Samstag, 28. September 2019

Annäherung an das Carolinenpalais





Beim Anschauen mancher Gebäude fühlt man sich unweigerlich an eine bekannte Erfahrung erinnert. Solange der Nebel des Vagen vorherrscht und schont, mag es die Phantasie entzünden, Wohlwollen erwecken, aber wehe, die harten Strahlen der klaren Sonne treffen darauf. Sogleich schreckt man zurück.

So ist es leider auch mit dem gegenwärtigen Zustand unseres Carolinenpalais an der Promenade. Manche wollen ihm sogar seine Architektur bekritteln. Derjenige schaue einfach auf die gegenüber liegende Seite. Danach sollte alle Kritik verstummen.

Wenn man sich zum ersten Bild etwas Nebel hinzudenkt, ahnt man vielleicht, was ich meine. Und so man dann beim Wechsel vom 3. zum 4. Bild (sie sind sämtlich, wie man leicht sieht, zu verschiedenen Zeiten aufgenommen) den seit Anfang März fehlenden rechten Arm der Hera bemerkt, ist die Stimmung bereits in einer beschleunigten Abwärtsbewegung, bis man sich nach den “rückwärtigen“ Aufnahmen nur noch mit Grausen abwenden möchte, vor soviel atemberaubender Schäbigkeit







Außenstellen Schweriner Landesbehörden sitzen darin. Doch das ist nur die Gegenwart. Interessanter ist, wie oft, das Vergangene.

Wie schreibt man über häßlich Gemachtes? Beschönigend? Wehklagend? Indem man ungedeckte Hoffnungswechsel verteilt? Gar nicht?  Ich gestehe, ich hatte mich länger für letzteres entschieden und diesen Beitrag vor mir hergeschoben.

Der Anstoß kam bei der abgeschlossenen Wiederherstellung des Schloßgartens, als man erfreulicherweise darauf verweisen konnte: Ja, auch die Sanierung der Orangerie steht unmittelbar bevor und die Pläne wirken hoffnungserweckend. Aber die andere Seite!

Mitunter jedoch und unerwartet „kommt von irgendwo ein Lichtlein her“... Herr Rehberg berichtete kürzlich in Berlin von einer neuen Bundesstiftung zur Förderung des Ehrenamtes, die schon im kommenden Jahr in Neustrelitz ihren Sitz nehmen könnte! Und Frau Schweswig aus Schwerin ließ verlauten, als Sitz der Stiftung komme das dortige Carolinenpalais mit dem dazugehörigem historischen Kutscherhaus in Frage.

Mittlerweile mußte ich mich aufklären lassen, welche praktischen Schwierigkeiten dem im Wege stünden. Aber bevor wir denn doch noch historisch werden, enden wir hier einfach mit dem Ausdruck naivster Hoffnung. Und was wäre dafür geeigneter als ein (von mir leicht abgeschliffener) Poesiealbumvers?

Und wenn Du glaubst, es geht nicht mehr,
kommt irgendwo ein Lichtlein her,
daß Du es endlich wieder zwingst,
von Sonnenschein und Freude singst;
und trägst des Tages harte Last,
da Glaubensmut Du wieder hast!

Es gehört nicht hierher, ist aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort. Doch wir benötigen kurz etwas Erholung für die Augen.

François Boucher, Der Raub Europas, 1747

So. Jetzt ist es besser. Das englisch-romantische Carolinen-Palais von 1850 heißt nach der Herzogin Caroline, geschiedene Kronprinzessin von Dänemark. Dieser Zustand dürfte so unerquicklich gewesen sein, wie er sich anhört. Und es wird ihr auch kein wahrer Trost gewesen sein, daß das weiter affärenreiche Treiben des späteren Friedrich VII. von Dänemark, wie sollen wir es sagen, eher fruchtlos blieb.

Ihr Vater, der Großherzog Georg grüßt gewissermaßen huldvoll und zeitlos aus der Nähe. Und sie selbst hat sich von ihrem scheinbar ausweglosen Schicksal nicht niederdrücken lassen. Wir haben hier kürzlich daran erinnert, daß das Carolinenstift, lange Zeit Krankenhaus und damals ein hervorragendes dazu, auf sie zurückgeht. Es gäbe noch einiges von ihr zu erzählen.

Doch dies muß endlich einmal fertig werden und ich wollte doch eigentlich sowieso nur noch auf Helene von Krause verweisen, die so zu Herzen gehend über sie zu schreiben wußte. Nicht immer ist sie detail-, aber immer gefühlsfest. Mitunter überkommt mich daher dabei fast der Eindruck, sie habe von mir abgeschrieben. Nun ja.

