Samstag, 26. Januar 2019

Über die Veredelung aller menschlichen Verhältnisse

Neubau des Berliner Schlosses, der neue Schlüterhof

Wen der letzte Beitrag hier ein wenig befremdet haben sollte - nun, befremdet war auch ich, und zwar in einem Maße, daß ich über die von mir gewöhnlich traktierten Gemeinplätze einfach hinaus mußte. Übrigens lag mein Instinkt da wohl recht richtig (gesagt, eine Reihe von Lektüre- und Hörerlebnissen später) - das war ein Wetterleuchten von einem Unwetter, das sich hoffentlich nicht so auswächst, wie zu befürchten.

Doch noch haben wir unsere eigenen Gruseligkeiten. Der Ort, wo einmal das Berliner Stadtschloß stand und sich heute ein Humboldt-Forum der Vollendung entgegenstreckt, gewinnt neue Kontur. Manches erfreut, schmerzlich, denn nur das Vergegenwärtigen läßt den Schmerz nicht vergessen, anderes gerät zur Demaskierung der Gegenwart.

Viele erfreuen sich an Schönheit, Formenreichtum und Wohlgestalt der trotz allem wieder erstehenden Fassaden, andere sehen auf den Widerspruch, ich scheine mich in letzteres einzureihen. Aber nur auf den ersten Blick. Mir fällt zweierlei auf. Zum einen:

Die Vergangenheit wird lebendig, genauer, der Hauch, der sie erstarren lassen sollte, schwindet. Ich habe hier in einer Kommentarantwort kürzlich versucht zu erklären, wie mir die Abwehrhaltung der Gegenwart erscheint, nämlich als negativer Exorzismus, gewissermaßen. Wenn Vergangenes nicht umgangen werden kann, muß es dekontaminiert und steril versiegelt werden, und sei es unsere arme Königin Luise. Wovon und wozu muß man das Gedenken an die Königin dekontaminieren und steril verpacken? Daß sie wiederkehrt?

Diese Grundmuster treffen wir überall an: Im Vergangenen wohnt immer das Grauen und glücklich ist man nur in der ewigen Gegenwart.

Eduard Gaertner: Rittersaal 
im 2. Obergeschoss hinter dem Schlossportal V

Alles, wonach wir aber suchen wollen, ist eine Verbindung, ein Band zum Vergangenen, das lange noch nicht vergangen ist. Ein Band, das gewaltsam zerschnitten wurde. In der Natur stirbt ein Baum, der von seinen Wurzeln getrennt wurde. Vielleicht vermag es menschliche Kunstfertigkeit für eine Gesellschaft dieses Bild außer Kraft zu setzen, indem sie beides wieder zu verbinden vermag. Denn der Eiseshauch verliert seine Macht, doch er kämpft noch, und der Kampf ist auch keinesfalls schon entschieden.

Ich werde jetzt in keine Suada gegen den Architekten Franco Stella ausbrechen. Wozu? Abstrakt logisch klingt das alles ja auch nur folgerichtig: Das Neue schließt an das Alte an und führt es verändert (und hoffentlich bereichernd) fort. All das wäre wahr, wenn unsere Moderne nicht so wesensverkehrt wäre. Man hat in das Andenken an das Stadtschloß die Moderne hineinzupressen gesucht (auch mir fallen für den Vorgang degoutierte Bilder ein, aber sie sind nicht nötig), vermutlich als ein Akt der Selbstbehauptung, nicht nur der Moderne, sondern der herrschenden Gegenwart überhaupt.

Und das ist das Berückende, womit wir bei Punkt 2 wären, in ihrer verblendeten Selbsteinschätzung überschätzen sich die Gegenwart und ihre Gefolgsleute. Es genügt das Hinschauen, und für den, der noch zu sehen vermag, ist die Debatte damit beendet.

Süd- und Ostfassade des Neubaus des Berliner Schlosses
(3. November 2018, leicht veränderter Ausschnitt) 
Original hier gefunden

Wir wollen sie auch hier deshalb nicht weiterführen. Aber dieser „Native American“, der dem tapferen Jungen vor dem Lincoln Memorial so fanatisch vor dem Gesicht herumtrommelte, brachte mich auf eine Idee (übrigens war es, wie zu erwarten, schlicht ein Aktivist, und man muß offenbar schon sehr suchen, bevor man einen Gegenstand findet, über den er nicht gelogen hätte, aber bekanntlich brauchen Aktivisten kein Gewissen, dafür haben sie recht). Es wäre nicht überraschend, wenn sein Kriegsgeheul ebenfalls völlig unauthentisch und frei erfunden wäre, aber er trommelte.

Trommeln wir Liebhaber des Schönen genug? Ich meine nicht anderen vor der Nase, und der Begriff, wo ich ihn gerade gebrauche, widerstrebt mir schon wieder. Aber klagen wir vielleicht nicht zu viel, anstatt auf das hinzuweisen und an das zu erinnern, was die Klage verstummen läßt? Diesen unangreifbaren Raum des Geistigen zu imaginieren, wäre das nicht eine lohnendere Aufgabe? Und wenn man dafür unzutreffenden Motive unterstellt bekommt – mein Gott.

Berlin, Stadtschloß, Apotheken-Flügel, 1928 

Also fangen wir fröhlich an. Zunächst ein Zitat von von Ruskin „Es gibt nur zwei starke Überwinder der Vergeßlichkeit der Menschen, die Dichtkunst und die Baukunst, und die letztere schließt in gewisser Weise die erstere ein und ist noch mächtiger in ihrer Wirklichkeit. Gut ist es, zu besitzen, nicht nur, was Menschen dachten und fühlten, sondern auch, was sie mit ihren Händen anfaßten, was ihre Stärke hervorbrachte, was ihre Augen an allen Tagen ihres Lebens sahen. Das Zeitalter Homers ist von Dunkel, seine Persönlichkeit von Zweifel umgeben. Anders das Zeitalter des Perikles: der Tag kommt, an dem wir eingestehen, daß wir über Griechenland aus den zerbröckelten Überbleibseln seiner Bildhauerei mehr gelernt haben, als von seinen süßen Sängern und heroischen Geschichtsschreibern.

Wenn unsere Kenntnis der Vergangenheit irgendwelchen Nutzen gewährt, wenn der Gedanke an das Gedächtnis der Nachwelt uns erfreut und die gegenwärtige Anstrengung stark, gegenwärtiges Leiden geduldig  machen kann, so gibt es zwei Pflichten hinsichtlich der nationalen Baukunst, deren Bedeutung unmöglich überschätzt werden kann: erstlich, die Baukunst des Tages geschichtlich zu gestalten und zweitens, die Vergangenheit als kostbarstes Erbteil zu bewahren.“

Eduard Gaertner, Schlüterhof des Berliner Schlosses, 1830

Man mag erahnen, warum ich diese lange Zitat Ruskins angebracht habe, natürlich vor allem des Schlusses wegen, über den Rest ließe sich streiten, aber da er lange tot ist, wäre das eher müßig. Ruskin ist eine ausgesprochen sperrige Figur, auf die sich die unterschiedlichsten Leute berufen haben. Es lohnt aber auch nicht, Gestalten wie ihn gewissermaßen kindisch als Säulenheilige anzupreisen. Selbst Heilige dürften einen vor allem schwierigen Charakter gehabt haben. Und nur als Nebenbemerkung, Ruskin hat unbestritten seine Verdienste als Kunstkritiker und Kunstförderer, aber seine eigene Frau lief zum Maler Millais über, den er ebenfalls gefördert hatte, und während dieser den Kontakt zu Ruskin abbrach, äußerte sich jener nichtsdestotrotz weiterhin freundlich über Millais. Also doch ein Heiliger? Nun ja.

