Samstag, 30. November 2019

Zum 150. Todestag von Friedrich Wilhelm Buttel, 2. Nachtrag

Wilhelm Unger, Friedrich Wilhelm Buttel, 1830

Warum ich die „Erinnerungen an Friedrich Wilhelm Buttel“ von Jacob Friedrich Roloff bringe, habe ich an jenem Ort näher erklärt, doch während ich dort noch gekürzt hatte, muß ich jetzt doch Erläuterungen beibringen. Ich werde aber suchen, sie kurz halten.

Es handelt sich um den mehr biographischen Mittelteil seiner Erinnerungen, den ich bis in die Orthographie hinein präsentiere. Warum? Des Zeitkolorits wegen natürlich.

Aber ich bringe sie auch deswegen so umfänglich, um in seiner fremd gewordenen Sprache nicht nur die uns mitunter ungewöhnlichen Urteile anzuzeigen (mutmaßliche Irrtümer finden eine Anmerkung), sondern um einen diskreten Hinweis mitzuliefern, wie wechselnd doch stets geläufige Urteile ausfallen können.

Und demjenigen, der meint, Roloff sei seinem Gegenstand nicht immer recht gewachsen gewesen, dem wollen wir sagen, andere, die auch hätten schreiben können, haben es nicht getan. Aber das ist oft so. Und darum wollen wir in ihm einen von denen würdigen, die das Rechte zu tun immerhin versucht haben.

Buttel – Der  frühe Werdegang


Zielenzig heute (St. Nikolai-Kirche) und 1905
hier und hier gefunden

„Friedrich Wilhelm Buttel wurde am 1. Dezember 1796 in dem preußischen Städtchen Zielenzig, wo sein Vater Maurermeister war, geboren. Als bald darauf sein Vater nach Meseritz gezogen war, und unser Buttel dort die weitere Schulbildung genossen hatte, faßte er den Entschluß, zu seinem künftigen Lebensberuf das Baufach zu wählen.

Zu dem Zwecke sollten zunächst die Vorstudien dazu praktisch durchgemacht und durchgelebt werden, um dann später auf der Akademie in Berlin die wissenschaftliche Ausbildung zu vollenden.


Meseritz, Burgruine
hier und hier gefunden

Meseritz, Kirche St. Johannes d. Täufer

ehem. Zisterzienser-Kloster Paradies bei Meseritz, 

Beide Orte liegen heute in Polen.

Buttel wurde Maurerlehrling und am 23. November des Jahres 1813 als Maurergeselle ausgeschrieben. Der Lehr- und Gesellenbrief liegt noch bei seinen Personal-Acten.

Hierauf arbeitete Buttel, nachdem er sich durch Privatstudium die erforderlichen theoretischen Kenntnisse erworben hatte, als praktischer Feldmesser beim Königl. Oberförster König in Birnbaum.

Unterdeß hatte in Deutschland nach einer langen Nacht der Fremdherrschaft der Morgen der Freiheit zu tagen begonnen und auch Buttel wurde von der heiligen Begeisterung für die Befreiung des Vaterlandes ergriffen und vertauschte Zirkel und Winkelmaß mit dem Schwert und der Flinte, um als freiwilliger Jäger im Füsilier-Bataillon des 1. Pommerschen Infanterie-Regiments (Kronprinz von Preußen) die Campagne von 1815 mitzumachen. Kaum war er eingekleidet und nothdürftig einexerciert, so begann der anstrengungsvolle Marsch des Bataillons durch die Mark Brandenburg, Altmark, Braunschweig, Westphalen nach den Feldern von Waterloo.

William Sadler, Schlacht von Waterloo

Thomas Rowlandson, „Blucher the brave extracting the 
groan of abdication from the Corsican blood hound“,
brit. Karrikatur, hier gefunden

Seine Erlebnisse als freiwilliger Jäger hat Buttel in einem von ihm geführten Tagebuche aufgezeichnet, welches in frischen Zügen die Einzelheiten des Feldzuges bis zur Schlacht von Belle-Alliance schildert.

Mit freudigem Muthe hatte Buttel die Mühseligkeiten des Marsches und Feldzuges ertragen, tapfer gekämpft in der Vorschlacht, und mit siegen geholfen in der letzten großen Befreiungsschlacht von Waterloo.

Für seine Tapferkeit erhielt Buttel die Kriegsdenkmünze von 1815, wurde, nach Berlin zurückgekehrt, als Officier verabschiedet, und erhielt am 7. Januar 1816 das Patent als Seconde-Lieutenant.

Jetzt kehrte Buttel zunächst zur Feldmeßkunst zurück, um die erforderliche praktische Ausbildung zu vollenden.

Hierauf begann Buttel die streng wissenscaftliche Carriere und studirte vom 15. November 1816 an in Berlin Mathematik. Sein Lehrer war unter Andern der berühmte Mathematiker Lehmus, von welchem ausgestellt noch ein sehr lobenswerthes Zeugniß für "den Kandidaten der Mathematik F. W. Buttel" vorliegt. Buttel bildete sich nun zum Architekten aus und studirte das Baufach in Berlin.

Er besuchte gleichzeitig die Akademie der Künste und hier war es besonders Schadow, dessen Einfluß auf ihn sich auch in seinen späteren Werken kund gab.

Nach den weiteren architektonischen Studien bestand Buttel 1817, nachdem er die ziemlich schweren theoretischen wie praktischen Examen-Arbeiten recht gut gelöst, bei der Königl. Ober-Bau-Deputation in Berlin die Prüfung, und am 13. Februar 1818 wurde der Candidat der Mathematik F. W. Buttel als Feldmesser vereidigt.

Er muß nun abermals sehr fleißig studirt haben, denn schon im Jahre 1819 machte er das Examen als Bau-Conducteur.

Sein deßfallsiges sehr gutes Zeugniß ist unter Andern unterzeichnet von Eitelwein, Schinkel und Crelle.

Carl Joseph Begas: Karl Friedrich Schinkel, 1826

Schinkel, der griechisch denkende Schöpfer der modernen Baukunst, wurde nun sein Ideal und dessen Geist und Richtung bekundete sich in fast allen seinen späteren Bauten.

Wie diese Kunstheroen Schinkel und Schadow auf Buttel bildend gewirkt, unterstützt freilich von einem seltenen plastischen und Kunst-Talent, das beweisen die späteren Leistungen Buttels auch auf dem Gebiete der Kunst überhaupt.

