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Sonntag, 31. Dezember 2023

Aufgelesenes zum Jahresende

Nicolás Gómez Dávila, Notas

"Welche Geheimnisse hatten wir gehütet, wie wir uns einbildeten. Es ging lediglich darum, uns selbst gegenüber ehrlich, unserem reinsten Wesen treu zu sein, um erhabene Vortrefflichkeit zu erreichen. Doch es kommt der Tag mit winterlichem Licht, da wir unsere skeletthafte Nacktheit betrachten, den elenden Menschen, der wir sind, entdecken und den Abstand zwischen der Größe, von der wir träumten, und der dürftigen Armseligkeit unseres Menschseins ermessen."

"Was soll ich dann tun, wenn alles, was mich fasziniert, sich mir entzieht oder mich zurückweist, wenn alles, was ich unternehmen könnte, mich langweilt und abstößt? Wie soll ich gleichwohl leben, wenn ich mich ganz der Aufgabe widme, lediglich zu leben? Wie soll ich meine Tage verbringen, wenn ich wie ein weidendes Tier die  Stirn dem Augenblick zuneige, den nahen Winter und das ihn einhüllende reine Licht vergesse?"

"Maßloser Ehrgeiz findet entweder seinen Höhepunkt in öder Unfruchtbarkeit oder ist nur die ängstliche Tarnung der Ohnmacht. Ein übermäßigs Verlangen bereitet eine theatralische und bequeme Entschuldigung für unser Scheitern vor. "

"Die schlimmsten Sünden sind nicht jene, die wir gegen die Gesellschaft begehen. Sträflich ist nur, was den höchsten Begriff des Menschsein in uns herabsetzt."

"Der letzte Lebensgrund: der Drang zu verstehen.

Ein geheimes dauerhaftes Verlangen."

"Gewiß schaffen wir die Ideen nicht selbst, und ihre Entstehung hängt auch nicht von unseren Wünschen ab; die Ideen wählen gewiß uns..., doch ohne unsere Mitwirkung geben uns die Götter nur eine vage Unrast, eine grüblerische Unruhe, ein wankelmütiges Nichteinverständnis.

Die Idee erscheint uns nicht als eine grundlose und plötzliche Offenbarung... Unsere  Seelen müssen sich schweigend vorbereiten und im Dunkeln das Aufblitzen der Ideen belauern."

mehr von Nicolás Gómez Dávila hier und hier, wie auch hier


Vaclav Havel 1990 in Oslo über die Anatomie des Hasses 

Vaclav Havel, Washington D.C. National press club May 13, 1997, © John Mathew Smith 2001, von hier

"Haß scheint mir immer der Ausdruck.... eines gewissermaßen dauerhauft unerfüllten und eigentlich unerfüllbaren Wollens, einer verzweifelten Ambition." 

"Im Unterbewußtsein der Hassenden schlummert ein perverses Gefühl, daß sie die wahren Besitzer der ganzen Wahrheit sind, und somit auch so etwas wie Übermenschen oder sogar Götter, und deshalb haben sie Anspruch auf rückhaltlose Anerkennung, auf Nachgiebigkeit und Loyalität, wenn nicht gar auf blinden Gehorsam. Sie wollen der Mittelpunkt der Welt sein und sind permanent frustriert und gereizt, weil die Welt sie nicht als ihren Mittelpunkt annimmt und anerkennt." 

Hassende Menschen wollten das Unerreichbare und verzehrten sich unaufhörlich wegen der Unmöglichkeit, es zu erreichen; der Grund sei die niederträchtige Welt, die sie daran hindere.

„Den Grund für seinen metaphysischen Mißerfolg sieht der hassende Mensch niemals in sich selbst und in seiner totalen Selbstüberschätzung. Der Schuldige ist abstrakt, ungewiß und nicht zu fassen. Er muß personifiziert werden, denn der Haß - als durchaus konkretes Aufbäumen der Seele - braucht auch ein konkretes Opfer.“

„Er haßt nicht einen konkreten Menschen als solchen, sondern das, was dieser Mensch darstellt: eine Kollektion von Hindernissen auf seinem Weg zum Absoluten, zur absoluten Anerkennung, zur absoluten Macht, zur totalen Identifikation mit Gott, der Wahrheit, der Weltordnung.“ 


Beim mißbilligenden Lesen eines Kirchenvaters

Giorgio Vasari: Die Versuchung des Hl. Hieronymus, zwischen 1541 und 1548, von hier

Gott hat diese Welt nicht nur geschaffen, sondern er hat sich in sie inkarniert, um sie wieder zurecht zu bringen, nachdem sie von ihm und so recht eigentlich von sich abgefallen war, und damit alle Tore zu Selbstzerstörung geöffnet hatte. Diese Welt ist also derart wichtig, daß es zweifelhaft erscheint, Jungfrauen anzuspornen, die Weitergabe des Lebens zu verweigern, da sie so bereits in der himmlischen Seligkeit wohnen würden.

Antoon van Dyck (oder Schüler): St. Hieronymus, von hier


Zeit-"Genossenschaft"

Die gegenwärtigen Kirchen in dem, was vom Abendland noch übriggeblieben ist, suchen die Nähe, die Nähe zum Vorherrschenden, zum sog. Zeitgeist, nein, sie lehnen sich nicht bloß an ihn an, sie eilen zur Spitze, wollen die Vorhut sein, und stürmen, feindliche Blicke an alles Widerständige oder Überkommene aussendend voran. Allenfalls blicken sie gelegentlich ängstlich zurück, ob die Hauptmasse nicht vielleicht anders abgebogen ist und sie nun auf einmal ganz allein dastünden. Buchstäblich.

Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste, rechter Innenflügel (Hölle), zwischen 1480 u. 1505, von hier

Wirklichkeit ist ein rechtes Vorurteil und das Ausbleiben des vollkommenen Menschheitszustands eine weitere perfide Verschwörung. 

Das Progressive ist eine Art von aggressiv fortschreitender Bewußtseinsstörung. Es existiert, um zu verfolgen.

Im Umgang mit Menschen wird die Wirkmächtigkeit von Vernunft meist überschätzt. Es ist etwa ein hilf- und sinnloses Unterfangen, jemandem mit Vernunftgründen kommen zu wollen, der Wahrheit für ein repressives Konstrukt hält.

Kultur bedarf einer gewissen Anstrengungsbereitschaft. 

Der Widerwille gegen das Wiederzurückholen von Verlorenem und böswillig Zerstörtem ist der Haß gegen die Heilung.


Moses Mendelssohn in Sanssouci

Lessing und Johann Caspar Lavater zu Gast bei Moses Mendelssohn, Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim (1856), von hier

Der kursächsische Staatsminister Freiherr von Fritsch zu Moses Mendelssohn am 30. September 1771 in Sanssouci, wohin Friedrich II. den "berühmten Juden" befohlen hatte: Es sei ihm unbegreiflich, wie ein so klarer philosophischer Kopf sich nicht zum Christentum bekehrt habe. Worauf dieser anwortete: "Ah se verseihe ihre Exsellenz, was soll ich creditiern dem Sohn, as der Vater noch lebt?

Es ist nicht sicher, ob sich der Philosoph auch hier tatsächlich des "jüdischen Dialects" bediente. Wenn die Situation es hergab, hat er es offenkundig gern getan, so zuvor gegenüber dem diensthabenden Ofizier am Potsdamer Brandenburger Tor, der wissen wollte, "na, wodurch 's er denn berühmt? maliziös erwiderte : "As se verseihn, Herr Offizier, as ich doch spiel aus der Tasch!"

Johann Michael Siegfried Lowe, nach Daniel Chodowiecki: Moses Mendelssohns Examen am Berliner Thor zu Potzdam, 1771, von hier

(hier irrt der Künstler insofern, als diese Szene sich so am Brandenburger Tor zutrug, am Berliner Tor war der Offizier gewissermaßen ein Fan und betrug sich entsprechend)

nachgetragen am 31. Januar 2024

Montag, 3. Juni 2013

Nicolás Gómez Dávila - Vom Irrgarten der Gegenwart


Vor kurzem versuchte ich zu zeigen, wie Dávila den (heute eher für abgetan und absonderlich erklärten) Begriff der Erbsünde auf eine anthropologische Grundgegebenheit zurückführt. Die Existenz des Menschen ist wesensgegeben absurd, die Substanz seines Lebens ist das Scheitern. Innerhalb ihrer selbst läßt sich nichts auffinden, das ausreichend wäre, den notwendigen Grund zu geben. Das liegt eben daran, daß der Mensch größer ist als das, worin er sich vorfindet. Will er also sein Wesen finden, muß er über sich hinausgehen. Wird er sich in sich festklammern, wird er sich verfehlen. So weit so schön und so schön abstrakt.

Das Angenehme an Dávila, sein Denken hat etwas Aufklärendes, gerade, wenn es praktisch wird. Er spielte (vermutlich) mit der Selbstbezeichnung des „Reaktionärs“ (zumindest schuf dies hinreichend Distanz). Wir werden gleich sehen, wie hilfreich sich dies bei einem ersten naheliegenden Problem erweist - der Demokratie (üblicherweise wäre jetzt eine Exkulpationsformel zu erwarten, aber dafür bin ich zu alt und ambitionsfrei).

Nachdem er den Punkt gefunden hat, an dem sich sein Ariadne-Faden sicher anknüpfen ließ, können wir also in das Labyrinth der Neuzeit vordringen (und hoffentlich später wieder herausfinden). Beginnen wir mit einem Groß-Zitat:

„Die Demokratie ist eine anthropotheistische Religion. Ihr Prinzip ist eine Option religiösen Charakters, ein Akt, in dem der Mensch den Menschen als Gott annimmt. Ihre Doktrin ist eine Theologie des göttlichen Menschen, deren Ausübung die Verwirklichung dieses Prinzips im Verhalten, in den Institutionen und in den Werken.
Die Göttlichkeit, die die Demokratie dem Menschen zuschreibt, ist keine rhetorische Figur, kein poetisches Bild, keine unschuldige Hyperbel, sondern strikte theologische Definition.“

„Für den Anthropotheismus ist das Universum Hindernis oder Werkzeug für den menschlichen Gott.“ 
(aus Textos I, Karolinger – Verlag, 2003)

„Damit der Mensch Gott sei, muß ihm der Wille als Essenz zugeordnet und im Willen das Prinzip und der eigentliche Stoff seines Wesens erkannt werden.“ Jeder Mensch ist sein freier, souveräner und gleicher Wille. Wäre seine Essenz etwas darüber hinaus, so wäre er an einen fremden Willen gebunden. Darum hat der demokratische Mensch „keine Natur, sondern Geschichte: unverletzlichen Willen, den sein irdisches Abenteuer verkleidet, aber nicht verändert". Der demokratische Mensch ist totale Freiheit, „und was seine Freiheit mindert, zersetzt ihn“, wo er sich unterwirft, gibt er sich auf.


