„Im vergangenen Jahrhundert konnte man befürchten, daß die modernen Ideen recht haben würden. Heute sehen wir, daß sie sich nur durchgesetzt haben.“
„Dem Demokraten genügt es nicht, daß wir respektieren, was er mit seinem Leben machen will, er verlangt darüber hinaus, daß wir respektieren, was er mit uns machen will.“
„Solange die Demokratie ihn nicht bemerkt, kann der kultivierte Mensch in demokratischen Zeiten überleben.“
Seit Heraklit wissen wir, daß das Denken scheitert, wenn es nicht wesentlich genug ist, sich von seiner Umgebung zu emanzipieren. Nicolás Gómez Dávila wurde am 18. Mai 1913 in Bogotá geboren und starb dort am 17. Mai 1994. Er ist einer der originellsten Denker, die das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat, es gibt nur wenige, die sich derart eloquent und geistsprühend gegen die Grundströmung der letzten sagen wir 250 Jahre gewandt haben. Diese Haltung ist so abgedrängt, daß sie folglich auch auf kein begriffliches Instrumentarium zurückgreifen könnte, das nicht längst denunziert wäre. Gómez Dávila hat dies provokationsfreudig einfach gewendet und sich kurzerhand zum Reaktionär erklärt:
„Das Individuum, das eine authentische Berufung hat, ist reaktionär, welcher Art die Überzeugungen auch seien, die es hegt. Demokrat ist, wer erwartet, daß die Außenwelt ihm Ziele setzt.“
Damit haben seinen Gegenbegriff – die „Demokratie“. Jetzt könnte man sich natürlich darüber entsetzen, wie er es bei der herrschenden Zeitströmung seinen Gegnern so leicht machen kann, ihn zu marginalisieren, indem er diesen „heiligen“ Begriff besudelt. Aber das war ihm wohl zum ersten herzlich gleichgültig und dann ist nach seiner Überzeugung eben das der Kern des Übels. „Demokratie“ ist eine verheimlichte Religion, eine falsche zumal. Denn:
„Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.“ „Der Mensch ist Geschöpf oder Gott.“
„Die Demokratie ist eine anthropotheistische Religion. Ihr Prinzip ist eine Option religiösen Charakters, ein Akt, in dem der Mensch den Menschen wie Gott annimmt. Ihre Doktrin ist eine Theologie des göttlichen Menschen, ihre Ausübung ist die Verwirklichung dieses Prinzips im Verhalten, in den Institutionen und in den Werken.“
„Die Demokratie ist atheistisch weil sie es unmittelbar nötig hat, daß es Gott nicht gibt. Wenn es Gott gäbe, wäre der Mensch seine Kreatur. Die Demokratie muß an den Fortschritt glauben um dem Menschen zu versichern, daß sie das Universum verändern kann und es schaffen wird, es nach Maßgabe ihrer Vorstellungen zu gestalten.“
Was ermutigt die sich selbst so bezeichnende Vernunft in dem Glauben, der Transzendenz standhalten zu können? Nach Gómez Dávila ist der Mensch der Moderne ein Wesen ohne Gespür für Verantwortung aus plumper Hybris, da er sich, so etwa wie ein amerikanischer Soldat, der sich mal eben eine Kaiserkrone aufstülpt, an die Stelle Gottes setzt. Und daher bringt eben dieser Mensch regelmäßig Illusionsgebäude und Denksysteme hervor, mit denen die Welt unterworfen und umgeformt werden soll, ob nun liberalistische, marxistische, kapitalistische oder irgendwelche andere mit dieser Endung. Diese Utopie der Selbsterlösung beschränkt sich keineswegs auf abartig Erscheinendes. Und darum ist dann die Aufklärung nur wieder eine dieser neu aufgehübschten Irrlehren, diesmal einmal mehr von Herrn Pelagios.
