Sonntag, 4. Oktober 2020

Nachträge zu Markus &

Wo die Gerüste doch noch, nun ja, gefallen sind, letztlich wegen des 3. Oktobers, an der Eingangsfassade der Schloßkirche zu Neustrelitz, ein paar zögerliche Anmerkungen. Ach, warum wegen des 3. Oktobers? Am 2. war eine Art von rudimentärem Festakt in Würdigung desselben, eigentlich ein Konzert, irgendwo zwischen der Morgenstimmung von Edvard Grieg und dem Kleinen grünen Kaktus angesiedelt, nett, ja. Das erste der folgenden Bilder zeigt etwas von der Innenillumination, das andere den Tag danach.


Meine restlichen Einfälle zu Anlaß etc. behalte ich für mich.

Zurück zur Fassade. Mein Enthusiasmus wurde etwas gebremst angesichts des Ergebnisses. Der Herr Bürgermeister meinte zwar, es wären die herausragendsten Restauratoren durch die Stadt bemüht worden, und mehr hätte den Stein angegriffen, worauf ich zurückhaltend einwandte, nun sub specie aeternitatis mag es immer noch Besseres geben, jedenfalls in der Zukunft. 

Jede Gegenwart ist einmal vorbei, hoffen wir einfach, daß diese es einmal schneller schafft. Wäre die Figur des Evangelisten Johannes jedenfalls eine unter uns lebende Gestalt, würde er wahrscheinlich wegen „Blackfacing“ angegriffen (er ist der rechts mit dem Adler zu Füßen). Wie auch immer. Doch siehe das Vorige.

Und außerdem wollen wir uns hier auf das unbestreitbar Erfreuliche richten - auf den Evangelisten Markus; ganz auf der linken Seite begegnet er uns. 

Und nur zur Erklärung, zu seiner Rechten (vom Betrachter aus gesehen) befinden sich Lukas (mit dem Stierkalb, im Bild darüber links), der bereits erwähnte Johannes und ganz rechts Matthäus (auch erfreulich anzuschauen).

Doch zurück zu Markus. Wir wissen nicht so furchtbar viel über ihn. Was man alles über ihn gar nicht erfahren will, kann man dort übersichtlich nachlesen. Das unter seinem Namen überlieferte Evangelium ist das kürzeste und wohl auch älteste. So er mit dem im Neuen Testament überlieferten Markus identisch ist, war er ein Begleiter des Hl. Petrus und mit dem Hl. Paulus zeitweise verzankt, der sich aber mit ihm wieder versöhnt hat.

Möglicherweise endete er als erster Bischof von Alexandria und als Märtyrer ebendort, was uns zu folgender folgenreicher Geschichte bringt:

Vittore Carpaccio, Der Löwe des Hl. Markus, 1516
hier gefunden

Wohl im Jahr 828 trafen zwei venezianische Kaufleute, Buono da Malamocco und Rustico da Torcello, in Alexandria ein, das inzwischen von den Andersgläubigen in Besitz genommen worden war, um dort Geschäfte zu erledigen. Sie verehrten die Reliquien des Hl. Markus in der ihm gewidmeten Kirche und erfuhren von dem Gerücht, daß der heilige Ort von den Andersgläubigen entweiht, sprich zerstört, werden sollte, entweder um aus dem Marmor und den Säulen der christlichen Kirche einen Palast oder eine Moschee zu erbauen.

Um die Überbringer der Nachricht zu trösten, überredeten die Kaufleute sie, diese zusammen mit den Reliquien des Hl Markus nach Venedig zu bringen. In Weidenkörben versteckt und von Kohlblättern und Schweinefleisch bedeckt, brachten sie die heiligen Reliquien an den Zolleinnehmern vorbei, indem sie „Kanzir, Kanzir“ (Schwein) schrien und diese sie mit angewidert zugehaltenen Nasen durchließen.

Man sage nicht, daß nur die Andersgläubigen die Kunst der Täuschung verstünden, wo es doch, recht betrachtet, nicht einmal Täuschung war.

Die Reise nach Venedig blieb nicht ohne Gefahren. Aber am 31. Januar 828 (vermutlich) wurden die heiligen Reliquien vom örtlichen Bischof und dem Dogen Giustiniano Particiaco begrüßt und nach Venedig überführt, um bald in die zu Ehren der Heiligen errichtete Basilika zu finden. So wurde Markus, bereits Schutzpatron von Alexandria, auch Schutzpatron von Venedig.

Den Evangelisten sind in der Westkirche früh ihre Attribute zugesellt worden, als Deutung von zwei Stellen, einmal aus dem Alten und dann aus dem Neuen Testament (Hesekiel 1. 5ff und  Offenbarung des Johannes 4.7 ff.). Es sind beides eher dunkle Örter, aber danach können wir wenigstens, jedenfalls im Westen, die Evangelisten vom Bild her auseinanderhalten.

Venedig hat sich eben den Löwen des Markus erwählt. Diese Verbindung dürfte auch am meisten noch bekannt sein. Das erinnert u.a. an die segensreiche Schlacht von Lepanto und die Stiftung des Rosenkranzfestes vom 7. Oktober. Und da die Malerei, in Venedig behaust oder von dort her nicht ohne Einfluß, gibt es von diesem Evangelisten eben auch das eine oder andere angenehme Porträt.

Angelo Bronzino, Hl. Markus, hier gefunden

Und wie kommen wir jetzt wieder zurück zum Evangelisten Markus an der standhaften Hauptfassade der Schloßkirche zu Neustrelitz? 

Abhängig vom Standort des Betrachters wirkt er entweder melancholisch und philosophisch gelassen, den Löwen, sprich die geduldige Natur zu seinen Füßen, irgendwie tröstend, der gar keine Beruhigung nötig hat, so verträumt abwesend schaut er vor sich hin [fast kommen einem Bilder vom kultivierten und ebenfalls melancholischen Kaiser Hadrian in Erinnerung],

hier gefunden 

oder am Rande seiner Seelenstärke und Fassungskraft, von dem Löwen eine Art von Beruhigung empfangend? Sehr mysteriös das alles.

Pflichtgemäß müssen wir noch nachtragen, daß die Skulptur des Evangelisten von unserem Buttel gezeichnet und dem berühmten Wolff modelliert wurde, das jedenfalls dürfte stimmen.

Die Zeichen des Schönen stehen immer noch um uns, unser Inneres bewahrend. Nur anerkennen müssen wir sie.

beendet am 14. Oktober 


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