Er war ein vortrefflicher Zeichner und fast spielend warf er manche geistvolle Skizze schnell aufs Papier. Seine Bauzeichnungen und Pläne waren nicht blos höchst correct, sondern auch künstlerisch schön angefertigt. Buttel malte auch vortrefflich in Oel. Außer vielen sehr gelungenen Copien berühmter Meister, sind von ihm wohl zwanzig größere Original-Oelgemälde vorhanden und waren seine Lieblingsgegenstände Landschaften, Ruinen, monumentale Gebäude mit landschaftlicher Staffage. -

Ebenso war Buttel ein wahres musikalisches Genie. Aus einer einmal gehörten Oper wußte er sofort am Klavier die hervorleuchtendsten Musikstücke aus dem Kopfe zu reproduciren. Ja er lente noch fleißig Generalbaß, um wie jede Kunst, so auch die Musik gründlich verstehen zu lernen. -

Doch kehren wir zu seinem eigenen Lebensbilde zurück.

Nachdem Buttel alle erforderlichen Bau-Prüfungen gut bestanden hatte, leitete er in Berlin als Regierungs-Bau-Conducteur unter Schinkels Direction verschiedene Bauten und erhielt unterm 2. April 1821 das Attest, "daß er besonders bei der Ueberbrückung des Opern-Canals, bei der Erbauung der neuen Königswache und bei dem äußern Umbau der Domkirche mit Fleiß, Kenntniß und Umsicht seinem Geschäfte vorgestanden hatte." -

Buttel in Strelitz

Christian Philipp Wolff , „Die Hoffnung tröstet die Trauer“, 1798

Wir betreten jetzt den eigentlichen Schauplatz des thätigen praktischen Lebens, das reich und schön bebaute Arbeitsfeld unsers Buttel, worauf er sich als Ehrensäule seines Namens Werke für die Unsterblichkeit erbauet hat.

Auf Empfehlung des Geh. Ober-Bauraths Schinkel, der sich besonders für ihn interessirte und der sein Genie bald erkannt hatte, erhielt Buttel im Jahre 1820 einen Ruf nach Neustrelitz an Stelle des verstorbenen Hof-Baumeisters Wolf. Nach längerem Ueberlegen und Verhandeln entschied er sich jedoch, diese Stelle vorläufig erst auf ein Jahr zur Probe anzunehmen.“

Der Einwurf kann nur pedantisch klingen, doch Roloffs enthusiatischer Wille, Buttel immer als den souverän Handelnden darzustellen, trug ihn wohl mitunter etwas über das Faktische hinaus. Herr Müther, der über Buttel 1935 dissertiert hat (wir kommen sicher später darauf zurück) zitiert einen Kammerbericht vom 17. März 1821 wie folgt: „B. zeigt an, daß er nicht gerade ein Zeugnis des Geh. Oberbaurates Schinkel wird vorlegen können. Die Briefe des Schinkel enthalten schon ein Zeugnis über den Buttel und das Probejahr wird für uns das praktische Zeugnis sein.“ Dienstantritt war dann der 1. April 1821, die Festanstellung folgte am 18. Januar 1822, auch da müssen wir pedantisch korrigieren. Zurück zu Roloffs Bericht.

Georg, Großherzog von Mecklenburg

„Buttel übersiedelte nach Neustrelitz und befriedigte so sehr durch seine Leistungen, daß er schon am 21. Januar 1821 als Baumeister, und im April desselben Jahres als Hof-Baumeister mit einem jährlichen Gehalt von 500 Thlr. fest angestellt wurde. Es war unserm Buttel durch diese Berufung eine herrliche Gelegenheit gegeben, unter der Anregung und Aegide des damals regierenden Großherzogs Georg und der Großherzogin Marie, welche letztere selbst ausübende Künstlerin - viele vortreffliche Oelgemälde von ihrer Hand, theils Originale, theils Copien berühmter Meister beweisen ihren feinen Kunstsinn und ihre Meisterschaft, - seine Kunstideale und architektonischen Pläne zu verwirklichen.

Georg, Großherzog von Mecklenburg, KPM Berlin 1837-1844

Der Großherzog selbst, fein gebildet, voll edlen Geschmacks und begeisterter Kunstliebe, hatte durch seinen längeren Aufenthalt in Italien, in Rom, durch seinen nähern Verkehr mit den bedeutendsten Größen auf dem Gebiete der Literatur und Kunst, durch seine innigen persönlichen Beziehungen zu Göthe, Schinkel, Rauch, Schadow, Thorwaldson etc. die eingehendste Anschauung und das gediegenste Urtheil über die Kunst und das Bauwesen in weitester Ausdehnung gewonnen. Und dieser schöne Kunstsinn ging über auf die Großherzoglichen Kinder.

Marie von Hessen-Kassel, Großherzogin von Mecklenburg

Buttel war nun das hohe Glück beschieden, an einem so kunstsinnigen Hofe, theils selbst noch zu lernen, theils in Gemeinschaft mit seinen hohen Gönnern, Baupläne für die Verschönerung der Stadt und des Landes entwerfen und zur Ausführung bringen zu können.

Im Mai 1823 wurde Buttel ins Hof-Marschallamt berufen und am 7. März 1832 zum Baurath ernannt.

Großherzog-Georg-Denkmal, 1911
im Hintergrund das 1843 eingeweihte Rathaus von Neustrelitz 

Im Jahre 1840 ff. erbaute er das Rathhaus in Neustrelitz, 1841 die Wasserleitung in Friedland, in den Jahren 1844-1848 die Klosterkirche in Malchow mit dem 184 Fuß hohen Thurm, und 1845 den Erddamm bei Malchow, später auch den Erddamm durch die Müritz bei Vipperow.

Die Klosterkirche in Malchow ist im Basilikenstyle erbaut, stellt sich als Kreuzkirche dar, und enthält im Innern die schönste Ornamentik, an den Seitenwänden auf Goldgrund die Bilder der Evangelisten und als Altargemälde den Erlöser mit erhobenen Händen, die Gemeinde segnend. -"

 Malchow, Kloster, hier gefunden

Kloster Malchow, hier gefunden

Die Klosterkirche wurde bis 1849 errichtet, nach einem Brand 1888 wurde Buttels Fassung im wesentlichen wiederhergestellt. Das ehem. Kloster beherbergt eine bedeutsame Ausstellung zur Geschichte des mecklenburgischen Orgelbaus.

"Ja wohl, es sind wahr geworden die an unsern Buttel bei der Einweihung dieser Kirche gerichteten Dankesworte: "Dem Baumeister, der mit der Meisterhand seiner berühmten Kunst den Plan zu diesem Bau entworfen, möge der Herr geben, daß er noch viele Kirchen erbaue zu seines Namens Ehre und mit jedem Kirchenbau immer mehr selbst erbauet werde zu einem Tempel Gottes, darin des Herrn Friede wohne, der seine Seele selig mache." - In der That hat wohl selten ein Baumeister so viele würdige, schöne Werke der heiligen Kunst, so viele Gotteshäuser erbauet, wie unser Buttel.

Marienkirche in der deutschen Stadt Neubrandenburg, Mecklenburg,
etwa 1860, hier gefunden

Vorher schon hatte Buttel sein größtes und schönstes Bauwerk, die restaurirte Marienkirche in Neubrandenburg vollendet.