Der große William Turner wollte u.a. Ruskin als Vollstrecker seines Testaments haben. Dieser lehnte nach dessen Tod zwar ab, erklärte sich jedoch bereit, dessen Zeichnungen und Skizzen zu sortieren, was er auch ziemlich rabiat tat. Er verpackte sie in Kisten, deren Bennungen von „Mist/rubbish“ bis „fürchterlich/horrible“ reichten. Und als er entgeistert auf dessen erotische Zeichnungen stieß, verbrannte er einiges davon. Also ein wenig zu viel Heiliger. Man sollte seine Gewährmänner aber auch nicht zu unkritisch betrachten.

Wie aus der Überschrift leicht zu ersehen, sollte es hier eigentlich um Schinkel gehen, das sind dann nun also die Vorbemerkungen geworden (mit Schinkel ist es halt so, wie bei allen großen Geistern,  schnell wird einem das, was man da zusammenträgt und unbedingt zitieren will, wie Hefeteig).


soll fortgesetzt werden
nachgetragen am 28. Januar

Dienstag, 22. Januar 2019

Der Haß & Das Grinsen

...oder Let‘s America smirk again


Paul Joseph Watson „It's okay to smirk“

Ich hatte mir ja fest vorgenommen, hier nur noch über Menschen zu schreiben, die schon länger tot sind, das paßt sowieso besser zu meinem Gemüt. Aber diese Ausnahme muß einfach sein.

Ein schreckliches kurzes Video drang am Sonntag aus den Staaten zu uns herüber und das progressive Amerika schäumte, zu Recht. Ein junger Weißer mit dem schlimmen Haßsymbol einer MAGA-Kappe auf dem Kopf - die noch weichen Züge konnten nicht über die Feindseligkeit in den Augen und die bereits erwachende toxische Maskulinität hinwegtäuschen - stellt sich einem Native American in den Weg und grinst ihn dabei auch noch dreckig an.

Der Trump-Fan ist zudem noch katholisch und kommt gerade mit den anderen Anti-Abtreibungs-Nazis seiner Schule von einem Aufmarsch gegen Frauenrechte. Seine Mitschüler stimmen rassistische Haßgesänge an. Darüber friedvoll Empörte zeigen in den sozialen Medien ihren Abscheu (eine kleine Auswahl folgt).




Auch die übrigen verantwortungsbewußten Medien zeigen Flagge. Selbst der progressive Teil der katholischen Kirche hat sich zum Glück gleich entschuldigt. Nicholas Sandmann heißt der Strolch und kommt von der Covington Catholic High School, Park Hills, Kentucky; eine reine Jungen-Schule!

Man könnte einwenden, daß es außer diesem Grinsen keinen Beweis geben würde, aber das ist egal, man weiß das doch von denen. Außerdem trommelt der Native American ihm fast auf die Nase, da muß er doch das Vibrieren gespürt haben, der Trommel in ihrem gerechten Zorn. Doch kein Anzeichen von Scham über den Landraub und die vielen anderen Verbrechen der Weißen an den Native Americans, kein Zu-Boden-Sinken, keine Tränen reuevoller Beschämung, sondern nur ein dreckig-freches Grinsen.

Gut, ich kann das nicht länger, und es ist auch 2 Tage später. Also, wenn selbst CNN eine sozusagen Entschuldigung hinterschiebt, dann will das einiges heißen. Das machen die sonst fast nie. Und wer sich das Video von Paul Joseph Watson „It's okay to smirk“ eingangs bereits angesehen hat, weiß, daß alles Bisherige dunkelschwarzer Sarkasmus war.

Nicholas Sandmann hat der Öffentlichkeit und seiner Diözese, nein keinen Rechtfertigungstext geliefert, sondern einfach einen Bericht aus seiner Sicht gegeben, den ich im Nachfolgenden versucht habe zu übersetzen:

I am providing this factual account of what happened on Friday afternoon at the Lincoln Memorial to correct misinformation and outright lies being spread about my family and me.
I am the student in the video who was confronted by the Native American protestor. I arrived at the Lincoln Memorial at 4:30 p.m. I was told to be there by 5:30 p.m., when our busses were due to leave Washington for the trip back to Kentucky. We had been attending the March for Life rally, and then had split up into small groups to do sightseeing.

Ich lege diesen sachlichen Bericht vor über das, was am Freitagnachmittag am Lincoln Memorial geschehen ist, um falsche Informationen und vollständige Lügen zu korrigieren, die über meine Familie und über mich verbreitet wurden.
Ich bin der Schüler aus dem Video, der durch den „Native American“ [sollte ich besser „Ureinwohner“ übersetzen?] angegangen wurde und ihm gegenüberstand. Ich kam dort um 16.30 Uhr an. Es wurde mir gesagt, ich solle gegen 17.30 Uhr da sein, weil unsere Busse Washington für die Rückfahrt nach Kentucky dann verlassen würden. Wir hatten am Marsch für das Leben teilgenommen und uns dann in kleine Gruppen aufgeteilt, um die Stadt zu besichtigen.

When we arrived, we noticed four African American protestors who were also on the steps of the Lincoln Memorial. I am not sure what they were protesting, and I did not interact with them. I did hear them direct derogatory insults at our school group.
The protestors said hateful things. They called us "racists," "bigots," "white crackers," "faggots," and "incest kids." They also taunted an African American student from my school by telling him that we would "harvest his organs." I have no idea what that insult means, but it was startling to hear.

Bei unserer Ankunft bemerkten wir vier afroamerikanische Demonstranten, die sich auch auf den Stufen des Lincoln Memorial befanden. Ich bin mir nicht sicher, wogegen sie protestierten, und ich habe auch nicht auf sie reagiert. Ich hörte sie allerdings abfällige Bemerkungen und Beleidigungen in Richtung unserer Schulgruppe abgeben.
Die Demonstranten sagten haßerfüllte Dinge. Sie nannten uns „Rassisten“, „Heuchler“, „weißen Müll“ [möglicherweise gibt es originellere Übersetzungen für „Cracker"], „Schwuchteln“ und „Inzest-Kinder“. Sie verspotteten auch einen afroamerikanischen Schüler meiner Schule, indem sie ihm sagten, wir würden „seine Organe ernten“. Ich habe keine Ahnung, was diese Beleidigung bedeutet, aber war überrascht, es zu hören.

Because we were being loudly attacked and taunted in public, a student in our group asked one of our teacher chaperones for permission to begin our school spirit chants to counter the hateful things that were being shouted at our group. The chants are commonly used at sporting events. They are all positive in nature and sound like what you would hear at any high school. Our chaperone gave us permission to use our school chants. We would not have done that without obtaining permission from the adults in charge of our group.

Weil wir in der Öffentlichkeit laut angegriffen und verspottet wurden, bat ein Schüler aus unserer Gruppe einen unserer begleitenden Lehrer, Gesänge anstimmen zu dürfen, die den Geist unserer Schule verkörpern, um den haßerfüllten Dingen zu antworten, die gegen uns geschrien wurden. Diese Gesänge werden üblicherweise bei Sportveranstaltungen verwendet. Sie sind alle gutgesinnt und klingen so wie das, was Sie an jeder höheren Schule erwarten können. Unser begleitender Lehrer gab uns die Erlaubnis, unsere Schulgesänge zu verwenden. Wir hätten das nicht getan, ohne die Erlaubnis der Verantwortlichen unserer Gruppe einzuholen.

At no time did I hear any student chant anything other than the school spirit chants. I did not witness or hear any students chant "build that wall" or anything hateful or racist at any time. Assertions to the contrary are simply false. Our chants were loud because we wanted to drown out the hateful comments that were being shouted at us by the protestors.
After a few minutes of chanting, the Native American protestors, who I hadn't previously noticed, approached our group. The Native American protestors had drums and were accompanied by at least one person with a camera.

