zur Mythologie einer Landschaft (Fortsetzung von Teil I)
Kaiser Lothar, Schloß Schleb, (Ausschnitt, hier gefunden)
4. Der Hl. Gottschalk, König Heinrich und das Ende der Nakoniden
Gottschalk der Wende
Hl. Gottschalk auf einem Fenster der Propsteikirche St. Anna in Schwerin, hier gefunden
Mit Gottschalk kommen wir zum ersten Heiligen Mecklenburgs. Gottschalks Gedenktag ist der 14. Juni. Überhaupt treten wir jetzt in eine Zeit ein, von der mehrere Charakterköpfe zu vermelden sind. Gottschalk jedenfalls floh in Folge der oben beschriebenen Ereignisse zunächst 1028 zu König Knut dem Großen nach England. Nach dessen Tod 1035 trat er in die Gefolgschaft von Sven Estridsson, dem späteren König von Dänemark, ein, dessen Tochter Sigrid er heiratete.
Wir übergehen Ratibor († wohl 1043, ein anderer Nachkomme Mstivojs) und weitere. Jedenfalls wurde dieser von König Magnus dem Guten, König von Norwegen und Dänemark samt seinen acht Söhnen geschlagen. Daraufhin verließ Gottschalk Sven Estridsson und mit Magnus‘ Einverständnis ging er ins Obotritenland zurück und konnte sich dort behaupten.
Gottschalk lehnte sich nachvollziehbarerweise während seiner Herrschaft an den Sachsenherzog Bernhard II. und den Erzbischof Adalbert von Bremen an und unterstützte deren Missionsstreben. Die Brüder des Michaelisklosters zu Lüneburg müssen wundersam gewirkt haben. Herr Vitense beschreibt es unübertrefflich, also zitieren wir ihn (S. 33 a.a.O.) „Soweit war allerdings... [in der Zurückdrängung heidnisch-wendischen Daseins] bisher noch niemand, vor allem nicht ein Wende von Geburt gegangen. Gottschalk tat es und stiftete um 1050 neben dem Oldenburger [für Wagrien] zwei neue Bischofssitze im Obotritenlande, Ratzeburg unter Bischof Aristo für die Polaben und Mecklenburg unter Bischof Johannes für die Obotriten, dazu eine Anzahl Kirchen und Klöster, und oft war er selbst als Missionar tätig, indem er aus sich selbst oder als Dolmetscher deutscher Sendboten seinem Volke das Evangelium in wendischer Sprache auslegte.“
Er schuf zudem eine auf ihn ausgerichtete Verwaltung; das Obotritenland begann, Züge eines Staates anzunehmen.
Gottschalk hatte aber offenkundig ein zwar löbliches, aber auch voreiliges Zutrauen in die Früchte seiner Bestrebungen. Nachdem jedenfalls Herzog Bernhard verstorben (1058) und Erzbischof Adalbert 1066 entmachtet worden war, brach im Obotritenreich ein vom heidnischen Adel getragener Aufstand los, geführt von Gottschalks eigenem Schwager Blusso. In der Kirche von Lenzen wurde Gottschalk am 7. Juni 1066, völlig überrascht, mit seinem Gefolge von Priestern und Laien überfallen und erschlagen.
Seine Gemahlin Sigrid wurde auf der Mecklenburg entdeckt, gegeißelt und „nackend davongejagt“ (Adam von Bremen). Sie floh mit dem Sohn Heinrich zu ihrem Vater Sven Estridsson nach Dänemark. Der erste mecklenburgische Bischof Johannes wurde in Rethra zu Tode gemartert (wir schrieben vorher davon). In Ratzeburg steinigte man den Abt Ansverus mit seinen 28 Mönchen. Die Empörer suchten überhaupt mit Gewalt, das Christentum überall vollständig auszurotten.
Zudem ächtete man Gottschalks gesamte Familie, sein Sohn Budivoj wurde vom neuen Haupt der Empörer, Kruto, Sohn des Grin in eine Falle gelockt und getötet. Selbst sein verräterischer Schwager Blusso, der das Ganze doch angezettelt hatte, wurde von der Binse eingeholt, daß der Verrat, nicht aber der Verräter geliebt werde, er kam ebenfalls um.
