner beliebten Opera buffa, jener wundersamen Gattung, die dem Humor den freiesten Spielraum gewährt, und worin er sich all seiner springenden Lust, seiner tollen Empfindelei, seiner lachenden Wehmut, und seiner lebenssüchtigen Todesbegeisterung überlassen kann. Es war ganz Rossinische Weise, wie sie sich im »Barbier von Sevilla« am lieblichsten offenbart. Die Verächter italienischer Musik, die auch dieser Gattung den Stab brechen, werden einst in der Hölle ihrer wohlverdienten Strafe nicht entgehen, und sind vielleicht verdammt, die lange Ewigkeit hindurch nichts anderes zu hören, als Fugen von Sebastian Bach.

Heine nahm dem Mendelssohn dessen Bachabhängigkeit, wie er es sah, recht übel und hielt ihm Rossini als leuchtendes Gegenbild vor. Auch hier noch ein Zitat (aus Lutetia – Zweiter Teil, Artikel XLIII, Paris, Mitte April 1842):

„Der Himmel bewahre mich, gegen einen so verdienstvollen Meister wie der Verfasser des »Paulus« hierdurch einen Tadel aussprechen zu wollen, und am allerwenigsten wird es dem Schreiber dieser Blätter in den Sinn kommen, an der Christlichkeit des erwähnten Oratoriums zu mäkeln, weil Felix Mendelssohn Bartholdy von Geburt ein Jude ist. Aber ich kann doch nicht unterlassen, darauf hinzudeuten, daß in dem Alter, wo Herr Mendelssohn in Berlin das Christentum anfing (er wurde nämlich erst in seinem dreizehnten Jahr getauft), Rossini es bereits verlassen und sich ganz in die Weltlichkeit der Opernmusik gestürzt hatte. Jetzt, wo er diese wieder verließ und sich zurückträumte in seine katholischen Jugenderinnerungen... jetzt, wo die alten Orgeltöne wieder in seinem Gedächtnis aufrauschten und er die Feder ergriff, um ein ‚Stabat‘ zu schreiben: da brauchte er wahrlich den Geist des Christentums nicht erst wissenschaftlich zu konstruieren, noch viel weniger Händel oder Sebastian Bach sklavisch zu kopieren...“

Das zu Heine. Und zurück zu Mendelssohn. Jener hat nämlich auch das älteste Bach-Denkmal von 1843 gestiftet, das hier schon mehrfach auftauchte, da es so reizvoll erscheint.

Altes Johann Sebastian Bachdenkmal in Leipzig von Süden

Ich hatte oben aus Eduard Devrients "Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy" zitiert und dort abgebrochen, wo es für andere erst richtig interessant wird, also noch einmal:

"Wir besprachen den wunderlichen Zufall, daß gerade hundert Jahre seit der letzten Leipziger Aufführung vergangen sein mußten, bis diese Passion wieder an's Licht komme, 'und' rief Felix übermüthig, mitten auf dem Opernplatz stehen bleibend, 'daß es ein Komödiant und ein Judenjunge sein müssen, die den Leuten die größte christliche Musik wiederbringen!'

Felix vermied sonst entschieden seiner Abstammung zu gedenken, hier riß ihn das Frappante der Bemerkung und die fröhliche Stimmung hin."

Und damit wären wir dann schon im folgenden, unerfreulichen Jahrhundert, doch das soll seine eigene, kürzere Fortsetzung finden.

nachgetragen am 10. April


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