Zu keiner Zeit hörte ich einen Schüler etwas anderes singen als unsere Schulgesänge. Ich habe weder gesehen noch gehört, wie Schüler etwa gesungen hätten „Bau endlich die Mauer“ oder irgendetwas Haßerfülltes oder Rassistisches in irgendeinem Moment. Gegenteilige Behauptungen sind einfach falsch. Unsere Gesänge waren laut, weil wir die haßerfüllten Kommentare übertönen wollten, die von den Demonstranten gegen uns geschrien wurden.
Nach ein paar Minuten des Singens näherten sich die indianischen Demonstranten, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, unserer Gruppe. Sie hatten Trommeln und wurden von mindestens einer Person mit einer Kamera begleitet.

The protestor everyone has seen in the video began playing his drum as he waded into the crowd, which parted for him. I did not see anyone try to block his path. He locked eyes with me and approached me, coming within inches of my face. He played his drum the entire time he was in my face.
I never interacted with this protestor. I did not speak to him. I did not make any hand gestures or other aggressive moves. To be honest, I was startled and confused as to why he had approached me. We had already been yelled at by another group of protestors, and when the second group approached I was worried that a situation was getting out of control where adults were attempting to provoke teenagers.

Der Demonstrant, den jeder im Video gesehen hat, begann seine Trommel zu spielen, als er in die Menge eindrang, die für ihn auseinanderging. Ich habe niemanden gesehen, der versuchte, seinen Weg zu versperren. Er sah mich an und näherte sich mir, bis er nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht enfernt stoppte. Er spielte die ganze Zeit seine Trommel, solange er vor meinem Gesicht war.
Ich habe nie mit diesem Demonstranten interagiert. Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich machte keine Handgesten oder andere aggressive Bewegungen. Um ehrlich zu sein, war ich überrascht und verwirrt, warum er gerade auf mich zugekommen war. Wir waren bereits von einer anderen Gruppe von Demonstranten angeschrien worden, und als sich jene zweite Gruppe näherte, befürchtete ich, daß diese Situation außer Kontrolle geraten könnte, in der Erwachsene versuchten, Teenager zu provozieren.

I believed that by remaining motionless and calm, I was helping to diffuse the situation. I realized everyone had cameras and that perhaps a group of adults was trying to provoke a group of teenagers into a larger conflict. I said a silent prayer that the situation would not get out of hand.
During the period of the drumming, a member of the protestor's entourage began yelling at a fellow student that we "stole our land" and that we should "go back to Europe." I heard one of my fellow students begin to respond. I motioned to my classmate and tried to get him to stop engaging with the protestor, as I was still in the mindset that we needed to calm down tensions.

Ich glaubte, wenn ich ungerührt und besonnen bliebe, dazu beitrug könnte, die Situation zu  beruhigen. Mir wurde klar, jeder hatte eine Kameras, und daß vielleicht eine Gruppe von Erwachsenen versuchte, eine Gruppe von Jugendlichen in einen größeren Konflikt zu treiben. Ich sprach ein stilles Gebet, daß die Situation nicht ausarten möge.
Während der Zeit des Trommelns schrie jemand, der den Demonstranten begleitete, einen Mitschüler an, daß wir "sein Land gestohlen“ hätten und daß wir "nach Europa zurückgehen" sollten. Ich hörte, wie ein Klassenkamerad anfing zu antworten. Ich bedeutete ihm, damit aufzuhören, da ich immer noch dachte, daß wir die Spannung abbauen müßten.

I never felt like I was blocking the Native American protestor. He did not make any attempt to go around me. It was clear to me that he had singled me out for a confrontation, although I am not sure why.
The engagement ended when one of our teachers told me the busses had arrived and it was time to go. I obeyed my teacher and simply walked to the busses. At that moment, I thought I had diffused the situation by remaining calm, and I was thankful nothing physical had occurred.

Ich hatte nie den Eindruck, den indianischen Demonstranten zu blockieren. Er machte keinerlei Anstrengungen, mich zu umgehen. Mir war klar, daß er mich für eine Konfrontation ausgesucht hatte, obwohl ich nicht weiß, warum.
Das Ereignis endete, als mir einer unserer Lehrer sagte, daß die Busse angekommen wären und es Zeit wäre zu gehen. Ich folgte meinem Lehrer und ging einfach zu den Bussen. In diesem Moment dachte ich, ich hätte die Situation entschärft, indem ich ruhig geblieben war, und ich war dankbar dafür, daß sich nichts Körperliches ereignet hatte.

I never understood why either of the two groups of protestors were engaging with us, or exactly what they were protesting at the Lincoln Memorial. We were simply there to meet a bus, not become central players in a media spectacle. This is the first time in my life I've ever encountered any sort of public protest, let alone this kind of confrontation or demonstration.

Ich habe die ganze Zeit nicht verstanden, warum die beiden Demonstrantengruppen sich mit uns beschäftigten oder wogegen genau sie am Lincoln Memorial protestierten. Wir waren einfach nur dort, um auf den Bus zu warten und nicht um zu zentralen Akteuren in einem Medienspektakel zu werden. Dies ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich jemals auf öffentlichen Protest gestoßen bin, ganz zu schweigen von dieser Art von Konfrontation oder Demonstration.

I was not intentionally making faces at the protestor. I did smile at one point because I wanted him to know that I was not going to become angry, intimidated or be provoked into a larger confrontation. I am a faithful Christian and practicing Catholic, and I always try to live up to the ideals my faith teaches me -- to remain respectful of others, and to take no action that would lead to conflict or violence.

Ich habe nicht absichtlich Grimassen gegenüber dem Demonstranten gezogen. Ich fing irgendwann an zu lächeln, weil ich ihm zu verstehen geben wollte, daß ich weder wütend werden würde, noch  eingeschüchtert, noch zu einer größeren Konfrontation provoziert. Ich bin ein vertrauensvoller Christ und praktizierender Katholik, und ich versuche immer, den Idealen meines Glaubens gemäß zu leben - Respekt gegenüber anderen zu wahren und nichts zu suchen, das zu Konflikten oder Gewalt führen könnte.

I harbor no ill will for this person. I respect this person's right to protest and engage in free speech activities, and I support his chanting on the steps of the Lincoln Memorial any day of the week. I believe he should re-think his tactics of invading the personal space of others, but that is his choice to make.

Ich hege keinen Groll gegen diese Person. Ich respektiere ihr Recht, zu protestieren und sich in freier Rede zu betätigen, sie soll an jedem Tag der Woche auf den Stufen des Lincoln Memorial singen dürfen. Ich denke, er sollte seine Taktiken des Eindringens in den persönlichen Raum anderer überdenken, aber das ist seine Entscheidung.

I am being called every name in the book, including a racist, and I will not stand for this mob-like character assassination of my family's name. My parents were not on the trip, and I strive to represent my family in a respectful way in all public settings.

Mir wurde alles vorgeworfen, was sich denken läßt, einschließlich eines Rassisten, und ich werde diesen mob-gleichen Anschlag auf die Ehre meiner Familie nicht zulassen. Meine Eltern waren bei dieser Reise nicht dabei, und ich bemühe mich, meine Familie an allen öffentlichen Orten respektvoll zu vertreten.

I have received physical and death threats via social media, as well as hateful insults. One person threatened to harm me at school, and one person claims to live in my neighborhood. My parents are receiving death and professional threats because of the social media mob that has formed over this issue.

Ich habe Gewalt- und Todesdrohungen über die sozialen Medien erhalten, genauso wie Beleidigungen voller Haß. Jemand drohte, mir an der Schule aufzulauern, und eine Person behauptete, in der Nachbarschaft zu leben. Meine Eltern erhalten ebenfalls Morddrohungen und berufliche Einschüchterungsversuche durch den Social-Media-Mob, der sich über dieser Sache gebildet hat.