Die Kirche war erbauet in den Jahren 1248 - 1287; im Jahre 1655 wurde der Thurm derselben vom Blitz zerstört und im Jahre 1832 die Wiederherstellung beschlossen, welche, wie es in der archivalischen Urkunde heißt, durch den "ausgezeichneten Baurath Buttel" ausgeführt wurde. Als die Marienkirche am 12. August 1841 eingeweiht wurde, bezeichnete der damalige Großherzog Georg, gewiß ein Kenner und Verehrer schöner Bauten, in einem Dankschreiben an Buttel diesen Bau "als eure bedeutendste Leistung, welche euch wahrhaft zur Ehre gereicht."

Wahrlich, und wenn Buttel weiter Nichts erbauet hätte, als diese Kirche, so hätte er sich schon dadurch den schönsten Ehrentempel seines Namens für alle Zeiten geschaffen. Diese Kirche ist das hervorragendste Beispiel eines auch im Aeußern vollständig durchgeführten Spitzbogenbaues in Mecklenburg und liefert den Beweis, daß auch beim Ziegelbau eine durchgehends durchbrochene Arbeit in den Verzierungen möglich ist. Ausnehmend schön ist die Ornamentik an den Fenstern, sowie an dem mit fünf kleinen Thürmchen versehenen, besonders kunstreichen östlichen Giebel der Kirche.

Sowohl im Äußern, wie im Innern ist die Neubrandenburger Marienkirche mit ihrem wunderbar schönen, majestätisch ansteigendem Thurme, mit den vielen gen Himmel strebenden und nach Oben hinauf weisenden Thürmchen und Spitzen, ein wahrhaftes Musterwerk reinster Gothik, und findet der dem Norden eigenthümliche Rohbau in derselben die schönste Würdigung.

In der That gilt auch die durch Buttel restaurirte Marienkirche bei Sach- und Kunstverständigen, was Reinheit und Vollendung des Baustyls und correcte Bauausführung betrifft, wohl für die bedeutendste und schönste Kirche in ganz Norddeutschland, ist weithin also solche bekannt, und findet man wohl die Ansichten davon als Musterzeichnungen in vielen architektonischen Sammlungen.

Der Fremde ist überrascht, in Mecklenburg-Strelitz solch‘ großartiges Prachtbauwerk anzutreffen; und ragt dieser protestantische Dom aus der schönen landschaftlichen Umgebung Neubrandenburgs, an dem Tollenser See, dem herrlichen Belvedère gegenüber, als das schönste Monument der bauenden Kunst in der Gegenwart auf nordisch alterthümlicher Grundlage, weithin sichtbar, gar herrlich und imposant aus der lieblichen Ebene hervor.

„Mit der Natur steht der Genius im Bunde,
Was die Eine verspricht, leistet der Andere gewiß.“"

Ich fürchte, ich muß wohl einen dritten Teil folgen lassen, da das Ganze doch etwas überdehnt geworden ist. Auch der Enthusiasmus des Herrn Roloff erscheint überdehnt. Sicher, wir haben hier ein Musterbeispiel einer Wiederherstellung, wo man über das bereits bedeutsame Original (besonders gilt dies für den Ostgiebel) hinaus mit einer Neuerfindung dessen Wirkung nicht verfälscht, sondern sogar sinngetreu und kongenial gesteigert hat. Etwas, was heute nicht auch nur denkbar wäre. Aber er hat die Kirche eben nicht komplett neu erbaut, wie man den euphorischen Worten entnehmen könnte, obwohl man es bei ihm selbst vorher anders gelesen hat.

Wobei ich alles Verständnis der Welt habe, wenn jemand sich zu begeistern vermag, ähnliches ist mir bei der Schloßkirche in Neustrelitz zugestoßen, wir kommen später darauf zurück und enden vorerst mit einigen Bildern der Marienkirche.  Das Kurioseste gleich zu Beginn. Es ist von 1818 und von Caspar David Friedrich. Man könne es als Gedächtnisbild für Franz Christian Boll deuten, lese ich, „das Boll und seine Frau Friederike in der Laube des eigenen Gartens zeigt, mit Blick auf die Vision der Marienkirche mit einer gotischen Turmspitze“. Die gab es da bekanntlich noch nicht und die verwirklichte Vision ist eine andere geworden. Und von dem Gemälde existieren auch andere Deutungen, aber diese ist hübsch, also wollen wir sie gelten lassen.

Caspar David Friedrich, Gartenlaube, 1818






nachgetragen am 6. Dezember

Mittwoch, 20. November 2019

Zum Buß- und Bettag

Nicolaikirche in Magdeburg-Neue Neustadt, Westseite

Üblicherweise kommen die Predigten des Herrn Roloff, die ich hier gelegentlich bringe, gut ohne meine Vorbemerkungen aus.

Aber ich muß es einmal sagen: Wenn aus der Religion das Religiöse gewichen und nur ein innerweltlicher Zeitgeist-Moralismus noch übriggeblieben ist, von der Klimakatastrophe bis..., ach, schweigen wir davon und überlassen die Protagonisten ihrem freudlosen selbstgewählten Fegefeuer.

Man fühlt sich gemahnt an eine flackernde Glühbirne. Mal ist Licht und dann wieder nicht. Und man ahnt, gleich wird sie ihren Geist aufgeben. Und dann bleibt bloß noch die Abwesenheit Gottes.

Jedenfalls, und das wollte ich eigentlich lediglich anmerken. Welche Wohltat dann, eine Predigt zu lesen, die so auch vor 100 Jahren hätte gehalten werden können und hoffentlich auch wiederum in 100 Jahre in solcher Weise gehalten werden wird, wo auch immer. Zur Predigt:

Magdeburg, Nicolaikirche, 1952

Predigt zum Buß- und Bettag 2019 

in St. Nicolai, Magdeburg

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext ist die Epistel des heutigen Tages.

Liebe Gemeinde,

erlauben Sie mir zwei kurze Vorbemerkungen, die ich darum für erforderlich halte, weil der Begriff der Buße im Zentrum des heutigen Tages steht, viele Menschen mit ihm aber fast nur noch negative, geradezu Vorstellungen von Demütigung  verbinden. Wenn ich etwas büßen soll, dann steht mir vermeintlich nichts Gutes bevor.

Darum will ich zunächst auf eine Stelle im Nehemiabuch hinweisen, in der es um den Wiederaufbau Jerusalems geht. Luther konnte sie noch wie folgt übersetzen: „Da aber Saneballat und Tobia und die Araber und Ammoniter und Asdoditer hörten, daß die Mauern zu Jerusalem zugemacht wurden und daß sie die Lücken angefangen hatten zu büßen, wurden sie sehr zornig.“

Plötzlich erinnern wir uns, dass Buße mit Wiederaufbau, Erfüllung und Heilung zu tun hat. Die Buße eröffnet einen Weg der Wiederherstellung.

