Adolph Freiherr von Knigge (fälschlich fast nur als der Verfasser eines Benimmbuches bekannt, das er nie geschrieben hat) starb am 6. Mai 1796. Mein erster Impuls war, oh dein eigenes Exemplar von „Über den Umgang mit Menschen“ ist derart zerlesen, da sollte sich schnell ein kleines Florilegium zusammenstellen lassen. Denn obgleich er wohl ein Jakobiner war, das Buch ist immer noch eine Fundgrube, voll von verblüffenden Beobachtungen und zeitlos gültigen Ratschlägen, fast immer unterhaltsam, allerdings gelegentlich verfällt auch er doch ein wenig ins schwadronieren. Nun mein Problem, stellte sich heraus, war, ich fand das Buch nicht. Also mußte ich neu zu lesen beginnen, man kann es übrigens hier online finden. Und so gibt es nur ein paar Zitate aus dem 3. Teil.
Zu den Illustrationen: Ich mochte nicht übergehen, daß Franz von Lenbach, der bedeutende Porträtist Bismarcks am 6. Mai 1904 starb. Zu ihm wäre einiges zu sagen, wahrscheinlich würde jedoch sein Stern etwas heller strahlen, wenn er nicht der Versuchung nachgegeben hätte, sein Talent allzu freimütig auszubeuten. Aber das haben andere bekanntere Maler auch getan, man denke nur an Rubens oder Picasso. Diesmal also nur einige Bilder von Lenbach, die nachfolgenden Bemerkungen des Freiherrn flankierend.
„Beurteile nicht den moralischen Charakter des Gelehrten nach dem Inhalte seiner Schriften. Auf dem Papiere sieht der Mann oft ganz anders aus als in natura. Auch ist das so übel nicht zu nehmen. Am Schreibtische, wo man die ruhigste Gemütsverfassung wählen kann, wenn keine stürmischen Leidenschaften unsern Geist aus seiner Fassung bringen, da lassen sich herrliche moralische Vorschriften geben, die nachher in der wirklichen Welt, wo Reizung, Überraschung und Verführung von seiten der berüchtigten drei geistlichen Feinde uns hin und her treiben, nicht so leicht zu befolgen sind. Also soll man freilich den Mann, der Tugend predigt, darum nicht immer für ein Muster von Tugend halten, sondern auch bedenken, daß er ein Mensch bleibt, ihm wenigstens dafür danken, daß er vor Fehlern warnt, wenn er selbst auch nicht stark genug ist, diese Fehler zu vermeiden…“
„Eine andre Art von Ungerechtigkeit gegen Schriftsteller und Künstler begeht man, wenn man von ihnen erwartet, sie sollen auch im gemeinen Leben nichts als Sentenzen reden, nichts als Weisheit und Gelehrsamkeit predigen. Der Mann, der am glänzendsten von einer Kunst schwätzt, ist darum nicht immer der, welcher die gründlichsten Kenntnisse davon besitzt. Es ist nicht einmal angenehm und schmeckt nach Pedanterie, wenn wir jeden ohne Unterlaß von unsern eigenen Lieblingsbeschäftigungen unterhalten. Man geht in Gesellschaften, um sich zu zerstreun, um auch einmal andre als sich selber zu hören. Nicht jeder hat so viel Gegenwart des Geistes, mitten im Getümmel, und wenn er durch Fragen und Vorwitz überrascht wird, mit Würde und Bestimmtheit von Gegenständen zu reden, die er vielleicht zu Hause in seinem einsamen Zimmer mit der größten Klarheit durchschaut. Und dann gibt es auch Gesellschaften, in welchen die Leute so gänzlich anders als wir gestimmt sind, die Dinge von so durchaus andern Seiten ansehen, daß es nicht möglich ist, in dem ersten Augenblicke sich so zu fassen, daß man etwas Gescheutes auf das antworte, was sie uns vortragen.“