Der Emporkömmling Kruto, der für lange Zeit die Macht an sich reißen konnte (1066 bis 1093), wird von den Chronisten als skrupellos und grausam beschrieben. „Räuberbanden durchzogen das Land; mehr als 600 deutsche Familien wanderten damals aus und fanden am Harz eine neue Heimat, wo Ort und Name Elbingerode noch heute an sie erinnert.“ Vitense (S.35) Doch auch ihn ereilte seine Nemesis.
König Heinrich
Gedenkstein Alt-Lübeck, hier gefunden
Kruto alterte und Heinrich, Gottschalks zweiter Sohn, wuchs in Dänemark zum Mann heran. Als er seine Rückkehr einforderte, die ihm Kruto verweigerte, sammelte er Schiffe und landete in Wagrien. Kruto, darüber bestürzt, erlaubte ihm nun die Heimkehr und suchte ihn zu einem Gastmahl zu locken, wo er ihn umzubringen gedachte. Seine eigene Frau Slawina jedoch, die ihres Gatten längst überdrüssig geworden war, warnte Heinrich. Dieser lud erzürnt darauf seinerseits den Kruto zu einem Gastmahl und gab ihm das eigene Gift zu schmecken, anschließend heiratete er die Slawina, und nahm von dem Sachsenherzog Magnus das Land zu Lehen, beider Mütter waren Schwestern.
Zunächst herrschte er nur über Wagrien. Doch Magnus half ihm, 1093 in einer Schlacht auf der Schmilauer Heide bei Ratzeburg das ganze Land seines Vaters in Besitz zu nehmen. Laut Helmold von Bosau blendete der Glanz der untergehenden Sonne seine Gegner im Kampf. Offenbar war er, als er die Macht errungen hatte, vorsichtiger als sein Vater, beließ etwa heidnische obotritische Adlige in ihren Ämtern. Unumgänglich müssen wir erneut Herrn Vitense zitieren (S.36):
Frankfurt a. Main, Kaisersaal, Lothar von Supplinburg, hier gefunden„Gewitzigt durch das Schicksal seine Vaters Gottschalk, der durch allzu offene Begünstigung sächsischen und christlichen Einflusses unter den Wenden zu Fall gekommen war, ließ Heinrich, auch wenn er selbst mit seiner Familie ein Freund des Evangeliums blieb, seinen Landsleuten möglichste Freiheit. Religiöse Duldung erschien ihm als das erste Unterpfand für Ruhe und Frieden im Lande. Sein Ziel, den wilden Sinn der Wenden zu zügeln und ihrer Raublust zu steuern, glaubte er am besten durch Gewöhnung seines Volkes an Arbeit, vornehmlich im Acker- und Landbau zu erreichen. Mehr durch den Pflug als mit dem Schwert wollte er Land und Volk stark machen. Mit Recht gebührt ihm denn auch der Titel eines Königs der Wenden, wie er sich selbst bezeichnete.“
Seine Hauptresidenz lag in Alt-Lübeck. Er führte mehrere Feldzüge, u.a. mit dem späteren Kaiser Lothar (ab 1125 römisch-deutscher König, von 1133 bis 1137 Kaiser) gegen die Ranen, die ihn 1100 in seiner Burg Alt-Lübeck vergeblich angegriffen und zudem 1123 seinen Sohn Waldemar erschlagen hatten. In deren Verlauf zerstörte Lothar (wohl 1125) Rethra endgültig.
1126 kam der Hl. Vizelin, ausgesandt vom Erzbischof Adalbero von Bremen, als Missionar nach Alt-Lübeck zum „Slawenkönig“ Heinrich. Dieser erlaubte ihm die Mission, übergab ihm sogar die Kirche dortselbst. Der Hl. Vizelin kehrte, vermeintlich für kurze Zeit, nach Sachsen zurück, um Vorbereitungen zu treffen. Am 22. März 1127 jedoch starb Heinrich und damit wurde zunächst alles wieder hinfällig. Die Chronik des Michaelisklosters zu Lüneburg will zwar wissen, er sei ermordet worden, sie ist mit dieser Angabe allerdings allein.