Die zweite Vorbemerkung soll darauf hinweisen, wenn Menschen lange in Unfreiheit waren, sich im Dunkel des Verlieses befanden, es muss nicht immer eine Gefängniszelle sein, es kann auch die Finsternis sein, in die wir uns selbst eingeschlossen haben, dann erschrickt sie plötzliche Freiheit und strahlendes Licht.

Mit diesen Gedanken vor Augen will ich mich unserem Text nähern.

Der Maßstab des göttlichen Gerichts

Röm 2, 1-11

1 Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der da richtet. Denn worin du einen andern richtest, verdammst du dich selbst; sintemal du eben dasselbe tust, was du richtest. 2 Denn wir wissen, daß Gottes Urteil ist recht über die, so solches tun. 3 Denkst du aber, o Mensch, der du richtest die, die solches tun, und tust auch dasselbe, daß du dem Urteil Gottes entrinnen werdest? 4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? 5 Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6 welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: 7 Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; 8 aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade, und Zorn; 9 Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen; 10 Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen.    11 Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. Amen.

Rigoros und konsequent entwickelt Paulus seine Überzeugung vom Richten. Die Frage nach der Sünde ruft nach Selbsterkenntnis und nicht nach dem Urteil über andere Menschen. Erkannt werden können in richtiger Weise immer nur die eigenen Sünden. Wer dies tut, der wird schnell gewahr, wie sehr er sich selbst verdammen würde, wenn er sich anmaßte einen anderen zu richten. Nichts verbindet uns Menschen untereinander fester als die Sündhaftigkeit unseres Wesens. Diese Erkenntnis sollte darum in uns zunächst und vor allem Barmherzigkeit gegenüber unseren Mitmenschen entzünden.

Unwillkürlich erscheinen vor meinem inneren Auge Pharisäer und Zöllner, von deren Tempelgang Jesus erzählt.

Der Pharisäer resümiert seine guten Werke und dankt Gott dafür, nicht so zu sein, wie der sündige Zöllner. Der Zöllner bekennt seine Unwürdigkeit und geht gerechtfertigt von dannen.

Der tiefere Sinn des Bußtages liegt nun genau darin, dass wir begreifen sollen, wie wenig wir vom tieferen Sinn der Buße verstanden haben, wenn wir uns nur auf die Seite des Zöllners stellen und nun dafür danken, keine Pharisäer zu sein. Dann erheben wir uns nämlich auch nur auf eine fromme Höhe, von der aus es so angenehm ist, sich wohlgefällig zu beschauen.

Festgottesdienst am 28.3. 1954 zur In-Dienst-Nahme der wiederhergestellten St. Nicolai-Kirche, hier gefunden

Wer die uns durch Paulus im Römerbrief vorgelegten Zusammenhänge ganz erfassen will, der muss sich an Paulus als den Juden und Pharisäer erinnern, der er ganz und gar gewesen ist, ehe es ihn vor Damaskus vom Pferd gerissen hat.

Paulus kennt die ganze religiöse Selbstgerechtigkeit, die daraus erwächst, dass der Anblick fremder Sünde uns stets dazu verleitet, das Richteramt einzunehmen. Gottes Gericht über die anderen ist immer so gerecht. Mit großem Eifer hat Saulus noch selbst daran mitgewirkt, dieses zu vollstrecken. Wenn er nun schreibt, „Das Urteil, das du gegen den anderen aussprichst, verdammt dich selbst“, dann hätte er auch schreiben können, ich war selbst ein Verdammter.

Verdammt zu sein, das heißt in Aussichtslosigkeit zu leben. Auf diese Verbindung kommt es dem Apostel an. Aus dieser Verbindung heraus entwickelt Paulus seine Auffassung von der Funktion des Gesetzes.

Im Gesetz dokumentiert sich einerseits der Wille Gottes, der Welt eine gute Ordnung zu geben. Für den Menschen unter dem Gesetz hat aber genau das andererseits zur Folge, dass er gewahr wird, dieser Ordnung nicht gerecht zu werden. Gleichzeitig bleibt seine einzige Heilshoffnung die Erfüllung des Gesetzes. Das Erleben eigener Sündhaftigkeit, eigenen Versagens treibt ihn in die Unaufrichtigkeit, Unwahrhaftigkeit und in die Lüge.

Erinnern wir uns an den ersten Rechtsfall der Menschheitsgeschichte, der aufzuklären war. Gott hatte dem Garten Eden eine gute Ordnung gegeben. Nur vom Baum der Erkenntnis zu essen war den Menschen verboten. Es hätte ein herrliches Leben sein können, wenn nicht die Versuchung, das Gebot zu durchbrechen, zu groß gewesen wäre.

Magdeburg, St. Nicolai

Gott tritt selbst als Ermittler in der Sache auf und befragt die Verdächtigen.  Adam greift zu der seitdem bewährten Ausflucht: Das Weib ist schuld. Das Weib wiederum legt dar, die Schlange hätte sie betrogen.

Wenn die Heilshoffnung ihren Grund ausschließlich in der Erfüllung des Gesetzes hat, dann führt das den Menschen in die Aussichtslosigkeit. Er kann nach dem Fall nur noch leugnen, andere beschuldigen oder sich verbergen. Ungeschehen machen kann er es nicht.

Der Unterschied zwischen Sündern und Gerechten, wenn wir uns anmaßen, ihn zu machen, bleibt nichts als selbstgerechte, fromme Heuchelei. Wer wüsste das besser als Paulus? Diese Unterscheidung ist unaufrichtig und treibt gerade darum die Menschen auseinander. Je stärker man um Selbstheiligung bemüht ist, desto mehr muss man sich von den Verworfenen abgrenzen und ihre Verworfenheit sogar noch herausstellen.

Paulus aber bricht nun der Wahrheit Bahn und führt dadurch den Sünder aus der Lüge heraus zum Geständnis, dass er gesündigt hat. Er kann dies tun, weil er der Gnade begegnet ist, die im Evangelium ausgegossen wurde.

Erst durch die in Christus erschienene Güte Gottes gibt es eine tatsächliche Möglichkeit zur Buße.

Buße bedeutet aber gerade nicht, die Ordnung Gottes aufzulösen und vergessen zu machen.

Wenn wir nämlich die Güte Gottes als Erlaubnis zur Sünde deuten und bei der Geduld und Langmut Gottes Ermunterung und Schutz für unsere Bosheit suchen, so verwandelt sich unser Vertrauen auf Gottes Güte in ihre Verachtung.