„Fast hundert Jahre später entstand an Stelle der Pfarrwohnung das kleine Palais, das in der Folge, als es der jetzige Großherzog bezog, noch erweitert wurde. Er wohnte hier, bis das neue Schloß fertig war. Ursprünglich aber wurde es für die Herzogin Caroline erbaut. Manchem alten Strelitzer wird das Herz noch warm bei dem Namen. Eine selten gewordene Büste, deren Original sich im Schlosse befindet, stellt diese Tochter Großherzog Georgs, geboren am 10. Januar 1821, im ganzen Reiz eben entfalteter Schönheit dar, das Köpfchen mit dem lieblichen Oval und den regelmäßigen Zügen ein wenig unter einem leichten Kranze geneigt, der auf dem lose herabfallenden, etwas gelockten Haar liegt.

Große Hoffnungen knüpfte man an diese reizende Prinzessin; eine Kaiser- oder Königskrone, meinte man, müßte dies Haupt schmücken, aber es sollte eine Dornenkrone tragen; der Kronprinz von Dänemark... stellte sich als Bewerber ein. Manche Bedenken drängten sich auf. Seine Erziehung war vernachlässigt, er war geistigen Getränken zugetan und von seiner ersten Gemahlin geschieden. Aber Königskronen haben einen eigenen Glanz, und er liebte die reizende Prinzessin wirklich, war auch im Grunde ein gutmütiger Herr. Eine Hochzeit in großem Stile wurde gefeiert.


Man hielt es für ein böses Omen, dass ein Arbeiter beim Bau des Festsaales verunglückte. Auch bei dem im romantischen Geschmack der Zeit veranstalteten großartigen Turnier adliger Herren brach einer der Ritter ein Bein und starb an den Folgen. Bei der Trauung wollten viele Leute das „Ja!“ der bleichen Braut nicht gehört haben. So zog sie über das Meer, um schon nach wenigen Jahren, an Leib und Seele gebrochen, heimzukehren. Die Dänen wollten die holde Prinzessin gern behalten, aber die langen Verhandlungen endeten dennoch mit der Scheidung. Kinder, die sie hätten an die neue Heimat fesseln können, hatte sie nicht. Geknickt war ihr Leben, aber sie suchte und fand Halt in ihrem Gott und Heiland, der sie wieder aufrichtete.



Sie wurde der gute Engel für Arme und Kranke. Unfern des Seeufers gründete und erbaute sie das Diakonissenkrankenhaus, das Karolinenstift, das noch heute, zu sehr stattlicher Größe angewachsen, dem ganzen Lande eine Wohltat, den Armen und Kranken aller Stände eine Zufluchtsstätte ist. Wer die bis an ihr Ende anmutige Prinzessin gekannt hat, wird sich erinnern, wie ihre reine und aufrichtige Herzensgüte ihr die Liebe aller gewann, die sich ihr nähern durften. An ihrem Sarge hat ein kleiner Kranz, den ein armes Kind herzutrug, sie wohl mehr geehrt, als die kostbaren Blumenspenden gekrönter Häupter.“

nachgetragen am 30. September

Dienstag, 17. September 2019

Wind und Wandern, dienstags in Neustrelitz


An einem anderen Ort hatte ich meinen kleinen Rundgang vom Dienstag bebildert ohne Kommentar gezeigt und erntete etwas überraschend den Wunsch nach Kommentaren. Nun ruiniert das meist die Stimmung, aber gut, holen wir das hier nach, mit ein wenig mehr Bildern.

Mein kleiner Spaziergang begann in der Semmelweisstraße, ich erwähne das nur, um die dort ansässige Physiotherapie zu loben. Und dann sind wir auch schon am Zierker See und am Hafen. Ich habe diese Aufnahmen hinzugefügt, weil sie vielleicht eine Ahnung davon geben, wie windig es war. Das erleichtert zum einen das Photographieren, da die Szenerie kaum belebt war, und zum anderen vermittelt es etwas den Hintergrund des Ganzen.




Nach dem Hafen das Carolinenstift, in der erweiterten Gestalt von 1860, lange Zeit Krankenhaus (zur Entstehungszeit das modernste zwischen Rostock und Berlin). Der Bau geht auf die Herzogin Caroline zurück, die aus ihrem Geschick (sie mußte sich vom dänischen Kronprinzen scheiden lassen) das Beste machte, etwa mit diesem Krankenhaus, dessen Baukosten sie zum größten Teil trug. Jetzt sind darin Wohnungen entstanden und die nahezu wiederhergestellte Fassade macht wieder einen erfreulichen Eindruck.