I love my school, my teachers and my classmates. I work hard to achieve good grades and to participate in several extracurricular activities. I am mortified that so many people have come to believe something that did not happen -- that students from my school were chanting or acting in a racist fashion toward African Americans or Native Americans. I did not do that, do not have hateful feelings in my heart, and did not witness any of my classmates doing that.

Ich liebe meine Schule, meine Lehrer und meine Klassenkameraden. Ich arbeite hart, um gute Noten zu erreichen und an verschiedenen außerschulischen Aktivitäten teilzunehmen. Ich bin beschämt, daß so viele Menschen etwas glauben, das nicht passiert ist - daß Schüler meiner Schule Haßgesänge oder Handlungen rassistischer Art gegenüber afroamerikanischen oder indianischen Amerikanern getätigt hätten. Ich habe das nicht getan, habe keinen Haß in meinem Herzen und war nicht Zeuge von dergleichen bei meinen Klassenkameraden.

I cannot speak for everyone, only for myself. But I can tell you my experience with Covington Catholic is that students are respectful of all races and cultures. We also support everyone's right to free speech.
I am not going to comment on the words or account of Mr. Phillips, as I don't know him and would not presume to know what is in his heart or mind. Nor am I going to comment further on the other protestors, as I don't know their hearts or minds, either.
I have read that Mr. Phillips is a veteran of the United States Marines. I thank him for his service and am grateful to anyone who puts on the uniform to defend our nation. If anyone has earned the right to speak freely, it is a U.S. Marine veteran.

Ich kann nicht für jeden sprechen, nur für mich. Aber ich kann versichern, daß meine Erfahrungen mit der Covington Catholic (High School) darin bestehen, daß die Schüler allen Rassen und Kulturen gegenüber respektvoll begegnen. Ebenso unterstützen wir das Recht eines jeden auf freie Rede.
Ich werde mich nicht zu den Worten oder dem Bericht von Herrn Phillips äußern, da ich ihn nicht kenne und nicht behaupten kann zu wissen, was in seinem Herzen oder Verstand vorgeht. Noch werde mich weiter zu den anderen Protestierenden äußern, da ich ihre Herzen und Gedanken ebenfalls nicht kenne.
Ich habe gelesen, daß Herr Phillips ein Veteran der Marines ist. Ich danke ihm für seinen Dienst und bin allen dankbar, die die Uniform zur Verteidigung unserer Nation tragen. Wenn sich jemand das Recht erworben hat, frei zu sprechen, dann ein US-Marine-Veteran.

I can only speak for myself and what I observed and felt at the time. But I would caution everyone passing judgement based on a few seconds of video to watch the longer video clips that are on the internet, as they show a much different story than is being portrayed by people with agendas.
I provided this account of events to the Diocese of Covington so they may know exactly what happened, and I stand ready and willing to cooperate with any investigation they are conducting.

Ich kann nur für mich selbst sprechen und darüber, was ich beobachtet und gefühlt habe zu besagter Zeit. Aber ich warne davor, auf der Grundlage eines Videos von wenigen Sekunden ein Urteil abzugeben und stattdessen die längeren Videoclips anzusehen, die im Internet auffindbar sind. Denn sie zeigen eine sehr andere Geschichte, als sie von Leuten mit gewissen Absichten dargestellt wird.
Ich habe diesen Bericht der Diözese Covington zur Verfügung gestellt, da sie so genau wissen können, was geschehen ist, und ich bin bereit und willens, bei allen Ermittlungen mitzuarbeiten, die sie durchführen wollen.

Soweit der Bericht dieses unerschrockenen jungen Manns. Wer der Glaubwürdigkeit des Beschuldigers nachgehen will (und des Englischen mächtig ist), dem empfehle ich den Bericht des National Catholic Register oder den von Catholic Stand, man folge dazu den Links. Nur soviel - mit jedem neu auftauchenden Video änderte sich offenbar dessen Geschichte, wie dort gut dokumentiert wird.

Bischof Roger Joseph Foys

Vom, soweit Bilder die Wahrheit sagen, symathieeinflößenden Bischof von Covington namens Roger Joseph Foys, an den der Bericht ging, war nichts Neues aufzufinden. Die Seite der Dözese ist derzeit nicht erreichbar. Allerdings war man zuvor eilig in der Verurteilung der Schandtaten der Schüler, ohne sie überhaupt nur anzuhören, wie man o.g. Bericht entnehmen kann.

Coat of Arms of the Roman Catholic Diocese of Covington

Das Wappen der Diözese trägt offenkundig das Schwert des Glaubens und die Lilie der Unschuld. Inwieweit beides bei besagtem Bischof in guten Händen ist, vermag ich nicht zu beurteilen, bei dem beherzten jungen Mann mache ich mir da keine Sorgen.

Die allseligste Jungfrau und Gottesmutter aber möge ihm mit seiner Familie beistehen in den Anfechtungen dieses Zeitalters.

Freitag, 18. Januar 2019

Königs–Wehen und ein neues Reich

Anton von Werner, “Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches“

„Diese Kaisergeburt war eine schwere, und Könige haben in solchen Zeiten ihre wunderlichen Gelüste, wie Frauen, bevor sie der Welt hergeben, was sie doch nicht behalten können. Ich hatte als Accoucheur [Geburtshelfer] mehrmals das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen, daß der ganze Bau in Trümmer gegangen wäre. Nötige Geschäfte greifen mich wenig ab, aber die unnötigen verbittern." So Reichskanzler Bismarck an seine getreue Johanna.

Und der neue Deutsche Kaiser Wilhelm I. an seine Augusta: „Ich kann Dir nicht sagen, in welcher morosen Emotion ich in diesen letzten Tagen war, teils wegen der hohen Verantwortung, die ich nun zu übernehmen habe, teils und vor allem über den Schmerz, den preußischen Titel verdrängt zu sehen.“

Beide Zitate stehen im Zusammenhang eines Ereignisses, welches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles geschah. Der preußische König Wilhelm I. wurde zum „Deutschen Kaiser“ proklamiert und damit nahm der Staat weiter Gestalt an, in dem wir noch heute leben. Wer hier verwirrt aufschauen sollte, dem wollen wir am Ende Aufklärung verschaffen.

Deutschland war nach dem Untergang des alten Reiches also wieder geeint, de facto traten die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund bei, der bereits seit 1867 bestand, allerdings unter Ausschluß Österreichs; Bismarcks Anstrengungen hatten sich zu einem geglückten Ergebnis gefügt, der preußische König gewissermaßen eine „Standeserhöhung“ erfahren; hätten die Beteiligten da nicht enthusiastischer klingen sollen? Die Gemütslage überrascht. Eine längere Passage aus dem Tagebuch Kronprinz Friedrich Wilhelms mag uns da weiterhelfen:

Emil Hünten: Kaiser Wilhelm I und Kronprinz Friedrich zu Pferde

Hauptquartier Versailles, den 17. Januar 1871

„Beim König fand nachmittags eine Sitzung statt, welcher Graf Bismarck, Hausminister v. Schleinitz und ich beiwohnten.… Hinsichtlich des kaiserlichen Titels bekannte Graf Bismarck, daß... die bayerischen Abgeordneten und Bevollmächtigten die Bezeichnung ‚Kaiser von Deutschland‘ nicht hätten zulassen wollen, und daß er endlich ihnen zuliebe, aber allerdings, ohne Se. Majestät vorher zu fragen, diejenige eines ‚Deutschen Kaisers‘ zugestanden habe. Diese Bezeichnung, mit welcher gar kein eigentlicher Begriff zu verbinden ist, mißfiel dem König ebenso wie mir, und wir taten unser möglichstes, um an ihrer Statt das ‚von Deutschland‘. Graf Bismarck blieb jedoch dabei...

