Dienstag, 7. Mai 2019

Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau: "Ich bin ja schon in Versailles gestorben."

Ulrich von Brockdorff-Rantzau 1919
von Max Liebermann, hier gefunden

Bei Herrn Klonovsky findet man des öfteren den Satz (womit er seinerseits Frank-Lothar Kroll zitiert): „Seit 1918 ist doch eh alles egal.“ Heute jährt sich zum 100. Mal eines der Ereignisse in der langen Kette der Unerfreulichkeiten, die diesem scheinbar so launig hingeworfenen Bonmot seinen tieferen Ernst gibt.

Warum überhaupt daran erinnern? Einfacher wäre es natürlich, sich den zurechtgemachten Deutungen aus der Gegenwart zu überlassen. Da wird die erlösende Erklärung immer gleich mitgeliefert. Aber das wollen wir anderen überlassen.

Vom Reichsminister des Auswärtigen Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau jedenfalls könnte man lernen, angesichts des Unerträglichen Haltung zu bewahren. Eine andere Art von geistiger Ahnengeschichte, so diese adoptierende Willkür nicht zu anmaßend ist.

Graf Brockdorff-Rantzau hatte am 7. Mai 1919 in Versailles die „Friedensbedingungen“ entgegenzunehmen, die die Sieger des 1. Weltkriegs zuvor untereinander ausgehandelt hatten. Die deutsche Delegation war von den Verhandlungen ausgeschlossen. Nachdem sie die Bedingungen zur Kenntnis bekommen hatte, durfte sie lediglich schriftlich Stellung nehmen, worüber die Sieger dann befinden wollten. Friedensverhandlungen kann man das nicht ernsthaft nennen, ein Diktat trifft es eher, und so ist es damals in Deutschland über sämtliche Parteigrenzen hinweg auch gesehen worden.

Und nur zur Erinnerung, sowohl der Chef des Kabinetts, dem Graf Brockdorff-Rantzau als parteiloser Außenminister angehörte, Philipp Scheidemann, als auch der Reichspräsident Friedrich Ebert waren Sozialdemokraten.

Am Morgen des 7. Mai durfte der Außenminister also endlich den Vertretern der Alliierten begegnen, an der Spitze der britische Premierminister David Lloyd George, der amerikanische Präsident Woodrow Wilson und der französische Premierminister Clemenceau. Letzterer gab mit den Worten - „die Stunde der Abrechnung ist da“ - schon mal die Tonlage vor.

In seiner Antwort entgegnete Graf Brockdorff-Rantzau u.a.: „Es wird von uns verlangt, daß wir uns als die Alleinschuldigen bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge.“

Ob es nun ein Akt schlechten Gewissens seitens der siegreichen Alliierten war, dem unterlegenen Deutschland die alleinige Kriegsschuld zuzuschieben, ob man nur so die Kriegsschulden, die sowohl Frankreich als auch Großbritannien ja schier erdrückten, meinte loswerden zu können oder ob man einfach Rechtfertigungen brauchte, einen potentiellen Konkurrenten weiter so weit als möglich zu beschädigen, wenn man ihn schon nicht vernichten konnte. All das mag dahinstehen.

Der Versailler „Friedensvertrag“ war jedenfalls nichts anderes als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Warum ihn Deutschland überhaupt unterschrieben hat (wenn auch nicht von Graf Brockdorff-Rantzau, der trat bald mit dem ganzen Kabinett Versailles wegen zurück)? Es wäre anderenfalls besetzt worden, und eine noch größere Hungersnot als die schon bestehende drohte. Um Winston Churchill zu zitieren, aus einer Parlamentsrede am 3. März 1919, vier Monate nachdem das Deutsche Reich das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet hatte:

„Wir erzwingen die Blockade rigoros, und Deutschland steht am Rande einer Hungersnot.“ Deutschland war blockiert, seine Handelsschiffe, selbst die Fischerboote in der Ostsee waren beschlagnahmt. Der Kauf von Lebensmitteln im Ausland wurde verweigert.

Versailles, deutsche Verhandlungdelegation

Bevor ich, und das ist die eigentliche Absicht meines Beitrages, die Rede von Brockdorff-Rantzau in längeren Auszügen bringe, will ich die Reaktionen der Gegenseite nicht vorenthalten: Frankreichs Premier Clemenceau, so liest man, lief krebsrot an, Lloyd George zerbrach beim Zuhören den elfenbeinernen Brieföffner in seiner Hand und erwiderte: „Es ist hart, wenn man den Krieg gewonnen hat und sich so etwas anhören muß.“ Zum ersten Mal habe er Frankreichs Haß auf Deutschland verstanden. Wilson erregte sich: „Was für abscheuliche Manieren... die Deutschen sind wirklich ein dummes Volk und raunt Lloyd George zu: „Ist das nicht typisch für sie?“. Und der nicht gänzlich unbekannte Lord Balfour (genau der, welcher Juden und Arabern zugleich Palästina versprochen hatte) krönt alles mit: „Tiere waren sie und Tiere bleiben sie.“

Anmerkender Einschub

„Beasts they were and beasts they are", heißt es im Original. Ich füge das Englische hinzu, falls jemand nach dem Zitat suchen sollte. Die virtuellen Putzkolonnen müssen da recht gründlich gewesen sein, als ich es nochmal überprüfen wollte, stieß ich auf mich selbst, und das ist immer fatal, aber das Englische liefert wenigstens einige Treffer.