„Der Subjektivismus ist die Garantie, die der Mensch sich erfindet, wenn er aufhört, an Gott zu glauben.“
„Der größte moderne Irrtum besteht nicht in der These vom toten Gotte, sondern im Glauben, daß der Teufel tot sei.“
„Wenn der Mensch sich nicht von den Göttern in Zucht nehmen läßt, dann nehmen ihn die Dämonen in Zucht.“
„Das religiöse Leben beginnt, wenn wir entdecken, daß Gott nicht ein Postulat der Ethik ist, sondern das einzige Abenteuer, in das es sich zu stürzen lohnt.“
All dies ist gewonnen aus der Eingebung oder Erkenntnis, daß alle wesentlichen Irrtümer theologische Irrtümer sind:
„Es gibt keine universal gültigen Deutungen. Eine religiöse Deutung ist grotesk in einem profanen Kontext, so wie eine profane Deutung grotesk ist in einem religiösen Kontext. Dort sind nur wissenschaftliche Kategorien brauchbar; hier ist alles Zeichen, Symbol, Sakrament.“
„Der Ungläubige stellt sich vor, daß die Religion Lösungen zu geben versucht, während der Gläubige weiß, daß sie nur Rätsel zu vermehren verspricht.“
Aber er ist wachsam:
„Nichts Gefährlicheres für den Glauben als mit Gläubigen Umgang zu haben. Der Ungläubige kräftigt unseren Glauben.“
Was meint die Gestalt des „Reaktionärs“, über die Provokation hinaus, zum ersten ist es die Überzeugung, daß man zumindest gedanklich mit der erstickenden Gegenwart brechen kann, etwa indem man auf das blickt, was sie vergessen zu machen sucht
„Die Beklemmung angesichts des Untergangs der Zivilisation ist eine reaktionäre Betrübnis.
Der Demokrat kann nicht das Verschwinden von dem beklagen, was er nicht kennt.“
„Kultur hat jener Mensch, bei dem der Lärm der Lebenden nicht das Raunen der Toten verdrängt.“
„Ich gehöre nicht einer Welt an, die untergeht. Ich verlängere und übermittle eine Wahrheit, die nicht stirbt.“
Und es ist eine essentiell andere Art des Denkens, wir erinnern uns wieder an Heraklit?
„Der Glaube an den Fortschritt ist das Kind der Unkenntnis der Geschichte.“
„Das Universum ist nicht System, das heißt: logischer Zusammenhang. Sondern hierarchische Struktur von Paradoxen.“
„Der Mensch kann sich gegen die Inkohärenz des Universums nur mittels einer analogen Inkohärenz schützen.“
„Reaktionär sein heißt nicht an bestimmte Lösungen glauben, sondern ein scharfes Gespür für die Komplexität der Probleme zu haben.“
Nichts wäre ferner, als aus all dem zu schließen, er würde damit ein politisches Programm verbreiten wollen. Es geht um eine Lebenshaltung, besser, eine Überlebens-Haltung. Er will auch gerade nicht ein Gegen-System konstruieren, denn er ist aus den genannten Gründen mehr als skeptisch gegenüber diesen Konstrukten. Er entkleidet einfach die selbstgefällige Selbstgewißheit der Gegenwart ihrer falschen Selbstverständlichkeit, und er liefert seine überraschenden Einsichten in höchst geschliffenen Formulierungen:
„Die demokratische Gesellschaft begnügt sich selbst im besten Fall damit, das Zusammenleben zu sichern.“
„Die aristokratischen Gesellschaften dagegen errichten auf der menschlichen Scholle einen Palast von Zeremonien und Riten, um den Menschen zu erziehen.“ „Das Leben ist eine Werkstatt von Hierarchien. Allein der Tod ist Demokrat.“
„Die Zivilisation ist nicht eine endlose Folge von Erfindungen, sondern die Aufgabe, den Fortbestand gewisser Dinge zu sichern.“
„Wer nicht bereit ist, von Zeit zu Zeit seine Prinzipien zu verletzen, endet eher als Mörder denn als Märtyrer.“
„Nicht eine Restauration ersehnt der Reaktionär, sondern ein neues Wunder.“
Wenn man denn diesen Begriff verwenden will, emanzipiert er sich von der Gegenwart, oder besser, es ist eine Art transzendierendes Denken, und ein sehr freies Denken, das kein System braucht, nicht von ungefähr daher der aphoristische Stil. Übrigens gibt es von Jens Jessen einen immer noch lesenswerten Artikel in der „Zeit“ aus dem Jahre 2004: „Der letzte Reaktionär - Die Demokratie ist das Tabu des Westens.“ Und auch der Wikipedia-Artikel ist derzeit erstaunlich solide gearbeitet.