Nicht nur die Missionsabsichten des Hl. Vizelin wurden hinfällig. Am Tod des Heinrich kann man ablesen, wie schnell ein großes Werk wieder zerfallen kann, wenn es auf eine einzelne Persönlichkeit gebaut ist. Zwei Söhne verzettelten sich in Nachfolgestreitigkeiten, die sie beide nicht überlebten, der alte Feind, die Ranen zerstörten Alt-Lübeck und mit seinem Enkelsohn Zwinike erlosch schließlich 1129 das Geschlecht Heinrichs. Noch nicht das Gottschalks, aber auch dieses Ereignis wartete in der Nähe.
Das Ende der Nakoniden
Heinrichs dänischer Vetter Knud Lavard kam zunächst kurzzeitig zum Zuge. Aber spätestens nach dessen Ermordung 1131 werden zwei Namen wichtig, der eine als Ende, der andere als Anfang. Pribislaw und Niklot. Pribislaw, der Sohn des Budivoj, ein Enkel Gottschalks und so Nakonide errang Wagrien und regierte dort noch bis vielleicht 1142.
Doch die Machtverhältnisse wendeten sich gegen die Wenden und das slawische Wagrien zerfiel, u.a. durch die Belehnung Adolf II. von Schauenburg und Holstein durch Heinrich dem Löwen mit demselben (1142). Dieser holte nach dort westfälische, friesische und holländische Siedler und setzte die Christianisierung energisch durch. 1143 begann er mit dem Bau eines neuen, diesmal deutschen Lübeck. Und ab 1149 unternahm Erzbischof Hartwig I. von Hamburg-Bremen es, die 1066 untergegangenen Bistümer Oldenburg, Ratzeburg und Mecklenburg wiederherzustellen, der bereits erwähnte Hl. Vizelin wurde Bischof von Oldenburg (er starb am 12. Dezember 1154 in Faldera), Emmehard von Mecklenburg.
Klosterkirche Bordesholm, Gedächtnistafel für den Hl. Vizelin, hier gefunden
Pribislaw hatte wohl noch Einfluß in den wendisch gebliebenen Gebieten um Oldenburg. 1156 tritt er gegenüber Bischof Vizelin als deren Wortführer auf. Es heißt, als wohlhabender, aber offenbar machtloser Mann habe er, der doch offenkundig heidnischen Geistes geblieben war, an einem Gottesdienst in Oldenburg teilgenommen. Dann verstummen die Nachrichten. Das Geschlecht der Nakoniden erlischt mit ihm.
5. Niklot und ein neues Geschlecht
Niklot, Front des Schweriner Schlosses, Reiterstandbild von Christian Genschow, 1855, hier gefunden
Niklot
Und jetzt kommen wir zu einem Bruch, eher einer Ungewißheit. Der, soviel wir wissen, letzte Nakonide starb in Wagrien. Das Obotritenland im engeren Sinne hatte allerdings nun einen Niklot zum Fürsten. Man liest, er sei kein Nakonide gewesen. Genau genommen wissen wir nicht, woher seine Familie ihren Ursprung hat. Die Akzeptanz seiner Autorität deutet jedenfalls nicht auf eine Usurpation (die etwa Lothar von Supplinburg nachträglich legitimiert hätte), sondern auf bestehende Ansprüche, die anerkannt wurden.
Bestimmte Familien genossen bei den Wenden offenbar ein besonderes Ansehen. Saxo Grammaticus vermeldet, die unmittelbaren Angehörigen eines Herrscherhauses hätten diesen als „unberührbar“ gegolten. Keiner habe es gewagt, diese anzugreifen oder ihnen ein Leid zuzufügen. Das ist zwar interessant, widerspricht aber nicht wenig dem, was wir bisher berichten mußten. Offensichtlich hat diese Scheu nicht daran gehindert, deren Mitglieder wiederholt zu töten, wenn sie etwa vom althergebrachten Glauben abgefallen waren.