„Die unglückliche Polyhistorei, die Wut, auf allen Zweigen der Wissenschaften und Künste herumzuhüpfen, sich zu schämen, daß irgend etwas unter der Sonne sein dürfte, worüber wir nicht räsonieren konnten, ist nicht eben das, was unserm Zeitalter am mehrsten Ehre macht, und wenn es langweilig ist, einen Mann alle Gespräche auf seinen Lieblingsgegenstand lenken zu hören, so ist es mehr als langweilig, es ist empörend, wenn ein Schwätzer entscheidende Urteile über Dinge ausspricht, die gänzlich außer seinem Gesichtskreise liegen,… mich ekelt vor den allwissenden, rezitierenden jungen Herrn, mit denen man denn so zuweilen einmal das Unglück hat, in Gesellschaft zu kommen, die den bescheidenen, zweifelnden Forscher mit Machtsprüchen zu Boden schlagen und die, besonders wenn sie von liebenswürdigen gelehrten Damen amüsant gefunden, ganz unausstehlich werden.“
„Alle riechen den Weihrauch gern, der ihnen gestreut wird, aber nicht jeden darf man auf gleich grobe Art einräuchern. Der eine nimmt vorlieb, wenn Du es ihm grade in den Bart sagst: er sei ein großer Mann; der andre ist zufrieden, wenn Du nur ohne Widerspruch erlaubst, daß er dies selbst von sich sage; der dritte verlangt nichts von Dir als Hiobs Geduld, wenn er Dir seine elenden Produkte vorliest; den vierten kitzelt eine kleine vorteilhafte Anspielung auf irgendeine Stelle aus seinen Schriften; dem fünften behagt äußere ausgezeichnete Ehrerbietung, wenn auch von seiner Autorschaft nicht ausdrücklich Erwähnung geschieht, und ein sechster endlich – es sei mir erlaubt, neben diesem mein Plätzchen zu nehmen! – begnügt sich, wenn die wenigen Edeln ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen zu glauben, daß es ihm wenigstens um Wahrheit und Tugend zu tun sei, daß er nichts geschrieben habe, dessen sein Herz sich zu schämen brauchte, und daß, wenn seine Werke keine Meisterstücke sind, sie sich doch auch nicht ausschließlich zu Rosinentüten qualifizieren.“
„Auch kann ich das Zitieren und Berufen auf fremde Autoritäten wie überhaupt alles Prahlen und Schmücken mit fremden Federn nicht leiden. Das mittelmäßigste selbst Gedachte und mit Überzeugung Gefühlte ist für uns mehr wert als das Vortrefflichste, das wir bloß nachlallen.“
Ich sprach davon, daß er gelegentlich etwas in schwadronieren kommt (man blicke nur auf das Kapitel „Über den Umgang mit Frauenzimmern“), mitunter werden die Grenzen seines Denkhorizontes auch recht deutlich, etwa wenn er meint „daß die schönen Künste … am Ende zum Hauptzwecke nur das Vergnügen haben, folglich im Werte für das Glück der Welt den höhern, wichtigern, ernsthaftern Wissenschaften nachstehn müssen“. Das ist natürlich etwas platt, aber zumindest begründet er diese Auffassung ganz ordentlich und warnt dabei recht hübsch vor zuviel Kunstgenuß:
„Musik, Poesie, Schauspielkunst, Tanz und Malerei wirken freilich wohltätig auf das Herz. Sie machen es weich und empfänglich für manche edle Gefühle; sie erheben und bereichern die Phantasie, schärfen den Witz, erwecken Fröhlichkeit und Laune, mildern die Sitten und befördern die geselligen Tugenden. Allein eben diese herrlichen Wirkungen können, wenn sie übertrieben werden, mannigfaltiges Elend veranlassen. Ein zu weiches, weibisches, von allen wahren und eingebildeten, eignen und fremden Leiden in Aufruhr zu bringendes Gemüt ist wahrlich ein trauriges Geschenk; ein Herz, das, empfänglich für jeden Eindruck, wie ein Rohr von mannigfaltigen Leidenschaften hin und her zu bewegen, jeden Augenblick von andern sich durchkreuzenden Empfindungen hingerissen wird; ein Nervensystem, auf welchem jeder Betrüger, der nur den rechten Ton zu treffen weiß, nach Gefallen spielen kann – das alles wird uns sehr zur Last da, wo es auf Festigkeit, unerschütterlichen männlichen Mut, auf Ausdauer und Beharrlichkeit ankommt. Eine zu warme, zu hochfliegende Phantasie, die allen unsern geistigen Anstrengungen einen romanhaften Schwung gibt und uns in eine Ideenwelt versetzt, kann uns in der wirklichen Welt teils sehr unglücklich, teils zu gänzlich unbrauchbaren Menschen machen. Sie spannt uns zu Erwartungen, erregt Forderungen, die wir nicht befriedigen können, und erfüllt uns mit Ekel gegen alles, was den Idealen nicht entspricht, nach welchen wir in der Bezauberung wie nach Schatten greifen. Ein luxuriöser Witz, eine schalkhafte Laune, die nicht unter der Vormundschaft einer keuschen Vernunft stehen, können nicht nur leicht auf Unkosten des Herzens ausarten, sondern würdigen uns auch herab, verleiten zu Spielwerken, so daß wir, statt der höhern Weisheit und nüchternen Wahrheit nachzustreben und unsre Denkkraft auf wahrhaftig nützliche Gegenstände zu verwenden, nur den Genuß des Augenblicks suchen, und statt mitten durch die Vorurteile hindurch in das Wesen der Dinge einzudringen, uns bei den glänzenden Außenseiten verweilen.
Fröhlichkeit kann in Zügellosigkeit, in Streben nach immerwährendem Taumel übergehn. Milde Sitten verwandeln sich nicht selten in Weichlichkeit, in übertriebene Geschmeidigkeit, in niedre, unverantwortliche Gefälligkeit, die alles Gepräge von männlichem Charakter abschleifen und ein Leben, das bloß den geselligen Freuden und dem sinnlichen Vergnügen gewidmet ist, leitet uns fern von allen ernsthaften Geschäften, bei welchen der spätere, aber sichere, dauerndere Genuß durch Überwindung von Schwierigkeiten und durch anhaltende Arbeit und Anstrengung erkauft werden muß; es macht uns die für Geist und Herz so wohltätige Einsamkeit unerträglich, macht uns ein stilles häusliches, den Familien-und bürgerlichen Pflichten gewidmetes Dasein unschmackhaft – mit einem Worte, wer sich gänzlich den schönen Künsten widmet und mit den Priestern ihrer Gottheiten sein ganzes Leben verschwelgt, der wagt es darauf, sein eignes dauerhaftes Wohl zu verscherzen und wenigstens nicht so viel zur Glückseligkeit andrer beizutragen, als er nach seinem Berufe und nach seinen Fähigkeiten vermöchte.“
Dies alles war aus dem Kapitel „Über den Umgang mit Gelehrten und Künstlern“, nur aus diesem, weil ich ihn etwas zusammenhängender zu Wort kommen lassen wollte. Knigge hat am Ende des Buches recht überzeugend die rechtschaffenen Motive zusammengefaßt, die ihn bei der Abfassung seines Werkes bewegten, und in der Tat, es mag in dieser Hinsicht immer noch hilfreich sein:
„Ich verachte den Satz, daß man aus den Menschen machen könne, was man wolle, wenn man sie bei ihren schwachen Seiten zu fassen verstünde. Nur ein Schurke kann das und will das, weil nur ihm die Mittel zu seinem Zwecke zu gelangen, gleichgültig sind; der ehrliche Mann kann nicht aus allen Menschen alles machen und will das auch nicht; und der Mann von festen Grundsätzen läßt auch nicht alles aus sich machen. Aber das wünscht und das kann jeder Rechtschaffene und Weise bewirken, daß wenigstens die Bessern ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen; daß niemand ihn verachte; daß er Frieden von außen her habe; daß man ihn in Ruhe lasse; daß er Genuß aus dem Umgange mit allen Klassen von Menschen schöpfe; daß andre ihn nicht mißbrauchen oder bei der Nase herumführen.“
Freitag, 6. Mai 2011
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