Sonntag, 29. August 2021

Mosebach oder Über eine Prozession des Ewigen

Antonio Vivaldi, „Laudate pueri Dominum“ für Sopran, Streicher und Basso continuo, c-Moll, RV 600, hier gefunden

Der gegenwärtig auf dem Stuhle Petri Sitzende hat die tridentinische Messe (also die jahrhundertealte herkömmliche) gewissermaßen wieder verboten (ausgerechnet unter dem launigen Titel "Traditionis custodes") wegen des an ein derzeit verbreitetes Argumentationsmuster gemahnenden Verdachts, die Ausüber der alten Messe hätten Böses im Sinn, genauer: 

"Aber nicht weniger macht mich ein instrumenteller Gebrauch des Missale Romanum von 1962 traurig, der immer mehr gekennzeichnet ist von einer wachsenden Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern des Zweiten Vatikanischen Konzils unter der unbegründeten und unhaltbaren Behauptung, dass es die Tradition und die 'wahre Kirche' verraten habe." 

Modernitätsverweigerer also, ungefähr so schlimm wie "Querdenker" und ähnliches Gelichter. Er hat dabei sicher die besten Absichten, mindestens so große wie seine Vorgängern Johannes XXIII. (I.) oder der andere gleichen Namens (ist auch eigentlich egal).

Nun ist mir all dies reichlich fern, das muß ich eingestehen, nein, nicht fremd, es ist mehr wie einer sich entfernenden Gestalt zuzuwinken. Aber es hat mich veranlaßt, eines der Bücher in die Hand zu nehmen, die an diesem Ort ungelesen vor sich hin schlummern: Martin Mosebach - „Häresie der Formlosigkeit“, mit dem Untertitel „Die römische Liturgie und ihr Feind“. Eine Aufsatzsammlung, die geradezu inbrünstig für die nun wieder kujonierte traditionelle Messe eintritt.

Ich bin weder berufen noch geneigt, meine entbehrlichen Kommentare dazu abzugeben, jedenfalls für den Augenblick. Für den wird es bei einer Handvoll von Zitaten bleiben. Allerdings muß ich zugeben, daß mir an dem Buch das unterschiedlich Eigene recht deutlich geworden ist. Herr Mosebach:

„Ich bekenne mich offen zu der naiven Schar, die aus der Oberfläche, der äußeren Erscheinung auf die innere Beschaffenheit und womöglich Wahrheit oder Verlogenheit einer Sache schließt. Die Lehre von den ‚inneren Werten‘, die sich in schmutziger, verkommener Schale verbergen, kommt mir nicht geheuer vor. Daß die Seele dem Körper die Form und das Gesicht, seine Oberfläche verleiht, glaubte ich schon, als ich noch nicht wußte, daß dieser Satz eine Definition des kirchlichen Lehramtes war. Mit mediterraner Primitivität glaube ich, daß eine unwahre, verlogene, gefühllose Sprache keinen Gedanken von Wert enthalten kann. Was für die Kunst gilt, muß in noch viel  höherem Maß jedoch das öffentliche Gebet der Kirche treffen; wo das Häßliche sonst nur auf das Unwahre schließen läßt, bedeutet es im Bereich der Religion die Anwesenheit des Satanischen.“ (S. 8f.)

„Ich höre und müßte längst verstanden haben, daß die Gegenstände, die mich umgeben, ohne die mindeste Bedeutung sind, daß nichts in ihnen steckt, daß alles, was ich in ihnen sehe, nur von mir – aber wer bin ich? - in sie hinein gesehen wird. Ich höre das, aber ich glaube es nicht. Ich stehe auf der tiefsten Stufe der Menschheitsgeschichte. Ich bin Animist. Wenn ich bei Doderer lese, ein Klavier ‚verharre in möbelhaftem Schweigen’, fühle ich mich verstanden.“ (S. 12f.)

Den unter Stalin ermordeten russischen Priester Pawel Florenski zitierend: „‘Unser Gottesdienst ist älter als wir und unsere Eltern, älter als selbst die Welt. Der Gottesdienst ist gleichsam nicht erfunden, sondern gefunden, gewonnen: was immer schon war... das eigentliche Wesen des Menschlichen... Deshalb steht es außer Zweifel, daß unser Gottesdienst nicht vom Menschen stammt, sondern von Engeln.‘“ (S. 17)

„Der Gegenstand der Religion ist nicht das Neue, sondern das Wahre.“ (S. 60)

„Das Zweite Gebot ist eindeutig. Nur Gott selbst kann es zurücknehmen. Und Gott hat es zurückgenommen. Er hat sein Ebenbild geschaffen. Man könnte soweit gehen und Jesus Christus das Selbstporträt Gottes nennen, denn wenn einer nach Adam Gottes Ebenbild war, dann Jesus. Seit Jesus lautet das Zweite Gebot des Dekalogs: ‚Du sollst dir von Gott ein Bild machen, und dieses Bild ist Jesus Christus.‘“ (S. 80f.)

„Es hat im Christentum von Anfang an, bereits im Konflikt zwischen Petrus und Paulus sichtbar, eine sehr unterschiedliche Haltung zum Heidentum gegeben: eine strikt und puritanisch abwehrende, die keinerlei Verbindung zwischen den ‚Greueln der Heiden‘ und dem neuen Glauben sehen wollte und eine universalistische, die das Heidentum als zweites Altes Testament ansah, in dem in Kunst und Philosophie der Heilige Geist das Kommen des Erlösers vorbereitet hatte. Daß im katholischen Priestertum Elemente des Priestertums aller Zeiten aufgehoben waren, war dieser zweiten Tradition ebenso selbstverständlich, wie es der ersten verdächtig und verhaßt war.“ (S. 158)

„Vom Untergang Konstantinopels wird berichtet, daß sich die ganze nichtkämpfende Bevölkerung der Stadt in der Hagia Sophia versammelte, um dort bei nicht abreißenden Messen ein Rettungswunder zu erflehen. Gerade dort an ihrem heiligsten Ort, der zugleich bis dahin auch das Asyl der Verfolgten war, mußten die Griechen dann die Vernichtung aller Hoffnungen, die Schändung aller bis dahin bewahrten Heiligtümer, Ausrottung und Untergang erleben. Unter den Überlebenden verbreitete sich die Geschichte, beim Eindringen der Türken habe ein Engel eine Mauer geöffnet und die zelebrierenden Priester durch den Spalt weggeführt. An derselben Stelle werde sich die Mauer einst öffnen und die für diesen zukünftigen Heilstag Aufgesparten wieder zurück in den Tempel ziehen lassen. „… das Bild der durch den Spalt verschwindenden und wiederkehrenden Prozession als Ausdruck einer Hoffnung gegen jede Vernunft und jeden Augenschein und gegen alle Gesetze der Geschichte...“ (S.152 f.)

Hagia Sophia, Theotókos

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