Montag, 21. Dezember 2020

Über die Jünger Behemoths oder Neuigkeiten von St. Martini zu Bremen

Ary Scheffer, Margarete verläßt die Kirche, 1838,  hier gefunden

Die gegenwärtige evangelische Kirche, die kichernd jede Häresie zur Kenntnis nimmt, so wie der Teufel wohlgefällig auf jedes gefallene Schaf schaut, kann aber durchaus auch die Wattebäuschchen beiseite legen und weiß sich recht zu wehren, wenn der Fundamentalismus sein erschröckliches Haupt hebt.

"Liebe St. Martini Gemeinde,

in seiner Sitzung am 10. Dezember hat der Kirchenausschuss der BEK den Beschluss gefasst, Pastor Latzel mit sofortiger Wirkung vorläufig des Dienstes zu entheben. Als Begründung wurde u. a. angeführt, dass er mit seinen Aussagen zum biblischen Verständnis gelebter Homosexualität der Kirche Schaden zugefügt hätte.

Eine Anhörung des Pastors zu diesem Beschluss fand am Mittwoch, dem 16. Dezember statt. Zu diesem Termin wurde Pastor Latzel eine Vereinbarung vorgelegt, mit der er seine Zustimmung zum sofortigen ruhen lassen des Dienstes geben sollte. Die Vertreter des Kirchenausschusses, die an der Sitzung teilnahmen, Frau Bosse, Herr Dr. Kuschnerus und Herr Dr. Noltenius, stellten unseren Pastor vor die Wahl, die Vereinbarung zu unterschreiben und damit das Ruhenlassen seines Dienstes oder die vorläufige Enthebung aus dem Dienst seitens des Kirchenausschusses entgegenzunehmen.

Bei beiden Möglichkeiten wäre eine Weiterführung des Dienstes ausgeschlossen gewesen, weder Predigten, Bibelstunden, Konfirmandenunterricht oder Seelsorge. Vor diese nicht wirklich existierende Wahl gestellt, entschied sich Pastor Latzel dazu, nun nicht auch noch sein schriftliches Einverständnis zur faktischen Dienstenthebung zu geben. Daraufhin wurde die gegen ihn erlassene vorläufige Dienstenthebung in Kraft gesetzt.

Das bedeutet nun, dass Pastor Latzel durch die Landeskirche seines Dienstes vorläufig enthoben ist. Ein aus unserer Sicht, ungeheuerlicher Vorgang..."

Stellungnahme des Vorstandes der St. Martini Kirchengemeinde

Das Zauberwort der Jünger Behemoths – die Liebe. Denn wer ihnen widerspricht, was muß den treiben? Der Haß natürlich.

„Selbstlosigkeit und Selbstständigkeit gehen also Hand in Hand. Christen können frei glauben, denken und handeln und sich nicht auf Gehorsam oder geistliche Autoritäten berufen. Deshalb widerspricht es grundsätzlich der evangelischen Freiheit, wenn man moralische Normen unmittelbar aus Anordnungen Gottes oder Bibelversen herleitet. Das wäre ein Gebots-Fundamentalismus. Vielmehr sind Menschen frei, selbst zu beurteilen und miteinander auszuhandeln, was im Sinne der Liebe jeweils das Richtige ist.“

Schriftführer der BEK, Pastor Dr. Bernd Kuschnerus, in seiner öffentlichen Botschaft zum Reformationstag 2020 

Ary Scheffer, Faust und Margarete im Garten, 1846, hier gefunden

Solche Worte sind bewußt unklar, Worte-Vernebelung aus Täuschungswillen? Aber selbst dafür sagen sie dann genug. Von gleicher Art, nur natürlich um Jahrhunderte armseliger in Worte gefaßt, wie sich Dr. Faustus herauszuwinden versuchte, auf die Frage Gretchens. „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“. Worauf Faust:

Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!

Wer darf ihn nennen?

Und wer bekennen:

Ich glaub’ ihn.

Wer empfinden?

Und sich unterwinden

Zu sagen: Ich glaub’ ihn nicht.

Der Allumfasser,

Der Allerhalter,

Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?

Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend

Ewige Sterne nicht herauf?

Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,

Und drängt nicht alles

Nach Haupt und Herzen dir,

Und webt in ewigem Geheimniß

Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,

Nenn’ es dann wie du willst,

Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Nahmen

Dafür! Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsgluth.“


Darauf Margarete so treffend:

„Das ist alles recht schön und gut;

Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,

Nur mit ein Bißchen andern Worten.“


Der Unterschied dazu ist heute. Nun spricht auch der Pfarrer so.