Dávila hat in der Tat mehr als nur den Ausgangs-Punkt für den Faden der Ariadne aufgespürt, er hat den archimedischen Punkt für seine Gedankenkette gefunden, aus der sich alles folgende wie von selbst ergibt. Da, wo Dávila von „Demokratie“ spricht, gebrauche ich gewöhnlicherweise das Wort „Moderne“, aber es geht um ihn, und er liefert uns auch sogleich eine Begründung für die latente Religionsfeindlichkeit der Moderne:

„Die erste und selbstverständlichste der demokratischen Ideologien ist ihr pathetischer Atheismus.“
„Der transzendente Gott hebt unsere unnütze Rebellion auf. Der demokratische Atheismus ist die Theologie eines immanenten Gottes.“

Ich höre den Widerspruch von verfassungsmäßig garantierter Religionsfreiheit. Nun ja. Schaut man auf die Fakten, partizipiert man (jedenfalls in Europa) an Religion eher als kultureller Konvention, oft nur geduldet, vor allem widerwillig geduldet, wenn überhaupt. Ich erinnere an die Verweigerung des Wiederaufbaus der Leipziger Universitätskirche, weil man kirchliche Dominanz meinte abwehren zu müssen etc. etc. Religion wird also allenfalls leidlich geduldet, nachdem sie sich sozusagen aufgegeben hat, warum? Die Demokratie muß atheistisch sein, denn wenn Gott existierte, hätte der Mensch als seine Kreatur eine Instanz über sie hinaus.

Das nächste zwangsläufige Stichwort (unsere nächste Stufe) – der Fortschritt. Der Mensch müßte über seiner Beschränktheit verzweifeln, so er nicht seine Göttlichkeit als Verheißung der Zukunft versprochen sähe, denn in der Gegenwart wird er sie, innerlich abgetrennt vom Göttlichen, wohl nur unter erheblichen Verrenkungen finden.

„Die Idee des Fortschritts ist die Theodizee des futuristischen Anthropotheismus... Der Fortschritt ist die Begründung der jetzigen Verfassung des Menschen und seiner späteren Theophanien." 

Die Demokratie muß an den Fortschritt glauben, um dem Menschen zu versichern, daß sie das Universum verändern kann und es schaffen wird, es nach Maßgabe ihrer Vorstellungen zu gestalten.

Wie wir bereits hörten, habe der demokratische Mensch keine Natur, sondern nur bloße Geschichte.
Nun ist letztere der sprichwörtliche Sand, auf den man besser kein Haus baut. Die demokratische Ideologie sieht die Aporie und befreit sich aus ihr gewissermaßen in einem intellektuellen Salto mortale:

„Nach demokratischer Lehre ist der Wert ein subjektiver Zustand, der die Übereinstimmung zwischen einem Willen und einem Faktum bestätigt. Die Objektivität des Wertes ist eine Funktion seiner empirischen Allgemeingültigkeit und sein normativer Charakter leitet sich von seinem vitalen Bezug ab. Wert ist, was der Wille als ihm eigen anerkennt.“ Oder (von mir) kürzer und schlichter - Gut ist, was der Mehrheit gefällt. Und so wird die Wahrheit zu einem Mittel, „das die Vereinnahmung der Welt erleichtert“.


Nach Voluntarismus, Atheismus, Fortschritt und ethischem Relativismus fehlt uns noch die nächste Stufe – der Determinismus:

„Das letzte Wort der demokratischen Apologetik ist der allgemeine Determinismus. Um ihre Prophezeiungen verankern zu können benötigt die Doktrin ein starres Universum.“

„Wenn weder Welt noch Gesellschaft noch Individuum auf schlichte kausale Konstanten reduzierbar sind, wird auch der hartnäckigste, intelligenteste und methodischste Eifer scheitern angesichts der unerforschlichen Natur der Dinge, der unsicheren Geschichte der Gesellschaften, der unvorhersehbaren Entscheidungen des menschlichen Gewissens. Die totale Freiheit verlangt nach einem versklavten Universum. Der souveräne menschliche Wille kann nur über die Leichen der Dinge herrschen.“

Er ist dem Fortschrittsglauben verwandt. Während der eine aber die Hoffnung in die Zukunft einkapseln muß wie die sprichwörtliche Mohrrübe vor der Schnauze des Esels, damit er den Karren weiter ziehe, muß dieser die strukturelle Vernünftigkeit, ja Unausweichlichkeit der Sache verbürgen. Zugleich jedoch beraubt er damit die Wirklichkeit ihrer Widerspenstigkeit, Komplexität, Unabgeschlossenheit, Offenheit, Vielfalt.

Nun, ja vor allem beraubt er die Köpfe seiner Anhänger dieser Dinge. Wo aber ist die größte Gefahr für diese Wirklichkeits-Reduktion zu finden - in der Geschichte und den Institutionen:

„Die individualistische Demokratie löscht jede Institution aus die unwiderrufliche Verpflichtung und Kontinuität bedeutet, die dem flüchtigen Netz der Tage nicht gehorchen will. Der Demokrat lehnt das Gewicht der Vergangenheit ab und nimmt das Risiko der Zukunft nicht auf sich. Sein Wille versucht, die vergangene Geschichte auszulöschen und die künftige Geschichte ohne Hemmnis zu gestalten. Unfähig zur Treue gegenüber einer von den Jahren übermittelten Unternehmung, stützt sich ihre Gegenwart nicht auf die Dichte der Zeit; ihre Tage erhoffen die Diskontinuität einer unheilvollen Uhr.“

Das Scheitern und die Erinnerung daran ereignen sich in der Geschichte. Daher wird jedes euphorisierte Fehl-Bewußtsein die Geschichte „notwendigerweise zurechtstutzen und verletzen“. Es bleibt dabei aber nicht stehen. Das falsche Bewußtsein führt zu irrigen Tat:

„Der Boden, auf den sie sich stützen, scheint ihnen das widernatürliche Hindernis für ihre Träume zu sein. Das Delirium einer absoluten und irdischen Vollkommenheit treibt sie zu jähzornigen Rebellionen. Die unehrerbietige Zweideutigkeit des Lebens entzündet die Wut ihrer kindischen und mitleidigen Herzen.“ 

Sie betrachten „die Verderbtheit der Welt als unerträglich und zufällig“. „Im Bestreben also, sie zu verwandeln, um ihr den hypothetischen ursprünglichen Glanz wiederzugeben, vermögen sie doch nur, das zerbrechliche Gebäude zu zertrümmern, das einst die demütige Geduld anderer Menschen auf der fruchtlosen Substanz der menschlichen Natur errichtete.“



Wir sind am Ende irgendwie; nein, denn es fehlt doch noch das weite Feld des Positiven (und dies ist keine versprochene Mohrrübe). Es gäbe auch ein paar Einwände, seitens des Liberalismus etwa die metaphysisch schwach begründete (sagt Dávila) Idee von den Menschenrechten und vom Konstitutionalismus, denen man nachgehen könnte.