Wir wenden uns dem Schloßgarten zu und nähern uns dem Hebetempel. Der Name spricht für sich, nur soviel, der Entwurf der Statue der Göttin geht auf Antonio Canova zurück (1796, die Kopie ist von 1856, das Original befindet sich in der Berliner Alten Nationalgalerie). Diese Bauten gewinnen einen ganz persönlichen Erinnerungswert, wenn man sich an diverse Rückschläge bei der Wiederherstellung erinnert.



Der Marstall von 1870 ist einer der Orte, an dem man sich am Mecklenburg-Strelitzschen Wappen erfreuen kann. Er dient heute Zwecken des Theaters.



Wir kehren zurück zur Hauptachse des Gartens und sehen die Kopie der Viktoria von Leuthen. Die eindrucksvolle Gestalt der römischen Siegesgöttin Viktoria ist eine Zinkgußkopie von 1854 (ein Geschenk König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen an Großherzog Georg). Hier ist die Kopie sozusagen zum Original geworden. Denn der große Christian Daniel Rauch, von dem auch die Originale auf dem Hirschtor zum Tiergarten stammen, hatte sie für eine Denkmalssäule geschaffen, die bis 1945 an die Schlacht von Leuthen erinnerte.


Wir sind bei den beiden Jünglingen angelangt. Das Bildprogramm ist recht mysteriös. Der eine hält mit der rechten Hand eine Fackel zwischen beiden gesenkt und mit der linken eine hinter der Schulter, während der andere, den linken Arm auf dessen Schulter legt und auf eine  Scheibe in seiner rechten Hand schaut.



Eine Deutung meint, er gieße ein Trankopfer auf den girlandenumkränzten Altar vor ihnen, auf dem sein Begleiter eben die Fackel löscht, ein Zeichen des Todes. Neben beiden steht eine kleine Kore, wahrscheinlich stellt sie Persephone, die Königin der Unterwelt dar. Es gibt die verschiedensten Mutmaßungen, wer bei dieser sog. Ildefonso-Gruppe ursprünglich dargestellt wurde, aber ich habe mich vor nicht so langer Zeit in so epischer Breite dazu ausgelassen (man überspringe nur die Eingangsbemerkungen ), daß ich wirklich darauf verweisen möchte.



Wir enden mit der wohltätigen Göttin Demeter an der Schloßauffahrt, die mit der Fackel womöglich gerade ihre Tochter Persephone sucht, die Hades, von Zeus geduldet, in sein Totenreich entführte hatte. In der Ferne sehen wir das eher desolate Carolinenpalais (als Wohnsitz der o.g. Herzogin erbaut).




Zur Rechten grüßt uns der Großherzog Georg vor der Schloßkirche. Und am Rande des Buttelplatzes (früher Paradeplatz) stehen wir vor der Büste des Großherzogs Carl, seines Vaters (und auch der der Königin Luise). Es ist nicht ganz einfach, diese Büste zu photographieren, da man den Hintergrund schlecht wegzaubern kann, auch wenn man das nur zu gern möchte. Selbst für einen modernen Bau ist das Landesbesoldungsamt noch einmal ein besonderer Höhepunkt an Scheußlichkeit. Als hätte jemand Hohlblocksteine übereinander getürmt und dann kein Geld mehr für den Außenputz gehabt, obwohl, wirklich schöner wäre es davon auch nicht geworden.

So liegen die Extreme des angenehm Schönen und des kompletten Gegenteils davon halt oft nahe beieinander. So wie im sonstigen Leben auch.


nachgetragen am 18. September

Donnerstag, 12. September 2019

Über Mariä Namen und ein Kreuzzugslied von Novalis

Martino Altomonte, Schlacht von Wien, zwischen 1693 - 1695

Am 12. September 1683 hat unter der Führung des polnischen Königs Jan III. Sobieski und dem Banner Mariens ein christliches Heer von 65.000 Mann eine dreimal stärkere türkische Übermacht vernichtend geschlagen und damit die Belagerung Wiens beendet.

 Wien vor 1640, hier gefunden

2. Türkenbelagerung; Laufgräben vor Wien gegen Ravelin, 
die Löbel- und Burgbastei; Kupferstich des kaiserlichen Hauptmanns 
und Ingenieurs Daniel Suttinger, hier gefunden

Der Friede von Karlowitz vom 26. Januar 1699 beendete den Großen Türkenkrieg und brach die Expansion des Osmanischen Reiches

Nach diesem Sieg bestimmte Papst Innozenz XI. die Feier von Mariä Namen als Fest der ganzen Kirche für diesen Tag.