Magdeburg, St. Nicolai 

Der Glaube an die Gnade Gottes eröffnet erst eigentlich den Weg zum Tun des Guten, denn erst im Glauben kann der Mensch Gutes tun, ohne eigennützige Ziele zu verfolgen. Der Glaube an die Gnade Gottes befreit recht eigentlich zum guten Werk. Der glaubende Mensch hört eben auch ganz auf, mit seinem Tun Gott etwas geben zu wollen. Unser gutes Werk besteht nur noch darin, dass wir Anteil nehmen am Werk Gottes.

Der Glaubende begehrt das gute Werk mit ganzem Herzen. Aber er sucht es nicht bei sich selbst, sondern sucht und findet es bei Gott, und das erste und wichtigste, was er hierzu bedarf und bekommt, ist, dass er im Anblick der göttlichen Gnade Gott glauben lernt.

So war denn auch die Verkündigung der göttlichen Gnade durch unseren Herrn wie das gleißende Licht, das denjenigen erschrickt, der im Dunkeln gesessen hat. Die ganze Vergeblichkeit der nur behaupteten Gesetzestreue, die verlogene Anstrengung der Selbstheiligung und das ewige Richten der Sünder, nur damit man sich von ihnen unterscheidet, waren im wahrsten Sinne bloß gestellt.

Sie hatten den Menschen versklavt und nur immer weiter von Gott entfernt, und Gottesferne ist das Wesen der Sünde.

Buße ist nichts anderes als das unbedingte und nicht zu erschütternde Vertrauen in die Gnade Gottes, durch die wir frei werden, ihm und einander im Guten zu dienen.

Damit treten wir auch fest jenen entgegen, die behaupten, Gott habe den Glauben an die Stelle der guten Werke gesetzt, gleichsam als bequemeren Weg zum Heil. Dieses Missverständnis gründet in der Annahme, der Glaube würde das Gesetz und die Gebote überwinden – er erfüllt sie aber.

So lesen wir auch schon in den Sprüchen Salomos: Wer sein Ohr abwendet, das Gesetz zu hören, dessen Gebet ist ein Greuel. (Spr 28, 9)

Antiquities of the Orient unveiled, 
Solomon, King of Israel, 1875, hier gefunden

Überhaupt gibt es natürlich auch schon im Alten Testament eine Hoffnung, die Gnade in der vertieften Gotteserkenntnis sucht. Im Buche der Weisheit Salomo heißt es: „Und wenn wir gleich sündigen, sind wir doch dein, und kennen deine Macht. Denn dich kennen ist eine vollkommene Gerechtigkeit; und deine Macht wissen, ist eine Wurzel des ewigen Lebens.“ (Weisheit 15, 2/3)

Die Gotteserkenntnis der Weisheit ahnt und fiebert geradezu schon herbei, was mit Christus Wirklichkeit geworden ist. Gott wurde Mensch und unser Bruder. In ihm sind Gnade und Wahrheit geworden.

Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?

So sei nun fleißig und tue Buße!

Das bedeutet - ändere deinen Sinn, ändere die Richtung, in die du gehst. Dieser Prozess aber beginnt immer dort am wirkungsvollsten, wo wir Menschen uns schlicht der Wahrheit stellen – auch und besonders der Wahrheit unseres Wesens.

Wir müssen erkennen, dass wir verführbar sind, dass wir eitel sind und Menschen brauchen, die uns die Wahrheit sagen. Wir sollen uns zu Gott hin wenden und seine Hilfe erwarten und uns nicht durch die falschen Propheten verführen lassen, die uns stets glauben machen wollen, wir könnten uns selbst retten.

Und darum ist Buße für uns Christen ein Tor zur Befreiung. Der Bußtag ist ein Fest der Freiheit.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.

Amen

Thomas Roloff 

Weltliche Schatzkammer Wien, Reichskrone, 
König Salomon (Rex Salomon), hier gefunden

Montag, 4. November 2019

Zum 150. Todestag von Friedrich Wilhelm Buttel, 1. Nachtrag



"Buttel wird, wie man leicht nachrechnen kann, am 4. November seinen 150. Todestag haben. Wenn ich es recht überschaue, wird es ein eher stilles Gedenken an diesem Ort werden. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch. Und wenn, seine Bauten übernehmen diese Aufgabe ganz gut selbst."

So hatte ich im Oktober geschrieben. Und so geschah es. Es geschah eigentlich nichts. Es sei denn, irgendwo hätte eine klandestine Würdigung stattgefunden, von der ich nichts weiß. Womit ich natürlich nicht etwa die Ausstellung „Zum 150. Todestag von Friedrich Wilhelm Buttel“ herabwürdigen will, die der  Zeichner Wilfried Neumann gemeinsam mit der Musik- und Bilderstube in der Strelitzer Straße veranstaltet hatte, aber sonst…

Nun kann man sich über derlei ärgern oder selbst in die Bresche springen. Nur wie? Die Literatur zu ihm ist überschaubar. Das verwundert auch nicht bei jemandem, der nahezu ausschließlich im Mecklenburgischen tätig war und dann auch noch in seinem, zu Unrecht, allgemein als eher unauffällig angesehenen Teil. Also galt es, sich in die Sache hineinzuarbeiten bzw. abzuschreiben. Nun, das ist eine gängige Übung, meint aber hier etwas anderes.

Der Großteil der biographischen Angaben, die uns bekannt sind, stammt aus einer Schrift, die ohne Autorennennung unmittelbar nach seinem Tod 1870 in Berlin erschien. Der Verfasser war Jacob Friedrich Roloff, geboren 1813 in Schwanebeck bei Halberstadt und gestorben am 12. November 1877 in Neustrelitz, wo er ab 1838 als Realschullehrer tätig war. Von Hause aus Mathematiker und Naturwissenschaftler trat er hier u.a. als Mitbegründer des Gewerbevereins in Erscheinung. Das ist insofern interessant, als man sich daraufhin doch mehr eine nüchtern-pragmatische und unpoetische Person vorstellt. Aber es waren halt andere Zeiten.

Rein Biographisches ist selten interessant. Interessanter wird es, wenn es von einem Zeitgenossen mitgeteilt wird, wo bis in die Sprache hinein Denkungsart und Vorstellungswelt eines Zeitalters lebendig werden. Also habe ich es auf mich genommen, seine kleine Schrift (mit marginalen Kürzungen) nachfolgend wörtlich zu präsentieren, mit Rücksicht auf die Lesbarkeit portionsweise. So beginnen wir also mit den allgemeinen Bemerkungen der Einleitung (da ich den nächsten Teil gerade Korrektur lese, sollte er zügig folgen).

