Sonntag, 29. Mai 2022

Annäherungen an ein verlorenes Schloß



Einen Nachtrag für ein mehr als 1 ½ Monate zurückliegendes Datum anbringen zu wollen, klingt so absurd, wie es ist. Zum Anlaß will ich gleich kommen. Alles begann als Versammlung von Bildern verschiedener Sonntage. Sie sollten für sich selber stehen. Doch schon zu den Vitrinenbildern wäre besser etwas zu sagen. Man erblickt das im Kulturquartier befindliche Modell des verlorenen Neustrelitzer Residenzschlosses in seiner letzten, intakten Gestalt. 



Darauf folgt eine der Varianten von Ideen, die Stuttgarter Architekturstudenten für einen Neubau des Schlosses am alten Standort entwickelt hatten. Die Ausstellung dazu war in der Schloßkirche und endete eben am 29. Mai. Daher das Datum.

Ich mag nur auf diesen einen Entwurf eingehen. Er fiel heraus, weil er am dichtesten am barocken Ursprungsbau war, gewissermaßen dem Nukleus des Schlosses (wenn man vom Jagdhaus absieht). Das Ganze aber nicht als Nachbau desselben, sondern eher als modern aufgefaßte, konzentrierte Idee davon, jedenfalls, was die Fassaden angeht, die einzelnen Bauglieder bildet er schon getreulich nach.


An die Stelle des Geyerschen Erweiterungsbaus von 1909 setzt er einen typisch barocken Säulentempel, einen Monopteros. Eine pure Erfindung aber keine uncharmante. Man erkennt eine beträchtliche Empathie, aber natürlich auch eine gänzlich architektur – idealische Sicht. 


Andere Entwürfe entfernten sich deutlich weiter vom Barockschloß, alle ignorierten mehr oder weniger den  Geyerschen Bau. Das hat der Ausstellung einen gewissen Mißmut eingebracht, weil hier zwei Sichtweisen ziemlich neben und gegeneinander standen. 

Das Schloß in seiner letzten Gestalt war kein idealtypischer Bau, eher ein Konglomerat, über dessen Stimmigkeit man streiten mag. 

Herr Foelsch zitiert in seinem höchst verdienstvollen Werk (Torsten Foelsch: Das Residenzschloß zu Neustrelitz - Ein verschwundenes Schloß in Mecklenburg. 2016. S. 310.f.) etwa Konrad Hustaedt, der 1933 schrieb:

„Dem durch mannigfache Reproduktionen auch außerhalb des Landes bekannt gewordenen Neubau, der, durch Nebengebäude eingeengt, für das Städtchen und die anmutige, aber nicht großartige Umgebung fast überwältigend wirkt, war der alte Schloßbau durch seine maßvolle, vornehm gehaltene Architektonik weit überlegen.“ 

Um selbst wenig später gänzlich anders zu urteilen (merkwürdigerweise, ohne auf diesen Umstand einzugehen):

„Albert Geyer ist hier ein maßvolles, architektonisch ansprechendes Verschmelzen zweier unterschiedlicher Baukörper ganz unterschiedlicher Bauphasen in überzeugender Weise gelungen.“ 

Vor allem der dem Charlottenburger Schloßturm nachempfundene Neustrelitzer hielt beide Teile zusammen, und er ist mit den meisten Emotionen besetzt. Das mag unlogisch erscheinen, da er, wenn man noch die Ruine dazu zählt, auf gerade 40 Jahre Lebensdauer kam. Aber seit wann wären Gefühle eine Sache des bloßen Verstandes. Außerdem ist es mehr als das, sie entspringen einem örtlich lebendigen Verbunden-Sein.

Ich denke, daß ein Verlust, wie der des Schlosses, eben die letzte Gestalt schmerzlich in die Erinnerung eingebrannt hat. Und für diese steht nun einmal emblematisch der Turm. Darüber hinaus aber hatte er eine eindrucksvolle, die Stadtsilhouette mitprägende Gestalt. Man vergleiche nur den Gewinn bzw. Verlust für diese zu verschiedenen Zeiten. Hat man die Stadtansicht mit dem vorigen Bild noch im Sinn, erscheint die spätere wie geköpft. Der Turm diente also eben nicht nur dem Schloß, sondern auch dem Bild der Stadt.

Ansicht von hier

Dennoch, der oben erwähnte Entwurf weckt Sympathien, auch wenn ich mir der Gefahr bewußt bin, für diese Bemerkung aus der Gemeinde der Schloßneubau - Verteidiger ausgeschlossen zu werden. Er ist eine rein architektonisch gedachte Annäherung an das Verlorene und macht so die Leere wieder spürbar, die Gewöhnung gewöhnlich gemacht hat.

