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Dienstag, 29. Mai 2012

1453


Konstantinos XI. Palaiologos

"O wär‘ ich doch ein Vogel nur, o wär ich eine Schwalbe,
um auf die spitzen, schwarzen Berg‘ Bulgariens zu fliegen!
Um zu erblicken und zu sehn Konstantinopels Hafen.

Ein Griechenmädchen, das rief laut, von einem hohen Turme:
'Tritt vor und sieh, Herr König du, du Herrscher Konstantinos,
Konstantinopel brennen sie, und all die Klöster flammen.
Sieh wie die Türken schlachten hin die Griechen gleich den Lämmern!'
Wie soll der König all dies sehn, der Herrscher Konstantinos,
da er getötet worden ist, beim Schein des Morgens, gestern!“

aus „Konstantin Paläologos' Tod“,Volkslied, 
übersetzt von Georgios Aridas

Jakob Philipp Fallmerayer (diese Quelle zu ihm ist mir völlig fremd, erschien mir aber cum grano salis deutlich aussagefähiger als der übliche Wikipedia-Artikel) schrieb einmal sinngemäß, daß die alten Griechen blutsmäßig gewissermaßen ausgestorben seien. Was wir heute noch vorfänden, sei ein überwiegend slawisches Völkergemisch, das irgendwann eine Art Griechisch angenommen hätte. Nun man hatte im 19. Jahrhundert noch ein großes Zutrauen zu der Kraft des Blutes, die neuere Hoffnung ist, daß sich Dinge auch kulturell vererben lassen.

Wie komme ich auf den Mann? Nun, ich habe den Tag lang etwas über, ja worüber eigentlich, Griechenland, die Rhomäer, Byzanz (?) nachgedacht. „Nachgedacht“ trifft es nicht, es gibt wenige Daten, die mich aufrichtig bewegen. Der Fall Konstantinopels gehört dazu. Es geschah heute im Jahre des Herrn 1453. Das nachfolgende Video spricht davon (ich kann kein Neugriechisch, also zeigen wir es einfach guten Willens).



Konstantinos XI. Palaiologos fiel an diesem 29. Mai 1453, Konstantinopel vergeblich gegen die Türken verteidigend und das, was vom einstmals glänzenden Ostrom noch übrig war, er tat dies mit großer Tapferkeit. Danach stieg das „griechische“ Volke ab in Regionen, aus denen es nie wieder wirklich herausgefunden hat. Im Wortsinn stieg es eher auf, die Bergregionen konnten die Türken weniger beherrschen, also verödeten die Städte und Ebenen. Es hat mich immer berührt, daß das Wort „paramythi“, das im Neugriechischen für „Märchen“ stehe, von „paramythia“ herrühre, „Tröstungen“.

Eines dieser Märchen geht so, daß, als die Türken die Stadt überwältigten, Engel den Kaiser gerettet hätten, indem sie ihn in Marmor verwandelten und in eine Höhle nahe der Porta Aurea betteten, wo er darauf warte, zurück ins Leben gerufen zu werden, um die Stadt den Christen zurück zu gewinnen. „Tröstungen“ eben.


Der Adler der Paläologen, hier gefunden


Ich war versucht, hier zu enden. Doch zu Recht könnte man fragen, was denn das Ergebnis des behaupteten langen Nachdenkens gewesen sei. Es haben sich halt nicht viele eingestellt, allenfalls Fragen: Warum das 19. Jahrhundert mit seinen zahlreichen Versuchen, die Dinge zu heilen und wiederherzustellen, so oft gescheitert ist etwa (in diesem Fall aus habsburgischem oder britischem Kleingeist z.B.). Oder ob die Griechenlandbegeisterung des frühen 19. Jahrhunderts, wir nennen nur unseren Hölderlin mit seinem Hyperion, mit ihren Projektionen und Phantasmagorien den „Neugriechen“ etwas Brauchbares an die Hand geben konnte, um einen Staat wieder aufzubauen, wo sie doch der Staatlichkeit so lange entwöhnt waren (und sich nie wirklich wieder in sie zurückgefunden haben)...