Aber er war bisher schon sehr hilfreich, warum der Begriff der „Volkssouveränität“ sich als gedanklicher Taschenspielertrick entpuppt etwa, als Illusion von der Menschenmachbarkeit der Welt. Und auf der Ebene des Alltags wird einem auf einmal klar, warum Demokratie als anstrengungsloses Rechthaben oft dieses retardierend Regressive, ja Infantile an sich hat. Aber das sind Nebensächlichkeiten.

So stehen wir also auf dem erhöhten Standort, zu dem uns Dávila geführt hat, haben die Religion der Furcht hinter uns gelassen, und jetzt?

Deuten wir an, in welche Richtung ein weiterer Gedankengang weiterschreiten müßte, nachdem wir die Gegenwart gewissermaßen hinter uns gelassen haben. Es geht ums Verstehen zunächst. Verstehen heißt nicht Sammeln und Einordnen, sondern das Wiedererkennen eines Zustandes, in dem Wert und Sein verschmolzen sind. Freiheit ist das Verhalten einem Wert gegenüber. „Freiheit, die sich selbst bestimmt, bestimmt sich zu nichts.“

Es geht um Erinnerung, die Erinnerung an die aufgespeicherte Substanz, die menschliches Ringen der Absurdität des Daseins in Jahrtausenden abgerungen hat:
„Die Tradition als Summe historischer Situationen ist Leben, das das Individuum in seiner konkreten Situation übernimmt, um sich in eine allgemeine konkrete Situation zu setzen, in der es mit der Legitimität des Erbes die Authentizität der Geschichte findet.“
„Wir sind alle Substanz der Jahrhunderte in der Gestalt von Augenblicken.“

Und es geht um eine Einladung ins Offene, des Denkens, der Existenz, eine Wendung ins Unbekannte, dem man ohne Furcht entgegentreten kann, denn:
„Der Mensch ist das zwischen Präsenzen und Schatten hausende Tier. Der Mensch ist die  Existenz, die die Grenzen ihres ursprünglichen Raumes überwindet. Der Mensch ist das Bewußtsein von viel mehr als seinem Leben.“



beendet am 7. Juni

Samstag, 18. Mai 2013

Nicolás Gómez Dávila


Nicolás Gómez Dávila, 1930

Sobald Menschen auch nur an Religion denken, werden sie dümmer, wollten kürzlich einige Kanadier glauben machen. Ich will mich zu dieser „Studie“ nicht weiter auslassen, über methodisch Fragwürdiges oder Ähnliches etwa (ich hatte es hier versucht), aber sie paßt so perfekt in das gegenwärtige Dahinplätschern des Zeitgeistes.

Nicolás Gómez Dávila, geboren vor genau 100 Jahren in Bogotá, meinte, das exakte Gegenteil stünde der Wahrheit zur Seite. Der vergessende Mensch der Moderne (und was er vergißt, ist vor allem alles, was religiöse Suche über die Natur des Menschen in Jahrtausenden herausgefunden hat) sinke ab in einen Morast aus Leere, Triebabfuhr und gefesseltem Denken (vulgo Ideologien). Die Moderne verfehle die Natur des Menschen.

Es ein wenig so, wie wenn man als völlig indoktriniertes Kind (die Inhalte sind austauschbar, wie wir sehen werden) glaubhaft und befreiend aufgezeigt bekäme, es ist fast alles ganz anders, in Wirklichkeit. Zum Glück sind wir dieses Kind nicht. Aber wir leben in dieser konkreten Zeit und müssen ihre Begleitgeräusche jeden Tag zu ertragen üben, und dagegen ist „volkstümliche Volksmusik“ sozusagen noch Musik.

Da hilft dann ein Mozart oder eben ein Dávila. Ihn zu lesen ist ein großes Vergnügen. Dávilas geschliffene Aphorismen durchschneiden wie ein Dolch beiläufig das Gewebe der Phrasen und zweifelhaften Sicherheiten, die uns derzeit das Wesen der Dinge zu verhüllen suchen. Aber über ihn zu schreiben zu versuchen, das schüchtert ein.

Daß er sich vor allem aphoristisch mitteilte, gehört seinem Denken wesensmäßig an (was es nicht einfacher macht, wie mir vor 2 Jahren bereits auffiel). Es ist erstaunlich, Plato schrieb Dialoge, der Aristokrat Heraklit hat vielleicht Aphorismus und Paradoxie nicht erfunden, aber wohl als erster in unserem Abendland zum Leuchten gebracht. Es ist eine andere Art des Denkens, die das abgeschlossene System nicht braucht, weil sich ein solches doch gerade gegen das abschließen muß, was es zu erforschen vorgibt.