Stellt man aber das verlorene Schloß dagegen, und sei es als Modell, wird klar, daß weit mehr als Nostalgie im Spiel ist, wenn man seiner letzten Gestalt den Vorzug gibt. War das Neustrelitzer Schloß herausragend schön? Jede Beantwortung der Frage krankt daran, daß wie es heute nur von Abbildungen und Modellen kennen. Was die Bilder aber auch zeigen. Das Interieur war überwältigend, die Säle, die Kunstwerke. Dort auf irgendeine Art von Wiederbringen zu hoffen, erscheint geradezu verstiegen utopisch.

Alles was sich gegen den Verlust stellt, hilft. Der Verlust von Schönem beschädigt immer die Seele und sei es die einer Stadt, die schließlich ein Werk und Ort von Menschen ist. Schönes macht einen Menschen nicht unbedingt gut. Das ist auch nicht seine Bestimmung. Aber das Böse zerstört Schönes. Es gibt also eine innere Verbindung. 

Konrad Hustaedt schrieb 1933, zur gleichen Zeit gibt ein Dr. Müther sein zwiespältiges Urteil über die Schloßkirche ab („verkleideter Klassizismus“, Dissertation von 1935). Manchmal braucht es erst einen Verlust (oder einen Zeitabstand), damit der Wert von Dingen deutlich wird (nicht, daß es dafür eine Garantie gäbe, es ist nur eine Möglichkeit). 

Bei der Schloßkirche ist uns dieser glücklicherweise erspart geblieben. Und dem des Schlosses wird hoffentlich bald auch ein bleibender sichtbarer Widerspruch entgegentreten mit dem Wiederaufbau des Schloßturmes als Anfang und Mahnung für Zukünftiges.

nachgetragen am 23. Juli

Sonntag, 8. Mai 2022

Preußische Predigten II

Nikolkoe, St. Peter und Paul, kolor. Lithographie ca. 1850,

Trauerfeier für IKH Prinzessin Luise von Preußen

„Ganz, aus großer Ferne, trifft uns noch einmal der Schimmer eines fast vergessenen Glanzes.

Ganz, aus größter Ferne, erreicht uns ein Ton, der lange nicht gehört wurde. Wie ein Traumbild steht vor uns der Zug von Generationen einer hochwürdigen Familie, die auf den Königssohn Carl zurückgeht, heldenhafte Generale hervorbrachte, Schönes schuf und in Gottesfurcht lebte. Ganz am Ende dieses Zuges erblicken wir, die wir heute begraben: IKH Prinzessin Luise von Preußen.“

„In zweifacher Weise ist die Prinzessin heimgekehrt. Diese Kirche steht im Garten ihrer Kindheit und Jugend, dieser Ort ist die Ursprungsstätte ihrer Familie, bei den Ihren werden wir anschließend betten, was sterblich an ihr war.

Sie ist aber auch heimgekehrt in den Ursprung allen Lebens, zu dem, der sie im Leben gesegnet hat und sie zum Segen werden ließ.“

„Ohne oder gar gegen ihre eigene oft so tragische Geschichte zu leben, war misslungen. Ihr war im Grunde nur der Name geblieben, den sie nun mit größtem Stolz wie ein Zeichen ehrfurchtgebietend durch eine Zeit trug, die vieles gar nicht mehr verstehen wollte, und für die sie geradezu ein Artefakt fremder Welten war. Aber gerade darum erklärte sie immer wieder geduldig die Wege ihres eigenen Lebens und erzählte aus Zeiten, die uns sagenhaft fern scheinen, durch die sie aber gegangen ist.“

„Sie hatte ein beeindruckendes Empfinden für die Tragik des Jahrhunderts, das wir hinter uns gelassen haben. Bereits ihre bloße Gegenwart machte deutlich, dass die Geschichte nicht das Toben anonymer Mächte über den Köpfen der Völker ist, sondern schlicht das, was Menschen tun.“

„Im Garten ihrer Kindheit und Träume werden wir, was sterblich an ihr war, beisetzen. Auf ihre Weise wird sie nun Glienicke wieder in Besitz nehmen. Und einmal, wenn der Friedhof im Park seinen verwunschenen, stillen Charakter wiedergefunden hat, wird sich vielleicht ein Wanderer dorthin verirren, und ein Kundiger wird ihm erklären: Hier ist sie versammelt, die Familie des Prinzen Carl von Preußen, der ein Sohn der verehrten und sehr geliebten Königin Luise gewesen ist, und die ihrem Lande ein Zeichen war, und die Gott fürchtete.