Jacob Friedrich Roloff

Erinnerungen an Friedrich Wilhelm Buttel


Zu den hervorragenden Männern, deren Leben und Wirken auf die schönere und bessere Gestaltung der Verhältnisse eines weiteren Gebietes von segensreichem Einfluß gewesen ist, deren Namen und Werke schon bei Lebzeiten über die engeren Grenzen des eigensten Wirkungskreises hinaus ruhmvoll bekannt und weithin hoch verehrt wurden und die es verdienen, in den Jahrbüchern der vaterländischen Geschichte für die Nachwelt aufgezeichnet zu werden: gehört mit Recht und als einer der Ersten auf dem Gebiete der bauenden Kunst, der am 4. November 1869 in Neustrelitz verstorbene, im Leben als Baumeister und Baukünstler, wie als Mensch und Beamter, von Fürst und Volk, von allen Seiten so hoch geachtete - im Tode so tief betrauerte Mecklenb.-Strel. Ober-Baurath Friedrich Wilhelm Buttel.

Es ist wohl unbestritten, welche hohe Bedeutung für Bildung, Geschmack und Sitten der Stellung eines einflußreichen Baumeisters beizumessen ist, der in seinen Bauten sich selber schon die Ehrensäulen seines Namens und die Denksteine seiner Zeit errichtet.

Denn die Kunst ist die Bildnerin und Veredlerin der Sitten und die großartigen Bauwerke sind die Culturwarten für Jahrtausende.


Beim Betreten einer Stadt, eines Landes fallen uns die hervorragenden öffentlichen Gebäude, Kirchen, Thürme, Rathhäuser, Schlösser etc. zunächst in die Augen und deren Styl und Ausführung giebt die erste Anknüpfung für unser Urtheil über die an solchen Orten wohl herrschenden und waltenden Ideen und Sitten.

Die Baumeister sind die Träger und Darsteller solcher herrschenden Bildungs-Ideen; sie geben dem waltenden Geiste durch ihre Werke Ausdruck und Gepräge. Andererseits sind aber auch die Baukünstler wieder die Schöpfer und Urheber eines sich allgemeiner verbreitenden und durch den steten Anblick des Schönen und Großartigen sich nach und nach einlebenden bessern Geistes und edlern Geschmackes, und groß ist deßhalb ihr Verdienst, sowohl um den herrschenden Kunstsinn und allgemeinere Bildung, - wie auf materiellem Gebiet - um Gewerbefleiß und Wohlstand.
...

Die Baukunst, in ihrem Begriff als freie Kunst, ist der unmittelbare Ausdruck der gemeinsamen Sinnesrichtung, des gemeinsamen geistigen Strebens in Zeit und Volk.

Je schärfer die Volksthümlichkeiten von einander unterschieden sind, um so bestimmter unterscheidet sich auch die Bauweise der verschiedenen Völker; je lebendiger der historische Fortschritt ist, um so charaktervoller zeigt sich dies in den Gestaltungen der Architektur.

So sind die Denkmäler der Baukunst recht eigentlich die Denkmäler der Culturgeschichte des Menschengeschlechtes. -

Wenn wir von diesen allbekannten allgemeinen Erfahrungen Anwendung machen auf Mecklenburg und insbesondere auf Mecklenburg-Strelitz, so ist wohl unbestritten, daß Buttel es war, welcher in den letzten funfzig Jahren dem hier herrschenden Streben nach Verbesserung und Verschönerung der äußeren Verhältnisse durch seine Bauwerke den sprechendsten und wohlthuendsten Ausdruck gegeben hat.

Schinkel, welcher durch seine hervorragenden Prachtbauten der norddeutschen Metropole die eigenthümlich schöne Physiognomie aufgedrückt, war auch Buttels Vorbild, sein Ideal.

Doch war Buttel kein sklavischer Nachahmer desselben, oder eines bestimmten Styls. Er hat es verstanden, die Bau-Logik, die Bau-Phantasie der verschiedenen architektonischen Systeme in seinen Werken zur angenehmen Erscheinung zu bringen und hierauf begründet, nach unsern Bedürfnissen, mit unsern technischen Fortschritten wahrhaft schöne, den Zwecken und dem Geist auf das Vollkommenste entsprechende Bauten geschaffen und in diesem Sinne durch die von ihm entworfenen oder ausgeführten, nach Plan und Durchführung gleich meisterhaften und schönen Gestaltungen, unserm Lande und der Hauptstadt ein edles, wohlthuendes Gepräge verliehen, und wenig andere Länder dürften vorhanden sein, wo auf einem kleinen Gebiete so viele mannigfaltige, wirklich schöne Bauten im edelsten Styl aufgeführt sind, wie in unserer Heimath; und an allen diesen Buttel'schen Bauten, welche unserm Lande zu einer wahrhaften Zierde gereichen, so verschieden sie auch sein mögen nach Zweck und Einrichtung, seien es Kirchen, Schlösser, Schulen, Wirthschaftsgebäude etc., bemerken wir - und wenn seine ursprünglichen Entwürfe in Berücksichtigung der Kosten und anderer Nebenzwecke auch mannigfache Abänderungen erfuhren - neben der Solidität einen gewissen Idealismus, der die realen Grundlagen mit einem klassischen Hauche überzieht.

Fast funfzig Jahre lang ist Buttel der Leiter des gesammten Bauwesens in Mecklenburg-Strelitz gewesen.


Als Mitglied des Bau-Departements, sowie des Hofbauamtes hatte er vornehmlich das gesammte Bauwesen in artistischer, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu leiten, und er hatte dasselbe, freilich unter einer ungeheuren Arbeitslast, wie sie theilweis seine Stellung und seine vielen Geschäfte mit sich brachten, mit seltener Arbeitskraft, Arbeitsenergie und Gewissenhaftigkeit zum Segen des Landes, zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, zum Wohle seiner Untergebenen meister- und musterhaft geleitet.

Gleich hochgeachtet stand er da als durch und durch ehrenhafter Charakter im öffentlichen Leben, als nie rastender, in Wissenschaft, Technik und Kunst unermüdlich vorwärtsstrebender, für alles Gute und Schöne warm empfänglicher Mann, als liebevoller, zärtlicher Familienvater, als treuer Rathgeber und Helfer der Bedürftigen und Unglücklichen! -

Wie ist nun Buttel der geniale Schöpfer so großartiger, schöner Bauwerke geworden, wie ist er zu dieser künstlerisch-praktischen, zu dieser sittlichen Höhe gelangt?

Um einen solchen Geist heranzubilden, da müssen sich Natur, Kunst und Wissenschaft, Theorie und Praxis die Hand reichen, da ist es nöthig, die Realität der Verhältnisse nicht blos zu kennen, sondern diese mit freiem Auge, scharfem Blick und klarem Urtheil selber durchlebt zu haben.

Und das war der Fall bei unserm Buttel, dem die Glückssonne der Verhältnisse auf seinem ersten Lebenswege wenig gelächelt, der -  Alles durch sich selbst geworden ist!