„Das Universum ist nicht System, das heißt: logischer Zusammenhang. Sondern hierarchische Struktur von Paradoxen.“
„Der Mensch kann sich gegen die Inkohärenz des Universums nur mittels einer analogen Inkohärenz schützen.“

Dávila weiß um die Fragwürdigkeit eines jeden Denkens, das die Wirklichkeit voreilig in dem Korsett eigener Vorstellungen unterbringen will. Das gelingt nur mit einem Selbstbewußtsein, das nicht dominiert wird von Weltbewußtsein, Selbstsuggestion und radikaler Weltvereinfachung (womit z.B. Puritaner, Calvinisten, kirchliche und andere Ikonoklasten nicht nur die Kirchen entleeren konnten). Zu diesem Selbstbewußtsein zählt auch ein äußerst beschränkter Mitteilungsdrang.

Er wurde fast zufällig „bekannt“. Um ein sprachlich leicht geschmacksunsicheres Bild zu gebrauchen: Dávila ist wie ein Hochgebirge über einer versumpften Ebene. Also nichts, das meint, etwas beweisen zu müssen. Er ist einfach anwesend. Und das genügt.

Der Mensch

Offen gestanden, kann ich es nicht leiden, wenn mir jemand erklärt, dieser oder jener sei höchst bedeutsam, ohne zumindest zu versuchen, mir die Gründe dafür auszubreiten. An diesem Punkt sind wir gerade, also, nun gut. Versuchen wir, die Spur seines Denkens aufzunehmen.

Der Mensch: Dávila setzt ein, mit einem sehr wachen, inzwischen ungewohnten Blick auf dessen wirkliche Existenz: „Dem Sein wohnt keine Grenze inne, kein Verlangen erklärt sich selbst für befangen.“ Doch dieses Verlangen stößt auf Ablehnung, Begrenzung. Jedes Subjekt lebt in einem Winkel eindringender Begrenzungen, in der Spannung anstürmender Konflikte.

„Die Gewalt, der grausame Diener der durch die Grenze bestimmten Essenz der Dinge, bestimmt die Normen der aktualisierten Existenz.“ „Alles in der Welt ist Grenze, Zielpunkt, Ende.“ 

Das gilt für alles Lebendige, was aber die Existenz des Menschen absurd macht, ist, daß er nicht nur ein Bewußtsein dessen hat, sondern eines, das über diese Gegebenheit hinausreicht. Je bewußter er sich seiner wird, je mehr er Mensch wird, um so weniger kann er sich in der Welt erträglich einrichten. Er vermag in Wahrheit nicht, in sich zu ruhen, immer taumelt er an der Grenze seiner selbst.

„Der Mensch ist ein verlorenes Tier, ohne ein verlassenes Tier zu sein. Der Mensch weiß nicht, wohin er gehen soll, gleichwohl hat er die Pflicht, anzukommen.“ 

Die Absurdität seiner Existenz ist aber keine äußerliche Angelegenheit, nichts, das sich abstreifen ließe, oder innerweltlich erlösen. Die Situation des Menschen ist nichts Äußerliches, Zufälliges, sie ist die Natur des Menschen. Er ist keine reine Essenz, die einer unreinen und fremden Existenz unterworfen wäre.

„Der Mensch ist die Unreinheit seiner menschlichen Natur selbst“, er ist „seine gebrochene und zerstörte Bedingtheit“. Das Scheitern ist die Substanz seines Lebens. „Das Bewußtsein ist Strukturierung der Ohnmacht und des Scheiterns.“ Der bewußte Mensch wird sich seiner Bedingtheit bewußt, und seiner Ohnmacht. (Zitate aus Textos I, Karolinger – Verlag, 2003)

Weder Annahme noch Ablehnung dieser Einsicht sind eine Hilfe für den Menschen, Ablehnung würde Suizid bedeuten, Annahme ein „unmittelbares Vertieren“. Doch gibt es einen Ausweg für das Bewußtsein, das seine Bedingtheit akzeptiert, der Mensch kann „außerhalb jedes vorstellbaren Umstandes erlöst werden“.

Das ablehnende Bewußtsein aber meint, Essenz und Existenz des Menschen trennen zu können, indem letzteres zur zufälligen Situation erklärt wird, mit deren Veränderung auch die menschliche Natur verwandelbar wird. „Für das ablehnende Bewußtsein ist das begründende Prinzip reine Immanenz, und der Mensch kann nur im Rahmen seiner eigenen Natur erlöst werden.“ (ebenda)

Die Welt ist das, dem zu widerstehen ist, und im Widerstehen findet der Mensch sich oder ein Surrogat seiner selbst, entscheidend ist die Art des Widerstehens.

Ansichten der Wahrheit 

Ein Einschub. Eben erinnere ich mich, wie meine wissenschaftlicher gestimmten Freunde üblicherweise die Brauen hochziehen, wenn sie das Wort „Wahrheit“ im religiösen oder philosophischen Kontext hören. Zu meiner Freude bin ich gerade über zwei Zitate gestolpert, die ich früher schon einmal anbrachte und erneut nicht vorenthalten will, ich denke, sie führen weiter:

„Der Positivismus war weder bloße Philosophie noch reine Methodologie; er war eine jener Schulen des Argwohns, die in der 'modernen' Zeit ihre Blüten getrieben haben. Ist der Mensch denn tatsächlich in der Lage, mehr zu kennen als das, was seine Augen sehen oder seine Ohren hören können? Existiert eine andere Wissenschaft als die rein empirischen Wissens? Sind die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft ausschließlich den Sinnen unterworfen, und werden sie innerlich von den mathematischen Gesetzen bestimmt, die sich als besonders nützlich erwiesen haben, wenn es darum geht, die Phänomene auf rationale Weise zu ordnen oder aber die Prozesse des technischen Fortschritts zu lenken?

