Donnerstag, 25. September 2014

And did those feet... (Jerusalem)


Sir Charles Hubert Parry / William Blake - Jerusalem

William Blake 

And did those feet...
(Jerusalem)

And did those feet in ancient time,
Walk upon Englands mountains' green:
And was the holy Lamb of God,
On England's pleasant pastures seen!

And did the Countenance Divine
Shine forth upon our clouded hills?
And was Jerusalem builded here
Among these dark Satanic Mills?

Bring me my Bow of burning gold:
Bring me my Arrows of desire:
Bring me my Spear: O clouds unfold:
Bring me my Chariot of fire!

I will not cease from Mental Fight,
Nor shall my Sword sleep in my hand:
Till we have built Jerusalem
In Englands green and pleasant Land.

Glastonbury Tor

William Blake 

Und tat sein Fuß...
(Jerusalem)

Und tat Sein Fuß in alter Zeit
durch's Grün von Englands Bergen gehn?
Und ward das heil'ge Gotteslamm
auf Englands Weiden einst gesehn?

Und sah das göttliche Gesicht
durch uns'rer Hügel Wolkenmeer?
Und ward Jerusalem gebaut
nebst Satans schwarzen Mühlen her?

Bringt meines Bogens Goldesglühn;
bringt Pfeile mir, die ich erdacht;
bringt meinen Speer: Teilt, Wolken, euch:
Bringt meines Feuerwagens Macht!

Nicht lass' ich ab vom Geisteskampf,
nicht schlaf' das Schwert in meiner Hand,
bis wir Jerusalem erbaut
in Englands grünem, schönen Land.

übersetzt von Walter A. Aue

Glastonbury Abbey, vor 1900

Die Selbstbilder von Nationen sind immer herausfordernd, besonders, wenn man ihnen zufällig nicht angehört (es sei denn, man ist Deutscher). Gegenwärtig dürfen wir das am sich gerade rührenden russischen Imperiums-Verlustschmerz ablesen, aber es reicht weiter zu anderen einer gewissen Bedeutungsauszehrung anheim gefallenen europäischen Namen wie, ja Großbritannien, das so eben daran entlanggeschrammt ist, seinen nördlichen Teil zu verlieren, den es (sprich England) sich nun wirklich mit Jahrhunderte andauerndem Bemühen einverleibt hat. Der Verlust Neuenglands mochte noch angehen, schließlich fand man mit Indien vorübergehend interessanten Ersatz, aber Schottland!?

Wie man sieht, spiele ich auf das entsprechende Referendum der vergangenen Woche an, und ich mußte wahrlich mit meinem "inneren Schweinehund" kämpfen, nicht eine Abfolge der bekannteren patriotischen britischen Lieder (sowohl zuvor als auch danach) hier anzubringen, obwohl ich sie mir immer wieder einmal anhörte („I Vow to Thee, My Country“, „Land of Hope and Glory“ „Rule, Britannia!“, um einige zu nennen).

Man darf wohl jedenfalls sagen, daß sie ästhetisch zumeist leicht anspruchsvoller sind als manch anderes (erwähnt seien etwa die der Franzosen, die nur so von „unreinem Blut“ triefen), aber fast ist man auch versucht zu behaupten, letztlich erinnern sie ein wenig an die englischen Landsitze, die einen toskanischen Palast nachahmen wollen (nur daß nie einer von der Art Leonardos darin wohnte, als sehr abgekürzter Gedanke).

Obwohl die wiederum ihrerseits auch nur die alten römischen Vorfahren hatten übertreffen wollen (um noch weiter abzuschweifen; und ich darf schon jetzt versprechen, wenn ein Beitrag vor sich hin mäandern wird, dann dieser...). Insofern haben die Neuengländer mit ihren Nachahmungen das Muster gewissermaßen schon von ihrem Herkunftsland her mitgebracht, allerdings nahmen sie diese Serie zwar zunächst durchaus auf, haben sie dann aber doch äußerst nonchalant durchbrochen (siehe bspw. hierher, ich wundere mich immer noch, warum sie für den Sitz des Präsidenten ihrer imperialen Republik nicht längst etwas schick Neues aus Stahl und Beton substituiert haben).