Es ist erhebend und für nachstrebende Talente ermunternd, das Lebensbild und das Arbeitsfeld eines solchen edlen Geistes kennen zu lernen und mit sinnigem Blicke näher betrachten zu können; es ist für die Kunstgeschichte wichtig, ja es ist ein Herzensgenuß für befreundete Seelen, bei der Betrachtung so vieler ausgezeichnet schöner Bauwerke, wie sie Buttels seltenes Talent geschaffen, auch einen Einblick zu thun auf die dornenreiche, mühe- und arbeitsvolle Lebensbahn des Erbauers.

Und so will der Verfasser dieses, dem das Glück zu Theil geworden war, das Leben, das Wirken und den Charakter des nun Vollendeten nach mannigfachen Seiten näher kennen und verehren zu lernen, es versuchen, seinen vielen Freunden, Gönnern und Genossen zu treuer lieber Erinnerung an den Heimgegangenen, der Mitwelt zur Nacheiferung im Streben, Arbeiten, Kämpfen und Dulden, der Nachwelt als erhebendes Beispiel, dem von ihm so hochverehrten Freunde als Immortellenkranz auf seine letzte irdische Ruhestätte: in nachfolgenden "Erinnerungen" die einfachen Umrisse eine kurzen Lebensbildes von dem edlen Manne, dem großen Baumeister, dem treuesten Familienvater hier aufzuzeichnen und vorzuführen, ehe der Trauerflor der Vergessenheit diese seltene Erscheinung uns für immer verhüllt und in jene dunkelste Ferne und letzte Lebensumnachtung unserm irdischen Auge entrückt. -

nachgetragen am 3. Dezember

der 2. Teil findet sich hier

Sonntag, 3. November 2019

Über die Veredelung aller menschlichen Verhältnisse II – Schinkel & Beuth

Karl Friedrich Schinkel, Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer

Da will ich also endlich über die Freude an Innendekorationen reden und rutsche unvermeidlich ins Weltanschauliche. Bringen wir es also hinter uns.

Von den Radikalen der sog. Moderne wird durchaus auch unser Schinkel als Gewährsmann herangezogen. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

"Sehr bald gerieth ich in den Fehler der rein radicalen Abstraction, wo ich die ganze Conception für ein bestimmtes Werk der Baukunst aus seinem nächsten trivialen Zweck allein und aus der Construction entwickelte. In diesem Falle entstand etwas Trocknes, Starres, das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente, das Historische und das Poetische, ganz ausschloß. Ich forschte weiter, wie weit das rationelle Princip wirksam sein möchte, um den Trivialbegriff des Gegenstandes festzustellen, und, wie weit andererseits jenen höheren Einwirkungen von geschichtlichen, artistischen und poetischen Zwecken der Eintritt dabei gestattet werden dürfe, um das Werk zur Kunst zu erheben.“

Nichts also von "form follows function". Noch bevor dieser Slogan überhaupt erfunden wurde, hatte Schinkel schon sein Urteil darüber gefällt (es heißt, er gehe auf einen Amerikaner namens Louis Henry Sullivan zurück, den Vater der Wolkenkratzer; was mir Gelegenheit gibt, das kleine Kuriosum beizusteuern, daß, als ich zum ersten Mal auf das englische Wort dafür, nämlich "towerhouse", stieß, mein Unbewußtes es mir prompt als Terrorhaus übersetzte). Die gewaltaffine Sprache der sog. Moderne will zu gern „Formen aufbrechen“ etc. Sie wären also ein Gefängnis? Wofür und zur Abwehr wovor?

Schinkel setzte statt auf die Verelendung aller ästhetischen Verhältnisse auf die Veredelung aller menschlichen. Ein kühnes Programm. Und zur Veredlung aller menschlichen Verhältnisse sind eben zwei Dinge unabdingbar - das Historische und das Poetische.

Das Historische, das das Bewußtsein aller menschlichen Bemühungen wachhält, sich über das einfache So-Sein zu erheben, welches in der Vielfalt seiner Formen Unterscheidungsfähigkeit, Erfahrung und Behaustheit bewahrt.

Das Poetische, das es dem Menschen erlaubt, sich nicht nur von den Bedingungen seines Seins zu emanzipieren, sondern auch die Tiefe und den unendlichen Gehalt dessen zu erahnen, in das er geworfen ist.

Bei Schinkel tritt zum Respekt vor dem Überkommenen gleichzeitig immer die größte innere Freiheit in seiner Berücksichtigung. Denn nicht aus bloßer Pflicht handelt er, sondern:

"Es kann nicht die Bestimmung alles Lebens sein, sich zu quälen, vielmehr soll Seligkeit die Bestimmung alles Lebens sein, und so wird man eigentlich Gott wohlgefälliger, wenn man mit Liebe handelt; aber nur das Schöne ist der höchsten Liebe fähig, und darum handle man schön, um sich selbst zu lieben und dadurch selig werden zu können..."


Nachzeichnung von Ludwig Lohde nach einem Schinkel-Entwurf 
zur Rückwand des Marmorsaals im Palais des Prinzen Albrecht v. Pr.


Berlin, Wilhelmstraße 102. Palais des Prinzen Albrecht von Preußen, 
Entwurf zum Marmorsaal, hier gefunden

Ich hatte im Januar diesen Jahres unter seinem Motto einen Beitrag mit der Androhung von Fortsetzungen geschrieben, und ja, manchmal braucht man etwas länger, wenn man über etwas nachdenkt (die Einschränkungen des eigenen Geistes dazugerechnet natürlich). Schinkel hatte sein Programm in recht gedrängten „Gedanken zur Baukunst“ dargelegt, so konzentriert, daß man über manchen Nebensatz mindestens ein halbes Jahr nachdenken müßte. Ich will 3 Punkte möglichst unverkürzt zitieren.

Zunächst definiert er das „Wesen der schönen Künste“ als „höhere Herrschaft über die Natur, wodurch der widerstrebenden das majestätische Gepräge der Menschheit als Gattung, das der Ideen aufgedrückt wird, diese Herrschaft ist das eigentliche Wesen der schönen Künste. Sie ist das Werkzeug der Ewigkeit der Ideen."

Die Menschheit hat also die Herrschaft der Ideen zu exekutieren. Was sind diese aber? Behaupten wir einfach, es sei die verborgene Sinnstruktur des Seins, der der Mensch nicht nur zur Bewußtheit, sondern auch zur Gestalt verhelfen kann, wenn er sich in ihren Dienst stellt. Diese Sinnstruktur vermag, wenn sie erkannt wird, Schönes hervorzubringen, und seine Herrschaft sei verstanden als eine Art von gezähmter Natur.

