Sonntag, 23. Februar 2020

Über das Kyrie eleison


Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Sehet, wir gehen hinauf gen Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn.
Denn er wird überantwortet werden den Heiden; und er wird verspottet und geschmähet und verspeiet werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er wieder auferstehen.
Sie aber verstanden der keines, und die Rede war ihnen verborgen, und wußten nicht, was das Gesagte war.
Es geschah aber, da er nahe an Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte.
Da er aber hörte das Volk, das hindurchging, forschte er, was das wäre.
Da verkündigten sie ihm, Jesus von Nazareth ginge vorüber.
Und er rief und sprach: Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein!
Die aber vornean gingen, bedrohten ihn, er sollte schweigen. Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein!
Jesus aber stand still und hieß ihn zu sich führen. Da sie ihn aber nahe zu ihm brachten, fragte er ihn und sprach: Was willst du, daß ich dir tun soll? Er sprach: Herr, daß ich sehen möge.
Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! dein Glaube hat dir geholfen.
Und alsobald ward er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.


Lukas 18, 31 - 43


„Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ „Ἰησοῦ υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με.“ Das „Kyrie eleison“ (κύριε ἐλέησον), das hier aufscheint, war in dieser Zeit bekannt als Huldigungs- und Unterwerfungsruf, bestimmt für Götter und hellenistische Herrscher. Er ging sogar später noch ein in das Hofzeremoniell für den römischen Kaiser.

Daß es der Blinde hier dem „Sohn Davids“ zuruft, weist darauf, daß er in seiner körperlichen Blindheit eine Wirklichkeit erkannt hat, die den „Sehenden“ verborgen bleibt.

Und geheilt tritt er gewissermaßen in deren Menge zurück. Es erscheint nicht völlig klar, was in ihm von dem Geschehenen widerhallte und wie er es verstand. Er folgte ihm, heißt es. Doch wem, meinte er zu folgen?

Aber in diesem Augenblick der Gewißheit wird über diesen Zeugen hinaus schlaglichtartig erhellt: Ja, Jesus ist auf dem Weg zu seiner Krönung. Zu seiner Krönung am Kreuz. Um die Menschheit in ihrem höchsten Menschentum wiederherzustellen. Gekrönt über Leiden und Tod. Bis in die Auferstehung.


Man kann auch eine andere Traditionslinie sehen, von der Septuaginta her, wo mit dem Kyrios-Titel der Gott Israels gemeint war, eine Formel, um die Heiligkeit des Gottesnamens zu wahren. Diese Interpretation würde die Situation wahrlich noch mehr mit Bedeutung aufladen, aber sie ist so schon dimensionentief genau, wenn man ihr zu folgen vermag.


Das „Kyrie eleison“, in Rom vermehrt um das Christe eleison ("Χριστὲ ἐλέησον", Christus, erbarme dich!), wurde schließlich zu einem der Kernstücke der Liturgie des Gottesdienstes bzw. der Messe (oder auch, wie anschließend zu hören, der Anfang der Allerheiligenlitanei).


Litany of the Saints From John Paul II's Funeral

So ziehen sich die unterirdischen Ströme der Überlieferung, vielfach verwandelt in unsere Gegenwart, und darüber hinaus. Wovon Bachs H-Moll-Messe Zeugnis gibt (vor allem, wenn Karl Richter dirigiert).


J. S. Bach, H-Moll-Messe, BWV 232, Kyrie,
Münchener Bach-Orchester, Karl Richter, Münchener Bach-Chor

Ach das noch. Wenn man altertümlich per Hand schreibt, fällt einem anderes ein. Leider zähle ich zur Mehrheit der Trägen, also brauche ich ein Tintenfaß in der Nähe, da der Füllhalter in der Regel zwischendurch zuverlässig eingetrocknet ist.

Und nun hätte ich ihn doch fast statt ins Tintenfaß in die Kerze gehalten. Ein ratloser Versuch des Unbewußten, den Geist zu entzünden? Oder das Alter? Oder alles zusammen.

Obige Gedanken begannen an diesem Tage beim Gottesdienst in Zierke, daher die Bilder.

bene qui latuit bene vixit
Ovid,  Tristia 3.4.25

nachgetragen am 27. Februar

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