Prognosen in Bezug auf die Zukunft sind immer schwierig, für die Vergangenheit ist das leichter. Das ist gar nicht als Paraphrase des beliebten Kalauers gemeint, sondern durchaus ernsthaft: Also der Führer (bzw. Herrscher, setzen wir einfach Richard III. als Platzhalter ein) ist tot - welche Varianten, mit dieser Tatsache umzugehen, kann es geben, es sind überschaubare Muster, die sich dort abwechseln werden..

Mit der Zukunft ist das schwieriger, jemand kann sich 100mal vorhersehbar aufführen, und beim 101. ist es ganz anders, und prompt haben wir den 1. Weltkrieg. Man hat jetzt eine Ahnung, was mir bei dem Referendum alles an spätem Groll, bekämpfter Genugtuung etc. etc. so durch den Kopf ging.

Und was mir, um auch das noch loszuwerden, in der Debatte vor allem auffiel, es ging sehr pragmatisch um Vor- und Nachteile vor allem sehr materieller Art, aber eine Idee vom Britisch-Sein scheint recht eigentlich nicht mehr zu bestehen, oder doch heftig zu zerbröseln. Neuseeland möchte jetzt ein wenig LOTRmäßig einen silbernen Farn auf schwarzem Feld zum neuen Feldzeichen erkiesen (und das von einem wiedergewählten Konservativen mit entweder zuviel phantasmagorischen Nachtstunden oder einem rührenden Neuanfangs-Vibe).

Aber zurück zu den Engländern, die sich als (christliche) Römer fühlen wollten, was ihre entferntesten Vorbewohner ja sogar für eine beachtliche Zeit auch waren.

Titelseite zu "Milton, eine Dichtung in zwei Büchern"
von William Blake, hier gefunden

Wie man sieht, hat mich weniger Blakes „And did those feet...“ für sich beschäftigt, was zugebenermaßen kaum entschuldbar ist, sondern mehr, wie dieses Rätselding zum Mittel für patriotische Aufwallungen benutzt werden sollte und dabei den Urhebern dieser Verwandlung zur vertonten Hymne.gewissermaßen entfleuchte.

Ich habe mich tatsächlich in William Blakes episches Elaborat „Milton“ hineinzubegeben versucht, dem sein lange vergessenes Gedicht vorangestellt ist, aber mich schließlich mit Grausen wieder abgewandt, in Sorge um meinen mentalen Zusammenhalt.

Da traf es sich gut, daß ich auf eine (englischsprachige) Studie (Edward Robert Friedlander: "William Blake's Milton: Meaning and Madness") traf, die mir den Inhalt nochmals erzählte und anschließend folgende (respektvolle) Diagnose stellte: „Blake's poetry and paintings present classic illustrations of the schizophrenic experience. So far as I know, these are the best, most beautiful, and most meaningful ones ever created.“

Er wolle nicht mißverstanden werden, so deren Autor. Blakes Schriften und Bilder seien äußerst interessant und wertvoll: „Blake has opened worlds of marvels and great beauty to us.  Blake rejected social injustice and mechanical philosophies just like most of us do.“ Aber er glaube, daß Blake mit seinen Visionen und Stimmen falsch lag: „They are not guides to metaphysical truths for all of us.“ Und dann läßt er sich doch noch eine Hintertür offen: „I believe that Blake was wrong. But I hope that he was right. Then, when we understand his works, we will have broken through the 'limits of opacity and contraction', and enter a larger, more meaningful world.“

„The Ruins of Time build Mansions in Eternity.“
aus einem Trostbrief Blakes an William Hayley

„Wo kein Umriß ist, da kann es keinen Charakter geben.“ Denn: „Nature has no Outline, But Imagination has. Nature has no Tune, but Imagination has. Nature has no Supernatural, and dissolves: Imagination is Eternity.“

Denn: „Die Natur lehrt uns nicht das Leben des Geistes, sie lehrt uns einzig das Leben der Natur“.

Gott habe aber nicht nur den Körper erschaffen nach seinem Ebenbild, sondern auch die Phantasie des Menschen. Also existiere die ganze Schöpfung im Geist des Menschen (gut, über die Sinnhaftigkeit der Schöpfung hat er viel gegrübelt, vielleicht frei nach dem „literarischen Kalauer“ - "Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen.").