Zurück zu Niklot († August 1160 bei der Burg Werle). Wir kennen seine Herkunft, wie gesagt, nicht. Doch nach dem Tod Heinrichs bzw. dem des Knud Lavard (1131) war es ihm gelungen, die Herrschaft über Obotriten, Kessiner und Zirzipanen zu erringen. Tributpflichtig war er Lothar von Supplinburg. Mit dessen Tod 1137 entglitt Niklot der deutschen Tributherrschaft und seine eigene Herrschaft bekam königsgleiche Züge.
Mit seinem Nachbarn dem Grafen Adolf II. verband ihn ab 1143 ein Freundschafts- und Beistandspakt. Adolf II. hatte um diesen nachgesucht, aber Niklot dürfte auch das Schicksal des Pribislaw vor Augen gestanden haben.
Es folgt die Eselei des Wendenkreuzzuges von 1147, ein Urteil, das nicht unbedingt nur neuzeitlich ist (nicht über Kreuzzüge generell natürlich, aber über diesen schon). Niklot, dem die Vorbereitungen nicht verborgen bleiben konnten, bat Graf Adolf II. angesichts des bestehenden Freundschaftsverhältnisses um Vermittlung. Dem war allerdings diese schon allein als Lehnsmann Heinrich des Löwen verwehrt.
Aus Rache überfiel Niklot Lübeck und seine weitere Umgebung und verfolgte dabei besonders die neuen Siedler. Was immer seine Motive für diesen Raubzug waren, ob er nur seine Kriegskasse aufbessern wollte, gleichwohl, einen besseren Vorwand für einen Angriff auf ihn hätte er nicht liefern können.
Ohne auf den Verlauf des Feldzuges eingehen zu wollen. Niklot jedenfalls verschanzte sich in der Burg Dobin und konnte der Belagerung dort standhalten (die Heinrich aber auch nur sehr halbherzig betrieb). Am Ende mußte er sich dennoch unterwerfen und wurde zum Vasallen Heinrichs des Löwen. Möglicherweise ließ er sich sogar taufen.
Tribut, Waffenhilfe und Hoffahrt schuldete Niklot als Vasall dem Sachsenherzog nunmehr und er war offenkundig ein getreuer Gefolgsmann. Er erfüllte seine Vasallenpflichten, ließ widerwillig eine gewisse Mission zu, wurde aber weitgehend nicht durch Eingriffe von sächsischer Seite behelligt.
Andererseits bleib er selbst nur bedingt friedlich: „Als dabei… einmal Niklot selbst von Heinrich abgeführt und in Lüneburg gefangengesetzt wurde [offenkundig wegen räuberischer Umtriebe], scheint der Herzog ihn weder durch angebotenes Geld noch durch Drohungen seitens der Söhne, sondern aus freien Stücken nach erneut abgelegtem Eid auf Treue und Gehorsam schließlich wieder aus der Haft entlassen zu haben.“ (Vitense S. 43)
1151 bekriegte er die Kessiner und Zirzipanen, um Tribute für Heinrich einzutreiben.
Was von seinem eventuellen Christentum zu halten ist, mag ein Ausspruch beleuchten, den er gegen Heinrich machte: „Dein Gott möge der im Himmel sein; Du sollst der unsere sein, das wird uns genügen. Verehre du jenen, wir werden Dich verehren.“
Zum Verhängnis wurde Niklot seine Verwicklung in dänische Angelegenheiten. Niklot unternahm regelmäßig, wie es die Wenden schon seit Generationen gewohnt waren, Raubzüge an den dänischen Küsten zur Gewinnung von Geld, Gütern und Menschen (als Sklaven). Zu seinen Gunsten wird ins Feld geführt, nur so habe er die Tribute für Heinrich den Löwen aufbringen können, nun ja.
Nachdem Waldemar I. 1157 den dänischen Thron erstritten hatte, bot er Kaiser Barbarossa die Lehnshoheit an, wenn der Kaiser die Dänen gegen die Wenden schützen würde. Kaiser Friedrich I. einigte sich mit Heinrich dem Löwen und im Juli 1158 forderte Heinrich Niklot zur Beendigung der Feindseligkeiten gegen die Dänen auf. Niklot lehnte ab.