Und der Schimmer fast vergessenen Glanzes trifft ihn ganz. Amen“

Das sind Worte aus der Predigt, die Herr Roloff im Jahre 2009 zur Beisetzung der Prinzessin Luise Viktoria von Preußen gehalten hat (der vollständige Text findet sich hier, wo sich auch Näheres zu ihrem Leben aufsuchen läßt). Es war ein Leben, hin und hergeworfen in den sich überstürzenden Zeitläuften, etwas, was sie mit vielen teilen mußte, voller Verluste, die Eigenes verunmöglichten, so wie es das obige Zitat andeutet.

Haus Lehnitzsee, Bild von hier

Nach einem der Schicksalsschläge bezog ihre Mutter das Haus Lehnitzsee in Neu Fahrland, es ist hierüber abgebildet. Durch den Zugriff des nationalsozialistischen Staates verlor die Familie das Schloß Glienicke, das eigentliche Symbol ihrer Geschichte (über Glienicke und seine Bedeutung für diese Linie des Hauses Preußen kann man Wesentliches im Zusammenhang mit dem vorigen Beitrag zur Trauerrede auf den Prinzen Friedrich Karl finden, mit dem die Linie im Mannesstamm erloschen ist (Preuß. Predigten I).  

Er erwähnt die eigentümliche, durch die Mächtigen jener Jahre belauerte und verdächtigte Stellung, in der die Angehörigen vormals regierender Häuser lebten. Ein Gedanke, der sich dabei unvermittelt einstellt: Wenn es ein Kontinuum in der jüngeren deutschen Geschichte gibt, dann das Mißtrauen gegen die vormals regierenden Häuser. Es hatte in der sog. DDR ungebrochen Bestand und ist häufig selbst in dieser Republik noch lautstark anzutreffen. Und das, wo doch alle genannten Systeme so grundverschieden voneinander sein wollen. Merkwürdig, wie aufschlußreich.

Das Leben-müssen über Brüche hinweg hatte sie mit vielen zu teilen. Aber sie gebot über ein Erbe, dem diese Zeiten nichts anhaben konnten. Ihr blieb, dieses zerbrochene Jahrhundert mit Haltung durchzustehen. 

Auch wir stehen nun gewissenmaßen vor einem Bruch. Denn es ist schwierig zu übergehen, daß ihre Gestalt bei einem bekannten, durchaus nicht unumstrittenen italienischen Schriftsteller erscheint. Aber den Bericht davon wollten wir an das Ende verbannen.

Seine Geschichten sind, sagen wir, wahr erfunden, sie könnten so geschehen sein, weil die berichteten Geschehnnisse so stattgefunden haben, sie sind wahr, weil sie mit greller Schärfe zugespitzt den Charakter und Wert von Personen wahrhaftig beschreiben. Sie erzählen von grausamen Dingen einer traurigen und grausamen Zeit, und sie tun das in einer nichtgefälligen, aber unterhaltsamen Art. Das ist nicht das einzige, was verstört.

Malapartes Stil in seinem Roman „Kaputt“, von ihm reden wir, läßt sich an einem Beispiel am schnellsten illustrieren. Es geht um den kroatischen Anführer während des 2. Weltkriegs Ante Pavelić, der uns zunächst trügerisch wohlwollend geschildert wird, wenn auch auf bereits mißtrauisch machende sperrige und gleichzeitig überziehende Weise. Unser Mißtrauen entstand zurecht.

"Ich beobachtete Ante Pavelić, seine dicken behaarten Hände, seine niedrige, harte, eigensinnige Stirn, die unförmigen Ohren. Eine Art Mitgefühl ergriff mich für diesen schlichten, guten, großzügigen Mann, der mit so einem feinen Empfinden für Menschlichkeit begabt war. Die politische Lage hatte sich in diesen Monaten sehr verschlechtert. Der Partisanenaufstand loderte durch ganz Kroatien... Wie sehr muß er leiden, dachte ich, dies goldene Herz."

"Während des Gesprächs bemerkte ich einen Korb aus Weidengeflecht...'Sind das dalmatinische Austern?' fragte ich den Poglawnik. Ante Pavelić hob den Deckel vom Korb und zeigte die Muscheln und kleinen Meerestiere, diese schleimige und gallertartige Austernmasse und lächelnd sagte er, mit seinem gutmütigen und müden Lächeln: 'Es ist ein Geschenk meiner getreuen Ustaschas: zwanzig Kilo Menschenaugen.'"

Alle seine Geschichten sind von dieser Art: Kannibalismus unter russischen Kriegsgefangenen, dem die deutschen Soldaten freundlich zusehen. Jüdische Zwangsprostituierte, die regelmäßig nach 20 Tagen erschossen werden. Dies und anderes Grausames mehr will Malaparte der Prinzessin in Potsdam erzählt haben.