Ferner suchte er zu beweisen, daß der Ausdruck ‚Kaiser von Deutschland‘ eine Territorialmacht, die wir über das Reich gar nicht besäßen, bedeute, während dagegen ‚Deutscher Kaiser‘ die natürliche Konsequenz des ehemaligen imperator romanus sei. So mußten wir uns leider fügen, wenn es mir auch gar nicht gefallen will...

Bei diesem Anlaß entspann sich eine recht peinliche Debatte über das Verhältnis von Kaiser zu König, weil Se. Majestät, den alten preußischen Traditionen zuwider, einen Kaiser höher als einen König stellt…

Je deutlicher sich nun aber die Konsequenzen von ‚Kaiser und Reich‘ im Lauf der Verhandlungen zeigten, desto aufgebrachter wurde der König. Schließlich brach er in die Worte aus, nur ein Scheinkaisertum übernähme er, nichts weiter als eine andere Bezeichnung für ‚Präsident‘; er müßte sich mit einem Major vergleichen, dem der ‚Charakter als Oberstleutnant‘verliehen worden sei. Nun es soweit gekommen wäre, müßte er zwar dieses Kreuz tragen, doch wollte er dafür auch der alleinige sein, weshalb er sich verbäte, daß man von ihm erwarte, der preußischen Armee eine gleiche Zumutung wie seiner eigenen Person zu machen; er wolle daher nichts von einem „Kaiserlichen Heere“ hören, weil er wenigstens unsere Armee vor dergleichen bewahren möchte und nicht dulden könnte, daß die Truppen gar „deutsche“ Namen und Bezeichnungen sich gefallen lassen müßten. Die Marine möge „die Kaiserliche“ genannt werden.

Ferner sagte er in äußerster Aufregung, er könne uns gar nicht schildern, in welcher verzweifelten Stimmung er sich befände, da er morgen von dem alten Preußen, an welchem er allein festhielte und fernerhin auch festhalten wollte, Abschied nehmen müßte. Hier unterbrachen Schluchzen und Weinen seine Worte...

Unverrichteter Sache und einer den anderen fragend, was nun eigentlich geschehen würde, verließen wir die Präfektur. Unter solchen Eindrücken leiteten wir die zu morgen angesetzte großartige deutsche Feier ein!“

Oscar Begas: Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 1867

Warum dieser Gefühlsausbruch auf Seiten Wilhelms? Er spürte, daß er zwar nicht den sofortigen Untergang Preußens herbeiführen würde, aber doch dessen Aufgehen in einem größeren Reich, bei dem höchst ungewiß war, wieviel darin von dem alten Preußen, dem er mit allen Fasern seines Gemüts und seiner Gesittung verbunden war, Bestand haben würde. Und dessen „Präsident“ sollte er sein dürfen, dem ein Kaisertitel aufgeklebt wurde.

Formal war er da ziemlich im Recht. Bismarcks kalter Pragmatismus in diesen Dingen mußte ihm wesensfremd bleiben, auch wenn Wilhelm sich letztlich den Notwendigkeiten beugte. Daß er dies den Kanzler spüren ließ, menschlich verständlich.

Immerhin durfte der in Versailles die Kaiserproklamation gewissermaßen dem deutschen Volk verlesen:

„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmüthigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit der Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Ruf der verbündeten Fürsten und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen.

Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.

Wir übernehmen die Kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu vertheidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem Deutschen Volk vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermuthigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherheit gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren.

Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“

Stolze Hoffnungen, die sich leider nur für wenige Jahrzehnte, wenn auch beeindruckende erfüllen sollten. Herr Roloff hat zum 140. Jahrestag der Reichsgründung einmal ein Kalenderblatt, geschrieben, das ich ungekürzt noch einmal bringen will, weil er treffend den Stellenwert des Ereignisses zusammenfaßt. Von mir gibt es danach nur noch die versprochene Erklärung.

Karte des Norddeutschen Bundes 1866–1871

„Am 18. Januar 1871, also genau vor 140 Jahren, wurde in Versailles das Bismarckreich gegründet. Die im Spiegelsaal des Schlosses Ludwig XIV. versammelten deutschen Fürsten proklamierten den preußischen König zum Deutschen Kaiser. Wilhelm I. selbst hatte diesen Tag bestimmt, weil wiederum 170 Jahre zuvor in Königsberg die Krönung des ersten preußischen Königs stattgefunden hatte.

Mit der Kaiserproklamation wurde ein Schlusspunkt hinter die wohl gewaltigste Umwälzung in der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts gesetzt. Drei Kriege hatte der in Schönhausen an der Elbe geborene Kanzler Otto von Bismarck führen müssen, um den Weg zur Deutschen Einheit frei zu machen. 1864 besiegten Österreich und Preußen noch gemeinsam Dänemark. 1866 wurde dann durch den Krieg Preußens gegen Österreich der innerdeutsche Dualismus entschieden und 1870/71 mit dem Sieg über Frankreich das letzte Hindernis zur Einheit Deutschlands beseitigt. Damit war innerhalb von nur ganz wenigen Jahren mit dem Reich wieder eine mächtige europäische Mitte entstanden, wie sie der Kontinent seit dem 30-jährigen Krieg nicht mehr gekannt hatte. Darum nannte auch der britische Premierminister Benjamin Disraeli das Jahr 1871 bedeutender für die europäische Geschichte als es das Jahr 1789 gewesen sei.

Bismarck war sich vollständig darüber im Klaren, dass das Äußerste erreicht war, was im Rahmen eines deutschen Nationalstaates möglich gewesen ist. Von nun an verlegte er seine gesamte Energie darauf, das Reich in der Mitte Europas zu bewahren. Der schwindelerregende wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands, seine Modernität und rasant wachsende Macht riefen nämlich unter den europäischen Mächten nicht unbedingt nur Bewunderung und Freundschaft hervor. Darum verschloss sich der Fürst auch weitestgehend jeder auftrumpfenden Politik. Sogar die 1884 für das Reich gewonnenen Kolonien stellte Bismarck wieder zur Disposition und trug sie dem Hamburger Senat zur Verwaltung an. Gegenüber dem Bürgermeister Versmann stellte er 1889 in für ihn typischer Weise klar: „Mein Gewerbe ist es, Europa den Frieden zu erhalten; wenn ich das tue, bin ich bezahlt. Mit anderen Kleinigkeiten kann ich mich nicht mehr abgeben. Kurz, das Auswärtige Amt wird die Kolonialsachen los oder es wird mich los.“

Genau diese „Kleinigkeiten“ aber wurden von Vielen dann ganz anders bewertet. Max Weber beispielsweise verlangte in seiner Freiburger Antrittsvorlesung 1895: „Wir müssen begreifen, dass die Einigung Deutschlands ein Jugendstreich war, den die Nation auf ihre alten Tage beging und seiner Kostspieligkeit halber besser unterlassen hätte, wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte.“

Schon lange hat die Geschichte ihr Urteil darüber gesprochen, wer von beiden Recht behalten hat.
Thomas Roloff

Ferdinand Keller: Apotheose Kaiser Wilhelms I.

Nachtrag

Zunächst sei noch festzuhalten, wie erstaunlich schnell, und so von den Urhebern möglicherweise nicht erwartet, die Begriffe von „Kaiser und Reich“ sich wieder mit Bedeutung aufluden und über die ihnen zugedachte Funktion hinauswuchsen. Keinesfalls sah man im preußischen König und Deutschen Kaiser eine Art von Präsidenten.