Noch im Herbst 1158 zog Heinrich darauf in das Obotritenland und nahm Niklot gefangen. Erst nachdem dessen Söhne kriegerisch tätig wurden, kam es zu Verhandlungen und Niklot wurde freigelassen.
Im Frühjahr 1159 verhandelte der Herzog mit Niklot über einen Landfrieden. Heinrich beabsichtigte, Kaiser Friedrich I. in Italien mit 1200 Panzerreitern zu unterstützen. Für die Dauer seiner Abwesenheit sollten kriegerische Händel in seinem Herrschaftsgebiet, insbesondere Angriffe der Schiffe Niklots auf die Dänen, unterbleiben. Nachdem Niklot den Landfrieden öffentlich beschworen hatte, verlangte Heinrich als Beweis für die Ernsthaftigkeit seines Eides die Herausgabe der obotritischen Flotte auf Zeit. Dazu kam es nicht (es war allerdings auch eine heikle Forderung). Dafür setzte sich die Piraterie der Wenden fort.
Waldemar begann nicht allein selbst, für Abhilfe zu sorgen, er erhob zudem 1160 bei Heinrich dem Löwen Klage gegen Niklot. Heinrich geriet nun unter doppelten Druck. Waldemar wurde zum Konkurrenten an der Küste und seine eigene Autorität war schwer angegriffen. Auf dem Landtag zu Barförde erschien Niklot samt den übrigen vorgeladenen Wendenfürsten nicht, sondern rüstete sogleich zum Kampf. Daraufhin verhängte der Herzog gegen Niklot die Acht, verurteilte ihn sofort in die volle Fried- und Rechtlosigkeit und verkündete einen Feldzug gegen den fried- und eidbrüchigen Vasallen noch für den Spätsommer.
Niklot war also ein Geächteter und sah sich dem vollen Zorn Heinrichs des Löwe ausgesetzt, denn dieser war durch den abermaligen Ungehorsam seines Vasallen hinreichend aufgebracht. Ein erneuter Angriff auf Lübeck mißlang. Der Sachsenherzog hingegen drang mit großem Heeresaufgebot in das Obotritenland ein und verheerte es. Niklot gab bald seine erste Verteidigungslinie auf, brannte die Burgen nieder und zog sich in das Land Kessin zurück.
Von der Burg Werle aus suchten seine Söhne Wertislaw und Pribislaw mit Ausfällen, sich gegen das Sachsenheer zu behaupten. Als Niklot selbst zu einem solchen ausrückte, genauer zu einem Hinterhalt - Knechte waren ausgerückt, um Futter zu holen – bemerkte er zu spät, daß er selbst in einen solche geraten war. Sein Speer sprang von dem verdeckten Harnisch eines der vermeintlichen Knechte ab. Ein sächsischer Ritter namens Bernhard, wohl Bernhard I. von Ratzeburg, erschlug ihn und vollzog am Leichnam die sächsische Strafe für Eidbruch. Der abgetrennte Kopf wurde, aufgespießt auf einer Lanze anschließend in das Lager der Sachsen und Dänen getragen. Sein abtrünniger Sohn Prislaw (er war zu den Dänen übergelaufen und Christ geworden) soll in den allgemeinen Jubel gerufen haben: „Dem Gottesverächter ist Recht geschehen.“!
Helmold von Bosau, dessen Chronica Slavorum eine Hauptquelle für die Überlieferung der Ereignisse ist, findet wenig schmeichelhafte Worte über Niklot, berichtet aber auch von der Verwunderung seiner sächsischen Gegner über das schmähliche Ende „eines so bedeutenden Mannes“.
Niklot, der heldenhafte, eidbrüchige, tapfere Heide, ungestüm, rauflustig und beutefreudig. Oder war er ein wendischer „Nationalheld“, der seinem Volk die Eigenständigkeit bewahren wollte, taktisch durchaus flexibel und meist verläßlich? Dem nicht sein Heidentum, sondern, daß er nicht verläßlich genug war, zum Verhängnis wurde. Bei einem Gegner wie Heinrich dem Löwen ein tödlicher Fehler, dem nicht so sehr am Christentum, aber an seiner eigenen Macht das meiste lag, und der zumal mit herausragenden Qualitäten gesegnet war.