Und so gewinnt der Architekt seine Aufgabe: „Der Architekt ist seinem Begriff nach der Veredler aller menschlichen Verhältnisse, er muß in seinem Wirkungskreise die gesammte schöne Kunst umfassen. Plastik, Malerei und die Kunst der Raumverhältnisse nach Bedingungen des sittlichen und vernunftgemäßen Lebens des Menschen schmelzen bei ihm in einer Kunst zusammen.“

Berlin, Wilhelmstraße 102. Palais des Prinzen Albrecht von Preußen, 
Entwurf für ein Gesellschaftszimmer, hier gefunden

Warum veredelt der Architekt die menschlichen Verhältnisse? Weil er den menschlichen Geist erwachen läßt und dieser in einer Weiter-Schöpfung Dinge hervorbringt, die seinem geistigen Ursprung entsprechen. Die Dinge sind von wahrhaften Verhältnissen, harmonisch, wohltuend, dauerhaft über ihren zufälligen Untergang hinaus und selbstredend – schön.

Die „Baukunst als Symbol des Lebens“ solle zuallererst auf das vollendet ideale Leben der menschlichen Gattung auf der irdischen Welt sehen. Realisiere der Architekt dieses Ziel, sei sein Leben als glückselig zu bezeichnen.

Königsberg, Poststraße 5, Entwurf zur Marzipanhandlung 
Feige und Keßler hier gefunden

Die Ursachen für die gelegentlichen Beiträge hier sind mitunter kurios. Um Augen & Seele zu erholen, hatte ich mich vor geraumer Zeit in die Schinkel - Zeichnungen des Berliner Kupferstichkabinetts vertieft. Und da trafen dann Ecksofas mit Sphingen auf Raumentwürfe für längst verschollene Prinzenpalais.

Berlin, Wilhelmplatz. Palais des Prinzen Karl.
Entwurf zum Ecksofa für das Empfangszimmer, hier gefunden

Ein anderer zunächst ablenkenden Gedanken: Wir sind sehr mißtrauisch gegen Weltverbesserungs-Absichten geworden, nachdem sie sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten hinreichend verheerend ausgetobt haben, das Ästhetische war da mehr Sklavin des rechten Bewußtseins und sollte eher die Erscheinung aufhübschen. Barbaren setzen sich gern in den Besitz schöner Dinge, wenn denen eine Macht zugesprochen wird, und ihr größtes Glück ist, diese anschließend zu zerstören.

Entwurf zu einem Nähtisch für Elisabeth Beuth

Deckplatte zum Nähtisch für Elisabeth Beuth

Das Schöne helfe nicht gegen die Grausamkeit der Abgründe des Menschen, lautet ein gern vorgetragener Einwand. Ich widerspreche dem erst einmal, aber dieses Stück wir jetzt schon immer uferloser. Der Stählerne mochte Opern etc. etc. Das konnte Schinkel noch nicht wissen. Doch halt, vielleicht hat er es geahnt. Denn etwas mehr als vor 200 Jahren begann ein Mentalitätsumbruch im „Abendland“, der noch immer bejubelt wird und dessen Opfer als Kollateralschäden durchgehen müssen.

Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker
Teil 2, Abtlg. 2, Bl. 5: Entwürfe für Glasgefäße, hier gefunden

Schinkel war ein wacher Zeitgenosse und möglicherweise war ihm aufgefallen, daß die Formwahrung durch Überlieferung ebenfalls eben am Zerbrechen war. Hier mußte der preußische Staat einschreiten. Wer sonst. Das Schöne ist konterrevolutionär. Wirklichkeit. Transzendenz. Das Geschichtete von Bedeutungen. Selbstwahrnahme und Selbstbewährung. Die Verteidigung des Anvertrauten. Dessen Erweiterung in einen Kosmos wartender Möglichkeiten...

Jedenfalls gaben die hohen preußischen Staatsbeamten Christian Peter Wilhelm Beuth und Karl Friedrich Schinkel  ab 1821 Musterbücher namens „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“ heraus. Wir zitieren aus dem Anfang:

Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Teil 1, Abtlg. 2, Bl. 25: 
Entwurf für einen "Pokal in Silber oder Gold auszuführen",
hier gefunden

„Wie das Gefühl für das Sittliche, so ist auch das Gefühl für das Aesthetische nicht bei jedem Menschen gleich stark und was wir in dieser Beziehung an dem Einzelnen wahrnehmen, sehn wir an ganzen Völkern und Zeitaltern.

Ein glückliches Zusammentreffen günstiger Verhältnisse muß sich mit großen natürlichen Anlagen eines Volkes vereinen, um in demselben denjenigen Grad der Ausbildung zu erzeugen, in welchem seine Sitte und Lebensweise als Grundlage allgemein gültiger Gesetze betrachtet werden kann.

Vor allen andern finden wir beim Griechischen Volke eine solche Entwickelung am vollständigsten erreicht. Mit jugendlicher Lebendigkeit ging dies Volk auf einem natürlichen Wege der Vollendung einer vielseitigen Bildung entgegen, ein gesunder Sinn bewahrte es vor solchen Abwegen, auf denen kindische Vorliebe zum Neuen und Hang zum Wunderbaren, die freie Entwickelung guter Anlagen bei anderen Völkern häufig gestört haben. Einbildungskraft und Verstand, Sinnlichkeit und Vernunft wirkten bei den Griechen im schönsten Verhältnis zusammen und brachten die Uebereinstimmung hervor, welche wir durch alle Zweige ihres Cultur-Zustandes verbreitet und bei ihnen so ganz eigenthümlich finden.“

Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker, Teil 1, Abtlg. 2, Bl. 26: 
Entwurf für zwei Leuchter, zwei Friese und drei Pokale, 
zur Ausführung in Silber, Kupfer oder Bronze, hier gefunden

Und in diesem gewissermaßen offiziellen Musterbuch zur Förderung der Wirtschaft wird den Adressaten noch folgendes Detail als ein Wissenswertes zugemutet:

„Das Korinthische Kapitäl entstand nach den Erzählungen der Alten in folgender Art. In Korinth starb eine Jungfrau, ihre Näherin legte in einen Korb diejenigen Geräthe, welche sie in ihrem Leben erfreut hatten, und trug diesen auf die Grabstätte, wo er mit einem Stein zugedeckt wurde. Zufällig ward der Korb auf die Wurzel einer Akanthuspflanze gestellt, welche bald ausschlug und ihre Blätter, Stengel und Blüthen so zierlich um den Korb ausbreitete und an denselben anschmiegte, daß der Künstler Kallimachus, ergriffen von der Schönheit des Anblicks, davon die Idee eines Säulenkapitäls entnahm, Kallimachus war berühmt wegen der großen Ausführung und Zierlichkeit seiner Arbeiten, die ihm selbst nie genügten, weshalb er den Beinamen, der Selbsttadler erhielt.“

Mappenwerk, Ansichten zweier Tische

Ach wären wir doch auch nur wieder in der Annäherung an solche Zeiten.

Das also sind nun die Anmerkungen zur Vorstellung der Musterbücher, die ich so lange vor mir hergeschoben hatte.


nachgetragen am 4. November