 Was von diesen Geschichten, die das gesamte 4. Kapitel umfassen, er der Prinzessin tatsächlich zugemutet hat, ja ob überhaupt, darüber ist schwer zu mutmaßen. Er ist ein scharfer Charakterzeichner und seine Beschreibungen wirken auch in dem, was ihre Person betrifft, sehr authentisch. "Don't be so Potsdam, Luise!" ruft ihre Freundin aus, eine sehr überzeugende Szene, wie ich höre. Manches hat er erkennbar dazuerfunden (er macht aus ihr eine Enkelin des letzten Kaisers), aber vorherrschend wirkt vieles stimmig. 

Als Unterhaltung eines Tages ist es natürlich undenkbar. Aber gäbe es einen wirklichen Kern als Begebenheit. Ist es vorstellbar, daß er die Prinzessin mit all diesem traktierte?

Man könnte es auch so sehen und sagen: Malaparte beichtet der Prinzessin das Jahrhundert als einem Gewissen, das über diesem steht. Aber für wen fordert er da dann die Absolution ein? Wir wollen diesen verwirrenden Gedanken entgehen und von einer letzten Szene berichten, die tatsächlich geschehen ist. 

Beim Verlassen der Nikolskoer Kirche St. Peter und Paul neigte sich der Sarg noch einmal leicht Havel und Jungfernsee unten zu, einem Nicken gleich, hinüber zur Pfaueninsel zur Rechten und der Sacrower Heilandskirche zur Linken, als Geste des letzten Abschieds.

nachgetragen am 30. Mai

Sonntag, 1. Mai 2022

Preußische Predigten I

Klein-Glienicke, Greifenfigur am Haupttor, von hier

"Als Friedrich Karl von Preußen am 13. März 1919 in Glienicke geboren wird, ist die Monarchie bereits zerstört. Von Anfang an zeugte also schon sein Name von einer anderen Welt, von vergangener Zeit. Das Oberhaupt der Familie war im Exil, das Land zerrissen, die Gefahren längst nicht gebannt. In allem drückte sich aus, dass diese Welt noch weniger Heimat sein konnte als jemals und auch ein königlicher Prinz nur ein Wanderer ist, ohne bleibende Stadt. Ist dort schon die Ursache zu suchen für das Unbeständige, das sein Leben immer wieder tragisch überschattete?"

"Von dort ist er nun hierher heimgekehrt. Als den letzten Herrn auf Glienicke werden wir ihn anschließend auf dem Prinzenfriedhof beisetzen, auf dem auch schon seine Eltern ruhen. Sein Leben, wie auch sein Leib sind nun zu Asche verbrannt. Mehr wäre also nicht zu sagen, wenn er nicht getauft wäre in Jesus dem Christus, denn dadurch ist er von Gott geboren.

Gott prüft uns in unserem Leben, zuweilen entreißt er uns was wir lieben, zuletzt ruft er uns selbst aus dieser Welt, aber niemals verlässt er uns."

"Die Bedeutung der großen Familien ist doch auch darum gesunken, weil das Bewusstsein von der Einheit, Gemeinsamkeit und von dem Wert der Geschichte geschwunden ist. Wir alle werden diese Gewissheit aber nur wiederfinden in dem Glauben, der Menschen und Völker untereinander verbindet und auch zu dem Gott führt, der in Christus alles niederreißt, was uns trennen will und sei es der Tod."

Diese Worte sind aus der Traueransprache (man findet sie hier), die Herr Roloff am 13. Juli 2006 zur Beisetzung von Friedrich Karl von Preußen in St. Peter und Paul auf Nikolskoe hielt, mit dem eine Linie des Hauses Preußen im Mannesstamm erlosch, die von Carl von Preußen, Sohn des Königs Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise, begründet worden war. 

Wenn man dem Verweis folgt, wird sich zunächst viel über den Begründer der Linie finden, etwa, was ließe sich Überwältigenderes, Bleibenderes, Trostreicheres über jemanden sagen, als daß er Schönheit in die Welt gebracht hätte. 

Doch diese Reihe will vornehmlich an das erinnern, was über das vergangene Preußen samt unserer Geschichte von Herr Roloff aus verschiedensten Anlässen gepredigt worden ist und hier bereits dokumentiert wurde. Sieben Stücke sind noch einmal ausgewählt und werden von mir knapp eingeführt.

Und um kurz abzuschweifen. Bevor am 9. Mai a.c. die Welt schon wieder einmal untergehen soll, wie manche meinen, mag diese kleine Serie von Untergang und Behauptung, die Erinnerung an Preußen ist derzeit wohl am besten so zusammenzufassen, ein schüchternes Weglicht im Nebel der Zeit sein.

nachgetragen am 5. Mai