Denn Heinrich wollte das Obotritenland zwar unterworfen und tributpflichtig sehen, aber gar nicht selbst unmittelbar in Besitz nehmen (samt Christianisierung und deutscher Besiedelung). Das ändert sich jetzt.
Tod König Niklots vor der Burg Werle, aus der Werkstatt Lucas Cranach des Jüngeren, Wittenberg 1530/35, hier gefunden
Pribislaw
Karl Gottfried Pfannschmidt: Taufe des Fürsten Pribislaw (1855), hier gefunden
Wir wollen das Schicksal des Pribislaw († 30. Dezember 1178) aus bestimmten Gründen nur in groben Zügen zeichnen (schließlich soll dies hier kein Abriß der mecklenburischen Frühgeschichte werden). Pribislaw war der älteste Sohn des Fürsten Niklot und hatte zwei Brüder, Wertislaw und Prislav.
Nach dem Tode Niklots zogen sich Pribislaw und Wertislaw zunächst weiter kämpfend nach Osten zurück. Der dänische König Waldemar I. begehrte nun, daß Heinrich seinen Lehnsmann Prislav als Nachfolger einsetze. Doch dieser lehnte ab. Stattdessen nahm er das Land unmittelbar selbst in Besitz.
Nachdem Pribislaw und Wertislaw die Kämpfe eingestellt hatten, erhielten sie lediglich die Burg Werle und „omnem terram“, was immer das bedeuten mag. Man muß nicht eigens erklären, warum diese Entscheidung bei den Wenden auf wenig Zuneigung stieß.
Im Dezember 1162 erfuhr Heinrich der Löwe von neuen kriegerischen Absichten Pribislaws und brach sogleich zu einem ungewöhnlichen Winterfeldzug auf, der für ihn erfolgreich ausfiel. Den Bruder Pribislaws, Wertislaw, nahm er als Geisel, mit der Drohung, ihn hinzurichten, sollte Pribislaw weiter feindselig bleiben. Das tat er. Im Februar 1164 stürmter er überraschend die Mecklenburg. Heinrich dem Löwe blieben am Ende nur noch Ilow und Schwerin. Er zog umgehend mit Heeresmacht ins Obotritenland, richtete Pribislaws Bruder Wertislaw hin und siegte in der Schlacht bei Verchen.
Pribislaw verlegte sich auf einen Kleinkrieg von Pommern aus. Doch 1166 zerstörte er die Burg Ilow. Heinrich unternahm erneut einen Feldzug, konnte des Pribislaw aber nicht habhaft werden. Dennoch war dieser offenbar nunmehr zermürbt und unterwerfungsbereit.
Anfang 1167 verlieh Heinrich dem Pribislaw das Land seines Vaters zu Lehen. Allerdings ohne Schwerin und bedeutende Gebiete südlich davon, die erhielt Gunzelin von Hagen, und so entstand die deutsche Grafschaft Schwerin. Es sollte letztlich bis 1388 dauern, daß die Grafschaft den Mecklenburger Herzögen wieder zufiel.
Mit Pribislaw regierte zum ersten Mal seit Gottschalk wieder ein christlicher Fürst die Obotriten, über sein genaues Taufdatum mögen die Gelehrte weiter streiten. Pribislaw betrieb den Wiederaufbau des Landes, allerdings ohne deutsche Kolonisten, 1171 gründete auf Anregung Bischof Bernos zu Althof ein Zisterzienserkloster, das später nach Doberan verlegt wurde.
1172 begleitete er seinen Lehnsherrn auf dessen Kreuzzug nach Jerusalem. Seinen Sohn Heinrich Borwin I. vermählte er mit einer Tochter Heinrichs, Mathilde. Pribislaw verstarb am 30. Dezember 1178 durch ein Turnier am Hofe Heinrichs zu Lüneburg. Wenn es nicht zynisch klänge, könnte man sagen, ein erstaunlich friedvoller Tod für einen Obotriten.