Schutzmantelmadonna, hier gefunden

Papst Benedikt XVI. hielt an eben diesem Tag im Jahre 2006 an der Universität Regensburg eine Vorlesung, die zu tumultuarischer Empörung in der islamischen Welt führte und gern von den „Kritikern“ des Papstes gegen diesen gewendet wird...

Mariä-Namen-Kirche in Novi Sad, Serbien

Spätestens jetzt muß ich wohl einräumen, daß dies ein Selbstzitat war, aber da es um meine vernachlässigbare Person dabei beim besten Willen nicht geht, fühle ich mich gänzlich ohne schlechtes Gewissen, so habe ich eben resolviert. Dem Beitrag von 2012 kann man dort weiter folgen.

Manchmal bin sogar ich in der Lage, all das fast Fertige, an dem ich unzufrieden herumwerkele, einfach beiseite zu schieben und gewissermaßen spontan zu tun. Eben wurde ich an Heinrich von Ofterdingen erinnert, passend zum Tag des Namens Mariens. Warum? Das mag jeder für sich selbst sehen.

Es ist merkwürdig, wie jahrhundertealte Gedenktage ins Vergessen abdriften und schlagartig wieder aktuell werden. In Wien wüteten die Jünger des Anderen gegen das Gedenken an diesen Sieg, in Potsdam gegen das Glockenspiel von "Üb immer Treu und Redlichkeit". In der Tat, beides eine arge Zumutung und gewissermaßen eine angekündigte Kriegserklärung. So fügt sich eben vieles gerade zur Kenntlichkeit.

Moritz von Schwind, Sängersaal im Palas der Wartburg

Friedrich von Hardenbergs Heinrich von Ofterdingen ist ein so merkwürdiges Werk, daß selbst ein Versuch wie, es mit den Worten zu beschreiben, er versuche darin zu zeigen, wodurch die menschliche Existenz durch die Poesie zu ihrer Tiefendimension zurückzufinden vermag, abgeschmackt klingen muß.

Novalis beschreibt im 4. Kapitel des 1. Teils seines Fragment gebliebenen Heinrich von Ofterdingen zunächst eine Reisegesellschaft von Kaufleuten:

„Einige Tagereisen waren ohne die mindeste Unterbrechung geendigt. Der Weg war fest und trocken, die Witterung erquickend und heiter, und die Gegenden, durch die sie kamen, fruchtbar, bewohnt und mannigfaltig. Der furchtbare Thüringer Wald lag im Rücken; die Kaufleute hatten den Weg öfter gemacht, waren überall mit den Leuten bekannt, und erfuhren die gastfreiste Aufnahme. Sie vermieden die abgelegenen und durch Räubereien bekannten Gegenden, und nahmen, wenn sie ja gezwungen waren, solche zu durchreisen, ein hinlängliches Geleite mit.“

Bei den Besuchen am Wege liegender Burgen kommt es zum Austausch von Neuigkeiten und Aufträgen. „Der junge Ofterdingen ward von Rittern und Frauen wegen seiner Bescheidenheit und seines ungezwungenen milden Betragens gepriesen, und die letztern verweilten gern auf seiner einnehmenden Gestalt, die wie das einfache Wort eines Unbekannten war, das man fast überhört, bis längst nach seinem Abschiede es seine tiefe unscheinbare Knospe immer mehr auftut, und endlich eine herrliche Blume in allem Farbenglanze dichtverschlungener Blätter zeigt, so daß man es nie vergißt, nicht müde wird, es zu wiederholen, und einen versieglichen, immer gegenwärtigen Schatz daran hat. Man besinnt sich nun genauer auf den Unbekannten, und ahndet und ahndet, bis es auf einmal klar wird, daß es ein Bewohner der höhern Welt gewesen sei.“

„Auf einem dieser Schlösser, wo sie gegen Abend hinkamen, ging es fröhlich zu. Der Herr des Schlosses war ein alter Kriegsmann, der die Muße des Friedens und die Einsamkeit seines Aufenthalts mit öftern Gelagen feierte und unterbrach, und außer dem Kriegsgetümmel und der Jagd keinen andern Zeitvertreib kannte, als den gefüllten Becher.

Er empfing die Ankommenden mit brüderlicher Herzlichkeit, mitten unter lärmenden Genossen...  Das Gespräch lief über ehmalige Kriegsabenteuer hin. Heinrich hörte mit großer Aufmerksamkeit den neuen Erzählungen zu.