James Tissot, Faust und Margarete im Garten, 1861, hier gefunden

Anmerkungen

Lieber hätte ich angesichts des bevorstehenden Festes der Erscheinung des Herrn dankbar an etwas weitergeschrieben, zu dem ich mich endlich aufzuraffen vermochte. Aber die Betreiber der BEK hat das auch nicht geschert, also warum zuwarten. Den Anfang der jetzigen Eskalation um Pf. Latzel habe ich hier erschöpfend, denke ich, beschrieben. So man der Stellungnahme des Kirchenvorstands folgt, erfährt man die Einzelheiten.

Diese Stellungnahme zitiert Epheser 6, 10ff. Nicht zu unrecht. Denn man hört geradezu eine Stimme: „Ihr könnt sagen: Ihr habt den Glauben, aber wir haben die Macht!“ Ja! Wessen? 

Früher einmal haben Gleichgesinnte und ich an solchen Stellen die aufrichtige Konfrontation gesucht (bei diesem Anlaß etwa). Aber auch dort war schon zu lernen: Eine Reaktion wird immer in der aktuell gültigen Währung erfolgen, also der des Gefühls. Solche wurden verletzt, und das zählt. Warum eigentlich? Doch es ist das Instrument, mit dem heute operiert wird. Es wird nie um so etwas wie Zeugnisse der Schrift, aufgetragene Bekenntnisse et cetera gehen. Wahrheit in Fragen des Glaubens? Wie vorgestrig und fade.

Um die Sache etwas schwieriger zu machen. Auch mir gefällt so einiges an der Hl. Schrift nicht und will sich nicht in mein Wohlfühlweltbild fügen. Aber dann liegt u.a. die Not der Rechtfertigung bei mir, nicht andersherum. Hier geht es um Fundamente und tragende Pfeiler.

Dieser Dr. Kuschnerus meint, in Sachen des Glaubens sei „auszuhandeln, was im Sinne der Liebe jeweils das Richtige ist“. Das ist sozusagen religiöser Rechtspositivismus mit einem Hauch von Sentiment. Dann ist „wahr“, was eine willkürliche Mehrheit gerade als solches empfindet. Wobei dieses „wahr“ inzwischen, als zu exklusiv, schon längst ebenfalls als anstößig dasteht.

Die Erscheinungen zeigen sich dem, der sehen will. Ein letztes Mal Goethes Faust:

Mephistopheles:

"Und die Physiognomie versteht sie meisterlich“. 

Physiognomien. Das molluskenartig in sich Verschwimmende gegen das harte Kantige. Das, das alle Male der Auflösung auf dem selbstgefälligen Leib trägt, gegen den, der kämpft.

Es sind verlorene Seelen.

King's College Cambridge 2014

The Lamb, John Tavener, hier gefunden


John Tavener, The Lamb, The Erebus Ensemble, hier gefunden

2 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

I was wondering whether there were any further developments in this matter. The decision comes as no surprise, but not only does it force the pastor into a change of career. It also raises for each parishioner the question of how to respond.

MartininBroda hat gesagt…

Es ist natürlich "raffiniert", die Kontroverse an diese inzwischen allgemein wohlwollend aufgenommene Frage anzuknüpfen. Da kann der Gemeindevorstand noch soviel eine Antwort darauf einfordern, ob "die biblisch begründete Ablehnung von gelebter Homosexualität – nicht die Ablehnungen von homosexuell empfindenden Menschen (!) – einen Platz im Glaubensleben der Bremischen Evangelischen Kirche" habe oder nicht.

Man mag diese Frage für sich beantworten, wie man will, aber durch Handeln und Äußerungen der BEK sollen eben 2 Prinzipien beiseite geräumt werden, die weit darüber hinausgehen. Erstens die Verbindlichkeit der Hl. Schrift und damit die des Glaubens. Bin ich Normen unterworfen, die ich mir nicht selbst mache?

Zweitens: Da muß ich etwas weiter ausholen. Benedikt XVI. hat am 22. September 2011 im Berliner Reichstag eine höchst bemerkenswerte Rede über die Grundlagen des Rechts gehalten. Und jetzt der Hl. Vater wörtlich über einen "Nebenaspekt":
"Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muß und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit."

Daß der Mensch eine Natur habe, die er achten müsse, dagegen geht der andere Angriff.

Beide Angriffe haben die selbe Stoßrichtung. Letztlich gegen den überkommenen christlichen Glauben. Und jetzt steht in der Tat die Gemeinde von St. Martini, und weiß Gott nicht nur sie, vor der Frage: Wie darauf reagieren?

Ich bitte um Nachsicht dafür, auf Deutsch geantwortet zu haben, u.a. der längeren Zitate wegen. Herzliche Grüße.