Seine Angriffslust hat mitunter etwas geradezu erheiterndes, mindestens aber aufmunterndes:
„Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.“
„Die Dummheit des Alters hält sich für Weisheit, die des Erwachsenen für Erfahrung und die der Jugend für genial.“
„Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, daß er sich findet.“
Der Gedanke der Volkssouveränität ist ihm deshalb suspekt, weil er nur einen Souverän kennt, Gott. Und der Mensch ist eingebunden in eine Seinsordnung, auf die hin er sein Leben auszurichten hat, wenn er es nicht verfehlen will, darum:
„Die Zustimmung des Volkes ist ein Anzeichen der Legitimität, aber nicht ihre Ursache. In der Auseinandersetzung über die Legitimität der Macht zählen weder ihr Ursprung im Votum noch ihr Ursprung in der Gewalt. Legitim ist die Macht, die den Auftrag erfüllt, den ihr die vitalen und ethischen Erfordernisse einer Gesellschaft erteilen.“
„Die Mehrheit der Menschen hat kein Recht, ihre Meinung zu äußern, sondern zuzuhören.“
Und den Revolutionsromantikern entgegnet er scharf:
„Jede Revolution verschärft die Übelstände, gegen die sie ausbricht.“
„Demokratie“ ist für ihn ein Begriff des sich selbst ermächtigenden Menschen, dem im Grunde alles lästig ist, was er von außen auferlegt fühlt - Tradition, Institutionen, Konventionen, Religion… Und daher diese untergründige Tendenz, all dies, wenn nicht auszulöschen, dann doch wenigstens wirkungslos zu machen:
„Die Demokratie hat den Terror als Mittel und den Totalitarismus als Zweck.
Die linken Ideologien sind die Strategie, mit der das Kleinbürgertum sich der Welt bemächtigt hat.“
„Den Linken, der gleichermaßen gegen linke und gegen rechte Verbrechen protestiert, nennen seine Kameraden mit Recht reaktionär.“ Hingegen ist der Reaktionär der Wächter des Erbes. „Selbst des Erbes des Revolutionärs.“
„Der Haß auf die Vergangenheit ist ein eindeutiges Symptom einer Gesellschaft, die verpöbelt.“
Und noch ein paar sozusagen Scholien, mein Gott, welche Traurigkeit in diesem Begriff wohnt.
„Das Wesen der Oberflächlichkeit ist der Haß auf die Widersprüche des Lebens.“
„Die Einbildungskraft ist die Wahrnehmung dessen, was der gewöhnlichen Wahrnehmung entgeht.“
„Die Wahrheit mag den Ausschlag geben.
Aber nur der Stil rettet.“
„Das Wissen um persönliche Würde entspringt im Individuum aus dem Gefühl seiner Verschiedenheit.“
„Die Seele ohne Disziplin löst sich in einer larvenhaften Häßlichkeit auf.“
„Der Mensch gewöhnt sich mit entsetzlicher Leichtigkeit an die absolute Häßlichkeit und an das reine Böse.“
Vermutlich ist dies einer der Schlüssel dafür zu verstehen, was unsere Städte beängstigend oft derart häßlich gemacht hat, weil etwas in den Seelen der Erbauer dies ermöglichte. Sie wurden unerfahren im Schönen. Manche seiner Gedankengänge sind einfach atemberaubend:
„Die Seele ist nicht im Körper, sondern der Körper ist in ihr.
Aber wir ertasten sie im Körper.
Das Absolute ist nicht in der Geschichte, sondern die Geschichte in ihm.
Aber wir entdecken es in der Geschichte.“
Es liegt eine große Melancholie in seinen Worten, die Melancholie dessen, der zusieht wie Jahrhunderte, mit denen er wohl vertraut ist, ins Vergessen sinken, Jahrhunderte, gefüllt mit Erkenntnissen, Gewißheiten, Schönheit.
Denn
„Die Ideen blühen als siegreiche oder unterdrückte, aber verwelken als tolerierte.“
Doch
„Die Wahrheiten sterben nicht, doch sie welken zuweilen.“
Und
„Der Unglaube ist nicht Sünde, sondern Strafe.“
Heraklit hätte sich prächtig mit ihm verstanden.
Dienstag, 17. Mai 2011
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3 Kommentare:
Mit dem ganz großen SOKRATES hätte sich DER REAKTIONÄR prächtig unterhalten, mit dem großen VorSokratiker HERAKLIT weniger!
Beim Wiener Karolinger-Verlag (verlag@karolinger.at)kann man jetzt bestellen: "SCHOLIEN: EIN NACHTRAG"
@anon 1 Wo ich dies durch Zufall nach 4 Jahren wieder lese (es war der Klassiker - ich suchte etwas im Internet...), bin ich wenigstens nicht beschämt, aber warum ich ihn damals so sehr dem Heraklit beigesellen wollte, verstehe ich heute nicht mehr ganz. Vielleicht war es die Haltung des aristokratischen Widerstehens, und was immer man Großartiges bei Sokrates finden kann, dies vielleicht doch eher nicht, wie auch immer. Es ist immer wieder unterhaltsam, wie wenig man mit sich selbst identisch bleibt.
Ich kann das jetzt nicht mehr rekonstruieren, bedaure aber, damals nicht darauf geantwortet zu haben, ich bitte somit für mein altes Ich um Entschuldigung.
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