Einen Nachtrag für ein mehr als 1 ½ Monate zurückliegendes Datum anbringen zu wollen, klingt so absurd, wie es ist. Zum Anlaß will ich gleich kommen. Alles begann als Versammlung von Bildern verschiedener Sonntage. Sie sollten für sich selber stehen. Doch schon zu den Vitrinenbildern wäre besser etwas zu sagen. Man erblickt das im Kulturquartier befindliche Modell des verlorenen Neustrelitzer Residenzschlosses in seiner letzten, intakten Gestalt.
Darauf folgt eine der Varianten von Ideen, die Stuttgarter Architekturstudenten für einen Neubau des Schlosses am alten Standort entwickelt hatten. Die Ausstellung dazu war in der Schloßkirche und endete eben am 29. Mai. Daher das Datum.
Ich mag nur auf diesen einen Entwurf eingehen. Er fiel heraus, weil er am dichtesten am barocken Ursprungsbau war, gewissermaßen dem Nukleus des Schlosses (wenn man vom Jagdhaus absieht). Das Ganze aber nicht als Nachbau desselben, sondern eher als modern aufgefaßte, konzentrierte Idee davon, jedenfalls, was die Fassaden angeht, die einzelnen Bauglieder bildet er schon getreulich nach.
An die Stelle des Geyerschen Erweiterungsbaus von 1909 setzt er einen typisch barocken Säulentempel, einen Monopteros. Eine pure Erfindung aber keine uncharmante. Man erkennt eine beträchtliche Empathie, aber natürlich auch eine gänzlich architektur – idealische Sicht.
Andere Entwürfe entfernten sich deutlich weiter vom Barockschloß, alle ignorierten mehr oder weniger den Geyerschen Bau. Das hat der Ausstellung einen gewissen Mißmut eingebracht, weil hier zwei Sichtweisen ziemlich neben und gegeneinander standen.
Das Schloß in seiner letzten Gestalt war kein idealtypischer Bau, eher ein Konglomerat, über dessen Stimmigkeit man streiten mag.
Herr Foelsch zitiert in seinem höchst verdienstvollen Werk (Torsten Foelsch: Das Residenzschloß zu Neustrelitz - Ein verschwundenes Schloß in Mecklenburg. 2016. S. 310.f.) etwa Konrad Hustaedt, der 1933 schrieb:
„Dem durch mannigfache Reproduktionen auch außerhalb des Landes bekannt gewordenen Neubau, der, durch Nebengebäude eingeengt, für das Städtchen und die anmutige, aber nicht großartige Umgebung fast überwältigend wirkt, war der alte Schloßbau durch seine maßvolle, vornehm gehaltene Architektonik weit überlegen.“
Um selbst wenig später gänzlich anders zu urteilen (merkwürdigerweise, ohne auf diesen Umstand einzugehen):
„Albert Geyer ist hier ein maßvolles, architektonisch ansprechendes Verschmelzen zweier unterschiedlicher Baukörper ganz unterschiedlicher Bauphasen in überzeugender Weise gelungen.“
Vor allem der dem Charlottenburger Schloßturm nachempfundene Neustrelitzer hielt beide Teile zusammen, und er ist mit den meisten Emotionen besetzt. Das mag unlogisch erscheinen, da er, wenn man noch die Ruine dazu zählt, auf gerade 40 Jahre Lebensdauer kam. Aber seit wann wären Gefühle eine Sache des bloßen Verstandes. Außerdem ist es mehr als das, sie entspringen einem örtlich lebendigen Verbunden-Sein.
Ich denke, daß ein Verlust, wie der des Schlosses, eben die letzte Gestalt schmerzlich in die Erinnerung eingebrannt hat. Und für diese steht nun einmal emblematisch der Turm. Darüber hinaus aber hatte er eine eindrucksvolle, die Stadtsilhouette mitprägende Gestalt. Man vergleiche nur den Gewinn bzw. Verlust für diese zu verschiedenen Zeiten. Hat man die Stadtansicht mit dem vorigen Bild noch im Sinn, erscheint die spätere wie geköpft. Der Turm diente also eben nicht nur dem Schloß, sondern auch dem Bild der Stadt.
Ansicht von hier
Dennoch, der oben erwähnte Entwurf weckt Sympathien, auch wenn ich mir der Gefahr bewußt bin, für diese Bemerkung aus der Gemeinde der Schloßneubau - Verteidiger ausgeschlossen zu werden. Er ist eine rein architektonisch gedachte Annäherung an das Verlorene und macht so die Leere wieder spürbar, die Gewöhnung gewöhnlich gemacht hat.
Stellt man aber das verlorene Schloß dagegen, und sei es als Modell, wird klar, daß weit mehr als Nostalgie im Spiel ist, wenn man seiner letzten Gestalt den Vorzug gibt. War das Neustrelitzer Schloß herausragend schön? Jede Beantwortung der Frage krankt daran, daß wie es heute nur von Abbildungen und Modellen kennen. Was die Bilder aber auch zeigen. Das Interieur war überwältigend, die Säle, die Kunstwerke. Dort auf irgendeine Art von Wiederbringen zu hoffen, erscheint geradezu verstiegen utopisch.
Alles was sich gegen den Verlust stellt, hilft. Der Verlust von Schönem beschädigt immer die Seele und sei es die einer Stadt, die schließlich ein Werk und Ort von Menschen ist. Schönes macht einen Menschen nicht unbedingt gut. Das ist auch nicht seine Bestimmung. Aber das Böse zerstört Schönes. Es gibt also eine innere Verbindung.
Konrad Hustaedt schrieb 1933, zur gleichen Zeit gibt ein Dr. Müther sein zwiespältiges Urteil über die Schloßkirche ab („verkleideter Klassizismus“, Dissertation von 1935). Manchmal braucht es erst einen Verlust (oder einen Zeitabstand), damit der Wert von Dingen deutlich wird (nicht, daß es dafür eine Garantie gäbe, es ist nur eine Möglichkeit).
Bei der Schloßkirche ist uns dieser glücklicherweise erspart geblieben. Und dem des Schlosses wird hoffentlich bald auch ein bleibender sichtbarer Widerspruch entgegentreten mit dem Wiederaufbau des Schloßturmes als Anfang und Mahnung für Zukünftiges.
nachgetragen am 23. Juli