Zunächst wurde er in der traditionellen Grablege der Billunger, im St. Michaelis Kloster auf dem Kalkberg in Lüneburg beigesetzt. Nach Fertigstellung der Doberaner Klosterkirche ließ Pribislaws Sohn Heinrich Borwin die Gebeine seines Vaters nach Doberan überführen, das Münster wurde dann zu traditionellen Grablege der Familie.
Gedächtnistafel am Grabmal von Pribislaw im Doberaner Münster, hier gefunden
Grabplatte des Grabmals von Pribislaw im Doberaner Münster, hier gefunden
Doberaner Münster, Triumphkreuz, hier gefunden
Marienleuchter, Doberaner Münster, hier gefunden
Nachbetrachtung
Ab hier sind wir auf sicherem Grund. Niklot wurde zum Stammvater der späteren Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg. Zu Herzögen und damit reichsunmittelbaren Fürsten wurden sie durch den König und späteren Kaiser Karl IV. am 8. Juli 1348, zu Großherzögen am 28. Juni 1815.
In den Überlieferungen des Mecklenburgischen Fürstenhauses wird Niklot zum „König Nyklot“. Es ist schon eigenartig, kein enthusiastischer Gottschalk, kein bedachtsamer Heinrich, beides herausragende christliche Fürsten, sondern der Heide Niklot wird zum Stammvater des Geschlechts (wobei der Zähigkeit seines Sohnes Pribislaw ebenfalls einiges zugutezuhalten ist), seine Nachkommen bleiben es nicht.
Und noch eines: Eine naive Erwartung bei der Neigung zur Geschichte irrt darin, hier einen mehr idyllischen Ort oder bessere Menschen finden zu wollen. Oder anders herum, dies als Motiv für das Interesse zu denunzieren. Die menschliche Natur ändert sich nicht wesentlich, sie wird etwas modifiziert hin und wieder, aber das ist eher ein Phänomen der Oberfläche. Allerdings gibt es Zeiten des Aufschwungs und solche des Niedergangs, mitunter geschieht beides im selben Moment.
Obotriten und Lutizen waren keine friedlichen braven Heiden, von ihren aggressiven christlichen Nachbarn bedrängt wurden, sie waren als Völker auf die Länge gesehen nur kulturell und wirtschaflich rückständiger und vielleicht deshalb schwächer als diese.
Sie hatten allerdings immer wieder Fürsten, die dies sahen. Warum immer gleich Opportunismus unterstellen und ihnen nicht die Überlegung zutrauen, daß, wenn das Land gehoben werden sollte, es ohne Christentum, also auch die Klöster etc., und deutsche Siedler aussichtslos wäre? Wir können nicht dazu noch über 1000 Jahre hinweg in Köpfe schauen.
Jedenfalls gab es hier einen Märtyrer (weitere könnte man auch nennen) und ein anderer Fürst ging lieber ins Exil, als vom christlichen Glauben abzufallen (beides riecht wenig nach Opportunismus). Denn der Widerstand gegen den christlichen Glauben war hartnäckig und wiederholt gab es blutige Aufstände, vornehmlich aus dem Osten, angetrieben von den heidnischen Priestern aus Rethra.
Und so wollen wir unseren kleinen Bericht von Heiden, Heiligen, Helden, Blutgötzen und Märtyrern beenden.
Nennen wir also diese Dynastie, die bis heute besteht, die Niklotiden. Sie ist wie ein alter Baum, Hauptäste brechen ab in einem Sturm, Nebenäste führen sein Dasein weiter… Aber das ist eine andere Geschichte.
Mit anderen Worten, unsere herzogliche Familie reicht in ihren Wurzeln sicher über Niklot hinaus, wir wissen aber nicht wieviel. Wenn sich eine Verbindung zu den Nakoniden herstellen ließe, wäre es natürlich wunderbar (doch wie?), dann wären wir deutlich über 1000 Jahre. Aber auch so ist sie schon hinreichend alt.
Doberaner Münster, hier gefunden
Doberaner Münster, hier gefunden