Die Ritter sprachen vom Heiligen Lande, von den Wundern des Heiligen Grabes, von den Abenteuern ihres Zuges, und ihrer Seefahrt, von den Sarazenen, in deren Gewalt einige geraten gewesen waren, und dem fröhlichen und wunderbaren Leben im Felde und im Lager. Sie äußerten mit großer Lebhaftigkeit ihren Unwillen, jene himmlische Geburtsstätte der Christenheit noch im frevelhaften Besitz der Ungläubigen zu wissen. Sie erhoben die großen Helden, die sich eine ewige Krone durch ihr tapfres, unermüdliches Bezeigen gegen dieses ruchlose Volk erworben hätten...

Die Ritter sangen mit lauter Stimme den Kreuzgesang, der damals in ganz Europa gesungen wurde:

Das Grab steht unter wilden Heiden;
Das Grab, worin der Heiland lag,
Muß Frevel und Verspottung leiden
Und wird entheiligt jeden Tag.
Es klagt heraus mit dumpfer Stimme:
»Wer rettet mich von diesem Grimme!«

Wo bleiben seine Heldenjünger?
Verschwunden ist die Christenheit!
Wer ist des Glaubens Wiederbringer?
Wer nimmt das Kreuz in dieser Zeit?
Wer bricht die schimpflichsten der Ketten,
Und wird das Heil'ge Grab erretten?

Gewaltig geht auf Land und Meeren
In tiefer Nacht ein heil'ger Sturm;
Die trägen Schläfer aufzustören,
Umbraust er Lager, Stadt und Turm,
Ein Klaggeschrei um alle Zinnen:
»Auf, träge Christen, zieht von hinnen.«

Es lassen Engel aller Orten
Mit ernstem Antlitz stumm sich sehn,
Und Pilger sieht man vor den Pforten
Mit kummervollen Wangen stehn;
Sie klagen mit den bängsten Tönen
Die Grausamkeit der Sarazenen.

Es bricht ein Morgen, rot und trübe,
Im weiten Land der Christen an.
Der Schmerz der Wehmut und der Liebe
Verkündet sich bei jedermann.
Ein jedes greift nach Kreuz und Schwerte
Und zieht entflammt von seinem Herde.

Ein Feuereifer tobt im Heere,
Das Grab des Heilands zu befrein.
Sie eilen fröhlich nach dem Meere,
Um bald auf heil'gem Grund zu sein.
Auch Kinder kommen noch gelaufen
Und mehren den geweihten Haufen.

Hoch weht das Kreuz im Siegspaniere,
Und alte Helden stehn voran.
Des Paradieses sel'ge Türe
Wird frommen Kriegern aufgetan;
Ein jeder will das Glück genießen
Sein Blut für Christus zu vergießen.

Zum Kampf, ihr Christen! Gottes Scharen
Ziehn mit in das Gelobte Land.
Bald wird der Heiden Grimm erfahren
Des Christengottes Schreckenshand.
Wir waschen bald in frohem Mute
Das Heilige Grab mit Heidenblute.

Die Heil'ge Jungfrau schwebt, getragen
Von Engeln, ob der wilden Schlacht,
Wo jeder, den das Schwert geschlagen,
In ihrem Mutterarm erwacht.
Sie neigt sich mit verklärter Wange
Herunter zu dem Waffenklange.

Hinüber zu der heil'gen Stätte!
Des Grabes dumpfe Stimme tönt!
Bald wird mit Sieg und mit Gebete
Die Schuld der Christenheit versöhnt!
Das Reich der Heiden wird sich enden,
Ist erst das Grab in unsern Händen.

Heinrichs ganze Seele war in Aufruhr, das Grab kam ihm wie eine bleiche, edle, jugendliche Gestalt vor, die auf einem großen Stein mitten unter wildem Pöbel säße, und auf eine entsetzliche Weise gemißhandelt würde, als wenn sie mit kummervollem Gesichte nach einem Kreuze blicke, was im Hintergrunde mit lichten Zügen schimmerte, und sich in den bewegten Wellen eines Meeres unendlich vervielfältigte...

Der Abend war heiter; die Sonne begann sich zu neigen, und Heinrich, der sich nach Einsamkeit sehnte, und von der goldenen Ferne gelockt wurde, die durch die engen, tiefen Bogenfenster in das düstre Gemach hineintrat, erhielt leicht die Erlaubnis, sich außerhalb des Schlosses besehen zu dürfen."

Benedetto Bonfigli, "Gonfalone di S. Francesco al prato", 1464

nachgetragen  am 13. September