Und selbst nach so vielen Brüchen sprechen die Leute mitunter noch von „Kaiserwetter“ und einige Ostseeorte nennen sich mit Stolz „Kaiserbäder“. Immerhin. Das charakteristisch Preußische, das allerdings verdämmerte wirklich langsam. Und selbst als die Monarchie endete: Die sog. Weimarer Verfassung von 1919 beginnt in Artikel I mit: „Das Deutsche Reich ist eine Republik.“

Ob man nun den Anfang auf den 1. Juli 1867 setzt, mit dem Inkrafttreten der Verfassung des „Norddeutschen Bundes“, oder eben auf den 18. Januar 1871 mit der Kaiserproklamation von Versailles. Niemand Ernstzunehmendes kam 1919 auf die Idee, mit der Änderung der Staatsform sei auch ein neuer Staat entstanden. Es sollten bekanntlich noch weitere Um- und Zusammenbrüche folgen.

Irgendwann in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts kam dann bei einigen ganz Klugen die Idee auf, der Staat von 1867/71 sei 1945 untergegangen oder sogar noch irgendwann später.

Ein Herr Wolfgang Malanowski schrieb im Spiegelheft Nr. 4 von 1971 folgenden dafür bezeichnenden Satz: "98 Jahre, neun Monate und zehn Tage hat dieses Reich bestanden - das erste halbe Jahrhundert feste Burg, das zweite halbe Jahrhundert nur noch Ruine und schließlich bloß Chimäre seiner selbst. Seine längst brüchigen Konturen verschwanden am 26. Oktober 1969, als Willy Brandt in seiner Regierungserklärung von den zwei Staaten in Deutschland sprach, und so wie beim sozialdemokratischen Bundeskanzler kehrt Realitätssinn auch bei bundesdeutschen Historikern ein."

Die Regierungserklärung eines Bundeskanzlers konnte den Staat, der einmal „Reich“ genannt worden war, also gewissermaßen weghexen (was für eine Rechnung der Autor da aufmacht, ist mir übrigens schleierhaft) bzw. den übrig gebliebenen Teil in 2 Nachfolgestaaten zerfallen lassen. Das empfanden damals sicher viele als realistisch und jeden Gedanken einer Vereinigung der beiden als verstiegene Phantasterei, ja sogar moralisch anrüchig. Übrigens eine hübsche Lektion darüber, wie grundlegend sich das Verständnis von Normalität jederzeit umzukehren vermag. Doch dazu müßte man geschichtlich denken wollen oder können.

Die Verstiegenheit wurde bekanntlich Realität. Nur, daß Realität und Wahrnehmung halt doch sehr auseinander fallen können. So bettelt eine bestimmte Fraktion im Bundestag immer wieder fast darum, die "These von der Fortexistenz des Deutschen Reiches“ endlich zurückzuweisen, damit sie nicht von Neonazis und ähnlichem Gelichter benutzt werden könne.

Und mit der Regelmäßigkeit eines Drehorgelliedes erfolgt darauf die Antwort:  Das Bundesverfassungsgericht habe in ständiger Rechtsprechung festgestellt, daß das Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich" nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch sei.

Mit anderen Worten, die Bundesrepublik ist das Deutsche Reich. Es heißt gegenwärtig bloß anders. Und darum können wir sagen. Der Staat, in dem wir leben, ist spätestens 1871 gegründet worden, eigentlich schon 1867. Und das rechtfertigt dann vielleicht auch einen so ausufernden Beitrag.

 nachgetragen am 21. Januar

Samstag, 12. Januar 2019

Kaiser Maximilian in der Martinswand

Moritz v. Schwind: Kaiser Maximilian I. in der Martinswand
etwa 1860, hier gefunden

Kaiser Maximilian liebte unter allen Jägereien die Gemsjagd am meisten und überstand dabei so viele Todesgefahren, daß daraus ein sonst unerhörtes Beispiel zu nehmen ist, wie das himmlische Engelgeleit einen frommen Fürsten zu schützen vermöge. In seiner Jugend kletterte Max einsmals den Gemsen auf der Martinswand also nach, daß er weder fürder noch zurücksteigen konnte. Wo er sich nur hinwendete, hatte der kühne Herr den Tod vor Augen.

Sah er über sich, so drohten ihm die überhängenden Felsen, sah er unter sich, so erschreckte ihn eine grausame Tiefe von mehr als hundert Klaftern, sah er um sich, so war er mit Felsen umgeben, die viel zu hart waren, um sich seiner erbarmen zu können. Mit einem Seil ihm zu Hilfe zu kommen, verbot die Höhe des Ortes, einen Weg hinauf hätten alle Steinbrecher nicht in einem Monate zu Stande gebracht. Der Herr sah zwar seine Hofdiener in der Tiefe stehen und gehen, allein sie konnten ihm nicht helfen. Zwei ganze Tage und Nächte hoffte er vergebens auf Rettung.

Endlich erkannte er, daß hier oben keine Hilfe vor dem Tode sei, und sehnte sich nach der hl. Wegzehrung. Demnach rief er, so stark er konnte, man solle einen Priester mit dem heiligen Sakramente kommen lassen, damit er es wenigstens sehen könne. Indessen hatte sich die betrübte Zeitung von diesem Unfall weit verbreitet und überall wurde um die Rettung des allgeliebten Herrn gefleht.

Das Gebet blieb nicht ohne Frucht, denn am dritten Tage hörte der fromme Herr ein Geräusch in seiner Nähe, und als er nach selbiger Seite sich wendete, sah er einen Jüngling in Bauernkleidern daherkriechen und einen Weg im Felsen machen. Dieser bot ihm die Hand und sagte: "Seid getrost, gnädiger Herr! - Gott lebt noch, der euch retten kann und will. Folgt mir nur und fürchtet euch nicht!" Also trat Maximilian seinem Führer nach und kam in kurzem auf einen Steig, der ihn wieder zu den Seinen brachte.

Mit welchen Freuden er von ihnen empfangen worden ist, läßt sich leicht erachten.

Im Gedränge der Leute verlor sich alsogleich der Führer, den man nirgends mehr finden konnte und deshalb für einen Engel und Hilfsboten Gottes halten mußte. Den hohen Herrn labte man erstlich mit Speise und Trank, dann hob man ihn, noch ganz matt und blaß, auf ein Pferd und brachte ihn also wieder nach Innsbruck. Daselbst wurde er gar fröhlich bewillkommt und ein großes Dankesfest wurde angestellt. Kaiser Max ließ aber später den besagten Ort an der Martinswand in die Vierung aushauen und zum Gedächtnis der göttlichen Hilfe ein vierzig Schuh hohes Cruzifix darin aufstellen, welches annoch steht.

Aus: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 977, Seite 558

Bernhard Strigel, Kaiser Maximilian I. 
um 1500, hier gefunden

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Diese Geschichte zeigt uns zweierlei von Kaiser Maximilian: Daß er von männlich wagemutiger und ebenso frommer Natur war. Dazu darf man ihn unter die namhaften Herrscher unseres Heiligen Römischen Reiches zählen. Er starb am 12. Januar 1519, also vor 500 Jahren.

Wenn davon in diesen schlimmen Zeiten kaum etwas zu vernehmen ist (und in den seltenen entgegengesetzten Fällen wäre auch das meist besser unterblieben), soll uns das Anlaß sein, stärker auf die Heilung des Gedächtnisses unseres Vaterlandes zu hoffen.

Sub conditione Jacobaea wollen wir in den nächsten Tagen noch weiteres von ihm erzählen.

nachgetragen am 14. Januar

Sonntag, 6. Januar 2019

Über Epiphanias

Ravenna, Baptisterium der Orthodoxen, Taufe Jesu durch Johannes

In Epiphanias durchdringen sich die göttliche und die menschliche Sphäre. Das Göttliche nimmt Anteil am Menschlichen, das Menschliche gewinnt Anteil am Göttlichen. Zu deutsch ist Epiphanias das Fest der Erscheinung. Es ist das Erscheinen des Herrn. In der Erscheinung Jesu berühren sich das Göttliche und Menschliche. Es ereignet sich die Gestalt-Werdung eines Geheimnisses.