Und wo ich bei Belanglosem bin, wie nicht selten hat dieser Beitrag seine Ursache in Zeitartikeln, über die ich mich herzhaft geärgert hatte. Denn natürlich wissen unsere Gegenwartsschreiber, warum der deutsche Delegationsleiter „beim wichtigsten Auftritt seines Lebens“ scheiterte, nämlich: Er habe seine Erwiderung auf Deutsch vorgetragen, obwohl er „selbstverständlich fließend Französisch und Englisch“ beherrschte. Brockdorff-Rantzau wäre bei seiner Rede sitzen geblieben und er habe einen abschreckenden schnarrenden Tonfall besessen. Er habe schlecht über das Zusammentreffen gegenüber der deutschen Presse gesprochen.

Tatsächlich ist der Satz überliefert: „Dieser dicke Wälzer war ziemlich unnötig. Man hätte das auch alles in einem Satz zusammenfassen können: ‚Deutschland gibt alle Ansprüche auf zu existieren.‘“

Ferner wäre er hochnäsig und unbeherrscht gewesen, eine Fehlbesetzung, „ein ebenso schwerer Trinker wie Morphinist“. Und er habe geistlose Scherze gemacht. Vorfahren hätten nämlich „im 17.Jahrhundert unter französischer Flagge gedient“ und wären mit dem französischen Adel gut bekannt gewesen. Ein französischer Offizier, der dem Gerücht nachgehen wollte, ein gewisser Marschall von Rantzau sei der leibliche Vater von König Ludwig XV. gewesen, habe persönlich bei Brockdorff-Rantzau nachgefragt und zur Antwort erhalten: „Gewiß. In meiner Familie betrachtet man die Bourbonen seit 300 Jahren als Rantzau-Bastarde.“

Bevor ich den Minister des Auswärtigen selbst zu Wort kommen lasse, gibt dies doch einen sprechenden Kontrast ab, denke ich. 

Biographisches findet sich hier. Erwähnen will ich nur noch, daß er am 20. Juni 1919 zusammen mit dem übrigen Kabinett zurücktrat, weil er den Versailler Vertrag als „Verbrechen an Deutschland“ ansah. Im November 1922 wurde Brockdorff-Rantzau Botschafter in Sowjet-Rußland.

Am 8. September 1928 starb er mit 59 Jahren überraschend an den Folgen eines Schlaganfalls. Er hatte in Berlin seinen Bruder besucht. Überliefert sind seine Worte: „Ich sterbe gern, ich bin ja schon in Versailles gestorben.“


vermutlich 1920 von Brockdorff-Rantzau nachgesprochen

Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau am 7. Mai 1919 in Versailles

"Meine Herren! Wir sind tief durchdrungen von der erhabenen Aufgabe, die uns mit Ihnen zusammengeführt hat: Der Welt rasch einen dauernden Frieden zu geben. Wir täuschen uns nicht über den Umfang unserer Niederlage, den Grad unserer Ohnmacht.

Wir wissen, daß die Gewalt der deutschen Waffen gebrochen ist; wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt, und wir haben die leidenschaftliche Forderung gehört, daß die Sieger uns zugleich als Überwundene zahlen lassen und als Schuldige bestrafen sollen.

Es wird von uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen am Kriege bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge. Wir sind fern davon, jede Verantwortung dafür, daß es zu diesem Weltkriege kam, von Deutschland abzuwälzen und daß er so geführt wurde,.

Die Haltung der früheren Deutschen Regierung auf den Haager Friedenskonferenzen, ihre Handlungen und Unterlassungen in den tragischen zwölf Julitagen mögen zu dem Unheil beigetragen haben, aber wir bestreiten nachdrücklich, daß Deutschland, dessen Volk überzeugt war, einen Verteidigungskrieg zu führen, allein mit der Schuld belastet ist…

Die öffentliche Meinung in allen Ländern unserer Gegner hallt wider von den Verbrechen, die Deutschland im Kriege begangen habe. Auch hier sind wir bereit, getanes Unrecht einzugestehen.

Wir sind nicht hierhergekommen, um die Verantwortlichkeit der Männer, die den Krieg politisch und militärisch geführt haben, zu verkleinern und begangene Frevel wider das Völkerrecht abzuleugnen.