Aber, wenn „verständige Menschen“ anstrengungslos den größten Unsinn von sich zu geben vermögen, warum sollte dann ein Schizophrener nicht einen Zipfel der Wahrheit zu fassen bekommen haben, und ja es gibt sie, wie ich fest vertraue, es ist keine ferne Legende: “Doctrina multiplex, veritas una” – “Der Lehren sind viele, aber es ist nur eine Wahrheit” - war das Motto meiner einstmaligen Alma Mater. Zurecht.

Wo ich, unzufrieden mit den (ausbleibenden) Einsichten, in meinen Notizen herumwühle, dies immerhin, aus besagter Studie, klingt doch konstruktiv positiv: „Perhaps Blake's greatest contribution to literary methods occurs in this poem: his invention of the dream technique. It was also the cause of the greatest confusion among his earlier critics.  This technique destroys the effect of a continuous and logical narrative...“

Jetzt müßten wir ihm eigentlich fast böse dafür sein, daß er damit quasi die Moderne miterfunden hat, aber ein anderes Wort faszinierte mich zuvor: „Spectre“, der Verstand, aus Unkenntnis getrennt von der Quelle des Seins, mehr einem Schatten gleich, der seine Macht in zweifelhafter Moral auslebt und Schlimmerem.

Für Blake galt dies nicht: "I have very little of Mr. Blake's company," stellte seine Frau fest, "he is always in Paradise."

Blake fasziniert, neben seinem Künstlertum, vor allem durch die Tapferkeit, mit der er seine Weltsicht der Welt entgegen gehalten hat, ob ihm eine Krankheit dabei behilflich war? Sei es drum. Aber sein ständiger Umgang mit Geistern hat mitunter etwas Unterhaltsames. Natürlich ist ihm auch der Teufel erschienen, und er beschreibt ihn genau:

„It is the gothic fiend of our legends, said Blake -- the true devil -- all else are apocryphal.“

Jetzt haben wir immer noch nichts dazu gesagt, wie Plato an Blake seine reine Freude haben muß, und warum das eingangs genannte Lied/ Gedicht grandios ist, und wie große Kunst es nun einmal vermag, nicht nur ganz Verschiedenes zusammenzubringen, sondern auch im Geiste wachzurufen, wie ein Blick von einem Turm auf einem hohen Hügel...

Aber (um doch noch meine Andeutungen zum 1. Weltkrieg ein wenig verständlicher zu machen), daß ausgerechnet dieser Text ausgesucht wurde, um die mißmutig werdende britische Nation "to brace the spirit of the nation, that the people of Great Britain, knowing that they are fighting for the best interests of humanity, may refuse any temptation, however insidious, to conclude a premature peace, and may accept with cheerfulness all the sacrifices necessary to bring the war to a satisfactory conclusion", ja, das gehört zu den Wirrnissen der Menschheit.

Aber wirkliche Kunst übersteht eben auch zweifelhafte Ursprünge.

(und damit brechen wir ab, am 3. Oktober)


2 Kommentare:

Walter A. Aue hat gesagt…

Es gibt Staemme, deren Verrueckte als Goetterboten verehrt werden.
NB: Das Wort "verrueckt" ist etymologisch viel genauer als "geisteskrank". Wer weiss schon, ob diese oft hochbegabten Menschen "krank" sind? Aber dass sie sich von der Masse unterscheiden, dass sie von ihr abgerueckt, eben auf der Erkenntnisachse "verrueckt" sind, daran ist kein Zweifel. Ob die statistische Masse oder das ausgegrenzte Individuum (oder weder/noch) die Wahrheit spricht oder zeigt, das wissen wir nicht.

Herzlichen Dank fuer den Beitrag, er war fuer mich sehr interessant!

MartininBroda hat gesagt…

Es tut mir sehr leid, ich weiß nicht, warum ich hierauf nicht geantwortet hatte, wahrscheinlich wußte ich nichts zu sagen. Vielleicht war meine jüngste Hiob-Serie eine zwar späte, aber doch wenigstens teilweise Genugtuung. Mir kommt natürlich gerade Hölderlin in den Sinn, der sicher in irgendeiner Weise "verrückt" war, mit tiefsten Einsichten dabei.