Zu den ältesten Festen der Christenheit gehörend, hat es sich in den Zeiten und Weltgegenden vielgestaltig ausgeformt, ohne doch sein Wesen zu verändern. Um gleich eingangs Benedikt XVI. zu zitieren (aus seiner Ansprache zum 6. Januar 2009):

„Die lateinische Tradition identifiziert es mit dem Besuch der Sterndeuter beim Jesuskind in Betlehem, und sie interpretiert es demzufolge vor allem als Offenbarung des Messias Israels vor den Heidenvölkern. Die orientalische Tradition hingegen gibt dem Augenblick der Taufe Jesu am Fluß Jordan den Vorrang, als er sich als der eingeborene Sohn des himmlischen Vaters offenbarte, der vom Heiligen Geist gesalbt ist. Das Evangelium des Johannes jedoch lädt dazu ein, auch die Hochzeit von Kana als ‚Epiphanie‘ zu betrachten, bei der Jesus durch die Verwandlung des Wassers in Wein ‚seine Herrlichkeit [offenbarte] und seine Jünger an ihn [glaubten]‘ (Joh 2,11).“

Könige des Ostens, Santa Maria de Mosoll (urspr.)

Im Ursprung war es wohl das Fest der Geburt Jesu. Als die Westkirche begann, dieses am 25. Dezember zu begehen, gerieten die weisen Magier aus dem Osten, später als legendenhafte „Heilige Drei Könige“, in den Blick, und damit verbinden wir dieses Datum mittlerweile noch heute. Der Evangelist Matthäus beschreibt die Ereignisse um die Weisen aus dem Morgenland wie folgt (Kap. 2, 1 -12):

Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen:

Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem.
Und ließ versammeln alle Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Volk und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden.

Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Lande; denn also steht geschrieben durch den Propheten:
"Und du Bethlehem im jüdischen Lande bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Juda's; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein Herr sei."
Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und wies sie gen Bethlehem und sprach: Ziehet hin und forschet fleißig nach dem Kindlein; wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, daß ich auch komme und es anbete.

Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis daß er kam und stand oben über, da das Kindlein war.
Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Und Gott befahl ihnen im Traum, daß sie sich nicht sollten wieder zu Herodes lenken; und sie zogen durch einen anderen Weg wieder in ihr Land.

El Greco: Die Anbetung der Könige

Es lohnt sich, ein wenig der Frage nachzugehen, welcher Art diese „Magier“ (so werden sie wörtlich im Text genannt) gewesen sein mögen, die den „König der Juden“ suchten und kamen, um ihn anzubeten.

Es gibt die moderne Neigung, hier „nur“ Legenden zu sehen, insbesondere bei dem Typus des neuzeitlichen Menschen, der gern glauben mag, die ganze Bibel sei eine einzige Verschwörung erdachter Geschichten, um ihn zu täuschen. Das ist zwar ein wenig arg narzißtisch gedacht, die antiken Autoren dürften einen solchen Typus mindestens ebenso stark für unglaubhaft gehalten haben, hätte man ihnen diesen prophezeit. Aber wie unplausibel ist die Geschichte?

Die Babylonier kannten die Juden (spätestens seit der sog. „Babylonischen Gefangenschaft“), die gebildeten unter ihnen auch deren prophetische Überlieferungen. Wenn ich mich recht erinnere, glich Babylon selbst zu dieser Zeit eher einem zerfallenden Lehmziegelhaufen. Kaiser Trajan soll jedenfalls wenig mehr als 100 Jahre später dort nur noch Ruinen vorgefunden haben. Die astronomisch-astrologische Überlieferung war aber noch lebendig.

Was tut man, wenn man vermutlich vergangener Größe nachtrauert, nach Zeichen der Hoffnung sucht und zumal das künftige Geschehen aus den göttlichen Sternen zu lesen gewohnt ist. Man kann dann durchaus sogar das Heil bei den fernen Juden suchen. (Übrigens war gerade zur Zeit der Geburt Jesu die Luft geradezu erfüllt von Erwartungen, ich erinnere nur an die 4. Ekloge des römischen Dichters Vergil)

Es ist also eher plausibel, daß Matthäus diese Überlieferung vorgefunden hat und sie nun deuten will, genauer, muß. Was uns nämlich heute aus Gewohnheit so idyllisch erscheint – die Magier mit ihren Gaben, die enthusiastischen Hirten (mit denen Lukas zu kämpfen hat) – sind nicht die idealsten Zeugen für unsere Geschichte.

Hirten etwa waren für die Zeitgenossen unterste Unterschicht mit eher schlechtem Ruf. Und es wird einen frommen Juden auch hart angekommen sein, babylonische „Zauberer“ als Zeugen der Weihnachtsgeschichte nennen zu müssen, aber er hat es, seinem Willen zum Gehorsam folgend, getan. Es hätte nur noch gefehlt, daß mietbare Frauen zu allem getanzt hätten, gut, die kamen später.

Und wie unwahrscheinlich ist es, daß der Apostel eine besonders verläßliche Gewährsfrau für das alles hatte, nämlich die allerseligste Gottesmutter selbst? „(Sie) fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter...“


Doch zu den Magiern noch einmal: Der Hl. Vater hat im 3. Band seines Werkes „Jesus von Nazareth“ über die Geburtsgeschichten einige Bemerkungen gemacht, die sehr erhellend in unserem Zusammenhang sind und die ich daher noch einmal (vorher hier) anbringen möchte:

„Die Ambivalenz des Begriffs Magier, auf die wir hier stoßen, zeigt die Ambivalenz des Religiösen als solchen auf. Es kann Weg zu wahrer Erkenntnis, Weg zu Jesus Christus hin werden. Wo es sich aber angesichts seiner Gegenwart nicht für ihn öffnet, sich gegen den einen Gott und den einen Erlöser stellt, wird es dämonisch und zerstörerisch.“

Die Magier „stehen für die innere Dynamik der Selbstüberschreitung der Religionen, die eine Suche nach Wahrheit, Suche nach dem wahren Gott und so zugleich Philosophie im ursprünglichen Sinn des Wortes ist. So heilt die Weisheit auch die Botschaft der 'Wissenschaft'“. Im Verstehen-Wollen des Ganzen erfährt die Vernunft ihre höchsten Möglichkeiten.

Wir folgen weiter den Worten Benedikt XVI. (diesmal aus seiner Ansprache zum 6. Januar 2012), in denen er das Geschehen einmal beschreibt und es sogleich mitdeutet, wie könnte es auch anders sein:

„Die Sachkundigen sagen uns, daß sie in der großen astronomischen Tradition standen, die sich im Zwei-Strom-Land über die Jahrhunderte hin gebildet hatte und dort noch immer blühte. Aber diese Auskunft allein genügt nicht. Es gab wohl viele Sternkundige im alten Babylon, aber nur diese wenigen sind aufgebrochen und dem Stern nachgegangen, den sie als Stern der Verheißung, als Wegweiser zum wahren König und Retter erkannten. Es waren, so dürfen wir sagen, Männer der Wissenschaft, aber solche, die nicht nur vielerlei wissen wollten: Sie wollten mehr. Sie wollten verstehen, worum es im Menschsein geht.“

Er mutmaßt dann, daß sie die Prophezeiung Bileams gekannt haben könnten (Num 24,17): „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen.“

„Sie gingen der Verheißung nach. Sie waren Menschen des unruhigen Herzens, die sich nicht mit dem Vordergründigen und Gewöhnlichen begnügten. Sie waren Menschen auf der Suche nach der Verheißung, auf der Suche nach Gott. Und sie waren wache Menschen, die die Zeichen Gottes, seine leise und eindringliche Sprache wahrzunehmen vermochten. Aber sie waren auch mutige und zugleich demütige Menschen: Wir können uns vorstellen, daß sie manchen Spott ertragen mußten, weil sie sich auf den Weg zum König der Juden machten und dafür viel Mühsal auf sich nahmen.“