Wir wiederholen die Erklärung, die bei Beginn des Krieges im Deutschen Reichstag abgegeben wurde. Belgien ist Unrecht geschehen, und wir wollen es wieder gutmachen.

Aber auch in der Art der Kriegführung hat nicht Deutschland allein gefehlt. Jede europäische Nation kennt Taten und Personen, deren sich die besten Volksgenossen ungern erinnern. Ich will nicht Vorwürfe mit Vorwürfen erwidern, aber wenn man gerade von uns Buße verlangt, so darf man den Waffenstillstand nicht vergessen.

Sechs Wochen dauerte es, bis wir ihn erhielten, sechs Monate, bis wir Ihre Friedensbedingungen erfuhren. Verbrechen im Kriege mögen nicht zu entschuldigen sein, aber sie geschehen im Ringen um den Sieg, in der Sorge um das nationale Dasein, in einer Leidenschaft, die das Gewissen der Völker stumpf macht.

Die Hunderttausende von Nichtkämpfern, die seit dem 11. November an der Blockade zugrunde gingen, wurden mit kalter Überlegung getötet, nachdem für unsere Gegner der Sieg errungen und verbürgt war. Daran denken Sie, wenn Sie von Schuld und Sühne sprechen.

Das Maß der Schuld aller Beteiligten kann nur eine unparteiische Untersuchung feststellen, eine neutrale Kommission, vor der alle Hauptpersonen der Tragödie zu Worte kommen, der alle Archive geöffnet werden. Wir haben eine solche Untersuchung gefordert, und wir wiederholen die Forderung…

Die einzelnen Grundsätze fordern von uns schwere nationale und wirtschaftliche Opfer. Aber die heiligen Grundrechte aller Völker sind durch diesen Vertrag geschützt. Das Gewissen der Welt steht hinter ihm; keine Nation wird ihn ungestraft verletzen dürfen.

Sie werden uns bereit finden, auf dieser Grundlage den Vorfrieden, den Sie uns vorlegen, mit der festen Absicht zu prüfen, in gemeinsamer, Arbeit mit Ihnen Zerstörtes wieder aufzubauen, geschehenes Unrecht, in erster Linie das Unrecht an Belgien, wieder gutzumachen, und der Menschheit neue Ziele politischen und sozialen Fortschritts zu zeigen.

Bei der verwirrenden Fülle von Problemen, die der gemeinsame Zweck aufwirft, sollten wir möglichst bald die einzelnen Hauptaufgaben durch besondere Kommissionen von Sachverständigen auf der Grundlage des von Ihnen vorgelegten Entwurfs erörtern lassen.

Dabei wird es unsere Hauptaufgabe sein, die verwüstete Menschenkraft der beteiligten Völker durch einen internationalen Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit der arbeitenden Klassen wieder aufzurichten…

Unsere beiderseitigen Sachverständigen werden zu prüfen haben, wie das deutsche Volk seiner finanziellen Entschädigungspflicht Genüge leisten kann, ohne unter der schweren Last zusammenzubrechen.

Ein Zusammenbruch würde die Ersatzberechtigten um die Vorteile bringen, auf die sie Anspruch haben, und eine unheilbare Verwirrung des ganzen europäischen Wirtschaftslebens nach sich ziehen.

Gegen diese drohende Gefahr mit ihren unabsehbaren Folgen müssen Sieger wie Besiegte auf der Hut sein. Es gibt nur ein Mittel, um sie zu bannen: das rückhaltlose Bekenntnis zu der wirtschaftlichen und sozialen Solidarität der Völker zu einem freien und umfassenden Völkerbund."

Meine Herren! Der erhabene Gedanke, aus dem furchtbarsten Unheil der Weltgeschichte durch den Völkerbund den größten Fortschritt der Menschheitsentwicklung herzuleiten, ist ausgesprochen und wird sich durchsetzen; nur wenn sich die Tore zum Völkerbund allen Nationen öffnen, die guten Willens sind, wird das Ziel erreicht werden, nur dann sind die Toten des Krieges nicht umsonst gestorben.

Das deutsche Volk ist innerlich bereit, sich mit seinem schweren Los abzufinden, wenn an den vereinbarten Grundlagen des Friedens nicht gerüttelt wird. Ein Friede, der nicht im Namen des Rechts vor der Welt verteidigt werden kann, würde immer neue Widerstände gegen sich aufrufen. Niemand wäre in der Lage, ihn mit gutem Gewissen zu unterzeichnen, denn er wäre unerfüllbar…"

Die Passagen, die sich in obigem Tondokument wiederfinden, sind farbig hervorgehoben.

Grabstätte von Graf Ulrich von Brockdorff-Rantzau

nachgetragen am 9. Mai

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