Felicitas est praemium virtutis (Glück ist der Lohn der Tapferkeit) sagt Aristoteles, mitunter bleibt nur die Tapferkeit und verhilft dennoch zur Unsterblichkeit. In der Dichtung, da gelang den "neuen" Griechen noch einmal Erstaunliches, und so enden wir erneut mit Odysseas Elytis, der dem letzten oströmischen Kaiser, der mit soviel Charakter unterging, nachruft:

"Mittag aus Nacht Und nicht einer bei ihm
Nur seine treuen Worte, die all ihre
Farben mischten um seiner Hand zu
lassen eine Lanze aus weißem Licht...

Ewig zwischen den Zähnen ein Wort
ein heiles liegt hingestreckt
Er
der letzte Grieche!"

Odysseas Elytis, Tod und Auferstehung des Konstantinos Paläologos
hier findet sich das ganze Gedicht, in englischer Übersetzung

Sonntag, 26. Oktober 2008

Über Spuren

Bei der Sichtung der bemerkenswerten Neuigkeiten des Tages werden wir daran erinnert, daß Gilles de Rais am 26. Oktober 1440 in Nantes hingerichtet wurde, Kaiser Flavius Claudius Iulianus findet Erwähnung, und das Kaiserreich Trapezunt wurde am 26. Oktober 1461 von den Türken erobert. Dessen letzter Kaiser, David Komnenos, der sich gegen gewisse Zusicherungen ergeben hatte, wurde 1462 auf Befehl Mehmed II. getötet.

Für Gilles de Rais ist mein Gemütszustand nicht schwarz genug (ich habe tatsächlich einmal versucht, das Buch von Georges Bataille zu ihm zu lesen), der in der Tat bemerkenswerte „Julian Apostata“ verdiente eine Würdigung, die gesammelterem Nachdenken entspringen müßte, aber der Untergang von Trapezunt, des letzten byzantinischen Staates, gehört irgendwie zu diesem Oktober.

Ich kann mich gerade noch erinnern, daß mir dieser Name „Kaiser von Trapezunt“ zum ersten Mal in einem Märchen begegnet sein muß. Inzwischen denke ich, daß ich es bei Christoph Martin Wieland in seinem „Hexameron von Rosenhain“ im Märchen „Narcissus und Narcissa“ gefunden haben könnte, aber wie gesagt, die Erinnerung ist sehr schwach, allerdings, wenn uns Namen früh begegnen und sich ihre Bedeutung nicht scharf begrenzen läßt, erzeugen sie manchmal ein gewisses assoziationsverheißendes Eigenleben.

Abgesehen vom Märchenhaften steht aber „Trapezunt“ auch für einen Teil unserer europäischen Seele, der weitgehend abgestorbenen ist. Der Untergang von Byzanz gehört zu den furchtbaren Mirakeln, die anzeigen, welcher Kosmos an Möglichkeiten gnadenlos zerstört werden kann, ohne daß das Nachfolgende auch nur ansatzweise dafür Genugtuung leisten könnte.

Der traurige Abstieg des griechischen Volkes von dieser Höhe unter den Türken, das sich deshalb nicht zuletzt in seine Märchen geflüchtet hatte, findet darin bezeichnenden Ausdruck, daß das Wort „paramythi“, das, wie ich lese, im Neugriechischen für „Märchen“ steht, von „paramythia“ herrührt, „Tröstungen“.


Der eine Nachtrag

Insofern ist das Ende dieses griechischen Kaisers nicht mit jenem vergleichbar, das vor ihm Konstantinos XI. Palaiologos fand, als dieser am 29. Mai 1453, Konstantinopel gegen die Türken verteidigend, schließlich fiel und damit Anlaß für Sagen und Legenden schuf und anderes, wie die Worte von Odysseas Elytis:

"Mitag aus Nacht Und nicht einer bei ihm
Nur seine treuen Worte, die all ihre
Farben mischten um seiner Hand zu
lassen eine Lanze aus weißem Licht..."

(Tod und Auferstehung des Konstantinos Paläologos)

Odysseas Elytis, "Glänzender Tag, Muschel der Stimme" Verlag Volk und Welt, Berlin 1982, in Lizenz aus Odysseas Elytis, Ausgewählte Gedichte, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1979

Oder in einer Übersetzung, die ich gerade hier gefunden habe

“Noon out of night
And not one person by his side
Only his faithful words that mingled
all their colors to leave in his hand
a lance of white light…"