„Ihnen ging es um die Wahrheit selbst, nicht um die Meinung der Menschen. Dafür nahmen sie die Verzichte und Mühen eines langen und ungewissen Weges auf sich. Ihr demütiger Mut war es, der ihnen schenkte, sich beugen zu können vor dem Kind armer Leute und in ihm den verheißenen König zu erkennen, den zu suchen und den zu kennen das Ziel ihres äußeren und inneren Weges gewesen war.“

„Die Weisen sind dem Stern gefolgt. Durch die Sprache der Schöpfung haben sie den Gott der Geschichte gefunden. Freilich – die Sprache der Schöpfung allein genügt nicht. Erst das Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift uns begegnet, vermochte ihnen endgültig den Weg zu zeigen. Schöpfung und Schrift, Vernunft und Glaube gehören zusammen, um uns bis zum lebendigen Gott hinzuführen. Es ist viel diskutiert worden, was das für ein Stern gewesen ist, der die Weisen führte.“ Doch welcher Art dieser Stern gewesen sein mag: „Diesen Streit mögen die Gelehrten weiterführen.“

Die Weisen aus dem Morgenland seien „allmählich selbst zu Sternbildern Gottes geworden, die uns den Weg zeigen. In all diesen Menschen hat gleichsam die Berührung mit Gottes Wort eine Explosion des Lichtes ausgelöst, durch die der Glanz Gottes in diese unsere Welt hineinleuchtet und uns den Weg zeigt. Die Heiligen sind Sterne Gottes, von denen wir uns führen lassen zu dem hin, nach dem unser Wesen fragt.“

Das Licht vom Gold der Gaben, in das schon das Evangelium dieses Ereignis taucht, ist also keine spätere mythische Verklärung, sondern all das suchende, angefochtene und zwiespältige Menschentum wird hier hineingehoben in den Glanz der Transzendenz, so daß zu Recht ein goldenes Licht auf allem liegt.

Kein Wunder, daß die dem König Huldigten, in den Augen der Späteren selbst zu Königen wurden. So wie jeder Anbetende des Kindes in der Krippe Teil haben darf am Königtum Christi.


nachgetragen in der Nacht nach dem 1. Sonntag nach Epiphanias

Dienstag, 1. Januar 2019

Unterhaltsames zum Neuen Jahr

Das mag seltsam klingen, aber, offen gestanden, vergesse ich in der Regel, daß das hier außer mir jemand liest. Und selbst, wenn einer es direkt einräumt, erschrecke ich eher, es fügt sich einfach nicht zum Bild zusammen (mit wenigen Ausnahmen bei bestimmten Themen). Aber eben dachte ich daran, deshalb erst einmal:

Ein Gesegnetes Neues Jahr! 

Möge es in allen Wechselfällen stets einen glücklichen Ausgang nehmen.

Pierre Bouillon: L'Enfant et la Fortune
1800 / 1831, hier gefunden

Wie faßt Herr Klonovsky wieder das Übel der gegenwärtigen abendländischen Welt so trefflich zusammen – Wahngesteuerte, Weibmänner und perverse Anwälte. Wie auch immer. Aber keine Sorge. So gallig - eloquent wie er kann ich gar nicht über das Elend des Zeitalters urteilen, also lasse ich es lieber ganz.

Ferner widerstrebt es mir zum Glück, meine Gemütsverfassung öffentlich auszubreiten. Nicht, daß ich an der gegenwärtig etwas auszusetzen hätte. Aber wenn man von einem ausgehen kann, dann von der Wechselhaftigkeit des menschlichen Gemüts. Und die illustrieren wir doch lieber mit fremden Beispielen.

Eigentlich will ich nur 4 Sachen loswerden (damit der Stapel offener Bücher kleiner wird), von denen ich jedes Mal dachte: ‚Das paßt zu Neujahr, das ist unterhaltsam‘. Und wenn ich eines noch versichern darf, die erste Situation ist derart zeitlos. Ich habe sie, glücklicherweise nicht so drastisch, ähnlich vor langer Zeit einmal erlebt.

Es gibt gute Gründe, Heines Sarkasmus nicht immer zu mögen, aber unterhaltsam ist er in der Regel. Die Dame unten himmelt allerdings nicht den Sonnenuntergang an. Es ist Miranda aus Shakespeares „Sturm“, die sich für einen Schiffsbruch interessiert.

Einen solchen im übertragenen Sinne erlebt nachfolgende Gesellschaft. Und zum 4. Stück, dem Barockgedicht von Johann Gottlieb Meister (er starb 1699 in Leipzig), wäre nur anzumerken: Auch die Postmoderne ist offenkundig ein ziemlich alter mottiger Hut, was für eine Überraschung!

Lovis Corinth: Alfred Kerr, 1907

Alfred Kerr

Die Schiffsgesellschaft 

I

Eine deutsche Schiffsgesellschaft mit Geheimräten und Regierungsräten und Bürgern aus Hamburg und Dresden kam einst (ich hatte das vormittägliche Glück dabeizusein) in ein afrikanisch-andalusisches Wirtshaus. Für kurze Zeit hatte das Schiff angelegt. Man wollte Tänze sehn.
Harmlose Frage des Wirts: „Sollen die Mädchen tanzen wie gewöhnlich?“
Harmloser Bescheid: “Ja, wie gewöhnlich.“ Etwas Furchtbares ereignete sich. Alle zehn tanzten und hatten bloß schwarze Strümpfe an.

II

Die Rätinnen saßen gelähmt. (Schlange. Basilisk.) Rührten kein Glied vor Starrheit. Die Ritter schauten mutig drein und in den Schoß der Schönen. Nachher, o Gipfel, stieg eine Spanierin vom Tritt und ging mit dem Teller sammeln. Die Spannung löste sich. Zwei Damen stürzten davon. Doch ein uralter Herr mit weißem Affenbart und rotem Gesicht, ähnlich wie Sokrates oder Darwin, im Bayrisch-Fränkischen zu Haus, gab der Sammlerin lächelnd auf den Popo einen Klapps, daß es schallte.

III

Des nächsten Tages ging ein Regierungsrat unter der Schiffsgesellschaft herum und bat in angemessener Haltung, das „peinliche Thema“ im Gespräch „selbstverständlich“ nicht zu berühren…
Das Ganze bleibt einer von jenen Zwischenfällen, an die man sich noch im Sarg erinnert. Die frische Märzenmeersonne des Südens lag über allem. Der Tag lachte.

Hier paßt ein Einwand von:

Georg Christoph Lichtenberg

Luther sagt bekanntlich:

Wer nicht liebt Wein und Weiber und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang.

Doch muß man hierbei nicht vergessen hinzuzusetzen:

Doch ist, daß er ein Freund von Weibern, Sang und Krug ist,
Noch kein Beweis, daß er deswegen klug ist.

W. Voigt, 1873

Allerdings ist auch dieses Lutherzitat eines der wohl erfundenen. Es findet sich bei ihm schlicht nicht, vermutlich hat es dem Reformator Johann Heinrich Voß untergeschoben, was diesem jedenfalls die Hamburger Hauptpastoren recht übel nahmen. Geistliche können sehr humorfrei sein.

Heinrich Heine

Das Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

John William Waterhouse Miranda - The Tempest, 1916

Johann Gottlieb Meister

Ego cogito ergo sum

Ich dencke / drum bin ich / ließ uns des Cartes lesen /
Mops merckte dieses an / und dachte vielerley:
Daß er gelehrt / beliebt / groß / reich und schöne sey:
Denn hätt’ ers nicht gedacht / so wär ers nicht gewesen.

Edward Burne-Jones: The Wheel of Fortune
zwischen 1875 und 1883, hier gefunden

nachgetragen am 2. Januar