Aus positivistischem Blickwinkel machen Begriffe wie zum Beispiel Gott oder Seele selbstverständlich keinerlei Sinn. Im Bereich der sinnlichen Erfahrung haben sie eben keine Entsprechung.“ (Johannes Paul II. „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“)

„Es ist müßig, ständig von dem Gegensatz zwischen Vernunft und Glauben zu reden. Die Vernunft selbst ist eine Sache des Glaubens. Davon auszugehen, daß unsere Gedanken überhaupt in einer Beziehung zur Wirklichkeit stehen, ist ein Glaubensakt.“ (Gilbert Keith Chesterton, „Orthodoxie – Eine Handreichung für die Ungläubigen“)

„Definieren läßt sich der Mensch hingegen als Dogmen verfertigendes Tier. In dem Maß wie er Lehrsatz auf Lehrsatz und Schlußfolgerung auf Schlußfolgerung setzt, um die gewaltige Ordnung einer Philosophie oder Religion zu schaffen, wird er – in dem einzig legitimen Sinn, den das Wort haben kann – immer mehr zum Menschen. Läßt er als ausgefuchster Skeptiker eine Lehre nach der anderen fallen; lehnt er es ab, sich an ein System zu binden... erklärt er, er glaube nicht an Zweckbestimmung; sieht er sich in Gedanken als Gott, der selbst keinerlei Glauben hat, aber auf alle Religionen hinabblickt, - dann sinkt er nach und nach zurück in die Unentschiedenheit der streunenden Tiere und die Bewußtlosigkeit der Gräser. Bäume haben keine Dogmen. Rüben sind extrem weitherzig.“ (Gilbert Keith Chesterton, „Ketzer – Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter“)

Bevor wir uns aber den Wegen des rebellierenden Bewußtseins nähern, wäre doch endlich die Frage zu stellen (sie ist natürlich schon halb beantwortet), was denn den Menschen, dessen Existenz naturgemäß absurd ist, in diese Bredouille gebracht hat. Es war natürlich Gott.

Gott

Von Augustinus gibt es das schöne Wort „homo desiderium dei.“ – „Der Mensch ist die Sehnsucht nach Gott" oder „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes", es läßt sich in beide Richtungen übersetzen und beides ist wahr. Hinzu paßt ein anderes: „Kehre zu dir selbst zurück; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du entdeckst, daß deine Natur wandelbar ist, gehe über dich selbst hinaus.“

Dávila sagt es leicht abgewandelt. Nach ihm ist Gott die Essenz der Mensch-Werdung, ein Vorgang, der aus biologischer Determiniertheit heraus nicht erklärt werden kann; im Gegenteil, ein Bruch, eine Spannung entsteht: Ein Organismus verweigert sich der Logik seiner tierhaften Existenz, er bricht die biologische Kontinuität. Mit dem Aufstieg aus der „dichten Tierhaftigkeit“ kommt es zur Geburt Gottes, sein Wesen ist in diesem Aufstieg des Menschen. Gott bedarf des Menschen zu seiner Existenz, aber er geht nicht aus ihm hervor, ja er mutet ihm die Freiheit zu, das rein Biologische zu übersteigen.

Wem hier etwas schwindlig wird, dem sei versichert, er steht nicht allein. Allein schon hier wird deutlich, daß ein Etikett wie „katholischer Denker“ ein wenig zu klein für Dávila ist. Allerdings ist es ist auch eine Herausforderung, die Gedanken Dávilas so nachzuzeichnen, daß man sie selbst versteht. Ich bezweifle, daß mir dies bisher hinreichend gelungen ist, oder in seinen Worten:

„Meine einzige Angst ist die, daß meine Mittelmäßigkeit entwürdigen könnte, was ich bewundere.“

1. Teil, beendet am 23. Mai, wird fortgesetzt
2. Teil, beendet am  7. Juni, hier

Samstag, 21. Mai 2011

Nachträge





„Wenn wir auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“
Römer 8,25

Das ist der Lehrtext für Sonntag, also der ergänzende Text, der den Herrnhuter Losungen beigefügt wird. Hm. Wie auch immer. “Einmal souverän, hängt der Mensch nur noch von seinen Launen ab.“ Einmal mehr ein Zitat von Nicolás Gómez Dávila, ich wollte heute eigentlich ein paar Nachträge anbringen, bin aber irgendwie dafür zu sehr in die Müdigkeit abgesunken. Also wieder nur diese Bilder. Das letzte davon ist insofern kurios als es von Freitagabend stammt. Etwa 7 Minuten Fußweg entfernt von diesem Haus ließ mich ein Gewitter + Wolkenbruch (man bekam einen Ahnung, wie das Wort zustande gekommen ist) für vielleicht eine ¾ Stunde Zuflucht an einem überdachten Ort suchen, zum Glück hatte ich den obengenannten Herrn dabei, das machte dann die Lektüre umso eindrucksvoller.

Dienstag, 17. Mai 2011

Nicolás Gómez Dávila

„Im vergangenen Jahrhundert konnte man befürchten, daß die modernen Ideen recht haben würden. Heute sehen wir, daß sie sich nur durchgesetzt haben.“
„Dem Demokraten genügt es nicht, daß wir respektieren, was er mit seinem Leben machen will, er verlangt darüber hinaus, daß wir respektieren, was er mit uns machen will.“
„Solange die Demokratie ihn nicht bemerkt, kann der kultivierte Mensch in demokratischen Zeiten überleben.“

Seit Heraklit wissen wir, daß das Denken scheitert, wenn es nicht wesentlich genug ist, sich von seiner Umgebung zu emanzipieren. Nicolás Gómez Dávila wurde am 18. Mai 1913 in Bogotá geboren und starb dort am 17. Mai 1994. Er ist einer der originellsten Denker, die das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat, es gibt nur wenige, die sich derart eloquent und geistsprühend gegen die Grundströmung der letzten sagen wir 250 Jahre gewandt haben. Diese Haltung ist so abgedrängt, daß sie folglich auch auf kein begriffliches Instrumentarium zurückgreifen könnte, das nicht längst denunziert wäre. Gómez Dávila hat dies provokationsfreudig einfach gewendet und sich kurzerhand zum Reaktionär erklärt:

„Das Individuum, das eine authentische Berufung hat, ist reaktionär, welcher Art die Überzeugungen auch seien, die es hegt. Demokrat ist, wer erwartet, daß die Außenwelt ihm Ziele setzt.“

Damit haben seinen Gegenbegriff – die „Demokratie“. Jetzt könnte man sich natürlich darüber entsetzen, wie er es bei der herrschenden Zeitströmung seinen Gegnern so leicht machen kann, ihn zu marginalisieren, indem er diesen „heiligen“ Begriff besudelt. Aber das war ihm wohl zum ersten herzlich gleichgültig und dann ist nach seiner Überzeugung eben das der Kern des Übels. „Demokratie“ ist eine verheimlichte Religion, eine falsche zumal. Denn:

„Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.“ „Der Mensch ist Geschöpf oder Gott.“
„Die Demokratie ist eine anthropotheistische Religion. Ihr Prinzip ist eine Option religiösen Charakters, ein Akt, in dem der Mensch den Menschen wie Gott annimmt. Ihre Doktrin ist eine Theologie des göttlichen Menschen, ihre Ausübung ist die Verwirklichung dieses Prinzips im Verhalten, in den Institutionen und in den Werken.“
„Die Demokratie ist atheistisch weil sie es unmittelbar nötig hat, daß es Gott nicht gibt. Wenn es Gott gäbe, wäre der Mensch seine Kreatur. Die Demokratie muß an den Fortschritt glauben um dem Menschen zu versichern, daß sie das Universum verändern kann und es schaffen wird, es nach Maßgabe ihrer Vorstellungen zu gestalten.“

Was ermutigt die sich selbst so bezeichnende Vernunft in dem Glauben, der Transzendenz standhalten zu können? Nach Gómez Dávila ist der Mensch der Moderne ein Wesen ohne Gespür für Verantwortung aus plumper Hybris, da er sich, so etwa wie ein amerikanischer Soldat, der sich mal eben eine Kaiserkrone aufstülpt, an die Stelle Gottes setzt. Und daher bringt eben dieser Mensch regelmäßig Illusionsgebäude und Denksysteme hervor, mit denen die Welt unterworfen und umgeformt werden soll, ob nun liberalistische, marxistische, kapitalistische oder irgendwelche andere mit dieser Endung. Diese Utopie der Selbsterlösung beschränkt sich keineswegs auf abartig Erscheinendes. Und darum ist dann die Aufklärung nur wieder eine dieser neu aufgehübschten Irrlehren, diesmal einmal mehr von Herrn Pelagios.

„Der Subjektivismus ist die Garantie, die der Mensch sich erfindet, wenn er aufhört, an Gott zu glauben.“
„Der größte moderne Irrtum besteht nicht in der These vom toten Gotte, sondern im Glauben, daß der Teufel tot sei.“
„Wenn der Mensch sich nicht von den Göttern in Zucht nehmen läßt, dann nehmen ihn die Dämonen in Zucht.“
„Das religiöse Leben beginnt, wenn wir entdecken, daß Gott nicht ein Postulat der Ethik ist, sondern das einzige Abenteuer, in das es sich zu stürzen lohnt.“

All dies ist gewonnen aus der Eingebung oder Erkenntnis, daß alle wesentlichen Irrtümer theologische Irrtümer sind:
„Es gibt keine universal gültigen Deutungen. Eine religiöse Deutung ist grotesk in einem profanen Kontext, so wie eine profane Deutung grotesk ist in einem religiösen Kontext. Dort sind nur wissenschaftliche Kategorien brauchbar; hier ist alles Zeichen, Symbol, Sakrament.“
„Der Ungläubige stellt sich vor, daß die Religion Lösungen zu geben versucht, während der Gläubige weiß, daß sie nur Rätsel zu vermehren verspricht.“

Aber er ist wachsam:

„Nichts Gefährlicheres für den Glauben als mit Gläubigen Umgang zu haben. Der Ungläubige kräftigt unseren Glauben.“

Was meint die Gestalt des „Reaktionärs“, über die Provokation hinaus, zum ersten ist es die Überzeugung, daß man zumindest gedanklich mit der erstickenden Gegenwart brechen kann, etwa indem man auf das blickt, was sie vergessen zu machen sucht

„Die Beklemmung angesichts des Untergangs der Zivilisation ist eine reaktionäre Betrübnis.
Der Demokrat kann nicht das Verschwinden von dem beklagen, was er nicht kennt.“
„Kultur hat jener Mensch, bei dem der Lärm der Lebenden nicht das Raunen der Toten verdrängt.“
„Ich gehöre nicht einer Welt an, die untergeht. Ich verlängere und übermittle eine Wahrheit, die nicht stirbt.“

Und es ist eine essentiell andere Art des Denkens, wir erinnern uns wieder an Heraklit?
„Der Glaube an den Fortschritt ist das Kind der Unkenntnis der Geschichte.“
„Das Universum ist nicht System, das heißt: logischer Zusammenhang. Sondern hierarchische Struktur von Paradoxen.“
„Der Mensch kann sich gegen die Inkohärenz des Universums nur mittels einer analogen Inkohärenz schützen.“
„Reaktionär sein heißt nicht an bestimmte Lösungen glauben, sondern ein scharfes Gespür für die Komplexität der Probleme zu haben.“

Nichts wäre ferner, als aus all dem zu schließen, er würde damit ein politisches Programm verbreiten wollen. Es geht um eine Lebenshaltung, besser, eine Überlebens-Haltung. Er will auch gerade nicht ein Gegen-System konstruieren, denn er ist aus den genannten Gründen mehr als skeptisch gegenüber diesen Konstrukten. Er entkleidet einfach die selbstgefällige Selbstgewißheit der Gegenwart ihrer falschen Selbstverständlichkeit, und er liefert seine überraschenden Einsichten in höchst geschliffenen Formulierungen:

„Die demokratische Gesellschaft begnügt sich selbst im besten Fall damit, das Zusammenleben zu sichern.“
„Die aristokratischen Gesellschaften dagegen errichten auf der menschlichen Scholle einen Palast von Zeremonien und Riten, um den Menschen zu erziehen.“ „Das Leben ist eine Werkstatt von Hierarchien. Allein der Tod ist Demokrat.“
„Die Zivilisation ist nicht eine endlose Folge von Erfindungen, sondern die Aufgabe, den Fortbestand gewisser Dinge zu sichern.“

„Wer nicht bereit ist, von Zeit zu Zeit seine Prinzipien zu verletzen, endet eher als Mörder denn als Märtyrer.“
„Nicht eine Restauration ersehnt der Reaktionär, sondern ein neues Wunder.“

Wenn man denn diesen Begriff verwenden will, emanzipiert er sich von der Gegenwart, oder besser, es ist eine Art transzendierendes Denken, und ein sehr freies Denken, das kein System braucht, nicht von ungefähr daher der aphoristische Stil. Übrigens gibt es von Jens Jessen einen immer noch lesenswerten Artikel in der „Zeit“ aus dem Jahre 2004: „Der letzte Reaktionär - Die Demokratie ist das Tabu des Westens.“ Und auch der Wikipedia-Artikel ist derzeit erstaunlich solide gearbeitet.

Seine Angriffslust hat mitunter etwas geradezu erheiterndes, mindestens aber aufmunterndes:

„Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.“
„Die Dummheit des Alters hält sich für Weisheit, die des Erwachsenen für Erfahrung und die der Jugend für genial.“
„Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, daß er sich findet.“

Der Gedanke der Volkssouveränität ist ihm deshalb suspekt, weil er nur einen Souverän kennt, Gott. Und der Mensch ist eingebunden in eine Seinsordnung, auf die hin er sein Leben auszurichten hat, wenn er es nicht verfehlen will, darum:

„Die Zustimmung des Volkes ist ein Anzeichen der Legitimität, aber nicht ihre Ursache. In der Auseinandersetzung über die Legitimität der Macht zählen weder ihr Ursprung im Votum noch ihr Ursprung in der Gewalt. Legitim ist die Macht, die den Auftrag erfüllt, den ihr die vitalen und ethischen Erfordernisse einer Gesellschaft erteilen.“
„Die Mehrheit der Menschen hat kein Recht, ihre Meinung zu äußern, sondern zuzuhören.“

Und den Revolutionsromantikern entgegnet er scharf:
„Jede Revolution verschärft die Übelstände, gegen die sie ausbricht.“

„Demokratie“ ist für ihn ein Begriff des sich selbst ermächtigenden Menschen, dem im Grunde alles lästig ist, was er von außen auferlegt fühlt - Tradition, Institutionen, Konventionen, Religion… Und daher diese untergründige Tendenz, all dies, wenn nicht auszulöschen, dann doch wenigstens wirkungslos zu machen:

„Die Demokratie hat den Terror als Mittel und den Totalitarismus als Zweck.
Die linken Ideologien sind die Strategie, mit der das Kleinbürgertum sich der Welt bemächtigt hat.“
„Den Linken, der gleichermaßen gegen linke und gegen rechte Verbrechen protestiert, nennen seine Kameraden mit Recht reaktionär.“ Hingegen ist der Reaktionär der Wächter des Erbes. „Selbst des Erbes des Revolutionärs.“
„Der Haß auf die Vergangenheit ist ein eindeutiges Symptom einer Gesellschaft, die verpöbelt.“

Und noch ein paar sozusagen Scholien, mein Gott, welche Traurigkeit in diesem Begriff wohnt.

„Das Wesen der Oberflächlichkeit ist der Haß auf die Widersprüche des Lebens.“
„Die Einbildungskraft ist die Wahrnehmung dessen, was der gewöhnlichen Wahrnehmung entgeht.“
„Die Wahrheit mag den Ausschlag geben.
Aber nur der Stil rettet.“
„Das Wissen um persönliche Würde entspringt im Individuum aus dem Gefühl seiner Verschiedenheit.“
„Die Seele ohne Disziplin löst sich in einer larvenhaften Häßlichkeit auf.“
„Der Mensch gewöhnt sich mit entsetzlicher Leichtigkeit an die absolute Häßlichkeit und an das reine Böse.“

Vermutlich ist dies einer der Schlüssel dafür zu verstehen, was unsere Städte beängstigend oft derart häßlich gemacht hat, weil etwas in den Seelen der Erbauer dies ermöglichte. Sie wurden unerfahren im Schönen. Manche seiner Gedankengänge sind einfach atemberaubend:

„Die Seele ist nicht im Körper, sondern der Körper ist in ihr.
Aber wir ertasten sie im Körper.
Das Absolute ist nicht in der Geschichte, sondern die Geschichte in ihm.
Aber wir entdecken es in der Geschichte.“

Es liegt eine große Melancholie in seinen Worten, die Melancholie dessen, der zusieht wie Jahrhunderte, mit denen er wohl vertraut ist, ins Vergessen sinken, Jahrhunderte, gefüllt mit Erkenntnissen, Gewißheiten, Schönheit.

Denn

„Die Ideen blühen als siegreiche oder unterdrückte, aber verwelken als tolerierte.“

Doch

„Die Wahrheiten sterben nicht, doch sie welken zuweilen.“

Und

„Der Unglaube ist nicht Sünde, sondern Strafe.“

Heraklit hätte sich prächtig mit ihm verstanden.